Enhancement, Prothesen, Körper-Upgrade - in letzter Zeit ist eine technologische Durchdringung des Körpers zu beobachten, die als Symptom eines tiefgreifenden gesellschaftlichen, ökonomischen und kulturellen Wandels hin zu einer Optimierungs- und Upgradekultur zu begreifen ist.
Warum sollten die sich generalisierenden Optimierungsimperative vor dem Leib Halt machen? Im Kontext einer zunehmenden technischen Reproduzierbarkeit des Körpers scheint das Individuum von den Schranken seiner natürlichen Konstitution befreit: Medikamentöse und chirurgische Optimierungsmöglichkeiten werden unabhängig von medizinischen Indikationen ebenso aktiv genutzt wie technologisches Enhancement oder verdatete Leistungs- und Gesundheitskonzepte.
Dierk Spreen rekonstruiert die Entstehungskontexte des Wertewandels zu einer Upgradekultur und diskutiert Möglichkeiten der sozialtheoretischen Stellungnahme.
Warum sollten die sich generalisierenden Optimierungsimperative vor dem Leib Halt machen? Im Kontext einer zunehmenden technischen Reproduzierbarkeit des Körpers scheint das Individuum von den Schranken seiner natürlichen Konstitution befreit: Medikamentöse und chirurgische Optimierungsmöglichkeiten werden unabhängig von medizinischen Indikationen ebenso aktiv genutzt wie technologisches Enhancement oder verdatete Leistungs- und Gesundheitskonzepte.
Dierk Spreen rekonstruiert die Entstehungskontexte des Wertewandels zu einer Upgradekultur und diskutiert Möglichkeiten der sozialtheoretischen Stellungnahme.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Offenbar mit Interesse hat Rezensentin Manuela Lenzen das nun unter dem Titel "Upgrade-Kultur" erschienene Buch des Soziologen und Politikwissenschaftlers Dierk Spreen gelesen. Vom stetigen Voranschreiten der insbesondere körperlichen Selbstoptimierung erfährt die Kritikerin hier ebenso wie von den Gefahren einer Kultur, in der alle standardisierten Körpern nacheifern und in der nur derjenige Anerkennung bekommt, der ständig selbst an sich arbeitet. Darüber hinaus lernt Lenzen bei Spreen auch einiges über technische Enhancements von der Google-Brille bis zu Hirn-Computer-Schnittstellen.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.12.2015Wie weit sind Sie von Ihrem Upgrade entfernt?
Achtsame Geisteswissenschaft: Drei Bücher über neue Maximen und Techniken der Arbeit an Körper und Seele
Klüger, gesünder, schöner, schlanker, langlebiger, achtsamer, erfolgreicher: Der Mensch war sich schon immer selbst Projekt. Neu ist heute die Konstellation aus Individualisierung und technisch-medizinischen Möglichkeiten, unterlegt mit Neugier, Spieltrieb und Machbarkeitsphantasien. Und die Entschiedenheit der Geisteswissenschaften, diesmal mit der kritischen Reflexion dabei zu sein, bevor alle Weichen gestellt sind.
Wir verbessern uns nicht mehr, um ein Ziel zu erreichen, wir setzen uns Ziele, um uns zu verbessern, meint der Soziologe und Politikwissenschaftler Dierk Spreen. Das Ergebnis dieses verselbständigten Optimierens nennt er "Upgradekultur". Ihr Grundgesetz: Wer nicht ständig an sich selbst arbeitet, verdient keine Anerkennung. Wobei sich diese Arbeit, wie Spreen konstatiert, vor allem auf den Körper richtet. Denn es ist auch in der digitalen Informationsgesellschaft, deren Visionäre davon träumen, ihren Geist auf einer Festplatte zu konservieren, noch immer der Körper, der den Menschen verwundbar und bedürftig macht. Dessen gegebene Eigenschaften würden immer weniger hingenommen, gerade der Gesunde vergleiche sich und seine Daten stets mit anderen und finde immer einen Grund für ein wenig Muskeltraining hier oder eine Schönheits-OP dort. Das Ergebnis seien, meint der Autor, standardisierte Körper und ebensolche Lebensentwürfe.
Spreen diskutiert die möglichen technischen Enhancements von der Google-Brille über die intelligente Prothese bis zur Hirn-Computer-Schnittstelle, vom Krieg über den Weltraum bis zur Sozialtheorie.
Steht hinter dem technischen oder medikamentösen Aufpeppen des Körpers Spieltrieb oder die Angst, in der Konkurrenz nicht mithalten zu können, so zielt das Enhancement der Moral in eine ganz andere Richtung: Könnte es nicht sein, so fragen seit einigen Jahren vor allem Julian Savulescu und Mitstreiter am Oxford Centre for Practical Ethics, dass wir für die Herausforderungen der Zukunft und die technischen Möglichkeiten, die uns zur Verfügung stehen, einfach nicht gut genug sind? Der Sammelband von Raphael van Riel und Kollegen präsentiert grundlegende und kommentierende Texte dieser bislang vor allem im angelsächsischen Sprachraum geführten Diskussion zum ersten Mal auf Deutsch.
