Seit Jahrhunderten ist Venedig das Traumziel der Italienreisenden aus ganz Europa. Vor allem auch die Künstler - Dichter, Maler und Musiker - sind seit jeher fasziniert vom Zauber der Lagunen-Stadt. Dazu gehören Thomas Mann, Ernest Hemingway oder Friedrich Nietzsche ebenso wie Giuseppe Verdi und Richard Wagner. Werner Ross geht in diesem Buch ihren Spuren in Venedig nach.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.07.1996Die Stadt des Librettisten Richard Wagner
Lauter farbige Untergänge: Werner Ross promeniert literarisch durch Venedig
Beweisen läßt es sich hier nicht, aber es darf vermutet werden, daß über keine Stadt der Welt so viel geschrieben wurde wie über Venedig. Wer dennoch der Versuchung erliegt, der in Jahrhunderten angeschwollenen Flut einen weiteren Wassertropfen hinzuzufügen, kehrt sich am besten nicht an die Wiederholungsgefahr. Es gehört zu den wundersamen, verwirrenden Eigenschaften der Serenissima, daß sich im Labyrinth ihrer flüssigen und festen Wege immer wieder Gassen öffnen, die so aussehen, als ob sie noch nie jemand betreten hätte.
Eine davon hat Werner Ross entdeckt, und er nennt sie "Venezianische Promenade". Damit ist ein imaginärer Treffpunkt gemeint, ein gedachter Laufsteg, der sich durch die Epochen zieht, als Ort für zweierlei Arten von Begegnungen: solche, die tatsächlich in Venedig stattgefunden haben, und solche, die der Autor in seiner Essaysammlung zwanglos arrangiert, indem er Verbindungen knüpft, Beziehungen darstellt und Verwandtschaften andeutet.
Und weil heutzutage nur noch derjenige unbefangen über Venedig schreiben kann, der auf seiner Subjektivität besteht, bekennt sich Ross "in aller Ruhe" dazu, daß ihn Menschen mehr interessieren als der Mythos der Stadt und unter den Menschen wiederum "Autoren mehr als Gevatter Schneider und Handschuhmacher, bei allem Respekt vor diesen Handwerken". Schriftsteller also sind es vornehmlich, die als Besucher oder zeitweilige Bewohner Venedigs seine "Promenade" bevölkern, und auch dort, wo es dem Anschein nach um andere Dinge geht, kommt Literarisches ins Spiel.
So enthält das erste Kapitel, das von der Geschichte der venezianischen Juden handelt, einiges an kurzweiliger Shakespeare-Deutung, und im Schlußstück, das dem legendären Hotelier und "Harry's Bar"-Gründer Giuseppe Cipriani gewidmet ist, hat natürlich Hemingway seinen Auftritt. Casanova, einer der berühmtesten Venezianer, ist für Ross mindestens ebensosehr "homme de lettres" wie "homme à femmes", und auch der vergleichsweise wenig bekannte Arzt, Astrologe und Mathematiker Tommaso Rangone, der im Renaissance-Venedig seinem Größenwahn frönte und sich ein Denkmal setzen ließ, war unter anderem, wen wundert's, Literat. Richard Wagner schließlich, dessen Leben und Sterben in der Lagunenstadt nicht ohne leisen Spott rekapituliert wird, ging einerseits als Großlibrettist in die Literaturgeschichte ein und tritt hier andererseits als begnadeter Verfasser von Bettelbriefen in Erscheinung.
Weit ausholend, genußvoll abschweifend erzählt Werner Ross von den Venedig-Berührungen der Dichter, die er mit einigem Recht ausgewählt hat unter den vielen, von denen in diesem Zusammenhang die Rede sein könnte. Da erfährt man Erhellendes über Goethes Theaterleidenschaft und seine venezianische Mignon-Bettine, über Nietzsches "farbenvollen Untergang", über Karriere und Konflikte der Brüder Mann sowie, in schwelgerischer Ausführlichkeit, über das "Liebes-und Arbeitsbündnis" zwischen Gabriele d'Annunzio und Eleonora Duse, der einzigen Frau im Rossschen Reigen. Venedig gerät dabei häufig ganz aus dem Blickfeld, bleibt aber als atmosphärischer Hintergrund gegenwärtig.
