»Aber Jakob ist immer quer über die Gleise gegangen.« - Mit diesem Satz beginnt Uwe Johnsons 1959 erschienenes Debüt Mutmassungen über Jakob. Mit diesem Roman begann seine eigene Geschichte als »Dichter der beiden Deutschland«. Das Etikett verbat er sich. Trotzdem bleibt Johnson der Erzähler von Ost wie West.
Die Uwe Johnson-Werkausgabe (Rostocker Ausgabe) ist eine historisch-kritische Ausgabe, die mit insgesamt 22 Bänden in 43 Teilbänden in drei Abteilungen erscheinen soll: Werke, Schriften und Briefe. Sie entsteht als Akademienvorhaben der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften an der Universität Rostock. Herausgegeben wird sie von Holger Helbig und Ulrich Fries, unter Mitarbeit von Katja Leuchtenberger.
Die Bestände des Uwe Johnson-Archivs, ein Depositum der Johannes und Annitta Fries Stiftung an der Universität Rostock, bilden die Grundlage der Edition. Sie erscheint im Buch und zeitversetzt im Internet. Die digitale Präsentation zielt auf historisch-kritische Vollständigkeit bei höchstem wissenschaftlichen Anspruch und maximaler Flexibilität für die Leser. Die Referenzbasis bleibt der im Buch kritisch edierte Text.
Die Uwe Johnson-Werkausgabe (Rostocker Ausgabe) ist eine historisch-kritische Ausgabe, die mit insgesamt 22 Bänden in 43 Teilbänden in drei Abteilungen erscheinen soll: Werke, Schriften und Briefe. Sie entsteht als Akademienvorhaben der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften an der Universität Rostock. Herausgegeben wird sie von Holger Helbig und Ulrich Fries, unter Mitarbeit von Katja Leuchtenberger.
Die Bestände des Uwe Johnson-Archivs, ein Depositum der Johannes und Annitta Fries Stiftung an der Universität Rostock, bilden die Grundlage der Edition. Sie erscheint im Buch und zeitversetzt im Internet. Die digitale Präsentation zielt auf historisch-kritische Vollständigkeit bei höchstem wissenschaftlichen Anspruch und maximaler Flexibilität für die Leser. Die Referenzbasis bleibt der im Buch kritisch edierte Text.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.05.2017Mutmaßungen und Offenbarungen
Endlich Klarheit über Jakob: Der Auftakt der historisch-kritischen Rostocker Johnson-Werkausgabe weckt die schönsten Hoffnungen
Als Uwe Johnsons Debütroman, "Mutmassungen über Jakob", 1959 im Suhrkamp Verlag erschien, war der Autor gerade mal fünfundzwanzig Jahre alt. Der Klappentext der ersten Ausgabe teilt nüchtern mit, der Autor sei in Pommern geboren und lebe "heute in Berlin". Schon dahinter verbirgt sich eine Lebensgeschichte, wie sie der Roman in Varianten und zahllosen Andeutungen, Mitteilungen, eben Mutmaßungen, vorwärts und rückwärts erzählt. Johnson war im Juli vor Erscheinen des Buches nach West-Berlin - wie er den Westen der Stadt zeitlebens nannte - "umgezogen". Auch darauf, auf Umzug statt Flucht, bestand er, obwohl es natürlich eine Flucht war.
Die Nichtanerkennung der Endgültigkeit der Spaltung Deutschlands, für die Politik eine völkerrechtliche Angelegenheit, war für ihn eine überlebensnotwendige, literarisch, persönlich wie politisch. Im ersten soeben bei Suhrkamp erschienenen Band einer auf 22 Bände geplanten historisch-kritischen Johnson-Werkausgabe findet sich im Nachwort ein Zitat aus einem Brief an seine ehemalige Vermieterin Alice Hanson in Rostock, wo er eine Zeitlang studiert hatte. Johnson kündigt das Buch an, versichert ihr, er hätte es lieber in der "Deutschen Demokratischen Republik verlegt und gekauft gesehen", und: "Ich bin sehr ungern gegangen." Johnson hatte zuvor erwogen zu bleiben und das Buch unter dem Pseudonym Joachim Catt erscheinen zu lassen. Seine Leipziger Freunde hielten das für zu gefährlich, "wenn die Staatssicherheit nur annähernd so ist, wie Du sie beschreibst". Also stieg Johnson, wie er in einem späteren Gespräch sagte, an dem Tag, als "in einer westdeutschen Druckerei ein Name auf die Titelseite eingefügt werden musste", aus der S-Bahn in West-Berlin aus.
