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Ist es wirklich so schwer, Vater zu sein? Der eine Teil der Gesellschaft wünscht ihn schwächer, der andere stärker. Kein Wunder, dass es viele Männer inzwischen dankend ablehnen, eine Familie zu gründen und Vater zu werden. Aus der historischen Vogelperspektive liefert Dieter Thomä, unter den Philosophen der Spezialist für Familienfragen, neue Argumente für die immer noch aktuelle Debatte über gutes und schlechtes Vatersein. Allen Vätern und jenen, die noch Väter werden könnten, empfiehlt er Gelassenheit. Denn die Schlachten um das Familienoberhaupt sind geschlagen.

Produktbeschreibung
Ist es wirklich so schwer, Vater zu sein? Der eine Teil der Gesellschaft wünscht ihn schwächer, der andere stärker. Kein Wunder, dass es viele Männer inzwischen dankend ablehnen, eine Familie zu gründen und Vater zu werden. Aus der historischen Vogelperspektive liefert Dieter Thomä, unter den Philosophen der Spezialist für Familienfragen, neue Argumente für die immer noch aktuelle Debatte über gutes und schlechtes Vatersein. Allen Vätern und jenen, die noch Väter werden könnten, empfiehlt er Gelassenheit. Denn die Schlachten um das Familienoberhaupt sind geschlagen.
Autorenporträt
Dieter Thomä, geb. 1959, ist Professor für Philosophie an der Universität St. Gallen und derzeit Fellow am Getty Research Institute, Los Angeles. Veröffentlichungen u.a.: Die Zeit des Selbst und die Zeit danach. Zur Kritik der Textgeschichte Martin Heideggers 1910-1976 (1990); Eltern. Kleine Philosophie einer riskanten Lebensform (1992, 32002); Erzähle dich selbst. Lebensgeschichte als philosophisches Problem (1998); Unter Amerikanern. Eine Lebensart wird besichtigt (2000).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.10.2008

Der Vater hat die Hosen nicht mehr an
Dieter Thomä sucht kulturgeschichtliche Gründe für die Misere der Papas / Von Bettina Engels

Ist denn heute, vierzig Jahre, in unserer Zeitrechnung also gerade mal eine Generation, nachdem die 68er den Patriarchen in hohem Bogen aus seinem Familiensitz warfen, die Zeit wirklich schon wieder reif, um der geschassten Autorität ein Eckchen zu kehren? Nicht unbedingt, könnte man meinen, und ein bisschen schmeckt die "moderne Heldengeschichte", die der zweifache Vater und Philosophieprofessor Dieter Thomä über "Väter" auftischt, wie guter Wein in nicht mit letzter Gründlichkeit ausgespülten Schläuchen. Doch eins nach dem anderen.

Worum geht es in Thomäs Bilderbogen der Väterkultur? Zunächst einmal um die Tatsache, dass sich Männer und Frauen (z. B. in Deutschland) spät oder gar nicht, auf jeden Fall aber zu selten zum Elternsein entschließen. Das bringt die bekannten demographischen Schwierigkeiten einer alternden Gesellschaft mit sich. Je weniger selbstverständlich das Leben mit Kindern ist, desto häufiger muss man zweitens konstatieren, dass sich Eltern kein Bild von ihrer jeweiligen Elternrolle machen. Schlecht gerüstet stolpern sie in das Abenteuer Familie. Es sind dann, nach Thomäs plausibler Diagnose, eher die Männer, die ihr Heil in der Flucht suchen. Wenn sie können, gehen sie tagsüber im sicheren Hafen der Arbeit vor Anker, um erst nach Einbruch der Dunkelheit wieder Familiensegel zu setzen. Ein solches Manöver bringt aber nicht nur den Haussegen in Schieflage (Geschlechterverhältnis), sondern nimmt auch dem Kind die Chance, im "Gesellschaftsspiel der Generationen" anzukommen, um die "Fackel des Lebens weiterzureichen", sagt Thomä.

Die Krankheit, die spätestens seit Alexander Mitscherlichs einflussreicher Studie als "Vaterlosigkeit" betitelt wird, hat Thomä zufolge eine Geschichte, die bis ins 17. Jahrhundert zurückreicht. In Anlehnung an Mitscherlichs These vom "Erlöschen des Vaterbilds" erklärt er, dass die Vaterlosigkeit "Teil des Programms der Moderne" sei. Mit Fortschritt und Emanzipation, so scheint es, ist unwillkürlich die Abdankung, Absetzung oder Verwerfung des Vaters verknüpft. Auf der Suche nach einem Schuldigen für die Vatermisere landet Thomä zunächst beim englischen Philosophen John Locke, der mit einer kleinen Streitschrift gegen den Absolutismus ("Morbus gallicus" - ein damals geläufiger Name der Syphilis) das Patriarchat "zur Strecke gebracht" und durch den Gesellschaftsvertrag ersetzt habe. Das Patriarchat begreift Thomä als umfassende Welt- und Gesellschaftsordnung mit dem göttlichen Vater an der Spitze, dem von ihm autorisierten Monarchen in der Mitte und dem "pater familias" als Miniaturausgabe des absoluten Herrschers am unteren Ende.

