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Ingrid Buchloh zeichnet ein neues und facettenreiches Bild eines Menschen und bedeutenden Künstlers, der immer noch vielen als »williger Diener der Nazis« gilt: Ein besessener Künstler zwischen Anpassung und Widerstand. Goebbels hielt Harlan für den Fähigsten aller deutschen Regisseure und hatte erkannt, dass sich Harlan-Filme aufgrund ihrer Emotionalität für eine subtile Vermittlung von NS-Botschaften nutzen ließen. Präzise Filmanalysen sowie die kritische Auswertung wichtiger Quellen und unbekannter Dokumente belegen, wie Goebbels die Entstehung der Filme bis hin zu kleinsten filmischen…mehr

Produktbeschreibung
Ingrid Buchloh zeichnet ein neues und facettenreiches Bild eines Menschen und bedeutenden Künstlers, der immer noch vielen als »williger Diener der Nazis« gilt: Ein besessener Künstler zwischen Anpassung und Widerstand. Goebbels hielt Harlan für den Fähigsten aller deutschen Regisseure und hatte erkannt, dass sich Harlan-Filme aufgrund ihrer Emotionalität für eine subtile Vermittlung von NS-Botschaften nutzen ließen. Präzise Filmanalysen sowie die kritische Auswertung wichtiger Quellen und unbekannter Dokumente belegen, wie Goebbels die Entstehung der Filme bis hin zu kleinsten filmischen Details kontrollierte und solange korrigierend eingriff, bis sie seinen propagandistischen Absichten dienlich waren. Veit Harlans Versuche, durch Verweigerung, Taktieren oder künstlerische Gestaltung Goebbels' Befehle zu unterlaufen, misslangen. Er stand jedoch bis zum Schluss zu seinen jüdischen Freunden und setzte sich im Beruf für Verfolgte des NS-Regimes ein. Die Politisierung des »FallsVeit Harlan« nach dem Krieg erlaubt einen Einblick in den Prozess der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit in der Nachkriegszeit und den ersten Jahren der Bundesrepublik Deutschland.
Autorenporträt
Ingrid Buchloh, Dr. phil., geboren 1942, Historikerin, studierte Geschichte und Romanistik an der Universität Köln und promovierte in Düsseldorf bei Wolfgang J. Mommsen mit einer Arbeit über die nationalsozialistische "Machtergreifung". Bis 2004 unterrichtete sie als Studiendirektorin am Gymnasium und arbeitete am Studienseminar in der Referendarausbildung.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.06.2010

Freispruch für den Starpropagandisten
Eine neue Studie fragt: War Veit Harlan heimlich ein Widerstandskämpfer?

Veit Harlan gehört zu den kontroversen Regisseuren der deutschen Filmgeschichte. Der hochbegabte, fanatische Filmemacher begann seine Künstlerkarriere 1918 als Schauspieler am Theater und wechselte dann zum Film. Wie viele andere Schauspieler, Regisseure und Wissenschaftler durchlebte er drei politische Systeme. In der Weimarer Zeit drehte er weitgehend belanglose, finanziell erfolgreiche Unterhaltungsfilme. In der Nazizeit schuf er Propagandafilme, die den deutschen Film weltweit diskreditierten ("Jud Süß", "Kolberg"). Und nach dem Zweiten Weltkrieg verlegte er sich wieder auf das Genre des Melodrams.

Ingrid Buchlohs materialreiches und detailliert gearbeitetes Buch zeichnet diese drei Perioden im Leben von Veit Harlan nach. Dabei lässt sie sich von dem Ziel leiten, ein differenzierteres Bild als das nach dem Zweiten Weltkrieg vorherrschende zu zeichnen. Damals galt Harlan als der Inbegriff des diabolischen Filmemachers, hatte er doch die Großprojekte des nationalsozialistischen Propagandaministers Joseph Goebbels publikumswirksam in Szene gesetzt. Buchloh schildert das komplexe Verhältnis zwischen dem Künstler Harlan und dem Agitator Goebbels eindrucksvoll in dem Kapitel über die Entstehung des antisemitischen Films "Jud Süß". Man liest mit Interesse, in welchem Umfang das Goebbelssche Ministerium in die konkrete Filmgestaltung eingriff. Dass das Verhältnis von Harlan und Goebbels dabei konfliktreich war, ist überzeugend dargetan.

