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Eigentlich wollte Brunetti mit seiner Familie in die Berge fahren. Doch dann wird vor Mestre die Leiche eines Mannes in Frauenkleidern gefunden. Ein Transvestit? Wird Streitigkeiten mit seinen Freiern gehabt haben - so die allgemeine Meinung, auch beider Polizei. Brunetti schaut genauer hin und lernt bei seinen Ermittlungen, weniger schnell zu urteilen als die ach so ehrenwerten Normalbürger.
Ein Einstieg mit gleich zwei Skandalen
Der Auftakt, den Autorin Leon für diesen ihren dritten „Brunetti“ wählt, ist nicht ohne. Gleich zwei Skandale spielen sich ab, von denen nicht sicher ist, welches wohl der größere sein mag.
Ein toter Mann in Frauenkleidern wird gefunden – mit roten Stöckelschuhen in Übergröße – und gleichzeitig zieht die Frau von Vice-Questore Patta zu Hause aus, um, man höre und staune, von Stund ab mit dem Begründer und Hauptbetreiber von Italiens Pornofilmen zusammenzuleben.
Eine Situation dies, die in jedem anderen Zusammenhang sicherlich pikant, aber auch nicht mehr gewesen wäre. Hier jedoch wirkt alles umso skurriler und grotesker, weil die Leser bereits in den beiden ersten Bänden Gelegenheit hatten, den gehörnten Ehemann als durch und durch unsympathischen, aufgeblasenen und eingebildeten Zeitgenossen kennenzulernen. Ihn eine solche „Schlappe“ erleiden zu sehen, inklusive der Drohung seiner Noch-Ehefrau, im nächsten Film ihres neuen Freundes die Hauptrolle zu spielen, das amüsiert nicht nur Brunetti, sondern erfreut auch den Leser in speziellem Maße.
Tragikomik und traurige Wahrheit nah beieinander
Danach allerdings hält sich der „Spass“ bei der Lektüre in Grenzen – wie so oft in den Brunetti-Büchern, in denen Ironie und Idiotie, Schmunzeln und Schmerz, Tragikomik und traurige Wahrheit ganz nahe beeinander liegen.
Der Tote stellt sich als honoriger Bürger heraus, andere hochrangige Personen sind plötzlich in die Geschichte verwickelt, es kommt zu einem tödlichen Unfall, der Brunetti persönlich betrifft, und noch ein paar Figuren müssen ihr Leben lassen, bevor am Ende wieder das eintritt, was so oft in Leons Romanen den bitteren Beigeschmack hineinbringt: Der Sieg von Bürokratie und Hypokratie über Gerechtigkeit und Menschlichkeit. Selbst dann, wenn ganz am Schluss doch noch eine überraschende Wendung eine Art „alles wird doch noch gut“ suggeriert.
Ein gelungener Band einer Serie, die auch im weiteren Verlauf immer neu, frisch, überraschend – aber leider auch beängstigend nah an der italienischen Realität bleibt.
(Michaela Pelz, www.krimi-forum.de)
"Donna Leon beschreibt spannend und gekonnt italienische und besonders venezianische Verhältnisse. Die schmutzige Welt der Kriminellen, die als Saubermänner auftreten und in Politik und Verwaltung verstrickt sind, kontrastiert stark mit Brunettis heiler Familie. Mit seiner intakten "famiglia" wirkt der Commissario auch erfrischend im Vergleich zu den harten und zynischen Privatdetektiven amerikanischen Zuschnitts - einsame Streiter mit kaputtem Privatleben." (Tages-Anzeiger)
"Der Leser von Kriminalromanen kennt ihn gut. Den Polizeidetektiv, der uns als Mensch vorgestellt wird, der ein Privatleben führt, dabei Höhen und Tiefen kennt wie jeder normale Sterbliche. Commissario Guido Brunetti aus Venedig ist ein sympathischer Beamter, dessen literarische Gegenwart erfreut. So einer war vor Jahren Maigret." (Süddeutsche Zeitung)
"Ähnlichkeiten mit dem realen politischen System Italiens, mit Korruption und Steuerbetrug hinter einer hochachtbaren Fassade sind gewollt und nicht zufällig. Bestechend ist die Art, wie die Autorin daraus immer wieder Geschichten macht, an denen Freunde eines guten Kriminalromans ihre helle Freude haben." (Neue Zeit)
"Ein sympathischer Polizist, kein Held mit ständig durchgeladener Pistole." (Frankfurter Rundschau)
Der Auftakt, den Autorin Leon für diesen ihren dritten „Brunetti“ wählt, ist nicht ohne. Gleich zwei Skandale spielen sich ab, von denen nicht sicher ist, welches wohl der größere sein mag.
