Das erste Drittel in den Papierkorb, der Rest ist halbwegs gut
Man gilt ja heutzutage wohl als altmodisch oder irgendwie nicht "normal", wenn man literarischen Exhibitionismus einfach widerwärtig findet. Na schön, dann bin ich eben altmodisch. Was normal ist, kann sowieso nur der Psychiater
entscheiden. Aber warum muss sich BEGLEY ausgerechnet unter dem Titel "Der Königsweg nach Venedig"…mehrDas erste Drittel in den Papierkorb, der Rest ist halbwegs gut
Man gilt ja heutzutage wohl als altmodisch oder irgendwie nicht "normal", wenn man literarischen Exhibitionismus einfach widerwärtig findet. Na schön, dann bin ich eben altmodisch. Was normal ist, kann sowieso nur der Psychiater entscheiden. Aber warum muss sich BEGLEY ausgerechnet unter dem Titel "Der Königsweg nach Venedig" entblößen? Passender und ehrlicher wäre als Titel "Nach Venedig durch die Unterhose" gewesen.
Dass ANKA MUHLSTEIN sich die Peinlichkeit leistet, ihren schönen Text "Die Schlüssel zu Venedig" auf die Altmännerphantasien ihres Gatten folgen zu lassen, wird ja wohl wenigstens noch etwas Verwunderung hervorrufen dürfen. Auch der Verlag hielt das wohl für irgendwie erklärungsbedürftig und teilt im Klappentext mit, dass die beiden "seit fast dreißig Jahren verheiratet" sind. ANKA MUHLSTEIN schreibt nett, wie sie die Stadt kennen lernte(n), von Angelesenem (manchmal mit vager Quellenangabe) und offensichtlich Aufgeschnapptem - nett, aber auch ein bisschen langweilig.
Dass BEGLEY auch Lesenswertes schreiben kann, zeigt sein zweiter Text "Romane und Venedig" - ein Essay über die Venedig-Dichtungen von HENRY JAMES, MARCEL PROUST, THOMAS MANN und über sein eigenes Buch "Mistlers Abschied". Seine Analyse über Venedig als Handlungsort der Romane könnte einen Ansatz für eine Theorie der Romankulisse (sicher gibt es die aber schon) hergeben: 1. der in einen Ort hineingeschriebene Roman, der Handlungsort als Bühnenbild: HENRY JAMES "Aspens Nachlaß"; 2. der Handlungsort als dramatische Person: HENRY JAMES "Die Flügel der Taube"; 3. die Stadt als mythischer, exotischer Ort: MARCEL PROUST "Die Flüchtige" (6. Band der Suche nach der verlorenen Zeit); 4. die Stadt als Gefäß, Illustration der Empfindungen: THOMAS MANN "Der Tod in Venedig"; 5. die Stadt als beliebiger Handlungsort, der auch jeder andere sein könnte: vermutlich BEGLEYS "Mistlers Abschied" selbst, worauf seine 2x wiederholte Aussage schließen lässt: "So kam mir unausweichlich Venedig in den Sinn, denn wie Mistler weiß ich, dass mich an Venedig nichts stört ..." (S. 156 sowie S. 153) Wenn das das Thema seines Romans ist, kann man sich es wohl schenken, ihn zu lesen.
Insgesamt ist der Dreiklang der Texte eher ein Missklang: Es ist zu vermuten, dass Leser, denen jeweils einer der Texte zusagt, wenig Verständnis für die anderen beiden aufbringen.