Based on a rich variety of sources this book analyses the concept of "amor patria" (love of country) as a key element in 16th and 17th century political thought and its use in the pamphlet propaganda of the political and religious conflicts after the Reformation in Germany.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.10.2008Mit Rom fürs Reich
Alexander Schmidt sichtet patriotische Rhetorik
Cicero wurde in der Renaissance nicht nur für sein elegantes Latein bewundert und, wie Erasmus klagte, "äffisch" nachgeahmt, sondern auch für seine patriotische Gesinnung. Bisher herrschte die Meinung vor, seine Doktrin des idealen römischen Bürgers, der sich und die Seinen für das Heil des Vaterlands bereitwillig opfere, habe vor allem in den italienischen Stadtrepubliken - den vermuteten "Keimzellen" des modernen Republikanismus - dankbare Abnehmer gefunden. Dass Ciceros patriotische Rhetorik jedoch auch in ganz anderen politischen Verbänden Karriere machte, betont der Jenaer Historiker Alexander Schmidt in seiner Dissertation über "Vaterlandsliebe und Religionskonflikt" am Beispiel des Alten Reiches. Sein Belegmaterial ist beeindruckend. Schon in den 1530er Jahren wurde etwa Ciceros Schrift "De Officiis" in deutscher Sprache aufgelegt, und eine 1550 erschienene Ausgabe war sogar mit Reimen versehen, die Ciceros patriotische Rezepte zum Auswendiglernen anboten. Zur Frage, wie mit einem Tyrannen zu verfahren sei, hieß es da: "Tirannen und ein Hundt der tobt / Wer die ertödt, der wirt gelobt."
Schmidt befasst sich mit einer wechselvollen Phase der Reichsgeschichte, den knapp hundert Jahren vom Augsburger Religionsfrieden bis zum Ende des Dreißigjährigen Krieges. Methodisch verknüpft er zwei bisher getrennte Forschungsstränge: die mit den Namen Pocock und Skinner verbundene Republikanismustheorie angelsächsischer Prägung und die vorwiegend deutsche Forschung zu vormodernen Nationskonstruktionen. Sein Gegenstand ist gut gewählt, haben doch beide Forschungsrichtungen die Reichsgeschichte im konfessionellen Zeitalter bislang eher ausgespart: Während Pococks republikanische Freiheit auf ihrer Wanderung von Florenz in die USA das Reich untertunnelt, um in den Niederlanden wieder ans Licht zu kommen, tritt die Konfessionalisierung in den Erzählungen über die deutsche Nation vornehmlich als Zerstörerin dessen auf, was die Humanisten und der junge Luther an Zukunftsträchtigem zuvor mühsam aufgebaut haben.
Der doppelte Methodenansatz macht das Buch zu einer anregenden Lektüre, die gerade deshalb zum Weiterdenken animiert, weil des Autors Mut zum Wagnis ein paar offene Fragen hinterlässt und teilweise auch Widerspruch provoziert. Schmidts vielfältiges Quellenkorpus berücksichtigt gleichermaßen protestantische wie katholische Autoren. In beiden Lagern macht er patriotische Rhetoriken aus, die direkt an die Pflichten gegenüber der deutschen Nation und dem Reich appellierten und einander motivisch komplementär gegenüberstanden. Schmidt bezeichnet sie als "klassischen Patriotismus" und versteht sie im Sinne Skinners als "neo-römische" Pädagogik "aktiver" Bürgertugenden wie Freiheitsliebe, Opferwille, Wachsamkeit und Uneigennützigkeit. Aufschlussreich ist die Beantwortung der Frage, wer denn im Alten Reich überhaupt in die Rolle des "civis", des römischen Bürgers, schlüpfen konnte. Es war, je nach politischer Opportunität, die ganze Spannbreite von den Untertanen bis zu den Obrigkeiten auf dem Reichstag, den man passend als "senatus" bezeichnete. Vor allem aber nutzten die Gelehrten die Gelegenheit, sich selbst als politische Erzieher und Berater in die Nachfolge der römischen Bürger zu stellen.