Ohne Scheu vor Spekulationen schildert der Autor Details, als sei er dabeigewesen, und überspringt dann wieder kühn große Zeiträume, sich unbeirrbar an das haltend, was ihn selbst begeistert, erstaunt oder amüsiert. So gestaltet er seine venezianischen Fallbeschreibungen zu sehr persönlichen Porträts, teils in sympathisch altväterlichem Plauderton, teils aus ironischer Distanz: eine ebenso unterhaltsame wie lehrreiche "Promenadenmischung", nicht nur für Venedig-Reisende. KRISTINA MAIDT-ZINKE
Werner Ross: "Venezianische Promenade". Siedler Verlag, Berlin 1996. 304 S., Abb., geb., 44,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Lauter farbige Untergänge: Werner Ross promeniert literarisch durch Venedig
Beweisen läßt es sich hier nicht, aber es darf vermutet werden, daß über keine Stadt der Welt so viel geschrieben wurde wie über Venedig. Wer dennoch der Versuchung erliegt, der in Jahrhunderten angeschwollenen Flut einen weiteren Wassertropfen hinzuzufügen, kehrt sich am besten nicht an die Wiederholungsgefahr. Es gehört zu den wundersamen, verwirrenden Eigenschaften der Serenissima, daß sich im Labyrinth ihrer flüssigen und festen Wege immer wieder Gassen öffnen, die so aussehen, als ob sie noch nie jemand betreten hätte.
Eine davon hat Werner Ross entdeckt, und er nennt sie "Venezianische Promenade". Damit ist ein imaginärer Treffpunkt gemeint, ein gedachter Laufsteg, der sich durch die Epochen zieht, als Ort für zweierlei Arten von Begegnungen: solche, die tatsächlich in Venedig stattgefunden haben, und solche, die der Autor in seiner Essaysammlung zwanglos arrangiert, indem er Verbindungen knüpft, Beziehungen darstellt und Verwandtschaften andeutet.
Und weil heutzutage nur noch derjenige unbefangen über Venedig schreiben kann, der auf seiner Subjektivität besteht, bekennt sich Ross "in aller Ruhe" dazu, daß ihn Menschen mehr interessieren als der Mythos der Stadt und unter den Menschen wiederum "Autoren mehr als Gevatter Schneider und Handschuhmacher, bei allem Respekt vor diesen Handwerken". Schriftsteller also sind es vornehmlich, die als Besucher oder zeitweilige Bewohner Venedigs seine "Promenade" bevölkern, und auch dort, wo es dem Anschein nach um andere Dinge geht, kommt Literarisches ins Spiel.
So enthält das erste Kapitel, das von der Geschichte der venezianischen Juden handelt, einiges an kurzweiliger Shakespeare-Deutung, und im Schlußstück, das dem legendären Hotelier und "Harry's Bar"-Gründer Giuseppe Cipriani gewidmet ist, hat natürlich Hemingway seinen Auftritt. Casanova, einer der berühmtesten Venezianer, ist für Ross mindestens ebensosehr "homme de lettres" wie "homme à femmes", und auch der vergleichsweise wenig bekannte Arzt, Astrologe und Mathematiker Tommaso Rangone, der im Renaissance-Venedig seinem Größenwahn frönte und sich ein Denkmal setzen ließ, war unter anderem, wen wundert's, Literat. Richard Wagner schließlich, dessen Leben und Sterben in der Lagunenstadt nicht ohne leisen Spott rekapituliert wird, ging einerseits als Großlibrettist in die Literaturgeschichte ein und tritt hier andererseits als begnadeter Verfasser von Bettelbriefen in Erscheinung.
Weit ausholend, genußvoll abschweifend erzählt Werner Ross von den Venedig-Berührungen der Dichter, die er mit einigem Recht ausgewählt hat unter den vielen, von denen in diesem Zusammenhang die Rede sein könnte. Da erfährt man Erhellendes über Goethes Theaterleidenschaft und seine venezianische Mignon-Bettine, über Nietzsches "farbenvollen Untergang", über Karriere und Konflikte der Brüder Mann sowie, in schwelgerischer Ausführlichkeit, über das "Liebes-und Arbeitsbündnis" zwischen Gabriele d'Annunzio und Eleonora Duse, der einzigen Frau im Rossschen Reigen. Venedig gerät dabei häufig ganz aus dem Blickfeld, bleibt aber als atmosphärischer Hintergrund gegenwärtig.
Ohne Scheu vor Spekulationen schildert der Autor Details, als sei er dabeigewesen, und überspringt dann wieder kühn große Zeiträume, sich unbeirrbar an das haltend, was ihn selbst begeistert, erstaunt oder amüsiert. So gestaltet er seine venezianischen Fallbeschreibungen zu sehr persönlichen Porträts, teils in sympathisch altväterlichem Plauderton, teils aus ironischer Distanz: eine ebenso unterhaltsame wie lehrreiche "Promenadenmischung", nicht nur für Venedig-Reisende. KRISTINA MAIDT-ZINKE
Werner Ross: "Venezianische Promenade". Siedler Verlag, Berlin 1996. 304 S., Abb., geb., 44,80 DM.
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