Produktdetails
- Verlag: Gale, a Cengage Group
- Erscheinungstermin: 6. Juni 2018
- Englisch
- Abmessung: 224mm x 148mm x 30mm
- Gewicht: 440g
- ISBN-13: 9781432852832
- ISBN-10: 1432852833
- Artikelnr.: 52413602
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.01.2020Als Fremder in der amerikanischen Apokalypse
Die Vorstellung, dass eine Familie zugleich auch eine Heimat bietet, ist in James Woods Roman "Upstate" nur noch eine stille Sehnsucht
Widerwillig und gebannt zugleich - James Wood versetzt seine Leser in einen ambivalenten Gefühlszustand. Widerwillig liest man "Upstate" aufgrund seines Genres: Schon wieder ein Familienroman, schon wieder gescheiterte Ehen, traumatisierte Kinder und depressiver Mittelstand - man ist die literarische Variation des Immergleichen eigentlich leid. Umso erstaunlicher daher, dass man sich dann doch Seite um Seite tiefer in die von Wood geschilderten Familienverhältnisse hinein- und hinunterziehen lässt. Was geht da vor sich, im Roman und im Leser?
"Upstate" ist, anders als sein an Richard Ford gemahnender Titel erwarten lässt, allenfalls ein halber Amerikaroman. Das Buch erzählt die Geschichte von Alan Querry, einem englischen Bauunternehmer mittleren Alters, und seinen beiden erwachsenen Töchtern Helen, die als Plattenmanagerin in London wohnt, und Vanessa, die als Philosophin im Norden des Bundesstaates New York, eben "Upstate", lebt. Cathy, die Ehefrau und Mutter, ist vor mehr als einem Jahrzehnt verstorben; die Trennung von Alan war zu diesem Zeitpunkt schon lange vollzogen. Vor allem Vanessa lässt die traurige Familiengeschichte nicht los, sie leidet immer wieder unter Depressionen, sodass sich Vater und Schwester irgendwann zu ihr auf den Weg nach Amerika machen. Von dieser Familienzusammenkunft berichtet der Roman, und zwar im Modus des psychologischen Realismus: Die Figuren sind darauf angelegt, in ihrem familiären Verhalten analysiert, gedeutet, verstanden zu werden.
Die Querrys sind eine räumlich zerstreute Familie. Während Vanessa auf einem anderen Kontinent lebt, ist Helen berufsbedingt ständig auf Reisen, und wenn der Vater seine Tochter in den Vereinigten Staaten besucht, fühlt er sich als Fremder in der "amerikanischen Apokalypse". Die Vorstellung von der Familie als einem Zuhause im buchstäblichen und im übertragenen Sinne - sie lebt in "Upstate" bloß als stille Sehnsucht fort. Dabei ist die räumliche Trennung das äußere Anzeichen der inneren Unabhängigkeit: Für niemandem in diesem Roman - noch nicht einmal für Alans greise Mutter, die in einer exquisiten Seniorenwohnanlage untergebracht ist - ist die Familie von existentieller Notwendigkeit. Der Einzelne ist in der Entfaltung seiner individuellen Anlagen und Interessen (Vanessa: schweres Denken, Helen: schwere Rockmusik) vollkommen frei.
In der Depression allerdings zeigt sich, dass die Freiheit an ihre Grenzen stößt. "Ihr ganzes Sein", so heißt es über Vanessa, "war erfüllt von einer schlichten, wimmernden, kindlichen Frage - die sie als unphilosophisch und zugleich als die philosophischste Frage erkannte, die man jemals stellen konnte: ,Wo ist sie jetzt?'" In dieser Frage drückt sich mehr aus als die Trauer einer Tochter um die längst verstorbene Mutter, nämlich eine intellektuelle Kränkung: Der Tod ist ein Problem, dem Vanessa als "akademische Philosophin" nichts entgegenzusetzen weiß, mehr noch, er entlarvt die Vorstellung, eigenständig über das Leben bestimmen zu können, als Phantasma.
Darüber hinaus wirken die Politik und die Wirtschaft als begrenzende Faktoren. Die erzählte Zeit des Romans ist 2007, aber durch einen Vermerk unter dem Schlusssatz ("Boston, im Juni 2017") wird der Zeithorizont um zehn Jahre erweitert. Die zu Ende gehende Präsidentschaft George W. Bushs wird in "Upstate" ebenso mitbedacht wie das Auftreten des liberalen Hoffnungsträgers Barack Obama und - zumindest in den Gedanken des Lesers - die Wahl Donald Trumps und der Brexit. Wie verhält sich die Idee eines autonomen Ich zu diesen politischen Umbrüchen und historischen Experimenten? Ähnlich prinzipiell fragt der Roman nach dem künftigen Stellenwert von Eigentum und der Kontinuität von Lebenswegen, und zwar anhand der Musikwirtschaft und des Web 2.0: Wenn Musik nicht mehr als materieller Tonträger besessen wird, sondern sich als Datenstrom verflüssigt, so bemerkt Helen mit Weitsicht - was geschieht dann mit der Plattenindustrie und also mit ihr selbst? Das flexible Subjekt ist zunächst einmal ein zweifelndes.