In der Französischen Revolution sieht Thomä diesen väterfeindlichen Schachzug auf dramatische Weise vollendet: Nicht der imaginierte Vertrag zwischen Freien und Gleichen soll hier mit der Macht des Vaters brechen, sondern die reale Versammlung der Generalstände beschließt die Enthauptung des Monarchen. Weil sich die Revolutionäre im Namen der Brüderlichkeit aber bald gegenseitig zerfleischen, bringt der inszenierte Vatermord nicht die erhoffte Befreiung, sondern endet im Terror. "Sie ist wie Saturn, der nach und nach die eigenen Kinder verschlingt", soll der Abgeordnete Vergniaud kurz vor seiner Guillotinierung über die Revolution gesagt haben. Die Revolution scheitert, so kann man Thomäs impressionistischer Deutung einer Reihe von Bildern und Texten der Revolutionszeit entnehmen, weil sie genau wie der "sterile Mechanismus" des Gesellschaftsvertrags das Band zwischen den Generationen zerreißt.

Vom Vatermord zur Kinderlosigkeit: Worauf die Zerstörung der Familienbande in letzter Konsequenz hinausläuft, zeige die russische Revolution. Die gegen Tradition und Autorität entfesselte Gewalt habe sich hier ganz buchstäblich gegen die Kinder gekehrt, die entweder in "Arbeitskommunen oder Kinderheimlaboratorien" gesteckt oder gar nicht erst zur Welt gebracht worden seien. Der vermeintliche Umstand, dass noch im Moskau der dreißiger Jahre drei von vier Schwangerschaften mit einer Abtreibung geendet hätten, legt Thomä der familienfeindlichen Gesetzgebung der frühen So-wjetzeit zur Last: Ehebruch, Abtreibung oder Inzest seien gleichermaßen willkommen gewesen. Alarmiert vom freien Fall der Geburtenrate habe erst Stalin die Eltern wieder zum Austragen und Erziehen ihrer Kinder verpflichtet.

Mit dem Lockeschen Vertragsgedanken und der revolutionären Idee der Volksversammlung nagen also zwei Grundprinzipien des demokratischen Rechtsstaats an der Familienfeste. Das sozialistische Experiment erscheint im Hinblick auf den Generationengang nur noch als blutige Karikatur seiner selbst. Und auch der Kapitalismus ist letztlich Gift für die Familie, weil sich dem Kosten und Nutzen kalkulierenden Geist der Sinn von Fortpflanzung nicht erschließt. Spätestens an dieser Stelle fragt man sich allerdings, worauf Thomäs kulturkritischer Rundumschlag eigentlich hinauslaufen kann. Dass sich die Gesellschaft in der Moderne ausdifferenziert hat und ihre Teilbereiche oder Systeme unterschiedliche, zum Teil widersprüchliche Anforderungen an den Einzelnen stellen, dürfte heute kein Gesellschaftstheoretiker ernsthaft bezweifeln. Und auch für den Zweifrontenkampf der Familie gegen Wirtschaft und Staat hat Jürgen Habermas schon in den achtziger Jahren die griffige Formel einer "Kolonialisierung der Lebenswelt" gefunden.

Wenn man die Vaterlosigkeitsthese noch einmal durch die Habermassche Brille liest, erkennt man die Umrisse einer Problematik, die Thomä gewissermaßen von Mitscherlich geerbt hat. Die Rationalitätskritik der alten Frankfurter Schule - zu der eben auch Mitscherlich gehört - war in der Aporie geendet, dass die Kräfte der kapitalistischen Modernisierung die Fundamente der Subjektivität aufzehren. Dieser Einsicht in die "Dialektik der Aufklärung" hatte Mitscherlich mit dem Stichwort der Vaterlosigkeit einen neuen Drall gegeben, der vielleicht gerade wegen seiner semantischen Unberechenbarkeit in den sechziger Jahren Furore machte. Die Nachkriegsgeneration konnte Mitscherlichs schillernden Begriff auf die Gefallenen der beiden Weltkriege und die in Werkshallen und Büros verschwindenden Arbeitnehmer-Väter beziehen. Ihr eigener Protest gegen die Täter und Mitläufer des Nationalsozialismus war ebenso mitgedacht wie die ideologische Verunsicherung der Kriegsgeneration. Er brachte sowohl die utopische Hoffnung auf eine antiautoritäre Gesellschaft als auch die schmerzliche Erfahrung von Orientierungslosigkeit zum Ausdruck.

