Lange hat sie ihm geglaubt, dem Vater. Und irgendwann gewußt: Was er ihr einträufelte, war kein heil(s)bringendes Elixier, sondern ein Gebräu aus süßlichen Lebenslügen, falscher Loyalität und verbogenem Gerechtigkeitsgefühl. Das Brennen spürt sie auch jetzt, da sie im Zug ihrer alten Heimat entgegenrollt: Wird sie ihrem Vater - und wird er ihr verzeihen können? Mit -kratzbürstiger, unerbittlicher Kraft- erzählt Carmen-Francesca Banciu von ihrer Kindheit und Jugend in Rumänien, eine aufwühlende Geschichte vom Zusammenprall der Generationen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.11.1998Ein Puppenwagen zuviel
Carmen-Francesca Banciu darf nicht gähnen
Die rumänische Schriftstellerin Carmen-Francesca Banciu, geboren 1955, lebt seit sieben Jahren in Berlin und hat bereits einige Bücher in deutscher Übersetzung publiziert. Jetzt ist ihr erster Roman erschienen, der in deutscher Sprache verfaßt wurde. Den Rahmen dieses kurzen Textes bildet die erste Reise der Erzählerin in die Heimat nach Jahren des Exils. Die Wiederbegegnung mit dem unverbesserlich kommunistischen Idealen anhängenden Vater ist Anlaß zu einer schonungslosen Rückschau auf die Deformationen der Kindheit und Jugend eines sozialistischen "Wunderkinds", das zur Dissidentin wurde.
Der Diktatur der Partei entspricht das Diktat der linientreuen Eltern, musterhaften Genossen, die aus den Wirren des Kriegs und der Nachkriegszeit ihre eigenen Wunden mitgebracht haben und sie unter Parteiabzeichen verbergen. Das stille Duckmäusertum will die schlafenden Hunde der Erinnerung nicht wecken. Im Kraftfeld zwischen einer unbewältigten, tabuisierten Vergangenheit und der alles bestimmenden chimärenhaften Zukunft wird das Individuum auf eine trostlose Gegenwart zusammengeschrumpft, in der Glück unter den Verdacht der Konterrevolution gerät.
"Ich selbst mußte immer wieder ein Beispiel sein. Ein Wunderkind nannte man mich. Und diese Last war unerbittlich. Wir waren eine exemplarische Familie. Denn wie sonst kann man Menschen nennen, dir nur dafür leben, daß sie ein lebendiges Beispiel für die anderen sind." Geburtstage werden in einer Familie der "Neuen Menschen" nicht gefeiert. Die Großmutter mütterlicherseits, die den Vater nur den "Genossen" nennt, erzählte vom ersten und einzigen Weihnachtsbaum in der Familie, an dem der Vater ein atheistisches Exempel statuiert. Heimlich nimmt die Oma ihre Enkelin mit in die Kirche und läßt sie die Füße Jesu küssen.
Noch die unschuldigsten Kinderwünsche werden unter politischen Vorzeichen wahrgenommen. Brieffreundschaften mit dem Ausland folgen der Maßgabe außenpolitischer Rücksichten. Rumänien nahm im Ostblock eine gewisse Sonderrolle ein, kultivierte seine Beziehungen zu Maos China und mißbilligte später die Niederschlagung des Prager Frühlings. Doch statt des im Überfluß vorhandenen chinesischen Blechspielzeugs wünscht sich das politisch unkorrekte Kind einen "kapitalistischen" Puppenwagen aus Deutschland. "Ich weiß nicht, ob nicht schon damals der Untergang des Sozialismus beschlossen war, als die Mädchen des PCR-Blocks ihre dekadenten Puppenwagen bekamen."
Die Mutter, nach einer nie zugegebenen Vergewaltigung zu jeder wirklichen Nähe unfähig, verschließt sich ihrer Tochter und verschleißt sich im Opfer für die Parteiräson; der Vater ist persönlich meist abwesend und doch präsent als verinnerlichte Autorität des Allgemeinen, dem jede Lust und jeder Wunsch unterzuordnen ist: "Ertragen. Beherrschen. Überwinden. Ich sollte es auch lernen. Meinen Schlaf sollte ich beherrschen. In einer beherrschten, ästhetischen Position schlafen. Laß dich nicht gehen. Kontrolliere dich jederzeit. Entspanne keine Minute. Du sollst nicht gähnen, wenn ich mit dir spreche." Ein selbstbestimmter Umgang mit der Sexualität gilt den Eltern als Inbegriff von Verantwortungslosigkeit und Leichtsinn; kleinbürgerliche Begriffe von Ehre und Ordnung werden zu revolutionären Tugenden geadelt.
