Elger Essers erstes Buch, Veduten und Landschaften, das 2000 in unserem Hause erschien, fand eine erstaunlich große Resonanz und löste so manche photoästhetische Debatte aus. Als jüngster der Becher-Studenten - geboren 1967 - hat er sich nämlich in seinem photographischen Konzept am grundlegendsten von dem seiner berühmten Lehrer entfernt.
Essers Landschaften und Städteansichten atmen die Stille und den romantischen Geist des frühen 19. Jahrhunderts. Seine Aufnahmen von Meeresküsten, Marschlandschaften, Flußläufen und fernen Horizonten könnten auch aus dem vergangenen Jahrhundert stammen - wäre da nicht das Phänomen der Farbphotographie. Wie Ton in Ton gehaltene Aquarelle oder ausgeblichene historische Postkarten - die er seit seiner Kindheit sammelt - wirken Essers Bilder; sie ziehen den Betrachter unwillkürlich in eine unbestimmbar weit zurückliegende Vergangenheit, obwohl sie hier und heute aufgenommen und ohne jeden Zweifel gegenwärtig sind. Diese lyrische Qualität geht neben den gewählten Motiven, die jeden zivilisatorischen oder gar touristischen Aspekt aussparen, auf lange Belichtungszeiten und eine spezielle Entwicklungstechnik zurück und ist - natürlich - bewußt eingesetzt. Denn für Esser ist Photographie die traditionelle Form der Huldigung an die Schönheit, ein Mittel zur emotionalen Verortung von Erinnerungen.
Recalling early 19th century romanticism, Elger Esser's collection of his famous photographic landscapes in France, Italy and Scotland 'Vedutas and Landscapes', make a book of special visual poetry. Meanwhile a sought-after classic, it is now available again.
Essers Landschaften und Städteansichten atmen die Stille und den romantischen Geist des frühen 19. Jahrhunderts. Seine Aufnahmen von Meeresküsten, Marschlandschaften, Flußläufen und fernen Horizonten könnten auch aus dem vergangenen Jahrhundert stammen - wäre da nicht das Phänomen der Farbphotographie. Wie Ton in Ton gehaltene Aquarelle oder ausgeblichene historische Postkarten - die er seit seiner Kindheit sammelt - wirken Essers Bilder; sie ziehen den Betrachter unwillkürlich in eine unbestimmbar weit zurückliegende Vergangenheit, obwohl sie hier und heute aufgenommen und ohne jeden Zweifel gegenwärtig sind. Diese lyrische Qualität geht neben den gewählten Motiven, die jeden zivilisatorischen oder gar touristischen Aspekt aussparen, auf lange Belichtungszeiten und eine spezielle Entwicklungstechnik zurück und ist - natürlich - bewußt eingesetzt. Denn für Esser ist Photographie die traditionelle Form der Huldigung an die Schönheit, ein Mittel zur emotionalen Verortung von Erinnerungen.
Recalling early 19th century romanticism, Elger Esser's collection of his famous photographic landscapes in France, Italy and Scotland 'Vedutas and Landscapes', make a book of special visual poetry. Meanwhile a sought-after classic, it is now available again.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.08.2001Aus der Zeit gefallen: Fotografien von Elger Esser
Auf den ersten Blick könnte man die Fotografien Elger Essers für Altmeistergemälde halten, für zarte Aquarelle von Turnerscher Farbigkeit - bis man merkt, daß es ihnen dafür an Leben fehlt. Auf Essers monochrom wirkenden Landschaftsaufnahmen stören keine Elektromasten, keine Satellitenschüsseln, keine Hochhäuser und vor allem keine Menschen. Die Häuser, die er zeigt, sind verfallen, die Bauwerke marode. Kein Luftzug kräuselt die trüben Gewässer. Über allem der immer gleiche, gleichgültige Himmel, an dem keine Wolke auszumachen ist. Blickt Esser auf ein italienisches Dorf, so meint man, eine ghost town im Mittagsdunst liegen zu sehen. Die Stille ist greifbar; Fenster und Türen sind gähnende Löcher, kein Mensch sitzt vor dem Haus, kein Hund läuft durch die Gassen. Nur ein Baugerüst und ein Kran in der Ferne verweisen auf eine vertraute Zeit.
Obwohl die Details stimmen, nichts weggelassen oder retuschiert wird, befinden sich Essers Landschaften in einem merkwürdigen Übergangsstadium. Seine Motive sind aus der Zeit gefallen, verwirrend entrückt und doch real. Himmel und Wasser scheinen ineinander überzugehen, ebenso wie Häuser und ihre Spiegelungen auf der Wasseroberfläche. Essers Veduten, aufgenommen auf Reisen in Frankreich und Italien, sind in verblichene Gelbtöne getaucht, die alles unwirklich und fern erscheinen lassen. Wie nach einem Traum bleiben von dem Band mit Essers Fotografien keine konkreten Landschaften, sondern vage Impressionen haften - Erinnerungen an ziellose Reisen durch friedliche Regionen, vor allem durch Flußlandschaften und Küstenstriche.
