Produktdetails
  • Verlag: Hamy
  • Erscheinungstermin: 8. Februar 2008
  • Französisch
  • Abmessung: 210mm
  • Gewicht: 328g
  • ISBN-13: 9782878582352
  • ISBN-10: 2878582357
  • Artikelnr.: 22916224
  • Herstellerkennzeichnung
  • Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Autorenporträt
François Vallejo, geb. 1960, Professor für Altphilologie, lebt in Le Havre.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.03.2008

Die Revolution als Schlossgespenst

Ein französischer Adliger und sein Wildhüter in den Wirren der Revolution von 1848: In seinem historischen Roman zeigt François Vallejo, dass die Verkünder der neuen Weltordnung wider Willen mit Macht das Alte wiedererschaffen.

Von Joseph Hanimann

Oft genügt es schon, eine Romanfigur ins Säurebad ihrer Geschichtsepoche zu tauchen, um in den Oxydationsspuren ihre Beschaffenheit klar zu erkennen. Frankreich lässt mit seinen ausgeprägten historischen Aggregatmischungen - Absolutismus, Revolution, Restauration - diese Spuren besonders schön hervortreten. Das Leben des Philosophenbruders François Rousseau vor und nach den Revolutionswirren im gleichnamigen Roman von Stéphane Audeguy, die Irrungen eines Commune-Deserteurs in Jean Rouauds "Imitation du bonheur" waren in den letzten Jahren Beispiele dafür.

Monsieur Lambert, Wildhüter im Wald des Schlossguts Les Perrières in der Normandie, den uns der Autor dieses Buchs vorführt, tappt durch die Zeitenwende von 1848, also Revolution, dann Staatsstreich des Charles Louis Bonaparte, schließlich Zweites Kaiserreich. Oder sollte man statt des Titelhelden Lambert eher den ausgefallenen Schlossherrn anführen, Monsieur de l'Aubépine, der schwärmerisch stets die neue revolutionäre Weltordnung will und stets die alte neu schafft?

Dialektik von Herr und Knecht.

Die Romanhandlung knistert im Spannungsfeld zwischen den beiden Männern. Der französische Originaltitel lässt die Prioritätsfrage offen und nennt keinen von beiden. "Ouest", Westen, heißt in Frankreich kurz und knapp das Buch. Der Titel liefert nur eine ungefähre Großraumangabe mit historischem Hintergrund. Er bezeichnete einen fiktiven Ort weitab von Paris, wo die revolutionsfeindlichen "Chouans"-Aufstände noch lange anhalten und die aristokratischen Herrschaften - zumindest im Kopf - manchmal fortschrittlicher sind als das Volk.

Lambert ist der Einzige, den der neue Schlossherr de l'Aubépine nach dem Tod seines tyrannischen Vaters aus dem Dienstpersonal behalten hat. Liegt es an der sentimentalen Zuneigung des jungen Barons für die Herkunft seines Wildhüters, angeblich Sohn eines Soldaten der Großen Revolution? Ein seltsamer, unausgeglichener Zwang bindet die beiden Männer aneinander. "Gehen Sie voran. Sie sehen, ich spreche als Republikaner zu Ihnen. Das Volk soll mich führen", sagt der Baron zu seinem verwunderten Wildhüter beim ersten gemeinsamen Gang durch den Gutswald. Dass sein Untergebener von einem Weißenschlächter abstammt, gefällt dem Abkömmling eines "Weißen".

Dem Wildhüter Lambert hingegen gefallen die ideologischen Launen seines Herrn gar nicht. Alles verwundert ihn an diesem Sonderling. Für die Jagdhunde, die er, Lambert, unter dem alten Schlossherrn noch zur folgsamen Meute dressiert hatte, interessiert der junge Baron sich keine Spur. Ihn interessieren nur die Leute. Bei der Niederkunft von Lamberts Frau Eugénie legt der Adlige in Ermangelung einer Hebamme sogar selbst mit Hand an - mit nicht ganz klaren Nebenabsichten. Immer will er mit seinen Untergebenen kameradschaftlich anstoßen und macht sie, wenn sie zögern, dann doch herrisch nieder. Und wenn der Baron an einem Februarmorgen 1848 sein Cabriolet einspannen lässt, um die Revolution im fernen Paris nicht zu verpassen, erklärt er seinem Wildhüter vor der Abfahrt: Sollte er, was er hoffe, nicht zurückkehren, dann gehöre das ganze Anwesen ihm, seinem Wildhüter: "Alles hier gehört dem Volk." - "Dem Volk oder mir, Monsieur?", fragt der Bedienstete ratlos.

Der achtundvierzigjährige François Vallejo, der hier seinen sechsten Roman vorlegt und den ersten auf Deutsch, ist kein Spezialist historischer Belletristik. Zwar ließ auch sein vorletztes Buch "Le voyage des grands hommes" schon einen Vorfahren Lamberts auftreten, einen Diener in der noch ziemlich soliden Aristokratengesellschaft des achtzehnten Jahrhunderts. Die eingefügten realen historischen Figuren und Ereignisse sind bei ihm aber nur Rohstoff für die Fiktion einer an Perversion grenzenden Psychologie zwischen Herr und Knecht.

