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Heiner Borggrefe:Unbekannte Seiten des Bildersturms - Moritz der Gelehrte, die Bilder in Schloß Eschwege und die vergessene Ikonographie des CalvinismusThomas Fusenig:Die Bildausstattung von Schloß EschwegeHermann Fabronius:Historische Beschreibung Der Policey-Tugende christliche Obrigkeit und Unterthanen. Wie der Durchleuchtigste und Hochgeborne Fürst und Herr, Herr Moritz L. zu Hessen. Dieselbigen nach der Politia und Ethica im Schloß Eschwege in Hessen disponieret, und in unterschiedenen Gemachen mit schönen Bildern und Historien abmahlen lassen. Dannen aber mit umbstendiger Erzehlung und beygefügten Epigrammatis abgeschrieben und publicieret seynd.…mehr

Produktbeschreibung
Heiner Borggrefe:Unbekannte Seiten des Bildersturms - Moritz der Gelehrte, die Bilder in Schloß Eschwege und die vergessene Ikonographie des CalvinismusThomas Fusenig:Die Bildausstattung von Schloß EschwegeHermann Fabronius:Historische Beschreibung Der Policey-Tugende christliche Obrigkeit und Unterthanen. Wie der Durchleuchtigste und Hochgeborne Fürst und Herr, Herr Moritz L. zu Hessen. Dieselbigen nach der Politia und Ethica im Schloß Eschwege in Hessen disponieret, und in unterschiedenen Gemachen mit schönen Bildern und Historien abmahlen lassen. Dannen aber mit umbstendiger Erzehlung und beygefügten Epigrammatis abgeschrieben und publicieret seynd.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.10.2001

Die Ordnung der Bilder
Ikonographie einer Standesgesellschaft: Die verlorenen Gemälde des Eschweger Schlosses

Die kunstgeschichtliche Landkarte Mitteleuropas im frühen siebzehnten Jahrhundert gleicht dem Flickenteppich, den die unzähligen Duodez-Fürstentümer in der politischen Landschaft hinterlassen hatten. Das deutsche Sprachgebiet, so heißt es gelegentlich, brachte kaum Künstler von europäischem Rang hervor. Elsheimer und Liss lebten in Italien, der Dreißigjährige Krieg trug zuletzt zum endgültigen Versiegen jener späthumanistischen Kunstblüte an den deutschen Fürstenhöfen bei, deren Rekonstruktion das Ziel ambitionierter Forschungen jüngerer Zeit ist.

Nachdem zunächst die Prager Hofkunst um 1600 in ihrer hohen Qualität wieder ins Bewußtsein getreten war, hatte sich eine Ausstellung des Jahres 1997 zum Ziel gesetzt, den Kasseler Hof des hessischen Landgrafen Moritz des Gelehrten (1572 bis 1632) wieder in seiner Gesamtheit erstehen zu lassen. Dabei ist es gelungen, den calvinistischen Fürsten in dem gesamteuropäischen Amalgam von Neostoizismus, Rosenkreuzertum und naturwissenschaftlicher Empirie zu verorten, das die gelehrtesten Köpfe der Zeit gebannt hielt: Moritz war ein Anhänger der hermetischen Philosophie und unterhielt weitgespannte Kontakte zu Künstlern, Musikern und Gelehrten wie Matthäus Merian, John Dowland, Tycho Brahe und Robert Fludd. Die paradoxe Dichotomie von Fürstenstaat und Gelehrtenrepublik fand in der Gestalt Moritz des Gelehrten einen ihrer schillerndsten Repräsentanten. Der Utopieentwurf eines modernen, auf den Wissenschaften gegründeten Staatswesens in Hessen-Kassel scheiterte jedoch an den Zeitumständen und zwang Moritz 1627 zum Rücktritt.

Der sprachbegabte Fürst war nicht nur Herausgeber der Rosenkreuzermanifeste und Verfasser philosophischer Traktate, sondern auch maßgeblich an der Ausarbeitung eines ikonologischen Bildprogramms beteiligt, das einst die Gemächer des landgräflichen Schlosses in Eschwege an der Werra zierte. Anläßlich der Vorbereitungen zu der im Weserrenaissance-Museum Schloß Brake und in Kassel gezeigten Ausstellung fand sich in der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel das einzige Exemplar eines 1625 in Schmalkalden gedruckten Traktats, der mit Fug und Recht einer der faszinierendsten Quellenfunde zur politischen Ikonographie im frühen siebzehnten Jahrhundert genannt werden darf.

Die kleine Schrift aus der Feder des humanistisch versierten Theologen Hermann Fabronius gehört dem ekphrastischen Genre an, insofern sie die Deckenbilder beschreibt, die der Hofmaler Christoph Jobst zwischen 1598 und 1604 in Eschwege schuf. Zugleich dient der Text auch der politischen und ethischen Unterweisung, zumal Fabronius den Bildbeschreibungen eigens komponierte Epigramme beigegeben hat. Dieses mediale Gebilde wird von den beiden Autoren des Bandes, der den vollständigen Originaltext in Begleitung zweier Essays wiedergibt, mit großer Sachkompetenz erläutert und in seiner Texttradition situiert.

