Urs Zobel besitzt das kleine Hotel Swiss in der Münchner Schillerstraße. Das Bahnhofsviertel ist Rotlichtbezirk und Arbeitsstrich, wo sich die Nationalitäten mischen und die Gestrandeten sammeln. Dank der spekulativen Veredelung der Gegend wird die Schrottimmobilie bald zu einem Juwel werden. Urs ist der Sonderling unter all den muskelbepackten Vollmännern, den selbstbewussten Barbesitzerinnen und Händlern in seinem Kiez.Eines Abends gerät direkt vor seinem Hotel ein Auto aus der Kurve, rast den Bürgersteig entlang und bringt mehrere Menschen zu Tode. Die Sozialen Medien befeuern die Deutung als islamistisches Attentats, die Polizei postet Warnungen. Urs hat das Geschehen anders erlebt. Auf dem Beifahrersitz des Porsche Cayenne glaubt er den Mann zu erkennen, der ihn als Jugendlichen auf Sardinien entführt und wochenlang gefangen gehalten hat. Sein Vater hatte damals nur das Lösegeld für die Mutter aufbringen können und dafür fast all seine Hotels verkauft.Aber kann Urs seiner Wahrnehmung trauen? Zu dumm, dass er am Tag vor dem Unfall von dem in Wodka eingelegten Fliegenpilz gekostet hat, den ein etwas seltsamer Hotelgast aus Russland ihm kürzlich als Geheimrezept der Berserker hinterlassen hat. Als er seine Eindrücke sortieren und überprüfen will, scheint er mit seinen Fragen in ein Wespennest zu stechen. Nun will er es erst recht wissen, doch die Reise in die Vergangenheit hat ihren Preis ...
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.03.2023Nackt im Nordwind
„Urs, der Berserker“ – ein neuer München-Krimi von Max Bronski
München – Schuld ist der getrocknete Fliegenpilz. Dieser Pilz, in Wodka eingelegt, hat den Hotelier Urs Zobel nicht nur halluzinieren lassen, sondern auch aufs Dach seines Hotels getrieben, zusammen mit Olga vom Zimmerservice. Dort erwacht er nun, von ihr umschlungen, und kann den Blick von der Münchner Schillerstraße aus zur Uhr des Hauptbahnhofs schweifen lassen. Es ist der Beginn einer weit ausgreifenden Geschichte zwischen manch Wunder und Wirklichkeit.
„Urs, der Berserker“ heißt der Titel von Max Bronskis neuem Kriminalroman, den der Münchner Schriftsteller, seit vielen Jahren ebenfalls unter dem Namen Franz-Maria Sonner tätig, im pulsierenden Herzen der Stadt spielen lässt. Glücklicherweise ist der im zwielichtigen Bahnhofsmilieu angesiedelte Roman zwar lebensprall, aber nicht so martialisch, wie der Titel befürchten lässt. Von einem durchreisenden Russen, der den Pilz-Wodka angesetzt hat, erfährt Urs nur, dass sein Name an skandinavische Krieger erinnere, die einst Berserker genannt wurden. Und natürlich ahnt man schon, dass deren Verhalten in grauer Vorzeit irgendwie auch mit dem Urs von heute zu tun hat.
Jene Berserker nämlich, so lässt er sich erzählen, waren von unbedingter Konsequenz und Entschlossenheit. Drohte Gefahr, kauten die Krieger auf ein paar getrockneten Pilzscheiben herum und begannen dann, nackt im Nordwind bis hin zur Raserei zu tanzen. Sie „rüsten sich nicht mit Ausstattung, sondern mit Entblößung. Sie steigern die Schutzlosigkeit, treten dem Feind nackt gegenüber und finden so zu Unverwundbarkeit, die nur von innen kommen kann“, erfährt Urs. „Sie gehen den Weg der Angst zu Ende und überschreiten die Grenze, jenseits derer das alles nicht mehr zählt.“
Seine Angst überschreitet und überwindet auch Urs im Laufe der Krimi-Handlung – bereits zum zweiten Mal in seinem Leben. Beim ersten Mal war der Hotelierssohn, der neben schlimmer Vernachlässigung durch die Eltern auch noch eine Geiselnahme ertragen musste, als Jugendlicher dem Tod nur knapp entronnen. Beim zweiten Mal nun sieht er als Zeuge einer Amokfahrt in München, an der ein Porsche Cayenne beteiligt ist, einen der einstigen Peiniger im Auto sitzen. Um herauszufinden, was damals geschah, und sich zu rächen, geht Urs nun tatsächlich den Weg der Angst zu Ende.