Die Bücherernte war 1959, weltliterarisch gesehen, beachtlich: Die "Blechtrommel" von Günter Grass erschien und Heinrich Bölls "Billard um halb zehn". Und Johnsons "Mutmassungen", der als erster Roman die deutschen Zustände der Nachkriegszeit als literarische Wirklichkeit beschrieb - ein Land, schon geteilt, aber noch nicht endgültig verriegelt. Der junge Autor, von dem sich Verleger Unseld wie auch die Literaturkritik noch viel erwarteten, hatte sich mit seinem Debüt sogleich in die erste Reihe der deutschen Nachkriegsliteratur geschrieben.
In "Mutmassungen" wie auch in späteren Romanen beschreibt Johnson einen Raum, der trotz der Grenze kulturell, politisch und privat zusammengehört. Er schreibt aus verschiedenen Perspektiven, aus Ost wie West, ohne Zorn, und mit feinen sprachlichen Unterschieden, die eine Entfremdung andeuten, der sich Johnson selbst nie unterwerfen wollte. Jeder, der die deutsche Spaltung erlebt hat, der weiß, was es heißt, wenn die Liebsten und die Freunde gehen, wenn Autobahnen plötzlich das fahrende Volk in Ost und West teilen und bestimmte Bahnsteige auf dem Bahnhof Berlin-Friedrichstraße für die einen unbetretbar sind, weil sie die anderen, die uns verließen, von dort in den Westen brachten, der eine Station später begann, jeder wird verstehen, was Johnsons Lokführer Lösche meint: "Zu denken" sagte Jöche still verblüfft: "zu denken dass der Zug heute abend bei Gesine ist, und er kommt täglich hier durch . . ." Vielleicht teilt sich diese Erkenntnis absurder, paradoxer Lebenszustände über diese Literatur auch heute mit. Ein mögliches Ende der deutschen Teilung wird nirgendwo auch nur angedeutet, aber Gründe, warum das scheitern musste, findet man nicht nur in diesem Roman von Johnson. Dieser spielt im Jahr 1956, als der ungarische Aufstand niedergeschlagen wird und die Suezkrise das Weltgeschehen bestimmt.
Johnson führt den Leser auf drei Wegen, verschlungen wie die realen Lebenspfade und nicht immer ganz einfach zu entschlüsseln, durch die Geschichte von Jakob Abs, dessen Tod unaufklärbar, also Mutmaßung, bleibt: als Erzählung, Dialog und in Monologen der drei wichtigsten mit Jakob verbundenen Figuren, deren "Einbildungen und Erinnerungen" jeweils kursiv gesetzt sind wie im Manuskript. Ob gerade die in den Westen umgezogene Nato-Dolmetscherin Gesine Cresspahl spricht oder der Stasihauptmann Rohlfs, für den Jakob Gesine für die Spionageabwehr gewinnen soll (was dieser ablehnt), oder der Assistent am Englischen Seminar in Berlin, Dr. Blach, der in rätselhafte ideologische Umdeutungsprozesse verstrickt wird, muss der Leser selbst herausfinden (jetzt hilft dabei immerhin der Kommentar dieses ersten Bandes). Eine Hauptfigur gibt es nicht, alle kennen immer nur einen Teil der Wahrheit, die sich aus ihrem Erleben, ihren Erinnerungen Stück um Stück ergibt. In Johnsons Welt ist das Private untrennbar vom Öffentlichen, obwohl sich dazwischen oft ein Abgrund auftut, die Schizophrenie des deutsch-deutschen Alltags, dem sich keiner seiner Protagonisten zu entziehen vermag.