Die im Abstand zu 1989 zunehmend selektive Erinnerung an den Alltag im Sozialismus blendet oft aus, daß dort eine eigene, nicht weniger mörderische Form der Konkurrenz herrschte, wenngleich das Spektrum der anerkennungswürdigen Fähigkeiten dem sozialistischen Mustermann entsprechend begrenzt war. Ballettanzen galt als Relikt der Bourgeoisie, Gymnastik dagegen stählte den Körper des "Neuen Menschen". Fremdsprachenkenntnisse dienten der Gesellschaft, Romane nicht.
Die Wertschätzung, die Ceauçescu anfangs im Westen genoß, wurde im Innern zur Rechtfertigung von Unterdrückung und Bespitzelung benutzt. Gegen die angeblich drohende Gefahr, von den Sowjets wie Prag mit Gewalt auf Vordermann gebracht zu werden, wurde das lückenlose Schließen der eigenen Reihen propagiert, jedes Anzeichen kritischen Denkens war im Keim zu ersticken. Als die Erzählerin nach dem Schulabschluß die katastrophalen Versorgungsverhältnisse auf dem Land kennenlernt, will sie eine Demonstration organisieren und gerät in die Fänge der Securitate. Ihre Erziehung zur Verantwortung für das Ganze erweist sich als Bumerang, der jugendliche Idealismus wird gleich doppelt verraten. Der Gedankenterror der täglichen Verhöre führt schließlich zum völligen Zusammenbruch.
Im Widerstand formt sich jedoch ein Ich, das von nun an seinen Weg in die Freiheit der Kunst kompromißlos verfolgen wird, bis hin zur Emigration, zu dem "Verrat" am Vater und am Vaterland. Doch die wirkliche Befreiung gelingt erst in der Rückkehr: "Sieben Jahre sind eine gute Zeit. Eine Zeit der Erneuerung. Des Vergebens."
Banciu bedient sich einer einfachen und schnörkellosen Sprache, die ihrem Gegenstand, einer Kindheit ohne jedes spielerische, lustvolle Element, vollkommen entspricht. Die elliptisch beschnittenen Sätze und die Scheu vor jeder metaphorischen Verkleidung dienen einer kühlen, Schmerz und Selbstmitleid im Zaumzeug der Sprache haltenden Bemächtigung der Vergangenheit. Vielleicht ist die Entscheidung für das Deutsche eine Strategie der Selbstdisziplinierung, eine Kanalisierung der Haßgefühle in die Bahnen eines mühsam angeeigneten Idioms. In der deutschen Sprache, die ihr anders als den rumäniendeutschen Autoren nur ein Rückzugsgebiet war, wird Carmen-Francesca Banciu schwerlich eine Heimat finden, eher schon: einen Fluchtpunkt. RICHARD KÄMMERLINGS
Carmen-Francesca Banciu: "Vaterflucht". Roman. Verlag Volk & Welt, Berlin 1998. 160 S., geb., 28,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Carmen-Francesca Banciu darf nicht gähnen
Die rumänische Schriftstellerin Carmen-Francesca Banciu, geboren 1955, lebt seit sieben Jahren in Berlin und hat bereits einige Bücher in deutscher Übersetzung publiziert. Jetzt ist ihr erster Roman erschienen, der in deutscher Sprache verfaßt wurde. Den Rahmen dieses kurzen Textes bildet die erste Reise der Erzählerin in die Heimat nach Jahren des Exils. Die Wiederbegegnung mit dem unverbesserlich kommunistischen Idealen anhängenden Vater ist Anlaß zu einer schonungslosen Rückschau auf die Deformationen der Kindheit und Jugend eines sozialistischen "Wunderkinds", das zur Dissidentin wurde.
Der Diktatur der Partei entspricht das Diktat der linientreuen Eltern, musterhaften Genossen, die aus den Wirren des Kriegs und der Nachkriegszeit ihre eigenen Wunden mitgebracht haben und sie unter Parteiabzeichen verbergen. Das stille Duckmäusertum will die schlafenden Hunde der Erinnerung nicht wecken. Im Kraftfeld zwischen einer unbewältigten, tabuisierten Vergangenheit und der alles bestimmenden chimärenhaften Zukunft wird das Individuum auf eine trostlose Gegenwart zusammengeschrumpft, in der Glück unter den Verdacht der Konterrevolution gerät.
"Ich selbst mußte immer wieder ein Beispiel sein. Ein Wunderkind nannte man mich. Und diese Last war unerbittlich. Wir waren eine exemplarische Familie. Denn wie sonst kann man Menschen nennen, dir nur dafür leben, daß sie ein lebendiges Beispiel für die anderen sind." Geburtstage werden in einer Familie der "Neuen Menschen" nicht gefeiert. Die Großmutter mütterlicherseits, die den Vater nur den "Genossen" nennt, erzählte vom ersten und einzigen Weihnachtsbaum in der Familie, an dem der Vater ein atheistisches Exempel statuiert. Heimlich nimmt die Oma ihre Enkelin mit in die Kirche und läßt sie die Füße Jesu küssen.
