In 2001 Jace Clayton was an unknown DJ who recorded a three-turntable, sixty-minute mix and put it online to share with friends. Within weeks, Gold Teeth Thief became an international calling card, whisking Clayton away to play a nightclub in Zagreb, a gallery in Osaka, a former brothel in Sao Paolo, and the American Museum of Natural History. Just as the music world made its fitful, uncertain transition from analog to digital, Clayton found himself on the front lines of creative upheavals of art production in the twenty-first century globalized world. Uproot is a guided tour of this newly-opened cultural space. With humor, insight, and expertise, Clayton illuminates the connections between a Congolese hotel band and the indie-rock scene, Mexican rodeo teens and Israeli techno, and Whitney Houston and the robotic voices is rural Moroccan song, and offers an unparalleled understanding of music in the digital age.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.02.2017Digitale
Schleier
Der DJ und Poptheoretiker Jace Clayton hat
den Quellcode der Weltmusik 2.0 geknackt
VON JAN KEDVES
Jace Clayton ist der Poet unter den DJs. In seinen Sets bringt der in Brooklyn lebende Musiker und Autor syrische Dabke-Tänze und Dub-Reggae aus Kingston mit Gesang von Miriam Makeba und Versen des Wu-Tang Clan zusammen oder gegenseitig in Stellung oder aneinander in Reibung, so ganz klar ist das nicht immer. Deswegen passt auch das Pseudonym, das Clayton sich gegeben hat, so ausgezeichnet: DJ Rupture, also DJ Bruch oder DJ Riss. Kürzlich hat Clayton auch noch ein Buch veröffentlicht, „Uproot: Travels in 21st-Century Music and Digital Culture“ (Farrar, Straus & Giroux), auf dessen Rückseite wird Lob prominenter Leser zitiert: von der Performance-Künstlerin und Lou-Reed-Gattin Laurie Anderson etwa oder von Wesley Pentz alias Diplo, einem der derzeit erfolgreichsten Chartpop-Produzenten. Warum preisen sie das Buch? Weil es mit so scharfsinnigen Beobachtungen und Analysen zu Pop im digitalen 21. Jahrhundert vollgeschrieben ist, wie man es noch nicht gelesen hat.
Clayton schreibt als der Weltreisende, zu dem er geworden ist, nachdem er 2001 eine MP3-Datei seines Mixtapes „Gold Teeth Thief“ ins Netz lud – kostenlos, ohne Label, ohne offizielle Lizenzierungen. Sein Mix war einer der ersten viralen Pophits, noch vor „As Heard On Radio Soulwax Pt. 2“ von den Belgiern 2 Many DJs (2002). Clayton verdiente keinen Cent damit, aber an den Folgen dann schon: Partyveranstalter auf der ganzen Welt begannen ihn zu buchen. In Zagreb, Osaka, Hamburg, São Paulo, Jamaika, Mexiko, Dubai.
Zuvor war Clayton noch Statist gewesen, oder genauer: DJ-Statist in der Band von Norah Jones. Sie wurde erst danach zu der Jazz-Pop-Croonerin für Starbucks-Genießer, als die man sie heute kennt. Ihre Band hätte eigentlich gar keinen scratchenden DJ gebraucht, schreibt Clayton in seinem Buch. Was sie aber brauchte, war ein Afroamerikaner, der hinter den Plattenspielern steht und via Hautfarbe und Habitus „Hip-Hop“ signalisiert, urbane Coolness. Diese Anekdote mag erklären, warum Clayton heute – wenn er als DJ und Feldforscher um die Welt reist – einen Blick darauf hat, wie im Pop ethnische und kulturelle Identitäten zur Ressource werden. Je fremder, desto besser? Das muss nicht schlecht sein. Ist es aber oft.