Elger Esser, geboren 1967 in Stuttgart und aufgewachsen in Rom, ist der jüngste Absolvent der Becher-Klasse der Düsseldorfer Kunstakademie - wobei die formale Strenge von Bernd Bechers Arbeiten den Landschafts- und Architekturfotografien des Schülers kaum anzumerken ist. Sie scheinen in ihrer romantischen Statuarik vielmehr frühester Fotografie verwandt. Doch nicht nur deshalb machen sie im Kontext zeitgenössischer Fotografie auf sich aufmerksam. Essers ineinander übergehende Bildzonen aus Wasser, Sand, Schnee und Wolken entfalten ihren unaufdringlichen Sog, indem sie vor allem eines verströmen: Ruhe. (Elger Esser: "Veduten und Landschaften". Deutsch/englische Ausgabe. Schirmer/Mosel Verlag, München 2001. 132 S., 60 Farbtafeln, 128,- DM.)
fvl
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Auf den ersten Blick könnte man die Fotografien Elger Essers für Altmeistergemälde halten, für zarte Aquarelle von Turnerscher Farbigkeit - bis man merkt, daß es ihnen dafür an Leben fehlt. Auf Essers monochrom wirkenden Landschaftsaufnahmen stören keine Elektromasten, keine Satellitenschüsseln, keine Hochhäuser und vor allem keine Menschen. Die Häuser, die er zeigt, sind verfallen, die Bauwerke marode. Kein Luftzug kräuselt die trüben Gewässer. Über allem der immer gleiche, gleichgültige Himmel, an dem keine Wolke auszumachen ist. Blickt Esser auf ein italienisches Dorf, so meint man, eine ghost town im Mittagsdunst liegen zu sehen. Die Stille ist greifbar; Fenster und Türen sind gähnende Löcher, kein Mensch sitzt vor dem Haus, kein Hund läuft durch die Gassen. Nur ein Baugerüst und ein Kran in der Ferne verweisen auf eine vertraute Zeit.
Obwohl die Details stimmen, nichts weggelassen oder retuschiert wird, befinden sich Essers Landschaften in einem merkwürdigen Übergangsstadium. Seine Motive sind aus der Zeit gefallen, verwirrend entrückt und doch real. Himmel und Wasser scheinen ineinander überzugehen, ebenso wie Häuser und ihre Spiegelungen auf der Wasseroberfläche. Essers Veduten, aufgenommen auf Reisen in Frankreich und Italien, sind in verblichene Gelbtöne getaucht, die alles unwirklich und fern erscheinen lassen. Wie nach einem Traum bleiben von dem Band mit Essers Fotografien keine konkreten Landschaften, sondern vage Impressionen haften - Erinnerungen an ziellose Reisen durch friedliche Regionen, vor allem durch Flußlandschaften und Küstenstriche.
Elger Esser, geboren 1967 in Stuttgart und aufgewachsen in Rom, ist der jüngste Absolvent der Becher-Klasse der Düsseldorfer Kunstakademie - wobei die formale Strenge von Bernd Bechers Arbeiten den Landschafts- und Architekturfotografien des Schülers kaum anzumerken ist. Sie scheinen in ihrer romantischen Statuarik vielmehr frühester Fotografie verwandt. Doch nicht nur deshalb machen sie im Kontext zeitgenössischer Fotografie auf sich aufmerksam. Essers ineinander übergehende Bildzonen aus Wasser, Sand, Schnee und Wolken entfalten ihren unaufdringlichen Sog, indem sie vor allem eines verströmen: Ruhe. (Elger Esser: "Veduten und Landschaften". Deutsch/englische Ausgabe. Schirmer/Mosel Verlag, München 2001. 132 S., 60 Farbtafeln, 128,- DM.)
fvl
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Merkwürdige Welten zeigt Elger Esser in seinen Fotografien, meint der mit fvl. zeichnende Rezensent: auf den ersten Blick könne man an "Altmeistergemälde" denken, dann aber merke man, dass etwas fehlt: Leben. Man sieht kaum Menschen, nur den "immer gleichen, gleichgültigen Himmel". Kaum, findet der Rezensent, merkt man den Fotografien an, dass Esser der jüngste Meisterschüler der Becher-Klasse ist, Ähnlichkeiten erkennt er eher zu "frühester Fotografie". Ihren "Sog" entwickeln die Bilder nur langsam und unaufdringlich, so das Fazit der Besprechung, und zwar dank ihrer hervorstechenden Eigenschaft: der "Ruhe", die sie "verströmen".
© Perlentaucher Medien GmbH
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