Aufgeblasenes Halbwissen
Das Buch mißfällt mir vom ersten Satz an: "Der kühle Verstand hat hinsichtlich Venedigs stets seine Zweifel gehabt." (S. 7) Hat er das? Und was soll hier eigentlich gesagt werden? Was auch immer: Wer etwas gegen Verstand und Vernunft sagt, hat erst mal jegliche Sympathie
verspielt. Sicher ist das ein Vorurteil, aber doch wohl ein versta(e)nd-liches.
McCarthy gehörte…mehrAufgeblasenes Halbwissen
Das Buch mißfällt mir vom ersten Satz an: "Der kühle Verstand hat hinsichtlich Venedigs stets seine Zweifel gehabt." (S. 7) Hat er das? Und was soll hier eigentlich gesagt werden? Was auch immer: Wer etwas gegen Verstand und Vernunft sagt, hat erst mal jegliche Sympathie verspielt. Sicher ist das ein Vorurteil, aber doch wohl ein versta(e)nd-liches.
McCarthy gehörte zu jenen Glücklichen, die sich einen Wohnsitz in Venedig leisten können. Gottlob belästigt darauf nicht jeder Untalentierte - aber doch allzu viele - den Büchermarkt. Was soll man von jemanden halten, dem die bei der Anmietung einer Wohnung eingestanden wichtigste und dem Leser mitzuteilende Causa ist, "wie viele Personen die Wohnung im oberen Stock bewohnen würden" (S. 27), um dann gleich anschließend langweiligen Tratsch über seinen Vermieter auszubreiten (S. 28ff und passim)? Nur ihre vermutliche amerikanische Hinterwäldler-Prüderie bewahrt McCarthy offenbar vor der Auswalzung peinlicher Details.
Die Autorin reproduziert überwiegend Angelesenes. Dagegen ist an sich nichts zu sagen und da ja zu Venedig schon "alles gesagt" (Johann Wolfgang von Goethe, Tagebuch der Italienischen Reise) ist, ist dies auch irgendwie unvermeidlich. Wenn es doch aber wenigstens interessant erzählt wäre! Originelle Sentenzen zu Venedig entgleiten McCarthy selten und eher zufällig. Ich bin geneigt, die Verallgemeinerung, "man findet sich damit ab, daß, was man im Begriff ist zu sagen oder zu empfinden... jedem Touristen aus Iowa auf der Zunge liegt" (McCarthy S. 20), doch eher zurückzuweisen. McCarthys "man" ist auf jeden Fall zunächst sie selbst und "man" kann sie wohl durchaus mit jenem Iowaman gleichsetzen, der in den USA als sprichwörtlich einfältiger Hinterwäldler gilt, denn Seattle liegt nicht nur hinterm Walde, sondern auch noch hinter den Bergen. So ist wohl auch etwa der Plural S. 24 zu deuten: "Für uns ist die venezianische Geschichte ein Kuriosum..."
Irgendwann hat die Autorin wohl gemerkt, daß sie nicht genug Stoff hat, um ein Venedig-Buch zu füllen. Und so hat sie den Text zunehmend mit unsystematischen Beschreibungen und teilweise fragwürdigen Interpretationen von Gemälden aufgefüllt (S. 70-71, 85-91, 93, 100-101, 109-112, 116-119, 122-133, 137-160, 166-168). Da kann ich dem Verlag, abgesehen vom Vorwurf, dieses Buch überhaupt gedruckt zu haben, die Frage nicht ersparen: Was soll der Leser mit Bildbeschreibungen/-interpretationen anfangen, ohne daß diese abgebildet sind?
Ob McCarthy mit ihrem Venedig-Buch eine Schaffenskrise übertünchen wollte, ist mir nicht bekannt, das schwache Ergebnis scheint aber darauf hinzudeuten. Damit wäre sie ja auch nicht die erste. Gegenüber ihrem - ebenfalls amerikanischen - Vorgänger, der selbst im Versagen noch ein kraftstrotzender Riese war, erscheint sie allerdings als mickeriger Zwerg. Ein ordentlicher Verlag hätte einem Autor das Manuskript um die Ohren gehauen. Mit einer Dame tut man natürlich so etwas nicht.