Der Lambert dieses Buchs kann sich nicht mehr wie seine Vorfahren einfach mit dem Beobachten und wortlosen Beurteilen der Herrschaften begnügen. Er wird durch die Launen des Barons immerfort aus dem Gleichgewicht seiner Weltordnung gebracht. Je mehr der Baron ihn in revolutionäre Debatten verwickelt und in der Schlossbibliothek zum Verbrennen der alten Folianten anhält, um für die Werke der Frühsozialisten Proudhon und Fourier Platz zu machen, versteift der Diener sich auf die Disziplinierung seiner Jagdhundemeute. Von einer neuen Ordnung will er nichts wissen. Bei seinem ersten Urnengang nach der Revolution von 1848 wählt er instinktiv so, wie sein Herr wohl wählen würde, für die Liste der Fortschrittlichen, und ärgert sich danach sofort über seine eigene Unterwürfigkeit.

Dieser Abnützungskrieg mit verkehrten Fronten führt in der detaillierten, gerafften Darstellung Vallejos zu reizvoll abstrusen Situationen, wo manchmal der Herr auf dem Kutscherbock und der Dienstmann gequält im Wagenfond sitzt. Doch zieht dieses Zeremoniell sich auch arg in die Länge. Gewiss bietet der verhockte "Westen" dieses Schlosswalds alles andere als jene Weite, wo neue Weltordnungen entstehen. Er bildet ein sich verengendes Netz aus Sozialrollen, in dem die beiden Protagonisten gemeinsam zappeln.

Diese Enge müsste aber zum Ausdruck gebracht werden und den Erzählrhythmus einschnüren. Das Gegenteil ist hier der Fall. Das Kommen und Gehen des Barons mit Cabriolet oder Leiterkarren, seine seltsamen Rituale nachts oben im Schloss, wo er Prostituierte nackt durch die kalten Gänge treibt und danach deren Unterkleider zerfetzt, das Ducken der Lamberts unten im Wildhüterhaus, selbst wenn im Schloss auf mysteriöse Weise Frauen verschwinden - dies alles läuft narrativ ins Leere und bleibt unscharf.

Es ist, als hätte der Autor bei seinem Doppelporträt Mühe mit dem Fokus gehabt. "Der verwackelte Wildhüter auf dem Foto ist Lambert" - sagt der Erzähler im Eingangssatz des Buchs. Das Foto ist unscharf, weil just beim Abdrücken des damals neuartigen Apparats der Schlosshund Rajah ins Bild sprang. Immer diese Hunde - sie sind die geheimen Hauptakteure dieses Romans. Der Baron fürchtet sich vor ihnen. Auch von ihm gab es ein Foto, ohne Hund, und der Wildhüter hat es vernichtet. So bleibt von ihm weder ein Bild noch eine klare Leseerinnerung.

Diese an sich interessante Figur erscheint zu verstiegen, um psychologisch und politisch glaubwürdig, zu kauzig, um unheimlich zu wirken, selbst wenn sie oben im Schloss nach dem Hantieren mit dem Rasiermesser Lamberts sechzehnjähriger Tochter Magdeleine sexuell nachstellt. Der Baron de l'Aubépine vertrottelt in seiner Doppelobsession aus Erotik und Politik. Unentwegt schreibt er Briefe an den auf Guernsey im Exil weilenden Schriftsteller Victor Hugo, den er heimlich zurück nach Frankreich holen will - "wir werden die westlichen Provinzen für ihn aufstehen lassen". Um dieses abstruse Vorhaben seines Herrn abzuwenden, muss Monsieur Lambert schließlich doch über seinen Schatten springen. Er ringt sich zum Handeln durch und schließt den Baron kurzerhand in seine Schlossgemächer ein.

Vielleicht ist das ein Irrtum. Vielleicht hätte er in ihrer beider Interesse den Herrn besser nach Guernsey ziehen lassen, damit die inzestuöse Wahnwelt dieses Romans an einem Stück historischer Realität statt an sich selbst zerbricht. Das Kapitel von der Begegnung mit Victor Hugo habe er geschrieben, dann weggestrichen, erklärte der Autor nachträglich in Interviews. Mit der Zuspitzung auf dieses Ereignis hin hätte er seinen im ersten Drittel verheißungsvollen Roman vielleicht retten können.

Die Übersetzerin Christel Gersch tut, was sie kann, um über die abrupten Tonwechsel der direkten Rede hinweg die Spannung zu halten. Sie kann aber auch nur auf Distanz den Baron in den Tod, den Wildhüter aufs Stellenbüro, die Epoche in eine ungewisse Wende begleiten. Das Schlossgespenst gibt Ruhe, und die Jagdhunde des Monsieur Lambert finden ein trauriges Ende.

- François Vallejo: "Monsieur Lambert und die Ordnung der Welt". Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Christel Gersch. Aufbau Verlag, Berlin 2008. 253 S., geb., 19,95 [Euro].

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