Demgegenüber richtet sich Alan geradezu nostalgisch auf an seinem ansehnlichen Wohnsitz in Nordengland ("massive Mauern, hohe Fenster"), an den europäischen Lebensstandards (die "schmuddelig wirkenden Drogeriemärkte" in den Vereinigten Staaten wären in Europa "ein Widerspruch in sich") und am "britischen Beitrag zur modernen Welt" (demgegenüber er den Satz "Take it easy!" maliziös zu den "größten amerikanischen Errungenschaften" zählt). Dass Alans Festhalten an der Alten Welt und ihren Werten tragisch anmutet, liegt aber nicht nur an der schlechten wirtschaftlichen Situation, in der er sich mit seinem Immobiliengeschäft befindet. Er wirkt insgesamt wie ein melancholischer Kauz, vielleicht sogar wie ein Vorgänger der späteren Brexiteers.
Man könnte James Wood vorhalten, "Upstate" sei erzählerisch makellos, glatt, vielleicht sogar bieder; wer nach einem bissigeren, schnelleren, ungleich witzigeren England-Amerika-Buch sucht, sollte zu David Sedaris' Erzählband "Calypso" greifen (F.A.Z. vom 20. Dezember 2018). Doch auf Stil und Ton kommt es bei diesem Buch nur in zweiter Linie an, selbst wenn dies sein Autor, als prominenter Kritiker des "New Yorker" und Verfasser eines internationalen Bestsellers über die "Kunst des Erzählens", vermutlich zurückweisen würde. Ohne kulturkritische Wertung belichtet der Roman die schillernde Innenseite dessen, wofür es in der öffentlichen Debatte meist nur Schlagworte gibt - daraus ergibt sich der Reiz seiner Lektüre. Und aus der Tatsache, dass es am Ende mehr um die Haltung zu diesem Schillern gehen könnte als um "reine Trauer" angesichts des Verlorenen oder das Streben nach "reinem Glück": um die "Weisheit der Mischung", die "stärkende Kraft des Scheckigen". Es ist eine an der Realität ernüchterte, aber deswegen umso tröstlichere Hoffnung.
KAI SINA
James Wood:
"Upstate". Roman.
Aus dem Englischen von Tanja Handels. Rowohlt Verlag, Hamburg 2019. 304 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Vorstellung, dass eine Familie zugleich auch eine Heimat bietet, ist in James Woods Roman "Upstate" nur noch eine stille Sehnsucht
Widerwillig und gebannt zugleich - James Wood versetzt seine Leser in einen ambivalenten Gefühlszustand. Widerwillig liest man "Upstate" aufgrund seines Genres: Schon wieder ein Familienroman, schon wieder gescheiterte Ehen, traumatisierte Kinder und depressiver Mittelstand - man ist die literarische Variation des Immergleichen eigentlich leid. Umso erstaunlicher daher, dass man sich dann doch Seite um Seite tiefer in die von Wood geschilderten Familienverhältnisse hinein- und hinunterziehen lässt. Was geht da vor sich, im Roman und im Leser?
"Upstate" ist, anders als sein an Richard Ford gemahnender Titel erwarten lässt, allenfalls ein halber Amerikaroman. Das Buch erzählt die Geschichte von Alan Querry, einem englischen Bauunternehmer mittleren Alters, und seinen beiden erwachsenen Töchtern Helen, die als Plattenmanagerin in London wohnt, und Vanessa, die als Philosophin im Norden des Bundesstaates New York, eben "Upstate", lebt. Cathy, die Ehefrau und Mutter, ist vor mehr als einem Jahrzehnt verstorben; die Trennung von Alan war zu diesem Zeitpunkt schon lange vollzogen. Vor allem Vanessa lässt die traurige Familiengeschichte nicht los, sie leidet immer wieder unter Depressionen, sodass sich Vater und Schwester irgendwann zu ihr auf den Weg nach Amerika machen. Von dieser Familienzusammenkunft berichtet der Roman, und zwar im Modus des psychologischen Realismus: Die Figuren sind darauf angelegt, in ihrem familiären Verhalten analysiert, gedeutet, verstanden zu werden.
Die Querrys sind eine räumlich zerstreute Familie. Während Vanessa auf einem anderen Kontinent lebt, ist Helen berufsbedingt ständig auf Reisen, und wenn der Vater seine Tochter in den Vereinigten Staaten besucht, fühlt er sich als Fremder in der "amerikanischen Apokalypse". Die Vorstellung von der Familie als einem Zuhause im buchstäblichen und im übertragenen Sinne - sie lebt in "Upstate" bloß als stille Sehnsucht fort. Dabei ist die räumliche Trennung das äußere Anzeichen der inneren Unabhängigkeit: Für niemandem in diesem Roman - noch nicht einmal für Alans greise Mutter, die in einer exquisiten Seniorenwohnanlage untergebracht ist - ist die Familie von existentieller Notwendigkeit. Der Einzelne ist in der Entfaltung seiner individuellen Anlagen und Interessen (Vanessa: schweres Denken, Helen: schwere Rockmusik) vollkommen frei.