Dieses Buch - im Osten des Landes erschien es erst nach dem Mauerfall - heute noch einmal zu lesen ist eine Offenbarung. Es wirkt wie aus der Zukunft geschrieben, denn alles, was man wissen muss über diese Zeit, über dieses Leben, steht da schon drin. Alles, was wir heute, nach gefühlten dreißig Kilometern Sachaufklärungsbüchern zur DDR, zur Staatssicherheit, zu Deutschland Ost/West mit der Elbe als Grenzfluss zu wissen meinen, erzählte uns Uwe Johnson schon vor 58 Jahren. Das ist ganz große Literatur, meisterhaft, wenn auch schwierig erzählt, wie das wahre Leben. Jens Reich hat Johnsons "Mutmassungen" einmal in dieser Zeitung "das verhinderte Schicksalsbuch der DDR-Jugend der fünfziger und sechziger Jahre" genannt. Ein Kultbuch, das ihr Lebensgefühl ausdrückte, wie zu anderen Zeiten der "Fänger im Roggen", das aber in diesem Fall "seine eigentlichen Leser nie erreicht" (Reich) hat. Dieses Gefühl zwischen Gehenwollen und Nichtankommenkönnen - ",Bleib hier' sagte sie. ,Komm mit', sagte er" - war das Lebensgefühl Hunderttausender im geteilten Deutschland. Und es wird bis zum heutigen Tage in der ganzen Welt so gelesen.
Diesen immer noch aufregenden Roman in der historisch-kritischen Rostocker Ausgabe zu lesen ist garantiert ein Gewinn, denn im Sachkommentar und im Nachwort findet man jede Menge Hintergrundinformationen, die nicht allein Germanisten beglücken sollen; etwa zur Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte, zur eigensinnigen Grammatik Johnsons und ihrer Bedeutung für ihn, zu Johnsons Sprachduktus, zum Verleger-Autor-Verhältnis, zu den Johnsonschen Figuren, zur Zeit. Die Herausgeber dieses so schönen wie sorgfältig edierten Bandes arbeiten mit der oder für die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften und an der Universität Rostock, die gemeinsam dieses Großprojekt stemmen wollen. Für 2019 ist der Briefwechsel mit den Leipziger Freunden geplant, 2024 kommen die "Jahrestage".
Nichts davon wäre wohl möglich geworden, gäbe es nicht den Mäzen Ulrich Fries, der zu den Herausgebern gehört, heute Unternehmer ist, aber eben auch ausgewiesener Johnson-Spezialist. Als er vor Jahren noch an der Universität Jena lehrte, traf er auf Holger Helbig, ebenfalls nun Herausgeber, der heute die Johnson-Stiftungsprofessur an der Universität Rostock innehat und deren Johnson-Archiv, von Fries' Stiftung dorthin gekauft, leitet. Aus dieser Zusammenarbeit ist bereits ein "Literarisches Lesebuch Uwe Johnson" entstanden. Finanziert vom Land für Mecklenburg-Vorpommerns Oberschüler, die mit diesen Texten lernen und begreifen sollen, warum es wichtig ist zu wissen, woher man kommt. Die exzellente Lesebuchreihe mit Uwe Johnson zu beginnen war kühn, aber absichtsvoll und nahm sich, unter anderem, ein Lesebuch für den amerikanischen Deutschunterricht zum Vorbild, das Johnson selbst herausgegeben hatte.
REGINA MÖNCH
Uwe Johnson: "Werkausgabe". Abteilung Werke, Band 2: "Mutmassungen über Jakob".
Hrsg. von Astrid Köhler u.a. Suhrkamp Verlag, Berlin 2017. 466 S., geb., 42,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Endlich Klarheit über Jakob: Der Auftakt der historisch-kritischen Rostocker Johnson-Werkausgabe weckt die schönsten Hoffnungen
Als Uwe Johnsons Debütroman, "Mutmassungen über Jakob", 1959 im Suhrkamp Verlag erschien, war der Autor gerade mal fünfundzwanzig Jahre alt. Der Klappentext der ersten Ausgabe teilt nüchtern mit, der Autor sei in Pommern geboren und lebe "heute in Berlin". Schon dahinter verbirgt sich eine Lebensgeschichte, wie sie der Roman in Varianten und zahllosen Andeutungen, Mitteilungen, eben Mutmaßungen, vorwärts und rückwärts erzählt. Johnson war im Juli vor Erscheinen des Buches nach West-Berlin - wie er den Westen der Stadt zeitlebens nannte - "umgezogen". Auch darauf, auf Umzug statt Flucht, bestand er, obwohl es natürlich eine Flucht war.
