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Das Werk Pierre Bayles besitzt für die europäische Kultur der Übergangszeit zwischen Rationalismus und Aufklärung eine überragende Bedeutung, beginnt doch mit ihm die kulturelle Erneuerung, die die Philosophen des 18. Jahrhunderts vollendeten. Nach der Edition der Œuvres Diverses in 6 Bänden, alle mit einem Vorwort der Bayle-Spezialistin Elisabeth Labrousse versehen, und der dazugehörigen Ergänzungsreihe Volumes Supplémentaires aux Œuvres Diverses in 4 Bänden, wird mit dem „Tractat von der allgemeinen Toleranz oder Philosophischer Commentar über die Worte Christi Nöthige sie herein zu kommen“…mehr

Produktbeschreibung
Das Werk Pierre Bayles besitzt für die europäische Kultur der Übergangszeit zwischen Rationalismus und Aufklärung eine überragende Bedeutung, beginnt doch mit ihm die kulturelle Erneuerung, die die Philosophen des 18. Jahrhunderts vollendeten. Nach der Edition der Œuvres Diverses in 6 Bänden, alle mit einem Vorwort der Bayle-Spezialistin Elisabeth Labrousse versehen, und der dazugehörigen Ergänzungsreihe Volumes Supplémentaires aux Œuvres Diverses in 4 Bänden, wird mit dem „Tractat von der allgemeinen Toleranz oder Philosophischer Commentar über die Worte Christi Nöthige sie herein zu kommen“ die Werkausgabe nunmehr vervollständigt. Es handelt sich bei dieser in Bibliotheken kaum vorhandenen Ausgabe um die von dem Prediger Daniel Semerau vorgenommene deutsche Übersetzung von Bayles Schrift „Commentaire Philosophique sur ces paroles de Jesus-Christ, Contrain-les d’entrer“, die im Band 2 der Œuvres Diverses abgedruckt ist. *** L’œuvre de Bayle est située entre l’époque classique et celle du rationalisme au 18ème siècle. Le renouvellement de la philosophie européenne au siècle des lumières ne semble pas avoir été possible sans que Bayle ait trouvé dans l’idée de la tolérance non seulement un idéal humain mais la conclusion logique de sa pensée. Après l’édition des Œuvres Diverses en six volumes, tous accompagnées par une introduction d’Elisabeth Labrousse, spécialiste reconnue de Bayle, et avec la série additionnelle des Volumes Supplémentaires aux Œuvres Diverses en quatre volumes, l’édition est complétée par le ' Tractat von der allgemeinen Toleranz oder Philosophischer Commentar über die Worte Christi Nöthige sie herein zu kommen '. Cette édition, difficilement à trouver dans les bibliothèques, est la traduction allemande du prédicateur Daniel Semerau de l’œuvre ' Commentaire Philosophique sur ces paroles de Jésus-Christ, Contrain-les d’entrer ' de Bayle, quelle est réimprimée dans le deuxième volume des Œuvres Diverses.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.08.2016

Andersgläubigen kann man nicht den eigenen Glauben aufzwingen
Arbeit am Herrenwort: Pierre Bayles Toleranzschrift in einer modernen und kommentierten deutschen Übersetzung

Es gibt wohl nur wenige Worte der Bibel, die eine so nachhaltige und handgreifliche Wirkung hatten wie der Aufruf "Compelle intrare!" (Nötige sie hereinzukommen!) aus dem 14. Kapitel des Lukas-Evangeliums. Der Kirchenvater Augustinus, Generationen von Theologen nach ihm und die Verfasser von Gesetzestexten wie des mittelalterlichen Decretum Gratiani zitierten ihn als eine unanfechtbare Legitimation für die Erzwingung religiöser Konformität. Das war keine aus böswilligen Motiven ins Werk gesetzte Repression. Denn wenn es erstens nur einen wahren Glauben gibt, wenn zweitens die Abweichung vom wahren Glauben mit ewiger Verdammung bestraft wird und wenn drittens Nothilfe in äußerster Gefahr eine selbstverständliche moralische Pflicht ist, dann sind - notfalls gewaltsame - Interventionen geboten, um die Irrenden zum rechten Glauben zurückzuführen. Gewalt und Gewaltandrohung - Augustinus spricht wiederholt von "terror" - erweist deshalb den vom Heilsverlust Bedrohten einen "Liebesdienst" (servitium amoris). Dagegen wäre es sträfliche Indifferenz, würde man ihre Irrtümer dulden (tolerare). Augustinus und die kirchlichen Institutionen, die sich von seinem biblisch fundierten Gedanken leiten ließen, hatten also starke, auf den ersten Blick respektable Gründe für den Einsatz von Gewalt gegen religiöse Abweichler.