In der Depression allerdings zeigt sich, dass die Freiheit an ihre Grenzen stößt. "Ihr ganzes Sein", so heißt es über Vanessa, "war erfüllt von einer schlichten, wimmernden, kindlichen Frage - die sie als unphilosophisch und zugleich als die philosophischste Frage erkannte, die man jemals stellen konnte: ,Wo ist sie jetzt?'" In dieser Frage drückt sich mehr aus als die Trauer einer Tochter um die längst verstorbene Mutter, nämlich eine intellektuelle Kränkung: Der Tod ist ein Problem, dem Vanessa als "akademische Philosophin" nichts entgegenzusetzen weiß, mehr noch, er entlarvt die Vorstellung, eigenständig über das Leben bestimmen zu können, als Phantasma.
Darüber hinaus wirken die Politik und die Wirtschaft als begrenzende Faktoren. Die erzählte Zeit des Romans ist 2007, aber durch einen Vermerk unter dem Schlusssatz ("Boston, im Juni 2017") wird der Zeithorizont um zehn Jahre erweitert. Die zu Ende gehende Präsidentschaft George W. Bushs wird in "Upstate" ebenso mitbedacht wie das Auftreten des liberalen Hoffnungsträgers Barack Obama und - zumindest in den Gedanken des Lesers - die Wahl Donald Trumps und der Brexit. Wie verhält sich die Idee eines autonomen Ich zu diesen politischen Umbrüchen und historischen Experimenten? Ähnlich prinzipiell fragt der Roman nach dem künftigen Stellenwert von Eigentum und der Kontinuität von Lebenswegen, und zwar anhand der Musikwirtschaft und des Web 2.0: Wenn Musik nicht mehr als materieller Tonträger besessen wird, sondern sich als Datenstrom verflüssigt, so bemerkt Helen mit Weitsicht - was geschieht dann mit der Plattenindustrie und also mit ihr selbst? Das flexible Subjekt ist zunächst einmal ein zweifelndes.
Demgegenüber richtet sich Alan geradezu nostalgisch auf an seinem ansehnlichen Wohnsitz in Nordengland ("massive Mauern, hohe Fenster"), an den europäischen Lebensstandards (die "schmuddelig wirkenden Drogeriemärkte" in den Vereinigten Staaten wären in Europa "ein Widerspruch in sich") und am "britischen Beitrag zur modernen Welt" (demgegenüber er den Satz "Take it easy!" maliziös zu den "größten amerikanischen Errungenschaften" zählt). Dass Alans Festhalten an der Alten Welt und ihren Werten tragisch anmutet, liegt aber nicht nur an der schlechten wirtschaftlichen Situation, in der er sich mit seinem Immobiliengeschäft befindet. Er wirkt insgesamt wie ein melancholischer Kauz, vielleicht sogar wie ein Vorgänger der späteren Brexiteers.
Man könnte James Wood vorhalten, "Upstate" sei erzählerisch makellos, glatt, vielleicht sogar bieder; wer nach einem bissigeren, schnelleren, ungleich witzigeren England-Amerika-Buch sucht, sollte zu David Sedaris' Erzählband "Calypso" greifen (F.A.Z. vom 20. Dezember 2018). Doch auf Stil und Ton kommt es bei diesem Buch nur in zweiter Linie an, selbst wenn dies sein Autor, als prominenter Kritiker des "New Yorker" und Verfasser eines internationalen Bestsellers über die "Kunst des Erzählens", vermutlich zurückweisen würde. Ohne kulturkritische Wertung belichtet der Roman die schillernde Innenseite dessen, wofür es in der öffentlichen Debatte meist nur Schlagworte gibt - daraus ergibt sich der Reiz seiner Lektüre. Und aus der Tatsache, dass es am Ende mehr um die Haltung zu diesem Schillern gehen könnte als um "reine Trauer" angesichts des Verlorenen oder das Streben nach "reinem Glück": um die "Weisheit der Mischung", die "stärkende Kraft des Scheckigen". Es ist eine an der Realität ernüchterte, aber deswegen umso tröstlichere Hoffnung.
KAI SINA
James Wood:
"Upstate". Roman.
Aus dem Englischen von Tanja Handels. Rowohlt Verlag, Hamburg 2019. 304 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.01.2020Durchschnittsoberklassenfamilientypisch
Nach einem regelpoetischen Buch über fiktionale Literatur hat James Wood, der bedeutendste Kritiker
der Welt, selbst einen Roman geschrieben: „Upstate“. Wird er seinen Ansprüchen gerecht?