Überzeugend fällt auch Schmidts Erklärungsansatz aus, warum die deutschen Protestanten den Diskurs über die deutsche Nation schon im 16. Jahrhundert klar dominierten. An der Abhängigkeit von ausländischen Mächten konnte es schwerlich liegen, denn die war überall ähnlich groß. Die propagandistische Stärke des Protestantismus war eher die Kehrseite seiner politischen Schwäche, das heißt einer mangelnden institutionellen Absicherung, die in Bedrohungssituationen regelmäßig die Druckerpresse als letzte Rettung erscheinen ließ. Offen bleibt die Frage, ob die dabei verbreiteten Appelle an die patriotischen Pflichten der Deutschen überhaupt an ein gemischtkonfessionelles Publikum gerichtet waren oder ob sie vielmehr dazu dienten, die letzten Kräfte im eigenen Lager zu mobilisieren.
Schmidts Unentschiedenheit in diesem Punkt hängt mit einer grundsätzlichen Spannung der Studie zusammen. Mit seiner Position gegenüber Pocock und Skinner, dass ihre Interpretation des klassischen Patriotismus als aktive Bürgertugend grundsätzlich zutreffe, dieser aber nicht nur in Republiken, sondern auch im Reich gediehen sei, reiht sich der Autor in die Forschungen seines Lehrers Georg Schmidt ein, der das Alte Reich verfassungsgeschichtlich der westlichen Staatsbildung zugeordnet hat.
Seine Quellen geben aber eher Anlass, Pocock und Co. fundamentaler zu hinterfragen. Um in ihnen eine Pädagogik aktiver Bürgertugenden zu finden, braucht es nämlich viel guten Willen. Auffallender ist dagegen die Verwendung des Patriotismus als propagandistische Waffe, die der Disziplinierung nach innen und der Diffamierung nach außen diente. Insofern lassen sich Schmidts Quellen eher als Beleg dafür lesen, dass die patriotischen Tugenden gerade deshalb für jeden Herrschaftsverband attraktiv waren, weil sie zur freiwilligen Unterwerfung unter ein als absoluter Wert verherrlichtes Gemeinwesen aufriefen. Ciceros Nachruhm als Patriot hat in Italien wie in Deutschland wenig mit "bürgerlichen" Werten zu tun, umso mehr aber mit dem Wunsch nach opferbereiten Untertanen bis zum selig machenden Märtyrertod.
CASPAR HIRSCHI
Alexander Schmidt: "Vaterlandsliebe und Religionskonflikt". Politische Diskurse im Alten Reich (1555-1648). Brill Academic Publishers, Leiden 2008. 512 S., Abb., geb., 99,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Alexander Schmidt sichtet patriotische Rhetorik
Cicero wurde in der Renaissance nicht nur für sein elegantes Latein bewundert und, wie Erasmus klagte, "äffisch" nachgeahmt, sondern auch für seine patriotische Gesinnung. Bisher herrschte die Meinung vor, seine Doktrin des idealen römischen Bürgers, der sich und die Seinen für das Heil des Vaterlands bereitwillig opfere, habe vor allem in den italienischen Stadtrepubliken - den vermuteten "Keimzellen" des modernen Republikanismus - dankbare Abnehmer gefunden. Dass Ciceros patriotische Rhetorik jedoch auch in ganz anderen politischen Verbänden Karriere machte, betont der Jenaer Historiker Alexander Schmidt in seiner Dissertation über "Vaterlandsliebe und Religionskonflikt" am Beispiel des Alten Reiches. Sein Belegmaterial ist beeindruckend. Schon in den 1530er Jahren wurde etwa Ciceros Schrift "De Officiis" in deutscher Sprache aufgelegt, und eine 1550 erschienene Ausgabe war sogar mit Reimen versehen, die Ciceros patriotische Rezepte zum Auswendiglernen anboten. Zur Frage, wie mit einem Tyrannen zu verfahren sei, hieß es da: "Tirannen und ein Hundt der tobt / Wer die ertödt, der wirt gelobt."
Schmidt befasst sich mit einer wechselvollen Phase der Reichsgeschichte, den knapp hundert Jahren vom Augsburger Religionsfrieden bis zum Ende des Dreißigjährigen Krieges. Methodisch verknüpft er zwei bisher getrennte Forschungsstränge: die mit den Namen Pocock und Skinner verbundene Republikanismustheorie angelsächsischer Prägung und die vorwiegend deutsche Forschung zu vormodernen Nationskonstruktionen. Sein Gegenstand ist gut gewählt, haben doch beide Forschungsrichtungen die Reichsgeschichte im konfessionellen Zeitalter bislang eher ausgespart: Während Pococks republikanische Freiheit auf ihrer Wanderung von Florenz in die USA das Reich untertunnelt, um in den Niederlanden wieder ans Licht zu kommen, tritt die Konfessionalisierung in den Erzählungen über die deutsche Nation vornehmlich als Zerstörerin dessen auf, was die Humanisten und der junge Luther an Zukunftsträchtigem zuvor mühsam aufgebaut haben.