Ein Beispiel: Clayton beschreibt, wie er auf der WOMEX, der „World Music Expo“ in Kopenhagen, den Auftritt einer jungen australischen Band erlebt, die von hier aus in die globalen Distributionskanäle geschleust werden soll. Sie heißt Yilila und spielt Soft-Rock mit Didgeridoo-Klängen. Erst stehen vier weiße Männer in Jeans und Poloshirts auf der Bühne, nach ein paar Minuten steigen dann zwei Aborigines im roten Lendenschurz aus dem Trockeneisnebel auf die Bühne und beginnen, Didgeridoo zu spielen. Einer der weißen Musiker erklärt dem Publikum, diese Musik sei „traditionell“. Clayton ist fassungslos: „Vielleicht hätte ich die Band besser gefunden, wenn die weißen Typen die roten Lendenschurze und die Körperbemalung getragen hätten?“
Weltmusik dieser Art, die auf ein westliches Publikum zugeschnitten ist und in Produktion und Präsentation koloniale Machtstrukturen reproduziert, fußt, so Clayton, auf der „Vorstellung, dass auf unserem Planeten noch genügend Geheimnisse auf Entdeckung warten, die von indigenen Traditionen, ohne Störung durch Mobiltelefone oder multinationale Konzerte, gehütet werden.“ Diesem Weltmusik-Modell stellt Clayton in „Uproot“ jene Musik gegenüber, die er „World Music 2.0“ nennt. Musik, die mit der Digitalisierung und Breitband-Netzen begann, global zu zirkulieren, und die überall mit denselben Software-Programmen und Plug-ins produziert wird. Hybride Techno-Stile, etwa Tribal Guarachero aus Mexiko oder Sha3by aus Ägypten.
Illusionen über den angeblich demokratisierenden Effekt des Internets macht sich Clayton aber keine. Nur weil ein Produzent in Casablanca auf einem billigen Laptop in seiner Garage einen heißen Track produziert und auf Youtube geladen hat, heißt das noch lange nicht, dass er schon bald auf Welttournee gehen wird. Auch World Music 2.0 braucht Gatekeeper und Geschmacksverstärker. Häufig sind dies die einflussreichen DJs. Menschen wie Clayton also.
Clayton hat eine sehr raffinierte Mischung aus Reisebericht, teilnehmender Beobachtung, Netzkritik und musikalischem Essay geschrieben. In seinem Buch will er auch verstehen, wie das Globale ins Lokale hineinwirkt. Wie die Musikproduktions-Software von amerikanischen und deutschen Firmen wie Fruity Loops oder Ableton, die ja für westliche Begriffe von Rhythmik und Harmonik programmiert sind, von Produzenten nichtwestlicher Musik so lange justiert und ausgetrickst werden, bis sie dann doch irgendwann ungerade Metren und komplex gegeneinander laufende Polyrhythmen prozessieren.
Besonders fasziniert Clayton auf seinen Reisen, wie populär Auto-Tune in den vergangenen 15 Jahren im arabischen Raum, besonders im Maghreb, geworden ist. Die Audio-Software der Firma Antares war ursprünglich dazu gedacht, Tonhöhenabweichungen in Gesangsspuren unmerklich zu korrigieren, bekannt wurde sie aber 1998 via Chers Hit „Believe“ als „Cher-Effekt“. Auto-Tune produziert ein plastisches Maschinenjodeln, es lässt die menschliche Stimme klingen, als befinde sie sich gerade im Kampf mit einem Roboter. Was in gewisser Weise ja auch stimmt, denn die Software analysiert algorithmisch jeden einzelnen Moment und bestimmt dann, wie dieser zu korrigieren oder zu verfremden ist.
In einem Musikstudio in Agadir, Marokko, erlebte Clayton, wie der Gesang von Saadia Tihihit, einer populären Berber-Sängerin, mit Auto-Tune zum digitalen Schrillen und Kreischen gebracht wird. Clayton hört hier aber nicht nur den „Kampf zwischen menschlicher Nuance und digitaler Korrektur“, sondern auch den „Kampf zwischen dem, was wir Menschen einmal waren, und dem, was wir eines Tages sein werden“. Der westliche Auto-Tune-Pop spiegelt für ihn auch die Kämpfe an anderen aktuellen Fronten wider, man denke an Siri, künstliche Intelligenz oder die Diskussion um selbstfahrende Autos. In arabischer Musik könne Auto-Tune, so Clayton, aber noch eine ganz andere Funktion haben – jedenfalls in Musik, die von Frauen gesungen wird. Hier könnte Auto-Tune eine Art „digitaler Schleier“ sein, ein Effekt, der sich um die Stimme der Frau herumlegt und diese – sowie ihre Reinheit – auf dem Weg in die moderne Welt „sowohl beschützt wie erst projiziert“.
