Auch Väter haben ihre Tage: Der Vater von Mr. Midgley triumphiert noch über sein Ende hinaus, der Vater von Mr. Bennett dagegenübertreibt seine Menschenscheu am Ende nun wirklich.Mr. Midgley hat den Tod seines Vaters schon oft herbeiphantasiert und sich selbst durchaus eine aktive Rolle dabei zugedacht. Am Ende läuft es aber doch ganz anders ab, als er es sich vorgestellt hat, und der Alte erweist sich ihm noch im letzten Moment als überlegen: Er schlägt genau dann ein letztes Mal die Augen auf, als der Sohn seinen Platz am Krankenbett mit dem im Bett derKrankenschwester vertauscht hat. Und seine letzten Worte zeugen von geradezu perfider Vaterliebe ...Von ganz anderem Kaliber ist dagegen Mr. Bennett sen., ein liebender Gatte, der keine Sekunde der Besuchszeit am Krankenbett seiner Frau verpassen möchte. Ein schüchterner Mann, der es nur unter gutem Zureden schafft, den Führerschein zu machen und sich in den Dschungel der Straßen zu stürzen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.08.2007Schamhaft
Dringend zu entdecken: Alan Bennetts intime Familiendramen
In England goutiert man schon lange den scharfen Humor des 1934 geborenen Schriftstellers Alan Bennett. Dessen oft kontaktgestörte, etwas unglückliche, suchende Figuren hat man in der Prosa, in Stücken und Drehbüchern lieben gelernt. Hier ist er immer noch zu entdecken - etwa mit dem Bändchen "Vatertage", das zwei "Beziehungsgeschichten" enthält. Die erste mit dem Titel "Vater, Vater lichterloh" war bereits 2002 als "Kurzroman" erschienen (F.A.Z. vom 24. Juli 2002). Ihr lässt der Wagenbach-Verlag die früher entstandene Erzählung "Mr. Bennett sen." folgen, eher ein Eltern- als ein Vaterporträt, das den auf die Pointe geschickt zustrebenden Perspektivismus der ersten Geschichte umso deutlicher macht: "Vater, Vater lichterloh" besticht, weil der Vater praktisch nicht vorkommt, die desolate Beziehung aber trotzdem offen zutage tritt.
Nun liegt der Vater im Sterben, und man mag einwenden, da sei es nicht schwierig, ihn kaum vorkommen zu lassen. Ihn nicht mal eines Blickes zu würdigen ist aber eben der erzählerische Trick: Verwandte kommen und sprechen über neue Autos; der Sohn kommt und ist entschlossen, dem Sterbenden nicht von der Seite zu weichen. "Er will, dass ich ihn enttäusche", sagt er und bleibt eben darum. Doch den entscheidenden Moment verpasst er geradezu slapstickartig, weil er - untypisch für ihn - im Bett der Krankenschwester ungewohnte Erfahrungen macht. "Das wird jetzt meine neue Lebensregel. Ich muss eine Menge aufholen." Leben zu lernen, während der Vater endlich stirbt, das ist selbst als Fiktion zu schön, um wahr zu werden.
Knappe, verebbende Dialoge charakterisieren Bennetts Minimalismus, der gleich einen ganzen Beziehungskosmos erschließt. In kleinen, kuriosen Gesten versteckt er Dramen; etwa, wenn der Bruder am Krankenbett den Sterbenden beiläufig am Fuß zieht, statt ihn an der Hand zu berühren. Drei Generationen und deren Neurosen heben sich aus dieser Perspektive wie eine bleischwere Familienchronik gegen den fahlen Hintergrund ab - ein tragikomischer Akt über die Banalität des Lebens angesichts des Todes. Noch vom Sterbebett, meint man, dirigiert dieser Vater den erwachsenen Sohn und gönnt diesem nicht einmal eine kleine Rache. Lieber lässt er ihn noch verspätet pubertieren, freilich nicht, ohne zwischen letzten Atemzügen sehnsüchtig nach ihm gefragt zu haben.
Die zweite Beziehungsgeschichte, "Mr. Bennett sen.", wirkt wie ein Kommentar zur ersten und ist auf eine Weise intim, wie es der ersten aufgrund der Erzählstrategie nicht im Sinn stand. Bennett schildert auch hier die Geschichte einer Familie, in deren Mitte ein Vakuum entsteht, weil die Mutter einen Nervenzusammenbruch erleidet. Er beschreibt deren Aufenthalte in diversen Krankenhäusern und den häuslichen Feldzug gegen den Schmutz, wenn sich ihr Zustand nach Elektroschocks besserte. Er reflektiert die Not, vor Nachbarn von "Nervenschwäche" zu sprechen.
Bennetts kleiner Text über die Eltern ist eine zarte Annäherung und lesenswert, weil er nicht urteilt, sondern die Unbeholfenheit der Eltern, ihre "Schüchternheit", zu verstehen und zu schätzen sucht, ohne die Auswirkungen auf den Sohn zu verschweigen. "Mr. Bennett sen." ist eines der wenigen Prosastücke, für die man das fast schon abgenutzte Wort "authentisch" benutzen sollte - eine unaufdringliche Impression über Familiengeheimnisse und Scham.
