Die Untoten geistern schon lange durch die Menschheitsgeschichte. In der speziellen Gestalt als Vampir oder Nosferatu tritt er erstmals Mitte des 18. Jahrhunderts in Erscheinung. Seit Bram Stokers Roman Dracula (1897) ist er aus der Literatur nicht mehr wegzudenken. Und mit Francis Ford Coppolas Verfilmung von Stokers Roman aus dem Jahr 1992 hat das Vampir-Dasein endgültig die Form des verklärten Rebellentums angenommen.Der Literaturwissenschaftler Andreas Puff-Trojan folgt in seinem Essay Figur und Mythos des Vampirs auf drei Ebenen: historisch - literarisch - philosophisch.Historisch war der Vampir im 18. Jahrhundert eine reale Gefährdung der Ordnung. Von Maria Theresia entsandte Kommissionen liefern Berichte zu mysteriösen Vorkommnissen an den Rändern des habsburgischen Reiches, die geheim bleiben sollen, aber über die Presse schnell eine von Angstlust geschüttelte Öffentlichkeit erreichen. Diese sagenhaften Vampirepidemien" werden alsbald literarisiert, somit ins Reich der Fantasie überführt und für die Ewigkeit aufbereitet. Das vampirische Treiben ist aber nicht nur Ausgangsmaterial für ein gruseliges Horrorgenre, sondern bringt Aber-Glaube und Vernunft in ein eigentümliches Spannungsverhältnis und wird damit zu einem Symptom für eine Gesellschaft im Umbruch. Der Vampir entpuppt sich als Kulturfolger, den die aufgeklärte Moderne nicht abzuschütteln vermag, da er ihre Schattenseiten wie kaum eine andere Figur zum Ausdruck bringt.Puff-Trojan untersucht dieses Verhältnis mithilfe der Philosophien von Ludwig Wittgenstein und Martin Heidegger, die sich zwar nicht mit Vampirismus befasst haben, aber Fragen formulieren, die einem scheinbar trivialen Phänomen abgründige Tiefe verschaffen: Mit Wittgensteins Überlegungen zur "Gewissheit" wird die Problematik, ob es gewiss sei, dass es (k)einen Vampir gibt, hintertrieben;und mit Heideggers Überlegung, dass "der Tod im weitesten Sinn ein Phänomen des Lebens ist", wird uns aufgeklärten Menschen ohnehin der Boden der Realität unter den Füßen weggezogen. Tod und Vampir sind, um mit Heidegger zu sprechen, "existenziell eine phantastische Zumutung".
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Vampire als Faszinosum der menschlichen Kulturgeschichte und Spiegel moralischer und sexueller Spannungen, darin sieht Rezensent Oliver Pfohlmann viel Potenzial. Etwas enttäuscht stellt er aber fest, dass Andreas Puff-Trojan in seinem Essayband auf konservativen Pfaden bleibt und den Vampir vor allem als Objekt der Angst behandelt, der die Menschen mit ihrem Tod konfrontiere. Mit diesem Fokus geht für den Rezensenten nicht nur der Facettenreichtum dieser Gestalt verloren, er erscheint ihm zudem nicht sonderlich plausibel, denn mit dem Tod konfrontieren uns auch Zombies und Gespenster. Sie sind dabei nur nicht so wandlungsfähig, meint Pfohlmann. Interessanter wird es für ihn, wenn der Autor über den Vampir in der Literatur schreibt, auch wenn er die "sexuelle Grundierung" von Bram Stokers "Dracula" weitestgehend ignoriert, bedauert der Rezensent.
© Perlentaucher Medien GmbH
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