Unter den zahlreichen Toleranztheoretikern der Neuzeit war Pierre Bayle derjenige, der am entschlossensten den Stier bei den Hörnern packte, indem er sein Plädoyer für religiöse Toleranz in Auseinandersetzung mit dem Herrenwort "Compelle intrare" vortrug. Der im Jahre 1647 am Fuße der Pyrenäen geborene und 1706 in Rotterdam gestorbene Philosoph war als hugenottischer Glaubensflüchtling selbst ein Opfer katholischer Intoleranz. Im Jahre 1685 hatte die Revokation des Edikts von Nantes die französischen Protestanten entrechtet und viele von ihnen ins Exil getrieben. Unmittelbar danach erschien, mit einem zeittypisch endlosen Titel versehen, Bayles "Philosophischer Kommentar zu den Worten Christi Nötige sie hereinzukommen, in dem mit mehreren beweiskräftigen Gründen gezeigt wird, dass es nichts Verwerflicheres gibt als Zwangskonversionen, und (. . .) Augustinus' Apologie der Verfolgungen widerlegt wird". Mit dem griffigeren Titel "Toleranz: Ein philosophischer Kommentar" liegt das Werk jetzt in einer wohlfeilen deutschen Ausgabe vor.

Lange - und für Deutschland gilt dies weithin immer noch - stand Bayle im Schatten John Lockes. Anders als der Engländer argumentiert Bayle, dessen Buch in späteren Ausgaben den Untertitel "Traité de la tolérance universelle" erhielt, für die ausnahmslose Duldung religiöser Bekenntnisse und auch nichtreligiöser Überzeugungen. Ein klares Plädoyer für die Duldung von Atheisten findet sich allerdings nicht hier, sondern in seinen wenige Jahre zuvor erschienenen "Pensées diverses sur la comète".

Im Unterschied zu den seinerzeit vorherrschenden liberal-protestantischen Ansätzen, die die Toleranz aus der Freiheit des an Gott gebundenen Gewissens herleiteten, stützt Bayle sein Plädoyer auf zwei genuin philosophische Argumente: Erstens sei die Pluralität religiöser Wahrheitsansprüche unüberwindbar. Mangels überzeugender Gründe könne keine Religion ein Wahrheitsmonopol für sich reklamieren. Das zweite Argument rekurriert auf einen moralphilosophischen Grundsatz: Jeder Zwang ist rechtfertigungsbedürftig und müsste von allen potentiell Betroffenen als rechtmäßig anerkannt werden. Bayle schlägt hierzu ein Testverfahren vor, dem alle Freiheit einschränkenden Regeln und Praktiken unterworfen werden müssen: Es ist zu fragen, ob eine Praxis "gerecht ist. Und wenn es darum ginge, sie in einem Land einzuführen, wo sie nicht üblich ist, wo es also freisteht, sie anzunehmen oder zu verwerfen", ist zu fragen, "ob sie rechtmäßig genug ist, dass sie angenommen zu werden verdient". Es ist klar, dass die Praxis des Religionszwangs diesen Test nicht besteht. Ein wechselseitig anerkanntes Recht, Andersgläubige zur Annahme des eigenen Glaubens zu zwingen, ist undenkbar.

Aber konnten diese Argumente damals einen religiös gebundenen Leser erreichen? Konnten sie einen Christen dazu bringen, von der Wahrheits- und Heilsexklusivität seines Bekenntnisses abzulassen und darauf zu verzichten, die Irrgläubigen vor der ewigen Verdammnis zu retten? Bayle müht sich zwar redlich damit ab, die gewaltträchtige Parole "Nötige sie hereinzukommen!" zu entschärfen. Bei frommen Lesern trug dies, wie die Regale füllenden Gegenschriften zum "Commentaire philosophique" beweisen, jedoch wenig aus. Sie blieben bei der durch Augustinus kanonisierten Lesart des Herrenworts, die es rechtfertigte, ja dazu verpflichtete, den Irrenden die einzig wahre Religion notfalls durch Zwang nahezubringen. Doch hat Bayle mit seinem Buch, das im achtzehnten Jahrhundert mehrmals nachgedruckt wurde und auch in englischer und deutscher Übersetzung erschien, zweifellos Leser erreicht. Dies zeigt die bedeutende Rolle, die es in den Toleranzdebatten der Aufklärung spielte.

Die mustergültig übersetzte, mit einem hilfreichen Kommentar und einer instruktiven Einleitung versehene Ausgabe ist ein Gewinn nicht nur für philosophiehistorisch Interessierte. Denn sie bietet ein faszinierendes historisches Exempel, an dem zu lernen ist, wie es möglich war, in einer Kultur, die von einer konstitutionell intoleranten Religion dominiert war, Freiheiten durchzusetzen, die wir heute für selbstverständlich halten. Wie wenig selbstverständlich diese in Wahrheit sind, zeigt nicht nur der naheliegende Blick auf den Islam und sein mit der Todesstrafe bewehrtes Apostasieverbot. Zum Nachdenken zwingt dieses Exempel auch mit Blick auf die gegenwärtig von verschiedenen Seiten als Kampfparole verwendete Rede vom "christlichen Abendland". Zu dessen Fundamenten gehören Toleranz und Religionsfreiheit keineswegs. Wäre es so, hätte Bayle sein Buch nicht schreiben müssen.

WINFRIED SCHRÖDER

Pierre Bayle: "Toleranz".

Ein philosophischer

Kommentar.

Hrsg. von E. Buddeberg und R. Forst. Aus dem Französischen von E. Buddeberg und Franziska Heimburger. Suhrkamp Verlag, Berlin 2016. 354 S., br., 20,- [Euro].

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