Ist jedoch bereits die Entwicklung einer Neuroprothese ein komplexes Unterfangen, ist beim Enhancement der Moral gar nicht klar, wo überhaupt anzupacken wäre. Denn mit Pillen, die die Konzentrationsfähigkeit oder das Gedächtnis verbessern, ist es hier nicht getan. Wirkstoffe, die Menschen in Laborspielen fairer oder moralischer entscheiden ließen, wie etwa das angebliche Kuschelhormon Oxytocin, zeigten bei näherem Hinsehen ihre Schwächen: Oxytocin erhöht mit der Fairness gegenüber der eigenen Gruppe zugleich die Aggression gegen Außenstehende. Wie es John R. Shook im ersten Beitrag des Bandes formuliert: Wenn es um das Enhancement der Moral geht, ist Skeptizismus anzuraten; wenn dessen politische Implementierung angedacht wird, ein gesundes Maß Zynismus. Bis auf weiteres allerdings ist die Moralpille vor allem ein interessantes Gedankenexperiment. Die realitätsnäheren Themen, etwa das weite Feld der Medikamente und Therapien, die Psyche und Verhalten des Patienten verändern, streifen die Beiträge des Bandes nur am Rande.
Doch Selbstverbesserung muss nicht in Gestalt von Pille oder Implantat daherkommen, die man durchaus für eine faule Abkürzung halten könnte. Der Sammelband von Ruth Conrad und Roland Kipke erinnert an die klassischen Bestrebungen, ein besserer Mensch zu werden, die im Schatten der medizinisch-technischen Enhancement-Debatte unterzugehen drohen: von Konzentrationsübungen über Ratgeberliteratur bis zu religiösen und spirituellen Praktiken. Die Herausgeber nennen sie "Selbstformung". Diese Praktiken sind heute oft genug ebenfalls Ausdruck des gesellschaftlichen Drucks zur Selbstoptimierung, so Jörg Schneider in seinem Beitrag. Auch Aufmerksamkeitsmeditation oder Kloster auf Zeit dienten oft genug letztlich dazu, fitter für den Job zu werden.
Zu viel Selbstformung kann einem guten Leben durchaus im Wege stehen, konstatiert Michael Roth. Also gilt es aus dem vielfältigen und unübersichtlichen Angebot auszuwählen. Das Kriterium für diese Wahl, da sind sich die meisten Autoren der genannten Bände einig, kann nur der freie Lebensentwurf des Individuums sein. Der sich freilich erst einmal formen muss und sicher auch immer noch ein bisschen freier werden könnte.
MANUELA LENZEN.
Dierk Spreen: "Upgradekultur". Der Körper in der Enhancement-Gesellschaft.
Transcript Verlag, Bielefeld 2015, 156 S., 19,99 [Euro].
"Enhancement der Moral".
Hrsg. von Raphael van Riehl, Ezio Di Nucci und Jan Schildmann.
Mentis Verlag, Münster 2015. 176 S., br., 28,- [Euro].
"Selbstformung". Beiträge zur Aufklärung einer menschlichen Praxis. Hrsg. von Ruth Conrad und Roland Kipke.
Mentis Verlag, Münster 2015. 310 S., br., 48,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Achtsame Geisteswissenschaft: Drei Bücher über neue Maximen und Techniken der Arbeit an Körper und Seele
Klüger, gesünder, schöner, schlanker, langlebiger, achtsamer, erfolgreicher: Der Mensch war sich schon immer selbst Projekt. Neu ist heute die Konstellation aus Individualisierung und technisch-medizinischen Möglichkeiten, unterlegt mit Neugier, Spieltrieb und Machbarkeitsphantasien. Und die Entschiedenheit der Geisteswissenschaften, diesmal mit der kritischen Reflexion dabei zu sein, bevor alle Weichen gestellt sind.
Wir verbessern uns nicht mehr, um ein Ziel zu erreichen, wir setzen uns Ziele, um uns zu verbessern, meint der Soziologe und Politikwissenschaftler Dierk Spreen. Das Ergebnis dieses verselbständigten Optimierens nennt er "Upgradekultur". Ihr Grundgesetz: Wer nicht ständig an sich selbst arbeitet, verdient keine Anerkennung. Wobei sich diese Arbeit, wie Spreen konstatiert, vor allem auf den Körper richtet. Denn es ist auch in der digitalen Informationsgesellschaft, deren Visionäre davon träumen, ihren Geist auf einer Festplatte zu konservieren, noch immer der Körper, der den Menschen verwundbar und bedürftig macht. Dessen gegebene Eigenschaften würden immer weniger hingenommen, gerade der Gesunde vergleiche sich und seine Daten stets mit anderen und finde immer einen Grund für ein wenig Muskeltraining hier oder eine Schönheits-OP dort. Das Ergebnis seien, meint der Autor, standardisierte Körper und ebensolche Lebensentwürfe.