Passagen wie diese sind es, die es sehr bedauerlich erscheinen lassen, dass es bislang keine Pläne gibt, „Uproot“ auch ins Deutsche zu übersetzen. Als Clayton vergangene Woche zu einer von Audio- und Videobeispielen begleiteten Buchvorstellung ins Berliner Hebbel-Theater kam, sagte er, im Frühjahr werde das Buch auf Italienisch erscheinen.
Während seines Vortrags in Berlin ließ Clayton dann auf der Bühnenleinwand immer wieder einen Loop aus Whitney Houstons „I Will Always Love You“-Video von 1992 kreisen. Denn einige der stärksten Passagen aus seinem Buch handeln von Soulgesang und Melismatik. Melismatik ist die Kunst der melodischen Verzierung einzelner Silben, die Art des Singens, die besonders im Soul und R & B gepflegt wird. Sie stellt, so Clayton, „eine mysteriöse, gar mystische Beziehung her zwischen überschäumenden Gefühlen, den Schicksalsschlägen des Lebens und ultrapräziser Selbstkontrolle“. Whitney Houston war natürlich eine Meisterin dieses Silben-Umspielens, und sogar Rap-Stars wie Lil Wayne oder Future lassen heute ihre Reime – allerdings mithilfe von Auto-Tune – melismatisch flirren.
Clayton zieht in seinem Buch Parallelen zu den verzierten Gebetsrufen von muslimischen Muezzins und beruft sich dabei auf Musikwissenschaftler, die davon ausgehen, dass melismatische Gesangstraditionen zur Zeit des Sklavenhandels, also über muslimische Sklaven aus Westafrika, ihren Weg in die USA und die schwarzen Kirchen gefunden haben. Das würde bedeuten, dass in gewisser Weise heute weite Teile der Popmusik islamisiert sind, und mit ihnen auch 97 Prozent aller deutschen Casting-Show-Teilnehmer, die hilflos versuchen, jede einzelne Pirouette aus Whitney Houstons Interpretation von „I Will Always Love You“ zu imitieren. Vielleicht hilft es ja einigen besorgten Bürgern das nächste Mal beim Entspannen.
Einer der markantesten
Soundeffekte des Mainstream-Pop
hat seine Wurzeln im Islam
Jace Clayton wurde 1975 in der Nähe von Boston geboren und studierte in Harvard. Heute lebt er als Autor und Sound-Tüftler in New York und tritt unter dem Namen DJ Rupture auf.
Foto: Max Lakner
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Schleier
Der DJ und Poptheoretiker Jace Clayton hat
den Quellcode der Weltmusik 2.0 geknackt
VON JAN KEDVES
Jace Clayton ist der Poet unter den DJs. In seinen Sets bringt der in Brooklyn lebende Musiker und Autor syrische Dabke-Tänze und Dub-Reggae aus Kingston mit Gesang von Miriam Makeba und Versen des Wu-Tang Clan zusammen oder gegenseitig in Stellung oder aneinander in Reibung, so ganz klar ist das nicht immer. Deswegen passt auch das Pseudonym, das Clayton sich gegeben hat, so ausgezeichnet: DJ Rupture, also DJ Bruch oder DJ Riss. Kürzlich hat Clayton auch noch ein Buch veröffentlicht, „Uproot: Travels in 21st-Century Music and Digital Culture“ (Farrar, Straus & Giroux), auf dessen Rückseite wird Lob prominenter Leser zitiert: von der Performance-Künstlerin und Lou-Reed-Gattin Laurie Anderson etwa oder von Wesley Pentz alias Diplo, einem der derzeit erfolgreichsten Chartpop-Produzenten. Warum preisen sie das Buch? Weil es mit so scharfsinnigen Beobachtungen und Analysen zu Pop im digitalen 21. Jahrhundert vollgeschrieben ist, wie man es noch nicht gelesen hat.
