Eine leere Wohnung, nichts als ein Schrank. Ein junger Mann tritt das Erbe seines Vaters an. Er hat ihn nicht gekannt, der Vater ist ihm so fremd und ungreifbar wie das Land, das er nur aus der Erinnerung der Kindheit kennt: Deutschland. Noch in der gleichen Nacht will er zurück, seine Vergangenheit abschließen mit der Tür, die hinter ihm ins Schloß fällt, für immer.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.01.2004Wir sind Zitate
Albert Ostermaiers dramatischer Monolog „Vatersprache”
Ein Mann erbt die leere Wohnung seines toten Vaters. Der Mann heißt Wolf, ist allergisch gegen deutsche Linden und gegen den Vater, den er nie kennen gelernt hat. Der Abwesende ist alles andere als ein Sympathieträger, weil seine Deutschtümelei, sein dürres Denken und die Reste seines hässlichen Mobiliars ihn als Eichenholzspießer dastehen lassen. Aber die Gegenfigur, die der Erbe probehalber erfindet, wird genauso attackiert: Ein antiautoritärer Vater, Minima-Moralia-Leser und Vertreter des herrschaftsfreien Diskurses wäre wohl noch schlimmer gewesen. Der Sohn greift Nazi- und Achtundsechziger-Modell an, ascht auf den Teppich, telefoniert gelegentlich – Flüge müssen umgebucht, Partnerinnen vertröstet werden – und verlässt die Wohnung, nicht ohne dem Toten seine Nummer auf den Schrank geschrieben zu haben.
Albert Ostermaiers „Vatersprache” ist ein dramatischer Monolog in betont lyrischem Outfit. Wie schon in „Zwischen zwei Feuern. Tollertopographie”, dem Stück, mit dem Ostermaier Mitte der Neunziger als Dramatiker bekannt wurde, senden Kleinschreibung und fehlende Interpunktion deutliche Signale: Hier geht es um die Sprache selbst, und konsequenterweise ist der Text in der Edition Suhrkamp ohne Gattungsbezeichnung erschienen. An die zuletzt erschienenen Gedichte erinnern nicht nur die Enjambements, sondern auch die Stichwortlisten des Alltäglichen, vom Supermarkt bis zum mexikanischen Bier – die Klingeltöne gewissermaßen, die dem lamentierenden Sohn sein bisschen Coolness verschaffen.
Spiegel, Scherben
Der Monolog, der bei der Ruhrtriennale 2002 uraufgeführt wurde, spielt mit Zitaten, die Väter und Vaterland aneinander rücken und Kleists Kriegslyrik zwischen die umgebrochenen Zeilen schieben. Wolf sucht sich einen martialischen Metaphernfundus zusammen, in dem „Germania an ihre Kinder” ebenso Platz hat wie das gängigste Scherbenbild. Ihn regiert „die angst / dass du plötzlich vor mir stehst / wie ein spiegel den man zerschlagen / will damit das unglück einen grund / hat”.
Der Vater muss ausgetrieben werden, verlangen die Gedankenspiele mit bepinkelten Zimmerecken und komplettem Blutaustausch. Die Obsession, sämtliche Spuren des anderen mit den eigenen zu überschreiben, gipfelt in der Frage „warum muss ich mir / ein bild von dir machen / und kann dir nicht einfach / ins gesicht schlagen / meine züge aus deinem gesicht”.
Aber die rebellische Pose hat sich schnell erschöpft. Der Monolog wiederholt immer nur Familienähnlichkeiten, weil der Sohn vor allem das überdosierte Pathos und den Mangel an Selbstironie von den verhassten Vätern geerbt hat. Ob „kinder der revolution” oder „meine schuhe in / seinen abdrücken”, die Redewendungen und Klischees, die dem Rundumschlag eingebaut sind, behalten die Oberhand über den Text. Das können auch die selbstreflexiven Schleifen des Kämpfers nicht ändern, „weil wir / nichts als zitate sind zitate / aus eurem leben und aus / den schränken eure alten / klamotten klauben”.