VON HUBERT WINKELS
Wer Regeln setzt, sollte sich daran halten. Das ist für Kunst und Literatur eine zweifelhafte Vorgabe. Sie engt ein, raubt Spontaneität, Tollkühnheit fällt ganz aus. Deshalb arbeiten die Klugen unter den Autoren, die inzwischen permanent zu Poetikvorlesungen gedrängt werden, in der Regel vorsichtig beschreibend und selbstanalytisch, wenn’s hoch kommt.
Bei dem in Harvard lehrenden englischen Literaturkritiker und Schriftsteller James Wood ist das anders. Er hat zunächst als Kritiker Karriere gemacht, vom sogenannten Chefkritiker des englischen Guardian über die amerikanische The New Republic zum staff writer des New Yorker und eben zum Harvardprofessor für Literaturkritik (eine nachahmenswerte Institution) – weshalb dieser James Wood gerne als bedeutendster Literaturkritiker der Welt bezeichnet wird. Für solche von Grund auf falsche Prominenz ist der Betroffene nicht verantwortlich. James Wood fügt sich aber ganz offenbar gerne den damit verbundenen Ansprüchen. Jedenfalls hat er vor gut einem Jahrzehnt ein normatives literaturtheoretisches Werk mit dem Titel „How fiction works“ veröffentlicht, dessen im Titel verborgene Vermessenheit im deutschen „Die Kunst des Erzählens“ nicht mittransportiert wird.
Wood las da Klassiker der Erzählliteratur vornehmlich aus dem 19. und frühen 20. Jahrhunderts und untersuchte in einem etwas zufällig wirkenden Close-reading-Verfahren den Gebrauch von Metaphern und Vergleichen, die Bedeutung von sprechenden Details, das Verhältnis vom Autor zu den Erzählerstimmen und so weiter, um daraus Richtlinien abzuleiten. Er legte eine detailanalytisch befeuerte normative Erzählpoetik vor, eine klassizistisch anmutende Beschwörung des Kohärenten, Maßstabgerechten, Kanonischen, durchaus gegen die regelstürzende moderne Literatur gerichtet: Starke, gut erkennbare Regeln müssten Autoren als die kreativen Plausibilisierer der Welt leiten. Und das ist, wenn der Autor dieses western canon als Künstler auftritt und sich selbst treu ist, eine Falle. Diese Falle hat einen Namen, sie kommt als Roman daher, trägt den Titel „Upstate“und stammt von James Wood.
Um seine vier zentralen Romanfiguren souverän steuern zu können, beschränkt er sich auf ein kammerspielartiges Setting und bewahrt die Einheit von Zeit und Raum. Alan Querry ist ein 68-jähriger honoriger Immobilienentwickler aus dem einst schwerindustriell geprägten Nordosten Englands. Ein sozialer Aufsteiger in der dritten Generation, dessen Habitus nur nobel genannt werden kann, auch im britischen Sinn einer aparten Höflichkeit und Feinsinnigkeit. Britishness ist denn auch eins der hintergründigen Themen des Romans. Zumal in der Abgrenzung von der Neuen Welt, den Vereinigten Staaten.
Die Erzählung bewegt sich nach zwei englischen Kurzkapiteln zügig via Stadt New York nach Saratoga Springs im Nordosten des Staates – upstate eben. Dort lebt Alans Tochter Vanessa, Van genannt, als Unidozentin für Philosophie (des gelingenden Lebens!) mit ihrem neuen Lebensgefährten Josh, einem Juden aus Chicago, etwas jünger als sie, klug, temperamentvoll, charmant. Dieser Josh hatte einen Brandbrief an Vans Schwester Helen geschickt und eine Depression seiner Geliebten angedeutet, ja, dass er sie für selbstmordgefährdet halte.
Nur in Andeutungen freilich, sodass die ältere Helen und der Vater Alan ein weites Feld für Ängste und Projektionen vor sich haben. Diese führen natürlich tief zurück in die Kindheit der Schwestern, zur Scheidung der Eltern, zum Tod der Mutter, zu Konkurrenz und Kontrast, zu Liebe und Leid in ihrer familieneigenen Verteilung; die sehr durchschnittsoberklassenfamilientypisch ausfällt, fast schon eine ideale Familienaufstellung, sodass sich die Kräftefelder sehr gut darstellen und bearbeiten lassen. Den Leser freut’s insofern, als er sich bald gut auskennt im Psychoorganigramm der Querrys: Van, die dunkel gekleidete weiche Suchende, Kontemplative steht gegen die flotte Geschäftsfrau Helen, Heldin des Musikbusiness, Managerin bei Sony, die zwei Kinder, etliche Bands und das transkontinentalen Pendelleben schaukelt, ohne ihre Sensibilität in Familiendingen zu verlieren.