Der Text ermöglicht eine virtuelle Rekonstruktion der bildlichen Ausstattung des Eschweger Schlosses, die schon 1637 zugrunde ging, als kroatische Truppen die Stadt plünderten. Die Leinwandbilder waren an die Decke gesetzt und mit lateinischen Inschriften versehen. Von der möglichen visuellen Erscheinung kann sich der Leser ein Bild machen, wenn er der Überlegung der Autoren folgt, Emblembücher und zeitgenössische Druckgraphik aus den Niederlanden als Vorlagen in Betracht zu ziehen.

Ihrer repräsentativen Funktion angemessen waren die Gemächer mit Tugendpersonifikationen ausgestattet, denen Exempla aus der biblischen und antiken Historie zugeordnet waren. Das stoische Tugendsystem der Antike war seit der Frührenaissance für die höfische Kultur der frühen Neuzeit verbindlich und wurde zu einem System sozialer Disziplinierung ausgebaut. Die Bedeutung des Bildprogramms liegt jedoch in dem Versuch, der sozialen Ordnung des zentralisierten Fürstenstaates eine eigene Ikonographie zu verleihen: Der Titel von Fabronius' Schrift ("Historische Beschreibung Der Policey-Tugende christlicher Obrigkeit und Underthanen") verwendet den Begriff "Policey" noch im Sinne der organisatorischen Gesamtstruktur des modernen Staatswesens, das auf freiwilliger Hingabe an das Gemeinwesen basiere. Erst die Entdeckung des bürgerlichen Egoismus als treibende Kraft der Zivilisation, die schon Thomas Hobbes beschrieb, verwandelte die "politeia" zur Polizei.

Erstaunlicherweise fehlte bei der Darstellung der vier Stände im "Policey-Saal" des Schlosses der Klerus, wogegen dem "Cantzler" und dem "Kriegsoberst" feste Stellen in der Sozialhierarchie eingeräumt wurden. Der Obrigkeit folgte der Nährstand: Die Darstellung der Arbeiten des Bauernstandes könnte Marten van Heemskercks Kupferstich von den "Aufgaben des dritten Standes" geähnelt haben. Die überraschende Anwesenheit eines Hirten als Repräsentant des vierten Standes dürfte an die erheblichen Einnahmen erinnert haben, die der hessische Landgraf aus Schafzucht und Wollproduktion bezog. Für unsere Kenntnis der profanen Ikonologie der Spätrenaissance ist der neuentdeckte Text von vergleichbarem Rang wie jener 1602 publizierte "Discorso sopra li Dei de' Gentili" des Malers Jacopo Zucchi, den Fritz Saxl in der Biblioteca Nazionale in Rom entdeckt und 1927 in den "Studien der Bibliothek Warburg" veröffentlicht hatte.

Totgesagte leben bekanntlich länger. Die Vorwürfe, die der Ikonologie in der kunsthistorischen Forschung der letzten Jahre gemacht wurden, haben eine Methode rigoros verurteilt, welche die Sprache rekonstruiert, in der sich auch jede ikonische Deutung erst bewegen kann. Nicht zuletzt ist diese Sprache gerade zu Beginn des siebzehnten Jahrhunderts in der Regel eben dasjenige Latein, das dem illiteraten modernen Betrachter die Welt der Embleme, Impresen und Allegorien so obskur erscheinen läßt. Es ist den Herausgebern des Traktats daher um so mehr zu danken, daß sie die Mühe der gelehrten Explikation nicht gescheut haben, ohne den kulturgeschichtlichen Zusammenhang aus den Augen zu verlieren: Die Lesbarkeit der Welt des Späthumanismus wird hier in einem ikonologischen Kabinettstück mit Liebe zum signifikanten Detail vor Augen geführt.

MICHAEL THIMANN

Heiner Borggrefe, Thomas Fusenig, Birgit Kümmel (Hrsg.): "Ut pictura politeia oder Der gemalte Fürstenstaat". Moritz der Gelehrte und das Bildprogramm in Eschwege. Jonas Verlag, Marburg 2000. 248 S., 56 S/W-Abb., geb., 58,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Anlässlich einer Ausstellung im Weserrenaissance-Museum Schloss Brake und Kassel (1997) fand sich ein Traktat von Hermann Fabronius aus dem Jahre 1625 mit detaillierter Beschreibung der allegorischen Deckenbilder des Eschweger Schlosses, die der Hofmaler des hessischen Landgrafen Moritz des Gelehrten (1572-1632) in der Zeit zwischen 1598 und 1604 geschaffen hatte. Bei diesem Traktat aus der Wolfenbütteler Herzog-August-Bigliothek handele es sich um einen wichtigen Quellenfund zur politischen Ikonografie des frühen 17. Jahrhunderts, betont Michael Thimann. Die kommentierten Herausgabe aus dem Jahre 2000 sei ein "ikonologisches Kabinettstück mit Liebe zum signifikanten Detail", lobt der Rezensent.

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