Clayton schreibt als der Weltreisende, zu dem er geworden ist, nachdem er 2001 eine MP3-Datei seines Mixtapes „Gold Teeth Thief“ ins Netz lud – kostenlos, ohne Label, ohne offizielle Lizenzierungen. Sein Mix war einer der ersten viralen Pophits, noch vor „As Heard On Radio Soulwax Pt. 2“ von den Belgiern 2 Many DJs (2002). Clayton verdiente keinen Cent damit, aber an den Folgen dann schon: Partyveranstalter auf der ganzen Welt begannen ihn zu buchen. In Zagreb, Osaka, Hamburg, São Paulo, Jamaika, Mexiko, Dubai.
Zuvor war Clayton noch Statist gewesen, oder genauer: DJ-Statist in der Band von Norah Jones. Sie wurde erst danach zu der Jazz-Pop-Croonerin für Starbucks-Genießer, als die man sie heute kennt. Ihre Band hätte eigentlich gar keinen scratchenden DJ gebraucht, schreibt Clayton in seinem Buch. Was sie aber brauchte, war ein Afroamerikaner, der hinter den Plattenspielern steht und via Hautfarbe und Habitus „Hip-Hop“ signalisiert, urbane Coolness. Diese Anekdote mag erklären, warum Clayton heute – wenn er als DJ und Feldforscher um die Welt reist – einen Blick darauf hat, wie im Pop ethnische und kulturelle Identitäten zur Ressource werden. Je fremder, desto besser? Das muss nicht schlecht sein. Ist es aber oft.
Ein Beispiel: Clayton beschreibt, wie er auf der WOMEX, der „World Music Expo“ in Kopenhagen, den Auftritt einer jungen australischen Band erlebt, die von hier aus in die globalen Distributionskanäle geschleust werden soll. Sie heißt Yilila und spielt Soft-Rock mit Didgeridoo-Klängen. Erst stehen vier weiße Männer in Jeans und Poloshirts auf der Bühne, nach ein paar Minuten steigen dann zwei Aborigines im roten Lendenschurz aus dem Trockeneisnebel auf die Bühne und beginnen, Didgeridoo zu spielen. Einer der weißen Musiker erklärt dem Publikum, diese Musik sei „traditionell“. Clayton ist fassungslos: „Vielleicht hätte ich die Band besser gefunden, wenn die weißen Typen die roten Lendenschurze und die Körperbemalung getragen hätten?“
Weltmusik dieser Art, die auf ein westliches Publikum zugeschnitten ist und in Produktion und Präsentation koloniale Machtstrukturen reproduziert, fußt, so Clayton, auf der „Vorstellung, dass auf unserem Planeten noch genügend Geheimnisse auf Entdeckung warten, die von indigenen Traditionen, ohne Störung durch Mobiltelefone oder multinationale Konzerte, gehütet werden.“ Diesem Weltmusik-Modell stellt Clayton in „Uproot“ jene Musik gegenüber, die er „World Music 2.0“ nennt. Musik, die mit der Digitalisierung und Breitband-Netzen begann, global zu zirkulieren, und die überall mit denselben Software-Programmen und Plug-ins produziert wird. Hybride Techno-Stile, etwa Tribal Guarachero aus Mexiko oder Sha3by aus Ägypten.
Illusionen über den angeblich demokratisierenden Effekt des Internets macht sich Clayton aber keine. Nur weil ein Produzent in Casablanca auf einem billigen Laptop in seiner Garage einen heißen Track produziert und auf Youtube geladen hat, heißt das noch lange nicht, dass er schon bald auf Welttournee gehen wird. Auch World Music 2.0 braucht Gatekeeper und Geschmacksverstärker. Häufig sind dies die einflussreichen DJs. Menschen wie Clayton also.
Clayton hat eine sehr raffinierte Mischung aus Reisebericht, teilnehmender Beobachtung, Netzkritik und musikalischem Essay geschrieben. In seinem Buch will er auch verstehen, wie das Globale ins Lokale hineinwirkt. Wie die Musikproduktions-Software von amerikanischen und deutschen Firmen wie Fruity Loops oder Ableton, die ja für westliche Begriffe von Rhythmik und Harmonik programmiert sind, von Produzenten nichtwestlicher Musik so lange justiert und ausgetrickst werden, bis sie dann doch irgendwann ungerade Metren und komplex gegeneinander laufende Polyrhythmen prozessieren.