Und Alan ist der milde Gottvater und Dauernachdenker, dem der Erzähler sich in indirekter Rede stark anschmiegt. Er steckt in geschäftlichen Schwierigkeiten, ist aber zu stolz, sie zuzugeben, doch der Weisheit des Gefühls folgend tut er am Ende immer das Richtige. Das wird nicht ganz ausformuliert, damit ein wenig Spannung über das Romanende hinauswächst. Obwohl im Liquiditätsengpass, wird Alan wohl Helen bei ihrem beruflichen Neustart helfen, denn sie will sich selbständig machen beim Umbruch der Musikindustrie ins digitale Zeitalter der Downloads. Der Roman spielt nämlich in den frühen Nullerjahren, was nicht wesentlich ist. Mit ein paar Kniffs könnte man ihn unbeschadet ins Heute versetzen.
Josh und Helen bilden die Kapitalismus, Kultur und Technik bejahende Avantgarde. Der altersmelancholische Alan sympathisiert damit, denkt aber auf philosophischen Umwegen, wie auch die leicht depressive Van. Beide stellen die Frage nach dem persönlichen Lebensglück oben auf ihre intellektuelle Agenda. Auch in ihrer leicht fatalistischen Verschattung bejahen die Stilleren die technisch aufgerüstete moderne Welt ganz und gar. Nur ist ihr praktischer Sinn ein Jota weniger ausgeprägt. Für den angelsächsischen Pragmatismus ein kleiner Makel, aber auch ein Fall verschleppter Englishness und durchaus liebenswert.
Vom unvermeidlichen Ende von allem abgesehen, wird wohl alles gut werden: Als am Schluss des Romans Vanessa über den nie verwundenen Tod der Mutter weint, fragt ihr Dad, ob er hier in Saratoga Springs noch paar Tage länger bei ihr bleiben dürfe. James Wood verpackt solche Ingredienzen eines kitschgefährdeten Happy Ends (aufs Ganze bezogen: Motive des gelingenden Lebens) geschickt unter alltäglich anmutenden Beschreibungen. Aber die gesamte Bildlichkeit, die Dramaturgie und der Duktus verleihen der positiven Botschaft der glückenden Individualisierung in der wohlbestallten, sorgenden Familie Nachdruck.
Das größere Problem des Romans liegt an eben dieser Schaltstelle des Gesamtgefüges. Wood instrumentiert die Gemütslagen und ihre innerfamiliären Wendungen so bildlich offensiv, so motivisch kompakt, geschlossen und also repräsentativ, dass kaum ein Halbsatz dieser Zielstrebigkeit entkommt. Alles dient exakt der gewollten Aussage und geht darin auf. Die Bilder, der Klang, der grammatische Fluss, alles wirkt wie aus dem Lehrbuch. Das es ja bekanntlich gibt. Schlag nach bei Wood. Diese weitgehende Reinigung der Prosa vom Zufälligen, von der (Selbst-)Überraschung ist nicht die Lösung aller Erzählprobleme, sie ist das Problem selbst.
Unauffällig und gekonnt arbeitet der hoch- und selbstbewusste Autor. Wenn er seinen Helden Alan zu Beginn die Auffahrt seines eigenen Hauses hochfahren lässt, dann hört man (das könnte ein weiteres Musterbeispiel des Literaturlehrers Wood sein) die normative Nachtigall trapsen: „Ein kurviger Kiesweg (als er ihn jetzt entlangfuhr, zerstob knirschend ein kostspieliger Hagel gebleichter Steinchen unter seinen Reifen), massive Mauern, hohe Fenster, ein schwarzes S aus Metall, das wegsackendes Mauerwerk stützen sollte, eine robuste alte Haustür, ein verbogener, schwarzer Stiefelkratzer aus Eisen, wie man ihn niemals kaufen, sondern nur erben konnte.“ Da ahnt man schon, was ein paar Zeilen später über den sozialen Hintergrund des Ganzen etwas offensiver buchstäblich ver-lautet wird: „Sie waren allesamt in Eton auf dem Internat gewesen und stapften in diesen typisch ausgebeulten, rostfarbenen Cordhosen durch die Gegend, die zwar abgetragen waren, aber trotzdem leuchteten wie die Glut alten Geldes. (Wo man diese auf alt gemachten und dennoch sündteuren neuen Kleidungsstücke bekam? In London, bei New & Lingwood in der Jermyn Street: Er hatte selbst einmal dort eingekauft, voller Triumph und doch mit Schweißperlen auf der Stirn in der gedämpften Atmosphäre der Geschäftsräume.)“ Hier vertieft „die Glut alten Geldes“ den „kostspieligen Hagel gebleichter Steinchen“, ein Schwenk auch von der auditiven zur optischen Bildsphäre. Genau solche Feinheiten interessieren den Wood der „Kunst des Erzählens“. Was er aus der tief winterlichen Landschaft Neuenglands an Stimmungsmarkern und metaphorischer Bedeutung herausholt, ist beste Kopie eines poetischen 19.-Jahrhundert-Realismus, der den Helden fest an sein Wetter band.