Bronski erzählt von diesem Weg seines Ich-Erzählers, den zwei Frauen, etliche Halbwelt-Gestalten und ein philosophierender Nachtportier säumen, in einem dramaturgisch makellosen Krimi in wohlgesetzter, manchmal geradezu gestelzter Sprache mit vielen Sentenzen. Das passt zu seinem Protagonisten, der sich am liebsten in einer geordneten Welt ohne Leidenschaft und Gefühlschaos einigeln würde. Klappt nur leider nicht, dafür ist das Leben in der Schillerstraße und auf ihren Dächern einfach zu aufregend. Mit und ohne Fliegenpilz.
ANTJE WEBER
Max Bronski: Urs, der Berserker. Kriminalroman. Edition Nautilus 2023, 247 Seiten, 18 Euro
Über den Dächern Münchens gefällt es nicht nur dem Autor Max Bronski, sondern auch seinem Protagonisten Urs.
Foto: Peter Frese
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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„Urs, der Berserker“ – ein neuer München-Krimi von Max Bronski
München – Schuld ist der getrocknete Fliegenpilz. Dieser Pilz, in Wodka eingelegt, hat den Hotelier Urs Zobel nicht nur halluzinieren lassen, sondern auch aufs Dach seines Hotels getrieben, zusammen mit Olga vom Zimmerservice. Dort erwacht er nun, von ihr umschlungen, und kann den Blick von der Münchner Schillerstraße aus zur Uhr des Hauptbahnhofs schweifen lassen. Es ist der Beginn einer weit ausgreifenden Geschichte zwischen manch Wunder und Wirklichkeit.
„Urs, der Berserker“ heißt der Titel von Max Bronskis neuem Kriminalroman, den der Münchner Schriftsteller, seit vielen Jahren ebenfalls unter dem Namen Franz-Maria Sonner tätig, im pulsierenden Herzen der Stadt spielen lässt. Glücklicherweise ist der im zwielichtigen Bahnhofsmilieu angesiedelte Roman zwar lebensprall, aber nicht so martialisch, wie der Titel befürchten lässt. Von einem durchreisenden Russen, der den Pilz-Wodka angesetzt hat, erfährt Urs nur, dass sein Name an skandinavische Krieger erinnere, die einst Berserker genannt wurden. Und natürlich ahnt man schon, dass deren Verhalten in grauer Vorzeit irgendwie auch mit dem Urs von heute zu tun hat.
Jene Berserker nämlich, so lässt er sich erzählen, waren von unbedingter Konsequenz und Entschlossenheit. Drohte Gefahr, kauten die Krieger auf ein paar getrockneten Pilzscheiben herum und begannen dann, nackt im Nordwind bis hin zur Raserei zu tanzen. Sie „rüsten sich nicht mit Ausstattung, sondern mit Entblößung. Sie steigern die Schutzlosigkeit, treten dem Feind nackt gegenüber und finden so zu Unverwundbarkeit, die nur von innen kommen kann“, erfährt Urs. „Sie gehen den Weg der Angst zu Ende und überschreiten die Grenze, jenseits derer das alles nicht mehr zählt.“
Seine Angst überschreitet und überwindet auch Urs im Laufe der Krimi-Handlung – bereits zum zweiten Mal in seinem Leben. Beim ersten Mal war der Hotelierssohn, der neben schlimmer Vernachlässigung durch die Eltern auch noch eine Geiselnahme ertragen musste, als Jugendlicher dem Tod nur knapp entronnen. Beim zweiten Mal nun sieht er als Zeuge einer Amokfahrt in München, an der ein Porsche Cayenne beteiligt ist, einen der einstigen Peiniger im Auto sitzen. Um herauszufinden, was damals geschah, und sich zu rächen, geht Urs nun tatsächlich den Weg der Angst zu Ende.
Bronski erzählt von diesem Weg seines Ich-Erzählers, den zwei Frauen, etliche Halbwelt-Gestalten und ein philosophierender Nachtportier säumen, in einem dramaturgisch makellosen Krimi in wohlgesetzter, manchmal geradezu gestelzter Sprache mit vielen Sentenzen. Das passt zu seinem Protagonisten, der sich am liebsten in einer geordneten Welt ohne Leidenschaft und Gefühlschaos einigeln würde. Klappt nur leider nicht, dafür ist das Leben in der Schillerstraße und auf ihren Dächern einfach zu aufregend. Mit und ohne Fliegenpilz.
ANTJE WEBER
Max Bronski: Urs, der Berserker. Kriminalroman. Edition Nautilus 2023, 247 Seiten, 18 Euro
Über den Dächern Münchens gefällt es nicht nur dem Autor Max Bronski, sondern auch seinem Protagonisten Urs.
Foto: Peter Frese
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