Bisher habe ich Venedig einmal gesehen. Es war an einem Novembertag, es waren kaum Touristen in der Stadt und ich wunderte mich über Erzählungen, dass man sich in den überfüllten Gassen kaum fortbewegen könnte. „Mein“ Venedig war fast geisterhaft leer.
Frederico Povoleri lebt hier und er kennt
sowohl die Zeiten als auch Orte, an denen Venedig mehr ist, als ein begehbares Weltkukturerbe-Museum.…mehrBisher habe ich Venedig einmal gesehen. Es war an einem Novembertag, es waren kaum Touristen in der Stadt und ich wunderte mich über Erzählungen, dass man sich in den überfüllten Gassen kaum fortbewegen könnte. „Mein“ Venedig war fast geisterhaft leer.
Frederico Povoleri lebt hier und er kennt sowohl die Zeiten als auch Orte, an denen Venedig mehr ist, als ein begehbares Weltkukturerbe-Museum. Seine Fotos entstehen sowohl in den verschwiegenen Seitenkanälen der Lagunenstadt als auch an den Schnittstellen, an denen sich Touristen und Einheimische eher unfreiwillig begegnen. Die Einheimischen werden täglich weniger. Es gibt kaum noch Geschäfte des täglichen Bedarfs, in denen man normale Lebensmittel einkaufen könnte, immer mehr Häuser werden von reichen Ausländern aufgekauft oder in B&Bs umgewandelt. Es sind ungewöhnliche Bilder, die Povoleri zeigt: hoch beladene Lastkähne, mit denen Waren transportiert werden, überschwemmte Plätze und Gassen während des aqua alta, einen Großbrand in der Innenstadt, dem ein denkmalgeschütztes Lagerhaus zum Opfer fiel, das jetzt ohne Denkmalauflagen zu einem Hilton Hotel umgebaut wurde, oder ganz einfach stille Szenen „normalen“ Lebens an den wenig besuchten Uferpromenaden und Stränden oder den schwer zu erreichenden Inseln in der Lagune. Es sind meist alte Leute zu sehen, die nicht mehr wegziehen können oder es aus Sentimentalität nicht wollen. Und dann gibt es die Fotos, auf denen Touristen zu sehen sind, die sich benehmen wie Elefanten in einem Freizeitpark.
Frederico Povoleris Bilder durchzieht eine gewisse Resignation, zwischen Melancholie und Anklage gegen die geschäftsmäßige Vermarktung Venedigs. Die schwarz-weißen Aufnahmen sind ästhetisch durchkomponiert und es fällt auf, dass eigentlich nie die Sonne scheint, was der Serie einen roten Faden gemeinsamer Stimmung verleiht. Es ist also nicht das austauschbare Bilderbuch-Venedig, sondern Povoleri zeigt die andere Seite, die im Verschwinden begriffen ist. Ein wenig wehmütig mag das sein, aber es hat den Reiz, dass der Betrachter authentisch erfährt, wie es hinter der Disney-Kulisse noch aussieht - auch wenn mir persönlich an diesem Novembertag die Disneykulisse erspart geblieben ist. Ja, und die Sonne hat damals auch nicht geschienen.