Nonchalant lässt Wood den auktorialen Erzähler dabei die Regie über die Teile der erlebten und der wörtlichen Rede übernehmen. Endet ein Kapitel mit dem wörtlichen Bekenntnis „‚Natürlich ist es mir ernst damit. Aber aus meiner Haut kann ich trotzdem nicht‘“, so beginnt das nächste mit der zusammenfassenden Geste: „Besagte Haut brauchte dringend ein Bad und anschließend einen Drink oder auch zwei.“
Distinguiertheit ist das wesentliche soziale Merkmal solcher formalen Bemühung. Manchmal wird sie komisch, wenn eine morgendliche Erektion als „penis angelicus“ freudig begrüßt wird. Und sogar die Übersetzerin ist von der blassen Vornehmheit dieser Prosa infiziert und weigert sich beharrlich, die Dutzenden „verdammt“ und „verflucht“ anders als „verflixt“ zu nennen, und statt eines „Scheißdings“ muss es auch ein harmloses „Mistding“ tun.
À propos: Nur einmal ist man bass erstaunt. Alan zieht sich verärgert ins Badezimmer zurück, ohne die Toilette benutzen zu müssen. Er tut nur so: „dann zog er ab. Das Klo schluckte den Schwall träge, ohne großen Appetit; er überlegte, wie es überhaupt damit zurande kam, Joshs kiloschwere Scheiße abzutransportieren.“ Wie angenehm grob, ein Ausrutscher regelrecht, ein Griff ins Klo. Mehr davon zu fordern, wäre sicher unfein und obendrein zu spät.
James Wood: Upstate. Roman. Aus dem Englischen von Tanja Handels. Rowohlt Verlag, Hamburg 2019. 305 Seiten, 22 Euro.
Der Leser kennt sich bald
gut aus im Psychoorganigramm
der Querrys
Kaum ein Halbsatz entgeht
seiner Zielstrebigkeit, alles dient
exakt der gewollten Aussage
Distinguiertheit ist das
wesentliche soziale Merkmal
solcher formaler Bemühung
Zeig mir, wie sie leben, und ich weiß, wie die Romanfiguren denken: James Woods Roman „Upstate“ spielt in Saratoga Springs, New York.
Foto: Danita Delimont / imago
James Wood, 1965 in Durham, England geboren, Kritiker bei den edelsten Publikationen der englischsprachigen Welt und Romanautor.
Foto: Miriam Berkley
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Nach einem regelpoetischen Buch über fiktionale Literatur hat James Wood, der bedeutendste Kritiker
der Welt, selbst einen Roman geschrieben: „Upstate“. Wird er seinen Ansprüchen gerecht?
VON HUBERT WINKELS
Wer Regeln setzt, sollte sich daran halten. Das ist für Kunst und Literatur eine zweifelhafte Vorgabe. Sie engt ein, raubt Spontaneität, Tollkühnheit fällt ganz aus. Deshalb arbeiten die Klugen unter den Autoren, die inzwischen permanent zu Poetikvorlesungen gedrängt werden, in der Regel vorsichtig beschreibend und selbstanalytisch, wenn’s hoch kommt.
Bei dem in Harvard lehrenden englischen Literaturkritiker und Schriftsteller James Wood ist das anders. Er hat zunächst als Kritiker Karriere gemacht, vom sogenannten Chefkritiker des englischen Guardian über die amerikanische The New Republic zum staff writer des New Yorker und eben zum Harvardprofessor für Literaturkritik (eine nachahmenswerte Institution) – weshalb dieser James Wood gerne als bedeutendster Literaturkritiker der Welt bezeichnet wird. Für solche von Grund auf falsche Prominenz ist der Betroffene nicht verantwortlich. James Wood fügt sich aber ganz offenbar gerne den damit verbundenen Ansprüchen. Jedenfalls hat er vor gut einem Jahrzehnt ein normatives literaturtheoretisches Werk mit dem Titel „How fiction works“ veröffentlicht, dessen im Titel verborgene Vermessenheit im deutschen „Die Kunst des Erzählens“ nicht mittransportiert wird.
Wood las da Klassiker der Erzählliteratur vornehmlich aus dem 19. und frühen 20. Jahrhunderts und untersuchte in einem etwas zufällig wirkenden Close-reading-Verfahren den Gebrauch von Metaphern und Vergleichen, die Bedeutung von sprechenden Details, das Verhältnis vom Autor zu den Erzählerstimmen und so weiter, um daraus Richtlinien abzuleiten. Er legte eine detailanalytisch befeuerte normative Erzählpoetik vor, eine klassizistisch anmutende Beschwörung des Kohärenten, Maßstabgerechten, Kanonischen, durchaus gegen die regelstürzende moderne Literatur gerichtet: Starke, gut erkennbare Regeln müssten Autoren als die kreativen Plausibilisierer der Welt leiten. Und das ist, wenn der Autor dieses western canon als Künstler auftritt und sich selbst treu ist, eine Falle. Diese Falle hat einen Namen, sie kommt als Roman daher, trägt den Titel „Upstate“und stammt von James Wood.