Besonders fasziniert Clayton auf seinen Reisen, wie populär Auto-Tune in den vergangenen 15 Jahren im arabischen Raum, besonders im Maghreb, geworden ist. Die Audio-Software der Firma Antares war ursprünglich dazu gedacht, Tonhöhenabweichungen in Gesangsspuren unmerklich zu korrigieren, bekannt wurde sie aber 1998 via Chers Hit „Believe“ als „Cher-Effekt“. Auto-Tune produziert ein plastisches Maschinenjodeln, es lässt die menschliche Stimme klingen, als befinde sie sich gerade im Kampf mit einem Roboter. Was in gewisser Weise ja auch stimmt, denn die Software analysiert algorithmisch jeden einzelnen Moment und bestimmt dann, wie dieser zu korrigieren oder zu verfremden ist.
In einem Musikstudio in Agadir, Marokko, erlebte Clayton, wie der Gesang von Saadia Tihihit, einer populären Berber-Sängerin, mit Auto-Tune zum digitalen Schrillen und Kreischen gebracht wird. Clayton hört hier aber nicht nur den „Kampf zwischen menschlicher Nuance und digitaler Korrektur“, sondern auch den „Kampf zwischen dem, was wir Menschen einmal waren, und dem, was wir eines Tages sein werden“. Der westliche Auto-Tune-Pop spiegelt für ihn auch die Kämpfe an anderen aktuellen Fronten wider, man denke an Siri, künstliche Intelligenz oder die Diskussion um selbstfahrende Autos. In arabischer Musik könne Auto-Tune, so Clayton, aber noch eine ganz andere Funktion haben – jedenfalls in Musik, die von Frauen gesungen wird. Hier könnte Auto-Tune eine Art „digitaler Schleier“ sein, ein Effekt, der sich um die Stimme der Frau herumlegt und diese – sowie ihre Reinheit – auf dem Weg in die moderne Welt „sowohl beschützt wie erst projiziert“.
Passagen wie diese sind es, die es sehr bedauerlich erscheinen lassen, dass es bislang keine Pläne gibt, „Uproot“ auch ins Deutsche zu übersetzen. Als Clayton vergangene Woche zu einer von Audio- und Videobeispielen begleiteten Buchvorstellung ins Berliner Hebbel-Theater kam, sagte er, im Frühjahr werde das Buch auf Italienisch erscheinen.
Während seines Vortrags in Berlin ließ Clayton dann auf der Bühnenleinwand immer wieder einen Loop aus Whitney Houstons „I Will Always Love You“-Video von 1992 kreisen. Denn einige der stärksten Passagen aus seinem Buch handeln von Soulgesang und Melismatik. Melismatik ist die Kunst der melodischen Verzierung einzelner Silben, die Art des Singens, die besonders im Soul und R & B gepflegt wird. Sie stellt, so Clayton, „eine mysteriöse, gar mystische Beziehung her zwischen überschäumenden Gefühlen, den Schicksalsschlägen des Lebens und ultrapräziser Selbstkontrolle“. Whitney Houston war natürlich eine Meisterin dieses Silben-Umspielens, und sogar Rap-Stars wie Lil Wayne oder Future lassen heute ihre Reime – allerdings mithilfe von Auto-Tune – melismatisch flirren.
Clayton zieht in seinem Buch Parallelen zu den verzierten Gebetsrufen von muslimischen Muezzins und beruft sich dabei auf Musikwissenschaftler, die davon ausgehen, dass melismatische Gesangstraditionen zur Zeit des Sklavenhandels, also über muslimische Sklaven aus Westafrika, ihren Weg in die USA und die schwarzen Kirchen gefunden haben. Das würde bedeuten, dass in gewisser Weise heute weite Teile der Popmusik islamisiert sind, und mit ihnen auch 97 Prozent aller deutschen Casting-Show-Teilnehmer, die hilflos versuchen, jede einzelne Pirouette aus Whitney Houstons Interpretation von „I Will Always Love You“ zu imitieren. Vielleicht hilft es ja einigen besorgten Bürgern das nächste Mal beim Entspannen.
Einer der markantesten
Soundeffekte des Mainstream-Pop
hat seine Wurzeln im Islam
Jace Clayton wurde 1975 in der Nähe von Boston geboren und studierte in Harvard. Heute lebt er als Autor und Sound-Tüftler in New York und tritt unter dem Namen DJ Rupture auf.
Foto: Max Lakner
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