ANJA HIRSCH
Alan Bennett: "Vatertage". Beziehungsgeschichten. Aus dem Englischen übersetzt von Ingo Herzke. Wagenbach Verlag, Berlin 2007. 93 S., geb., 13,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Dringend zu entdecken: Alan Bennetts intime Familiendramen
In England goutiert man schon lange den scharfen Humor des 1934 geborenen Schriftstellers Alan Bennett. Dessen oft kontaktgestörte, etwas unglückliche, suchende Figuren hat man in der Prosa, in Stücken und Drehbüchern lieben gelernt. Hier ist er immer noch zu entdecken - etwa mit dem Bändchen "Vatertage", das zwei "Beziehungsgeschichten" enthält. Die erste mit dem Titel "Vater, Vater lichterloh" war bereits 2002 als "Kurzroman" erschienen (F.A.Z. vom 24. Juli 2002). Ihr lässt der Wagenbach-Verlag die früher entstandene Erzählung "Mr. Bennett sen." folgen, eher ein Eltern- als ein Vaterporträt, das den auf die Pointe geschickt zustrebenden Perspektivismus der ersten Geschichte umso deutlicher macht: "Vater, Vater lichterloh" besticht, weil der Vater praktisch nicht vorkommt, die desolate Beziehung aber trotzdem offen zutage tritt.
Nun liegt der Vater im Sterben, und man mag einwenden, da sei es nicht schwierig, ihn kaum vorkommen zu lassen. Ihn nicht mal eines Blickes zu würdigen ist aber eben der erzählerische Trick: Verwandte kommen und sprechen über neue Autos; der Sohn kommt und ist entschlossen, dem Sterbenden nicht von der Seite zu weichen. "Er will, dass ich ihn enttäusche", sagt er und bleibt eben darum. Doch den entscheidenden Moment verpasst er geradezu slapstickartig, weil er - untypisch für ihn - im Bett der Krankenschwester ungewohnte Erfahrungen macht. "Das wird jetzt meine neue Lebensregel. Ich muss eine Menge aufholen." Leben zu lernen, während der Vater endlich stirbt, das ist selbst als Fiktion zu schön, um wahr zu werden.
Knappe, verebbende Dialoge charakterisieren Bennetts Minimalismus, der gleich einen ganzen Beziehungskosmos erschließt. In kleinen, kuriosen Gesten versteckt er Dramen; etwa, wenn der Bruder am Krankenbett den Sterbenden beiläufig am Fuß zieht, statt ihn an der Hand zu berühren. Drei Generationen und deren Neurosen heben sich aus dieser Perspektive wie eine bleischwere Familienchronik gegen den fahlen Hintergrund ab - ein tragikomischer Akt über die Banalität des Lebens angesichts des Todes. Noch vom Sterbebett, meint man, dirigiert dieser Vater den erwachsenen Sohn und gönnt diesem nicht einmal eine kleine Rache. Lieber lässt er ihn noch verspätet pubertieren, freilich nicht, ohne zwischen letzten Atemzügen sehnsüchtig nach ihm gefragt zu haben.
Die zweite Beziehungsgeschichte, "Mr. Bennett sen.", wirkt wie ein Kommentar zur ersten und ist auf eine Weise intim, wie es der ersten aufgrund der Erzählstrategie nicht im Sinn stand. Bennett schildert auch hier die Geschichte einer Familie, in deren Mitte ein Vakuum entsteht, weil die Mutter einen Nervenzusammenbruch erleidet. Er beschreibt deren Aufenthalte in diversen Krankenhäusern und den häuslichen Feldzug gegen den Schmutz, wenn sich ihr Zustand nach Elektroschocks besserte. Er reflektiert die Not, vor Nachbarn von "Nervenschwäche" zu sprechen.
Bennetts kleiner Text über die Eltern ist eine zarte Annäherung und lesenswert, weil er nicht urteilt, sondern die Unbeholfenheit der Eltern, ihre "Schüchternheit", zu verstehen und zu schätzen sucht, ohne die Auswirkungen auf den Sohn zu verschweigen. "Mr. Bennett sen." ist eines der wenigen Prosastücke, für die man das fast schon abgenutzte Wort "authentisch" benutzen sollte - eine unaufdringliche Impression über Familiengeheimnisse und Scham.
ANJA HIRSCH
Alan Bennett: "Vatertage". Beziehungsgeschichten. Aus dem Englischen übersetzt von Ingo Herzke. Wagenbach Verlag, Berlin 2007. 93 S., geb., 13,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensentin Anja Hirsch kann überhaupt nicht verstehen, warum Alan Bennett hierzulande noch immer wie ein Geheimtipp gehandelt wird, in Großbritannien werde sein "scharfer Humor" schließlich ebenso geschätzt wie seine "kontaktgestörten, etwas unglücklichen" Figuren. Dankbar nimmt Hirsch also dieses neue Buch auf, dass zwei Erzählungen enthält - "Vater, Vater lichterloh" und "Mr. Bennett sen.". In beiden, meint Hirsch, könne man Bennetts Minimalismus, seine knappen Dialoge, "kuriosen Gesten" und tolle Pointen in Reinform genießen: In "Vater, Vater lichterloh" gehe es um den im Sterben liegenden Vater, oder eigentlich nicht, denn vom Erzähler werde er keines Blickes gewürdigt. In der wesentlich "intimeren" Geschichte "Mr. Bennett sen." geht es um Scham, Schüchternheit und den Nervenzusammenbruch von Mrs. Bennett.
© Perlentaucher Medien GmbH
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