Die Nichtanerkennung der Endgültigkeit der Spaltung Deutschlands, für die Politik eine völkerrechtliche Angelegenheit, war für ihn eine überlebensnotwendige, literarisch, persönlich wie politisch. Im ersten soeben bei Suhrkamp erschienenen Band einer auf 22 Bände geplanten historisch-kritischen Johnson-Werkausgabe findet sich im Nachwort ein Zitat aus einem Brief an seine ehemalige Vermieterin Alice Hanson in Rostock, wo er eine Zeitlang studiert hatte. Johnson kündigt das Buch an, versichert ihr, er hätte es lieber in der "Deutschen Demokratischen Republik verlegt und gekauft gesehen", und: "Ich bin sehr ungern gegangen." Johnson hatte zuvor erwogen zu bleiben und das Buch unter dem Pseudonym Joachim Catt erscheinen zu lassen. Seine Leipziger Freunde hielten das für zu gefährlich, "wenn die Staatssicherheit nur annähernd so ist, wie Du sie beschreibst". Also stieg Johnson, wie er in einem späteren Gespräch sagte, an dem Tag, als "in einer westdeutschen Druckerei ein Name auf die Titelseite eingefügt werden musste", aus der S-Bahn in West-Berlin aus.
Die Bücherernte war 1959, weltliterarisch gesehen, beachtlich: Die "Blechtrommel" von Günter Grass erschien und Heinrich Bölls "Billard um halb zehn". Und Johnsons "Mutmassungen", der als erster Roman die deutschen Zustände der Nachkriegszeit als literarische Wirklichkeit beschrieb - ein Land, schon geteilt, aber noch nicht endgültig verriegelt. Der junge Autor, von dem sich Verleger Unseld wie auch die Literaturkritik noch viel erwarteten, hatte sich mit seinem Debüt sogleich in die erste Reihe der deutschen Nachkriegsliteratur geschrieben.
In "Mutmassungen" wie auch in späteren Romanen beschreibt Johnson einen Raum, der trotz der Grenze kulturell, politisch und privat zusammengehört. Er schreibt aus verschiedenen Perspektiven, aus Ost wie West, ohne Zorn, und mit feinen sprachlichen Unterschieden, die eine Entfremdung andeuten, der sich Johnson selbst nie unterwerfen wollte. Jeder, der die deutsche Spaltung erlebt hat, der weiß, was es heißt, wenn die Liebsten und die Freunde gehen, wenn Autobahnen plötzlich das fahrende Volk in Ost und West teilen und bestimmte Bahnsteige auf dem Bahnhof Berlin-Friedrichstraße für die einen unbetretbar sind, weil sie die anderen, die uns verließen, von dort in den Westen brachten, der eine Station später begann, jeder wird verstehen, was Johnsons Lokführer Lösche meint: "Zu denken" sagte Jöche still verblüfft: "zu denken dass der Zug heute abend bei Gesine ist, und er kommt täglich hier durch . . ." Vielleicht teilt sich diese Erkenntnis absurder, paradoxer Lebenszustände über diese Literatur auch heute mit. Ein mögliches Ende der deutschen Teilung wird nirgendwo auch nur angedeutet, aber Gründe, warum das scheitern musste, findet man nicht nur in diesem Roman von Johnson. Dieser spielt im Jahr 1956, als der ungarische Aufstand niedergeschlagen wird und die Suezkrise das Weltgeschehen bestimmt.
Johnson führt den Leser auf drei Wegen, verschlungen wie die realen Lebenspfade und nicht immer ganz einfach zu entschlüsseln, durch die Geschichte von Jakob Abs, dessen Tod unaufklärbar, also Mutmaßung, bleibt: als Erzählung, Dialog und in Monologen der drei wichtigsten mit Jakob verbundenen Figuren, deren "Einbildungen und Erinnerungen" jeweils kursiv gesetzt sind wie im Manuskript. Ob gerade die in den Westen umgezogene Nato-Dolmetscherin Gesine Cresspahl spricht oder der Stasihauptmann Rohlfs, für den Jakob Gesine für die Spionageabwehr gewinnen soll (was dieser ablehnt), oder der Assistent am Englischen Seminar in Berlin, Dr. Blach, der in rätselhafte ideologische Umdeutungsprozesse verstrickt wird, muss der Leser selbst herausfinden (jetzt hilft dabei immerhin der Kommentar dieses ersten Bandes). Eine Hauptfigur gibt es nicht, alle kennen immer nur einen Teil der Wahrheit, die sich aus ihrem Erleben, ihren Erinnerungen Stück um Stück ergibt. In Johnsons Welt ist das Private untrennbar vom Öffentlichen, obwohl sich dazwischen oft ein Abgrund auftut, die Schizophrenie des deutsch-deutschen Alltags, dem sich keiner seiner Protagonisten zu entziehen vermag.
