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Produktdetails
  • Verlag: Eichborn
  • Seitenzahl: 114
  • Abmessung: 250mm
  • Gewicht: 387g
  • ISBN-13: 9783821806518
  • ISBN-10: 3821806516
  • Artikelnr.: 24862939
  • Herstellerkennzeichnung
  • Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.05.1998

Hände im Wind
Skizzen über Venedigs Maler

Literarische Bildbeschreibungen erfreuen sich ungebrochener Beliebtheit, die Ekphrasis gehört zum festen Repertoire auch der neueren Romanliteratur. Ohne lyrische Bildanalysen kommt dagegen eine Sammlung von virtuosen Künstlerskizzen aus, die gleichwohl den Bildern womöglich näher bleibt als manche poetische Kunstliteratur. In vierundzwanzig biographischen Miniaturen venezianischer Maler des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts hat Herbert Maurer die Gattung der Künstlervita auf ganz neue und eigene Grundlagen gestellt. Giovanni Bellini, Tintoretto, Lorenzo Lotto oder Tizian, aber auch weniger bekannte Maler wie Giuseppe Ventori, Cesare Martinelli oder Girolamo Siepi werden hier in kunstvollen Arabesken zu Repräsentanten einer aus der treibhaushaften Schwüle der Lagune geborenen, genuin venezianischen "Malereihitze".

Sie alle stehen für die schon von Jacob Burckhardt im "Cicerone" emphatisch gefeierte "höchste Augenlust" einer Malerei, die ein "wonnevolles Dasein" beschwor. Burckhardts Beschreibung einer idealisch konzipierten Wirklichkeit in der venezianischen Malerei ist später relativiert, die Bildpropaganda Venetiens in ihren durchaus programmatischen Absichten erkannt worden. Dennoch hat die verschwenderische Diesseitigkeit der Kunst des Veneto ihre Betrachter immer aufs neue überwältigt und zum kunstlandschaftlichen Topos greifen lassen.

Auch Maurer leitet seine ebenso bizarren wie treffsicher erdichteten Lebensläufe aus der klimatischen Eigentümlichkeit der Wasserstadt her und deklariert sie zum Entstehungsort einer ganz eigenen "Temperaturkunst". Der "Wassersäugling" Tintoretto, dem jeder Staub lebensbedrohlich zusetzte, avanciert ihm dabei zum "Regenmaler", dessen Geburtstage von "Taucherprozessionen" zelebriert werden, die andachtsvoll an seinen Gemälden vorbeischwimmen. "Tizian" erklärt er zum Winds- und Decknamen eines Künstlers, der die venezianische Tradition, wonach das Malen das "Tauchen der Hände im Wind" bedeutet, besonders folgenreich geprägt hat, während die "Gesundmalerei" des Giuseppe Ventori das verheerende Pestjahrhundert begleitet. Auch die "Geschwindigkeitsmalerei" Gianfelice Bassanos oder Giuseppe da Fiesoles "Backgemälde" weiß Maurer in rhapsodischer Virtuosität aus der Natur Venedigs und seines Hinterlandes herzuleiten.

In kongenialer Bewegung belebt Maurer eine Malerei, für die Jacob Burckhardt den Begriff des "Existenzbildes" gefunden hat: Feier des freien, absichtslosen, lebensfrohen ästhetischen Daseins. Als dessen "notwendige höchste Frucht" empfand Burckhardt die "Gastmähler" des Paolo Veronese. Die Künstlerexistenz zum Korrelat des "Existenz-Bildes" erklärend, verwandelt Maurer, als sei's ein Skript von Greenaway, Veronese zum "Hautmaler", der seine Gäste auf dem Tisch drapiert, ihre Augen und Ohren zu Beginn jedes Essens mit einem Gemisch aus Sardellencreme und Honig verschließt und dann beginnt, die Körper zu bemalen: "Die Landschaften des unnachahmlichen Paolo, seine Heiligengestalten oder auch Porträtszenen auf der bloßen Haut zu spüren, sozusagen auf der Hinterseite der Bilder zu leben, war keine geringe Verführung. Wahrscheinlich hat die Körperwärme den aufgetragenen Farben noch zusätzliche Reize vermittelt, eine transpirative Frische . . . Je heftiger die Landschaft sich regte, je höher sich die Wellen aufwarfen oder das Blut aus den Heiligenhälsen rann, desto größer war die innere Regung des Bemalten, der selbst des Gemäldes nie ansichtig wurde. Desto ungestümer waren die Muskelabenteuer im Innern."

Mit Maurers Prosa gelangt auch der Leser auf die Hinterseiten der Gemälde. Seine poetischen Exkursionen in die venezianischen "Malgründe" im vielfachen Sinne erhellen die besondere ästhetische Wirkkraft dieser Malerei zuverlässiger als alle vergeblichen Versuche, ihre Erscheinung in Worte zu übersetzen. ANDREAS BEYER

Herbert Maurer: "Venetia. Ein Vivarium der Malerei". Vierundzwanzig exotische Erzählungen. Verlag Gatza bei Eichborn, Frankfurt am Main 1997. 116 S., geb., 36,- DM.

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