Auch im Kapitel über die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, in der sich Harlan wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor Gericht zu verantworten hatte, werden detailliert Zeugenaussagen berühmter deutscher Regisseure und Schauspieler in den Prozessen geschildert und kontroverse Positionen über den Beitrag von Harlan zur Vernichtung der Juden dargestellt. Dass Harlan in den letzten Jahren seines Lebens Ansätze von Selbstkritik erkennen ließ, notiert man mit einer gewissen Erleichterung angesichts der beklemmenden Schilderungen. Am Schluss gestand er seine Unfähigkeit ein, sich "Goebbels' verbrecherischen Händen zu entwinden".

Buchloh arbeitet das Dilemma zwischen dem von seiner Kunst besessenen Filmemacher und seiner Anpassung an die nationalsozialistische Filmpolitik präzise heraus. Was an dem Buch jedoch stört, sind Sätze wie der folgende: "Veit Harlans Haltung zum NS-Regime lässt sich kaum aus seinen Auftritten als ,Starregisseur' des Dritten Reiches, seinen öffentlichen Statements oder seinen von Goebbels oktroyierten und propagandistisch zugeschnittenen politischen Filmen erschließen. Sie ist vielmehr daran festzumachen, wie er im Rahmen seiner Möglichkeiten versuchte, sich Goebbels' Propaganda-Aufträgen zu entziehen beziehungsweise dessen Anweisungen zu unterlaufen."

Es sei nicht bestritten, dass sich Veit Harlan in dem einen oder anderen Fall den Anweisungen des Propagandaministers widersetzte. Man will auch glauben, dass er sich für einige jüdische Kollegen engagierte. Das ändert aber nichts an Inhalt und Wirkung von Filmen wie "Jud Süß" und "Kolberg", die noch heute wegen ihrer antisemitischen oder kriegsverherrlichenden Tendenz nicht öffentlich aufgeführt werden dürfen. Es befremdet der Duktus des Buches: einen der perfidesten Filmemacher der deutschen Geschichte als eine Art Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus darzustellen.

Der Rechtfertigungscharakter des Buches mag sich daraus erklären, dass die Autorin selbst zur Harlan-Familie gehört und sich seit vielen Jahren mit ihr wissenschaftlich auseinandersetzt. So steht neben dem Verdienst des Buches, die Geschichte des Filmregisseurs Harlan neu zu schreiben, der Ärger darüber, dass dem Starregisseur der Nazis durchgehend attestiert wird, er habe außer Tod und Existenzvernichtung keine andere Alternative gehabt, als sich Goebbels' Diktum zu beugen. Und das angesichts der Tatsache, dass viele deutsche Schauspieler und Filmemacher durchaus nicht den Befehlen der Nazis folgten. Der Ärger über das Buch erreicht seinen Höhepunkt, wenn im Kapitel zur Entstehung von "Jud Süß" Harlan als eine Art Widerstandskämpfer gegen Goebbels stilisiert wird.

Ingrid Buchlohs erneute Beschäftigung mit Veit Harlan ist ein begrüßenswertes Projekt. Die Präsentation von historischem Material, das die Politisierung der deutschen Filmindustrie belegt, ist ein großes Verdienst. Ebenso vermag die Schilderung von Harlan als einer komplexen Persönlichkeit, die zwischen politischem Einfluss und künstlerischem Engagement zerrissen war, zu überzeugen. Nicht akzeptabel jedoch ist es, wie der Schauspieler Otto Wernicke formuliert hat, den "absoluten Propagandist(en) des Dritten Reiches" unter Hinweis darauf, er sei nicht Mitglied der NSDAP gewesen und habe einzelnen jüdischen Kollegen geholfen, von der politischen Verantwortung freizusprechen.

RAINER ERD

Ingrid Buchloh: "Veit Harlan". Goebbels' Starregisseur. Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 2010. 347 S., geb., 34,90 Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Um Ausgewogenheit im Urteil bemüht, wertet Rezensent Rainer Erd immerhin Ingrid Buchloh für ihre präzise Betrachtung von Leben und Werk des Filmregisseurs Veit Harlan, der unter anderem den Nazipropagandafilm "Jud Süß" zu verantworten hatte. Gleichzeitig kann er aber seinen großen "Ärger" über die Versuche der Autorin, Harlan zu rehabilitieren oder gar zum "Widerstandskämpfer" zu stilisieren, nicht verbergen. Intention der Autorin ist, das seit der Nachkriegszeit vorherrschende Bild von Harlan als Inkarnation des "diabolischen Filmemachers" zu entkräften, erkennt der Rezensent. So versuche sie beispielsweise im Kapitel, das sich mit der Entstehung des antisemitischen Hetzfilms "Jud Süß" beschäftigt, allen Ernstes, Harlan als Opfer zu zeichnen, dem gar nichts anderes übrig blieb, als sich Goebbels Vorgaben zu unterwerfen, und ihn damit von der "politischen Verantwortung freizusprechen".

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