Venedig, Stadt des Wassers und des Lichts, spielte in Harold Brodkeys Leben und Werk eine bedeutsame Rolle. Immer wieder hat er es in ätherisch flirrenden, spiegelnden Bildern beschrieben, sich seinen wechselhaften Erscheinungsformen zwischen steingewordener Historie und zeitlos schwebender Schönheit zu nähern versucht.
Venedig war für ihn eine magische Projektionsfläche, vor der sich sein eigenes Denken und seine changierende Prosa perfekt entfalten konnten.
Venedig war für ihn eine magische Projektionsfläche, vor der sich sein eigenes Denken und seine changierende Prosa perfekt entfalten konnten.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.10.1999Europa
"Venedig" von Mary McCarthy. Droemersche Verlagsanstalt, München 1999. 176 Seiten. Gebunden, 24 Mark.
"Venedig" von Harold Brodkey. Zusammengestellt, übersetzt und mit einem Nachwort versehen von Angela Praesent. Rowohlt Verlag, Hamburg 1998. 120 Seiten. Taschenbuch, 14,90 Mark.
Dass es in Venedig immer und zuallererst um die Stadt selbst geht und damit um den Sinn des Lebens, hat niemand besser verstanden als der 1996 verstorbene amerikanische Schriftsteller Harold Brodkey. In seinen fragmentarischen Aufzeichnungen durchdringt er die elegant bröckelnde Fassade des imposanten äußeren Scheins und legt damit wie zufällig Geheimnisse des Ortes bloß. In seinem Venedig ist selbst die mundane Realität stets vom größenwahnsinnigen Rausch der Phantasie gefärbt, und gerade das macht sie für Brodkey zur "menschlichsten aller Städte". Doch das Leben - und der Autor - lässt keine Gewissheit zu, und genau deswegen werden seine kaleidoskopartigen Venedig-Splitter zum faszinierenden Weltausschnitt. Brodkeys Landsmännin Mary McCarthys Liebesbeziehung zu Venedig ist nicht weniger komplex, aber optimistischer. Ihre ebenfalls stark autobiographisch gefärbten, erstmals 1956 in Amerika erschienenen Venedig-Beobachtungen zeugen, fern jeglicher Todesahnungen, von einer ganz und gar europäischen Lust an der verfallenden Pracht der Stadt. Trotz zahlreicher literarischer Ausflüge in die blutrünstige, räuberische Vergangenheit liegt ihr doch vor allem das Novecento ihrer Gegenwart am Herzen. In den Jahren vor den großen Restaurierungskampagnen beobachtet sie inmitten des Verfalls den Aufbruch der Stadt in die Moderne - und klammert sich zugleich mit dem Volk an die glorreiche Historie. Sie selbst versteht sich gelegentlich als eine Art von exotisch-ausländischem Versuchskaninchen und beschreibt ihre Erlebnisse mit den Venezianern mit humorvoller, auch bissiger Sympathie. Ähnlich wie bei Brodkey entsteht in McCarthys Skizzen das Bild eines Menschenschlags, den bei allem pragmatischen Realitätssinn stets auch weltfremde, flirrende Ideen umtreiben - ein Lebensgefühl, das gerne auf den Leser abfärben darf. (fvl)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Venedig" von Mary McCarthy. Droemersche Verlagsanstalt, München 1999. 176 Seiten. Gebunden, 24 Mark.
"Venedig" von Harold Brodkey. Zusammengestellt, übersetzt und mit einem Nachwort versehen von Angela Praesent. Rowohlt Verlag, Hamburg 1998. 120 Seiten. Taschenbuch, 14,90 Mark.
Dass es in Venedig immer und zuallererst um die Stadt selbst geht und damit um den Sinn des Lebens, hat niemand besser verstanden als der 1996 verstorbene amerikanische Schriftsteller Harold Brodkey. In seinen fragmentarischen Aufzeichnungen durchdringt er die elegant bröckelnde Fassade des imposanten äußeren Scheins und legt damit wie zufällig Geheimnisse des Ortes bloß. In seinem Venedig ist selbst die mundane Realität stets vom größenwahnsinnigen Rausch der Phantasie gefärbt, und gerade das macht sie für Brodkey zur "menschlichsten aller Städte". Doch das Leben - und der Autor - lässt keine Gewissheit zu, und genau deswegen werden seine kaleidoskopartigen Venedig-Splitter zum faszinierenden Weltausschnitt. Brodkeys Landsmännin Mary McCarthys Liebesbeziehung zu Venedig ist nicht weniger komplex, aber optimistischer. Ihre ebenfalls stark autobiographisch gefärbten, erstmals 1956 in Amerika erschienenen Venedig-Beobachtungen zeugen, fern jeglicher Todesahnungen, von einer ganz und gar europäischen Lust an der verfallenden Pracht der Stadt. Trotz zahlreicher literarischer Ausflüge in die blutrünstige, räuberische Vergangenheit liegt ihr doch vor allem das Novecento ihrer Gegenwart am Herzen. In den Jahren vor den großen Restaurierungskampagnen beobachtet sie inmitten des Verfalls den Aufbruch der Stadt in die Moderne - und klammert sich zugleich mit dem Volk an die glorreiche Historie. Sie selbst versteht sich gelegentlich als eine Art von exotisch-ausländischem Versuchskaninchen und beschreibt ihre Erlebnisse mit den Venezianern mit humorvoller, auch bissiger Sympathie. Ähnlich wie bei Brodkey entsteht in McCarthys Skizzen das Bild eines Menschenschlags, den bei allem pragmatischen Realitätssinn stets auch weltfremde, flirrende Ideen umtreiben - ein Lebensgefühl, das gerne auf den Leser abfärben darf. (fvl)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main