Dieses Buch - im Osten des Landes erschien es erst nach dem Mauerfall - heute noch einmal zu lesen ist eine Offenbarung. Es wirkt wie aus der Zukunft geschrieben, denn alles, was man wissen muss über diese Zeit, über dieses Leben, steht da schon drin. Alles, was wir heute, nach gefühlten dreißig Kilometern Sachaufklärungsbüchern zur DDR, zur Staatssicherheit, zu Deutschland Ost/West mit der Elbe als Grenzfluss zu wissen meinen, erzählte uns Uwe Johnson schon vor 58 Jahren. Das ist ganz große Literatur, meisterhaft, wenn auch schwierig erzählt, wie das wahre Leben. Jens Reich hat Johnsons "Mutmassungen" einmal in dieser Zeitung "das verhinderte Schicksalsbuch der DDR-Jugend der fünfziger und sechziger Jahre" genannt. Ein Kultbuch, das ihr Lebensgefühl ausdrückte, wie zu anderen Zeiten der "Fänger im Roggen", das aber in diesem Fall "seine eigentlichen Leser nie erreicht" (Reich) hat. Dieses Gefühl zwischen Gehenwollen und Nichtankommenkönnen - ",Bleib hier' sagte sie. ,Komm mit', sagte er" - war das Lebensgefühl Hunderttausender im geteilten Deutschland. Und es wird bis zum heutigen Tage in der ganzen Welt so gelesen.
Diesen immer noch aufregenden Roman in der historisch-kritischen Rostocker Ausgabe zu lesen ist garantiert ein Gewinn, denn im Sachkommentar und im Nachwort findet man jede Menge Hintergrundinformationen, die nicht allein Germanisten beglücken sollen; etwa zur Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte, zur eigensinnigen Grammatik Johnsons und ihrer Bedeutung für ihn, zu Johnsons Sprachduktus, zum Verleger-Autor-Verhältnis, zu den Johnsonschen Figuren, zur Zeit. Die Herausgeber dieses so schönen wie sorgfältig edierten Bandes arbeiten mit der oder für die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften und an der Universität Rostock, die gemeinsam dieses Großprojekt stemmen wollen. Für 2019 ist der Briefwechsel mit den Leipziger Freunden geplant, 2024 kommen die "Jahrestage".
Nichts davon wäre wohl möglich geworden, gäbe es nicht den Mäzen Ulrich Fries, der zu den Herausgebern gehört, heute Unternehmer ist, aber eben auch ausgewiesener Johnson-Spezialist. Als er vor Jahren noch an der Universität Jena lehrte, traf er auf Holger Helbig, ebenfalls nun Herausgeber, der heute die Johnson-Stiftungsprofessur an der Universität Rostock innehat und deren Johnson-Archiv, von Fries' Stiftung dorthin gekauft, leitet. Aus dieser Zusammenarbeit ist bereits ein "Literarisches Lesebuch Uwe Johnson" entstanden. Finanziert vom Land für Mecklenburg-Vorpommerns Oberschüler, die mit diesen Texten lernen und begreifen sollen, warum es wichtig ist zu wissen, woher man kommt. Die exzellente Lesebuchreihe mit Uwe Johnson zu beginnen war kühn, aber absichtsvoll und nahm sich, unter anderem, ein Lesebuch für den amerikanischen Deutschunterricht zum Vorbild, das Johnson selbst herausgegeben hatte.
REGINA MÖNCH
Uwe Johnson: "Werkausgabe". Abteilung Werke, Band 2: "Mutmassungen über Jakob".
Hrsg. von Astrid Köhler u.a. Suhrkamp Verlag, Berlin 2017. 466 S., geb., 42,- [Euro].
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»Dieses Buch ... heute noch einmal zu lesen ist eine Offenbarung.« Regina Mönch Frankfurter Allgemeine Zeitung 20170503