JUTTA PERSON
ALBERT OSTERMAIER: Vatersprache. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2003. 59 Seiten, 6,50 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Albert Ostermaiers dramatischer Monolog „Vatersprache”
Ein Mann erbt die leere Wohnung seines toten Vaters. Der Mann heißt Wolf, ist allergisch gegen deutsche Linden und gegen den Vater, den er nie kennen gelernt hat. Der Abwesende ist alles andere als ein Sympathieträger, weil seine Deutschtümelei, sein dürres Denken und die Reste seines hässlichen Mobiliars ihn als Eichenholzspießer dastehen lassen. Aber die Gegenfigur, die der Erbe probehalber erfindet, wird genauso attackiert: Ein antiautoritärer Vater, Minima-Moralia-Leser und Vertreter des herrschaftsfreien Diskurses wäre wohl noch schlimmer gewesen. Der Sohn greift Nazi- und Achtundsechziger-Modell an, ascht auf den Teppich, telefoniert gelegentlich – Flüge müssen umgebucht, Partnerinnen vertröstet werden – und verlässt die Wohnung, nicht ohne dem Toten seine Nummer auf den Schrank geschrieben zu haben.
Albert Ostermaiers „Vatersprache” ist ein dramatischer Monolog in betont lyrischem Outfit. Wie schon in „Zwischen zwei Feuern. Tollertopographie”, dem Stück, mit dem Ostermaier Mitte der Neunziger als Dramatiker bekannt wurde, senden Kleinschreibung und fehlende Interpunktion deutliche Signale: Hier geht es um die Sprache selbst, und konsequenterweise ist der Text in der Edition Suhrkamp ohne Gattungsbezeichnung erschienen. An die zuletzt erschienenen Gedichte erinnern nicht nur die Enjambements, sondern auch die Stichwortlisten des Alltäglichen, vom Supermarkt bis zum mexikanischen Bier – die Klingeltöne gewissermaßen, die dem lamentierenden Sohn sein bisschen Coolness verschaffen.
Spiegel, Scherben
Der Monolog, der bei der Ruhrtriennale 2002 uraufgeführt wurde, spielt mit Zitaten, die Väter und Vaterland aneinander rücken und Kleists Kriegslyrik zwischen die umgebrochenen Zeilen schieben. Wolf sucht sich einen martialischen Metaphernfundus zusammen, in dem „Germania an ihre Kinder” ebenso Platz hat wie das gängigste Scherbenbild. Ihn regiert „die angst / dass du plötzlich vor mir stehst / wie ein spiegel den man zerschlagen / will damit das unglück einen grund / hat”.
Der Vater muss ausgetrieben werden, verlangen die Gedankenspiele mit bepinkelten Zimmerecken und komplettem Blutaustausch. Die Obsession, sämtliche Spuren des anderen mit den eigenen zu überschreiben, gipfelt in der Frage „warum muss ich mir / ein bild von dir machen / und kann dir nicht einfach / ins gesicht schlagen / meine züge aus deinem gesicht”.
Aber die rebellische Pose hat sich schnell erschöpft. Der Monolog wiederholt immer nur Familienähnlichkeiten, weil der Sohn vor allem das überdosierte Pathos und den Mangel an Selbstironie von den verhassten Vätern geerbt hat. Ob „kinder der revolution” oder „meine schuhe in / seinen abdrücken”, die Redewendungen und Klischees, die dem Rundumschlag eingebaut sind, behalten die Oberhand über den Text. Das können auch die selbstreflexiven Schleifen des Kämpfers nicht ändern, „weil wir / nichts als zitate sind zitate / aus eurem leben und aus / den schränken eure alten / klamotten klauben”.
JUTTA PERSON
ALBERT OSTERMAIER: Vatersprache. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2003. 59 Seiten, 6,50 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Jutta Person charakterisiert den Text von Albert Ostermaier als "dramatischen Monolog in betont lyrischem Outfit" und nicht nur die Kleinschreibung und die fehlende Zeichensetzung erinnern sie dann auch sehr an die Gedichte des Autors. In dem Bühnenmonolog, der 2002 uraufgeführt wurde, spricht - oder lamentiert, wie die Rezensentin etwas abschätzig schreibt - ein Sohn, der die Wohnung seines verhassten Vaters geerbt hat. Der Autor wartet mit einem ziemlich "martialischen Metaphernfundus" auf, findet Person, die in der rebellischen Pose des sprechenden Ichs allerdings vor allem "überdosiertes Pathos" und fehlende "Selbstironie" stören. Auch die im Text als Stilmittel eingesetzten "Redewendungen und Klischees" überzeugen sie nicht und es wird deutlich, dass sie diesem Monolog insgesamt nicht viel abgewinnen kann.
© Perlentaucher Medien GmbH
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