Um seine vier zentralen Romanfiguren souverän steuern zu können, beschränkt er sich auf ein kammerspielartiges Setting und bewahrt die Einheit von Zeit und Raum. Alan Querry ist ein 68-jähriger honoriger Immobilienentwickler aus dem einst schwerindustriell geprägten Nordosten Englands. Ein sozialer Aufsteiger in der dritten Generation, dessen Habitus nur nobel genannt werden kann, auch im britischen Sinn einer aparten Höflichkeit und Feinsinnigkeit. Britishness ist denn auch eins der hintergründigen Themen des Romans. Zumal in der Abgrenzung von der Neuen Welt, den Vereinigten Staaten.
Die Erzählung bewegt sich nach zwei englischen Kurzkapiteln zügig via Stadt New York nach Saratoga Springs im Nordosten des Staates – upstate eben. Dort lebt Alans Tochter Vanessa, Van genannt, als Unidozentin für Philosophie (des gelingenden Lebens!) mit ihrem neuen Lebensgefährten Josh, einem Juden aus Chicago, etwas jünger als sie, klug, temperamentvoll, charmant. Dieser Josh hatte einen Brandbrief an Vans Schwester Helen geschickt und eine Depression seiner Geliebten angedeutet, ja, dass er sie für selbstmordgefährdet halte.
Nur in Andeutungen freilich, sodass die ältere Helen und der Vater Alan ein weites Feld für Ängste und Projektionen vor sich haben. Diese führen natürlich tief zurück in die Kindheit der Schwestern, zur Scheidung der Eltern, zum Tod der Mutter, zu Konkurrenz und Kontrast, zu Liebe und Leid in ihrer familieneigenen Verteilung; die sehr durchschnittsoberklassenfamilientypisch ausfällt, fast schon eine ideale Familienaufstellung, sodass sich die Kräftefelder sehr gut darstellen und bearbeiten lassen. Den Leser freut’s insofern, als er sich bald gut auskennt im Psychoorganigramm der Querrys: Van, die dunkel gekleidete weiche Suchende, Kontemplative steht gegen die flotte Geschäftsfrau Helen, Heldin des Musikbusiness, Managerin bei Sony, die zwei Kinder, etliche Bands und das transkontinentalen Pendelleben schaukelt, ohne ihre Sensibilität in Familiendingen zu verlieren.
Und Alan ist der milde Gottvater und Dauernachdenker, dem der Erzähler sich in indirekter Rede stark anschmiegt. Er steckt in geschäftlichen Schwierigkeiten, ist aber zu stolz, sie zuzugeben, doch der Weisheit des Gefühls folgend tut er am Ende immer das Richtige. Das wird nicht ganz ausformuliert, damit ein wenig Spannung über das Romanende hinauswächst. Obwohl im Liquiditätsengpass, wird Alan wohl Helen bei ihrem beruflichen Neustart helfen, denn sie will sich selbständig machen beim Umbruch der Musikindustrie ins digitale Zeitalter der Downloads. Der Roman spielt nämlich in den frühen Nullerjahren, was nicht wesentlich ist. Mit ein paar Kniffs könnte man ihn unbeschadet ins Heute versetzen.
Josh und Helen bilden die Kapitalismus, Kultur und Technik bejahende Avantgarde. Der altersmelancholische Alan sympathisiert damit, denkt aber auf philosophischen Umwegen, wie auch die leicht depressive Van. Beide stellen die Frage nach dem persönlichen Lebensglück oben auf ihre intellektuelle Agenda. Auch in ihrer leicht fatalistischen Verschattung bejahen die Stilleren die technisch aufgerüstete moderne Welt ganz und gar. Nur ist ihr praktischer Sinn ein Jota weniger ausgeprägt. Für den angelsächsischen Pragmatismus ein kleiner Makel, aber auch ein Fall verschleppter Englishness und durchaus liebenswert.
Vom unvermeidlichen Ende von allem abgesehen, wird wohl alles gut werden: Als am Schluss des Romans Vanessa über den nie verwundenen Tod der Mutter weint, fragt ihr Dad, ob er hier in Saratoga Springs noch paar Tage länger bei ihr bleiben dürfe. James Wood verpackt solche Ingredienzen eines kitschgefährdeten Happy Ends (aufs Ganze bezogen: Motive des gelingenden Lebens) geschickt unter alltäglich anmutenden Beschreibungen. Aber die gesamte Bildlichkeit, die Dramaturgie und der Duktus verleihen der positiven Botschaft der glückenden Individualisierung in der wohlbestallten, sorgenden Familie Nachdruck.