Der doppelte Methodenansatz macht das Buch zu einer anregenden Lektüre, die gerade deshalb zum Weiterdenken animiert, weil des Autors Mut zum Wagnis ein paar offene Fragen hinterlässt und teilweise auch Widerspruch provoziert. Schmidts vielfältiges Quellenkorpus berücksichtigt gleichermaßen protestantische wie katholische Autoren. In beiden Lagern macht er patriotische Rhetoriken aus, die direkt an die Pflichten gegenüber der deutschen Nation und dem Reich appellierten und einander motivisch komplementär gegenüberstanden. Schmidt bezeichnet sie als "klassischen Patriotismus" und versteht sie im Sinne Skinners als "neo-römische" Pädagogik "aktiver" Bürgertugenden wie Freiheitsliebe, Opferwille, Wachsamkeit und Uneigennützigkeit. Aufschlussreich ist die Beantwortung der Frage, wer denn im Alten Reich überhaupt in die Rolle des "civis", des römischen Bürgers, schlüpfen konnte. Es war, je nach politischer Opportunität, die ganze Spannbreite von den Untertanen bis zu den Obrigkeiten auf dem Reichstag, den man passend als "senatus" bezeichnete. Vor allem aber nutzten die Gelehrten die Gelegenheit, sich selbst als politische Erzieher und Berater in die Nachfolge der römischen Bürger zu stellen.
Überzeugend fällt auch Schmidts Erklärungsansatz aus, warum die deutschen Protestanten den Diskurs über die deutsche Nation schon im 16. Jahrhundert klar dominierten. An der Abhängigkeit von ausländischen Mächten konnte es schwerlich liegen, denn die war überall ähnlich groß. Die propagandistische Stärke des Protestantismus war eher die Kehrseite seiner politischen Schwäche, das heißt einer mangelnden institutionellen Absicherung, die in Bedrohungssituationen regelmäßig die Druckerpresse als letzte Rettung erscheinen ließ. Offen bleibt die Frage, ob die dabei verbreiteten Appelle an die patriotischen Pflichten der Deutschen überhaupt an ein gemischtkonfessionelles Publikum gerichtet waren oder ob sie vielmehr dazu dienten, die letzten Kräfte im eigenen Lager zu mobilisieren.
Schmidts Unentschiedenheit in diesem Punkt hängt mit einer grundsätzlichen Spannung der Studie zusammen. Mit seiner Position gegenüber Pocock und Skinner, dass ihre Interpretation des klassischen Patriotismus als aktive Bürgertugend grundsätzlich zutreffe, dieser aber nicht nur in Republiken, sondern auch im Reich gediehen sei, reiht sich der Autor in die Forschungen seines Lehrers Georg Schmidt ein, der das Alte Reich verfassungsgeschichtlich der westlichen Staatsbildung zugeordnet hat.
Seine Quellen geben aber eher Anlass, Pocock und Co. fundamentaler zu hinterfragen. Um in ihnen eine Pädagogik aktiver Bürgertugenden zu finden, braucht es nämlich viel guten Willen. Auffallender ist dagegen die Verwendung des Patriotismus als propagandistische Waffe, die der Disziplinierung nach innen und der Diffamierung nach außen diente. Insofern lassen sich Schmidts Quellen eher als Beleg dafür lesen, dass die patriotischen Tugenden gerade deshalb für jeden Herrschaftsverband attraktiv waren, weil sie zur freiwilligen Unterwerfung unter ein als absoluter Wert verherrlichtes Gemeinwesen aufriefen. Ciceros Nachruhm als Patriot hat in Italien wie in Deutschland wenig mit "bürgerlichen" Werten zu tun, umso mehr aber mit dem Wunsch nach opferbereiten Untertanen bis zum selig machenden Märtyrertod.
CASPAR HIRSCHI
Alexander Schmidt: "Vaterlandsliebe und Religionskonflikt". Politische Diskurse im Alten Reich (1555-1648). Brill Academic Publishers, Leiden 2008. 512 S., Abb., geb., 99,- [Euro].
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