Obwohl Thomäs Kritik an den kapitalistischen Verhältnissen eine etwas andere Strategie einschlägt, spannt er doch den Bogen seines Vater-Themas ähnlich weit wie Mitscherlich, von der ökonomischen Rationalität über die Psychoanalyse kindlicher Identifikationsprozesse bis hin zu Erziehungsfragen, die das Selbstbild heutiger Väter (und nebenbei gesagt: auch der Mütter) betreffen. Die Verklammerung von Psychologie und Politiktheorie aber führt den Leser auf eine unproduktive Fährte: Wenn die Vaterlosigkeit im Sinne einer Abschaffung des Patriarchats zum Programm der Moderne gehört, dann erfüllt der als Vater versagende Mann - wie ein umgekehrter Ödipus - nur seine tragische Mission. Wer versucht, seine Vaterrolle gegen das implizite Vaterverbot auszufüllen und dennoch modern zu interpretieren, wird zum tragischen Helden. Welche Konsequenzen das wiederum für die Verteilungskämpfe zwischen Vater und Mutter hat, "die in unseren Tagen aus kaum einer Beziehung wegzudenken sind", muss man nicht lange ausbuchstabieren: Alles bleibt beim Alten.

Vor lauter geschichtsphilosophischem Überbau sollte man abernicht übersehen, dass es Thomä eigentlich auf grundsympathische Weise um das harte, beglückende Geschäft des Familienalltags geht. Die gewiss nicht tragische, aber doch paradoxe Aufgabe des Vaters könnte man frei nach Anton Makarenko, dem großen sowjetischen Pädagogen, als kreative Balance zwischen Fürsorge-Realität und Gleichheitsutopie beschreiben. Denn nur, wenn sich der Vater im Geist egalitärer Menschlichkeit - der Empfindung, die als "Sympathie" im Zentrum von Adam Smiths "Theorie der ethischen Gefühle" steht - mit seinen Kindern verbunden weiß, wird seine Autorität kein "angemalter und unbeweglicher Popanz" sein, sondern aus der aktiven Teilhabe am "erfüllten, leuchtenden und zarten Leben" seiner Kinder erwachsen. Dieser Empfehlung Makarenkos folgend, fordert Thomä den Vater auf, seinen Kindern ein doppelter Lebenshelfer zu sein: Er solle sie das Können und das Wollen lehren. Sein pädagogischer Eros träume davon, "dass den Kindern, die von inneren und äußeren Hemmnissen und Verlockungen umringt sind, ihr Wünschen gelingt". Bei Freud heißt dieser Traum unbedingter Vaterschutz.

Dieter Thomä: "Väter". Eine moderne Heldengeschichte. Carl Hanser Verlag, München 2008. 367 S., geb., 24,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Ambivalent wirkt Peter Michalzik bei seiner Besprechung von Dieter Thomäs Buch über die Rolle des Vaters in unserer Gesellschaft. Sein Bedarf an Familien-, Mutter-, Väterbüchern ist nach seiner Auskunft eigentlich längst gedeckt, zum Thema scheint ihm alles gesagt. Dennoch äußert er sich wohlwollend über Thomäs ernsten Blick auf die Vater-Figur, scheint ihm doch vieles, was der Philosoph zu berichten weiß, durchaus erhellend. Ausführlich referiert er dessen Überlegungen zur Krise des Vaters, schätzt seinen Überblick über die Geschichte der Vaterrolle in der Neuzeit und unterstreicht seine kritische Auseinandersetzung mit ökonomischen Individualisten und Berufsjugendlichen, aber auch denen, die zur guten alten Kleinfamilie zurück wollen. Thomäs Versuch, den Vater als "Lebenshelfer" seiner Kinder einzusetzen, und sein Ruf an die Männer, die Vaterrolle anzunehmen, findet er bisweilen etwas vage, was er aber nicht dem Autor ankreidet. Schließlich gehe es hier nicht um diskursives, sondern um praktisches Wissen. Insofern begrüßt er auch den Umstand, dass Thomä auf eine starke These verzichtet, mit der er zwar wunderbar in Talkshows diskutieren könnte, die aber echte Erkenntnis eher verhindern würde.

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