Das größere Problem des Romans liegt an eben dieser Schaltstelle des Gesamtgefüges. Wood instrumentiert die Gemütslagen und ihre innerfamiliären Wendungen so bildlich offensiv, so motivisch kompakt, geschlossen und also repräsentativ, dass kaum ein Halbsatz dieser Zielstrebigkeit entkommt. Alles dient exakt der gewollten Aussage und geht darin auf. Die Bilder, der Klang, der grammatische Fluss, alles wirkt wie aus dem Lehrbuch. Das es ja bekanntlich gibt. Schlag nach bei Wood. Diese weitgehende Reinigung der Prosa vom Zufälligen, von der (Selbst-)Überraschung ist nicht die Lösung aller Erzählprobleme, sie ist das Problem selbst.
Unauffällig und gekonnt arbeitet der hoch- und selbstbewusste Autor. Wenn er seinen Helden Alan zu Beginn die Auffahrt seines eigenen Hauses hochfahren lässt, dann hört man (das könnte ein weiteres Musterbeispiel des Literaturlehrers Wood sein) die normative Nachtigall trapsen: „Ein kurviger Kiesweg (als er ihn jetzt entlangfuhr, zerstob knirschend ein kostspieliger Hagel gebleichter Steinchen unter seinen Reifen), massive Mauern, hohe Fenster, ein schwarzes S aus Metall, das wegsackendes Mauerwerk stützen sollte, eine robuste alte Haustür, ein verbogener, schwarzer Stiefelkratzer aus Eisen, wie man ihn niemals kaufen, sondern nur erben konnte.“ Da ahnt man schon, was ein paar Zeilen später über den sozialen Hintergrund des Ganzen etwas offensiver buchstäblich ver-lautet wird: „Sie waren allesamt in Eton auf dem Internat gewesen und stapften in diesen typisch ausgebeulten, rostfarbenen Cordhosen durch die Gegend, die zwar abgetragen waren, aber trotzdem leuchteten wie die Glut alten Geldes. (Wo man diese auf alt gemachten und dennoch sündteuren neuen Kleidungsstücke bekam? In London, bei New & Lingwood in der Jermyn Street: Er hatte selbst einmal dort eingekauft, voller Triumph und doch mit Schweißperlen auf der Stirn in der gedämpften Atmosphäre der Geschäftsräume.)“ Hier vertieft „die Glut alten Geldes“ den „kostspieligen Hagel gebleichter Steinchen“, ein Schwenk auch von der auditiven zur optischen Bildsphäre. Genau solche Feinheiten interessieren den Wood der „Kunst des Erzählens“. Was er aus der tief winterlichen Landschaft Neuenglands an Stimmungsmarkern und metaphorischer Bedeutung herausholt, ist beste Kopie eines poetischen 19.-Jahrhundert-Realismus, der den Helden fest an sein Wetter band.
Nonchalant lässt Wood den auktorialen Erzähler dabei die Regie über die Teile der erlebten und der wörtlichen Rede übernehmen. Endet ein Kapitel mit dem wörtlichen Bekenntnis „‚Natürlich ist es mir ernst damit. Aber aus meiner Haut kann ich trotzdem nicht‘“, so beginnt das nächste mit der zusammenfassenden Geste: „Besagte Haut brauchte dringend ein Bad und anschließend einen Drink oder auch zwei.“
Distinguiertheit ist das wesentliche soziale Merkmal solcher formalen Bemühung. Manchmal wird sie komisch, wenn eine morgendliche Erektion als „penis angelicus“ freudig begrüßt wird. Und sogar die Übersetzerin ist von der blassen Vornehmheit dieser Prosa infiziert und weigert sich beharrlich, die Dutzenden „verdammt“ und „verflucht“ anders als „verflixt“ zu nennen, und statt eines „Scheißdings“ muss es auch ein harmloses „Mistding“ tun.
À propos: Nur einmal ist man bass erstaunt. Alan zieht sich verärgert ins Badezimmer zurück, ohne die Toilette benutzen zu müssen. Er tut nur so: „dann zog er ab. Das Klo schluckte den Schwall träge, ohne großen Appetit; er überlegte, wie es überhaupt damit zurande kam, Joshs kiloschwere Scheiße abzutransportieren.“ Wie angenehm grob, ein Ausrutscher regelrecht, ein Griff ins Klo. Mehr davon zu fordern, wäre sicher unfein und obendrein zu spät.
James Wood: Upstate. Roman. Aus dem Englischen von Tanja Handels. Rowohlt Verlag, Hamburg 2019. 305 Seiten, 22 Euro.
Der Leser kennt sich bald
gut aus im Psychoorganigramm
der Querrys
Kaum ein Halbsatz entgeht
seiner Zielstrebigkeit, alles dient
exakt der gewollten Aussage
Distinguiertheit ist das
wesentliche soziale Merkmal
solcher formaler Bemühung
Zeig mir, wie sie leben, und ich weiß, wie die Romanfiguren denken: James Woods Roman „Upstate“ spielt in Saratoga Springs, New York.
Foto: Danita Delimont / imago
James Wood, 1965 in Durham, England geboren, Kritiker bei den edelsten Publikationen der englischsprachigen Welt und Romanautor.
Foto: Miriam Berkley
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Wood can produce sentences as fine as bone china. Claire Allfree Daily Mail