Spreen diskutiert die möglichen technischen Enhancements von der Google-Brille über die intelligente Prothese bis zur Hirn-Computer-Schnittstelle, vom Krieg über den Weltraum bis zur Sozialtheorie.
Steht hinter dem technischen oder medikamentösen Aufpeppen des Körpers Spieltrieb oder die Angst, in der Konkurrenz nicht mithalten zu können, so zielt das Enhancement der Moral in eine ganz andere Richtung: Könnte es nicht sein, so fragen seit einigen Jahren vor allem Julian Savulescu und Mitstreiter am Oxford Centre for Practical Ethics, dass wir für die Herausforderungen der Zukunft und die technischen Möglichkeiten, die uns zur Verfügung stehen, einfach nicht gut genug sind? Der Sammelband von Raphael van Riel und Kollegen präsentiert grundlegende und kommentierende Texte dieser bislang vor allem im angelsächsischen Sprachraum geführten Diskussion zum ersten Mal auf Deutsch.
Ist jedoch bereits die Entwicklung einer Neuroprothese ein komplexes Unterfangen, ist beim Enhancement der Moral gar nicht klar, wo überhaupt anzupacken wäre. Denn mit Pillen, die die Konzentrationsfähigkeit oder das Gedächtnis verbessern, ist es hier nicht getan. Wirkstoffe, die Menschen in Laborspielen fairer oder moralischer entscheiden ließen, wie etwa das angebliche Kuschelhormon Oxytocin, zeigten bei näherem Hinsehen ihre Schwächen: Oxytocin erhöht mit der Fairness gegenüber der eigenen Gruppe zugleich die Aggression gegen Außenstehende. Wie es John R. Shook im ersten Beitrag des Bandes formuliert: Wenn es um das Enhancement der Moral geht, ist Skeptizismus anzuraten; wenn dessen politische Implementierung angedacht wird, ein gesundes Maß Zynismus. Bis auf weiteres allerdings ist die Moralpille vor allem ein interessantes Gedankenexperiment. Die realitätsnäheren Themen, etwa das weite Feld der Medikamente und Therapien, die Psyche und Verhalten des Patienten verändern, streifen die Beiträge des Bandes nur am Rande.
Doch Selbstverbesserung muss nicht in Gestalt von Pille oder Implantat daherkommen, die man durchaus für eine faule Abkürzung halten könnte. Der Sammelband von Ruth Conrad und Roland Kipke erinnert an die klassischen Bestrebungen, ein besserer Mensch zu werden, die im Schatten der medizinisch-technischen Enhancement-Debatte unterzugehen drohen: von Konzentrationsübungen über Ratgeberliteratur bis zu religiösen und spirituellen Praktiken. Die Herausgeber nennen sie "Selbstformung". Diese Praktiken sind heute oft genug ebenfalls Ausdruck des gesellschaftlichen Drucks zur Selbstoptimierung, so Jörg Schneider in seinem Beitrag. Auch Aufmerksamkeitsmeditation oder Kloster auf Zeit dienten oft genug letztlich dazu, fitter für den Job zu werden.
Zu viel Selbstformung kann einem guten Leben durchaus im Wege stehen, konstatiert Michael Roth. Also gilt es aus dem vielfältigen und unübersichtlichen Angebot auszuwählen. Das Kriterium für diese Wahl, da sind sich die meisten Autoren der genannten Bände einig, kann nur der freie Lebensentwurf des Individuums sein. Der sich freilich erst einmal formen muss und sicher auch immer noch ein bisschen freier werden könnte.
MANUELA LENZEN.
Dierk Spreen: "Upgradekultur". Der Körper in der Enhancement-Gesellschaft.
Transcript Verlag, Bielefeld 2015, 156 S., 19,99 [Euro].
"Enhancement der Moral".
Hrsg. von Raphael van Riehl, Ezio Di Nucci und Jan Schildmann.
Mentis Verlag, Münster 2015. 176 S., br., 28,- [Euro].
"Selbstformung". Beiträge zur Aufklärung einer menschlichen Praxis. Hrsg. von Ruth Conrad und Roland Kipke.
Mentis Verlag, Münster 2015. 310 S., br., 48,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Ein überaus aufschlussreicher und lesenswerter Essay.«
Stefanie Kiewitt, Sociologia Internationalis, 53/1 (2015) 20160815
Stefanie Kiewitt, Sociologia Internationalis, 53/1 (2015) 20160815