Noch die unschuldigsten Kinderwünsche werden unter politischen Vorzeichen wahrgenommen. Brieffreundschaften mit dem Ausland folgen der Maßgabe außenpolitischer Rücksichten. Rumänien nahm im Ostblock eine gewisse Sonderrolle ein, kultivierte seine Beziehungen zu Maos China und mißbilligte später die Niederschlagung des Prager Frühlings. Doch statt des im Überfluß vorhandenen chinesischen Blechspielzeugs wünscht sich das politisch unkorrekte Kind einen "kapitalistischen" Puppenwagen aus Deutschland. "Ich weiß nicht, ob nicht schon damals der Untergang des Sozialismus beschlossen war, als die Mädchen des PCR-Blocks ihre dekadenten Puppenwagen bekamen."
Die Mutter, nach einer nie zugegebenen Vergewaltigung zu jeder wirklichen Nähe unfähig, verschließt sich ihrer Tochter und verschleißt sich im Opfer für die Parteiräson; der Vater ist persönlich meist abwesend und doch präsent als verinnerlichte Autorität des Allgemeinen, dem jede Lust und jeder Wunsch unterzuordnen ist: "Ertragen. Beherrschen. Überwinden. Ich sollte es auch lernen. Meinen Schlaf sollte ich beherrschen. In einer beherrschten, ästhetischen Position schlafen. Laß dich nicht gehen. Kontrolliere dich jederzeit. Entspanne keine Minute. Du sollst nicht gähnen, wenn ich mit dir spreche." Ein selbstbestimmter Umgang mit der Sexualität gilt den Eltern als Inbegriff von Verantwortungslosigkeit und Leichtsinn; kleinbürgerliche Begriffe von Ehre und Ordnung werden zu revolutionären Tugenden geadelt.
Die im Abstand zu 1989 zunehmend selektive Erinnerung an den Alltag im Sozialismus blendet oft aus, daß dort eine eigene, nicht weniger mörderische Form der Konkurrenz herrschte, wenngleich das Spektrum der anerkennungswürdigen Fähigkeiten dem sozialistischen Mustermann entsprechend begrenzt war. Ballettanzen galt als Relikt der Bourgeoisie, Gymnastik dagegen stählte den Körper des "Neuen Menschen". Fremdsprachenkenntnisse dienten der Gesellschaft, Romane nicht.
Die Wertschätzung, die Ceauçescu anfangs im Westen genoß, wurde im Innern zur Rechtfertigung von Unterdrückung und Bespitzelung benutzt. Gegen die angeblich drohende Gefahr, von den Sowjets wie Prag mit Gewalt auf Vordermann gebracht zu werden, wurde das lückenlose Schließen der eigenen Reihen propagiert, jedes Anzeichen kritischen Denkens war im Keim zu ersticken. Als die Erzählerin nach dem Schulabschluß die katastrophalen Versorgungsverhältnisse auf dem Land kennenlernt, will sie eine Demonstration organisieren und gerät in die Fänge der Securitate. Ihre Erziehung zur Verantwortung für das Ganze erweist sich als Bumerang, der jugendliche Idealismus wird gleich doppelt verraten. Der Gedankenterror der täglichen Verhöre führt schließlich zum völligen Zusammenbruch.
Im Widerstand formt sich jedoch ein Ich, das von nun an seinen Weg in die Freiheit der Kunst kompromißlos verfolgen wird, bis hin zur Emigration, zu dem "Verrat" am Vater und am Vaterland. Doch die wirkliche Befreiung gelingt erst in der Rückkehr: "Sieben Jahre sind eine gute Zeit. Eine Zeit der Erneuerung. Des Vergebens."
Banciu bedient sich einer einfachen und schnörkellosen Sprache, die ihrem Gegenstand, einer Kindheit ohne jedes spielerische, lustvolle Element, vollkommen entspricht. Die elliptisch beschnittenen Sätze und die Scheu vor jeder metaphorischen Verkleidung dienen einer kühlen, Schmerz und Selbstmitleid im Zaumzeug der Sprache haltenden Bemächtigung der Vergangenheit. Vielleicht ist die Entscheidung für das Deutsche eine Strategie der Selbstdisziplinierung, eine Kanalisierung der Haßgefühle in die Bahnen eines mühsam angeeigneten Idioms. In der deutschen Sprache, die ihr anders als den rumäniendeutschen Autoren nur ein Rückzugsgebiet war, wird Carmen-Francesca Banciu schwerlich eine Heimat finden, eher schon: einen Fluchtpunkt. RICHARD KÄMMERLINGS
Carmen-Francesca Banciu: "Vaterflucht". Roman. Verlag Volk & Welt, Berlin 1998. 160 S., geb., 28,- DM.
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