Ein toter Mann in Frauenkleidern wird gefunden – mit roten Stöckelschuhen in Übergröße – und gleichzeitig zieht die Frau von Vice-Questore Patta zu Hause aus, um, man höre und staune, von Stund ab mit dem Begründer und Hauptbetreiber von Italiens Pornofilmen zusammenzuleben.
Eine Situation dies, die in jedem anderen Zusammenhang sicherlich pikant, aber auch nicht mehr gewesen wäre. Hier jedoch wirkt alles umso skurriler und grotesker, weil die Leser bereits in den beiden ersten Bänden Gelegenheit hatten, den gehörnten Ehemann als durch und durch unsympathischen, aufgeblasenen und eingebildeten Zeitgenossen kennenzulernen. Ihn eine solche „Schlappe“ erleiden zu sehen, inklusive der Drohung seiner Noch-Ehefrau, im nächsten Film ihres neuen Freundes die Hauptrolle zu spielen, das amüsiert nicht nur Brunetti, sondern erfreut auch den Leser in speziellem Maße.
Tragikomik und traurige Wahrheit nah beieinander
Danach allerdings hält sich der „Spass“ bei der Lektüre in Grenzen – wie so oft in den Brunetti-Büchern, in denen Ironie und Idiotie, Schmunzeln und Schmerz, Tragikomik und traurige Wahrheit ganz nahe beeinander liegen.
Der Tote stellt sich als honoriger Bürger heraus, andere hochrangige Personen sind plötzlich in die Geschichte verwickelt, es kommt zu einem tödlichen Unfall, der Brunetti persönlich betrifft, und noch ein paar Figuren müssen ihr Leben lassen, bevor am Ende wieder das eintritt, was so oft in Leons Romanen den bitteren Beigeschmack hineinbringt: Der Sieg von Bürokratie und Hypokratie über Gerechtigkeit und Menschlichkeit. Selbst dann, wenn ganz am Schluss doch noch eine überraschende Wendung eine Art „alles wird doch noch gut“ suggeriert.
Ein gelungener Band einer Serie, die auch im weiteren Verlauf immer neu, frisch, überraschend – aber leider auch beängstigend nah an der italienischen Realität bleibt.
(Michaela Pelz, www.krimi-forum.de)
"Donna Leon beschreibt spannend und gekonnt italienische und besonders venezianische Verhältnisse. Die schmutzige Welt der Kriminellen, die als Saubermänner auftreten und in Politik und Verwaltung verstrickt sind, kontrastiert stark mit Brunettis heiler Familie. Mit seiner intakten "famiglia" wirkt der Commissario auch erfrischend im Vergleich zu den harten und zynischen Privatdetektiven amerikanischen Zuschnitts - einsame Streiter mit kaputtem Privatleben." (Tages-Anzeiger)
"Der Leser von Kriminalromanen kennt ihn gut. Den Polizeidetektiv, der uns als Mensch vorgestellt wird, der ein Privatleben führt, dabei Höhen und Tiefen kennt wie jeder normale Sterbliche. Commissario Guido Brunetti aus Venedig ist ein sympathischer Beamter, dessen literarische Gegenwart erfreut. So einer war vor Jahren Maigret." (Süddeutsche Zeitung)
"Ähnlichkeiten mit dem realen politischen System Italiens, mit Korruption und Steuerbetrug hinter einer hochachtbaren Fassade sind gewollt und nicht zufällig. Bestechend ist die Art, wie die Autorin daraus immer wieder Geschichten macht, an denen Freunde eines guten Kriminalromans ihre helle Freude haben." (Neue Zeit)
"Ein sympathischer Polizist, kein Held mit ständig durchgeladener Pistole." (Frankfurter Rundschau)
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.02.1996Staunen ist eine Tugend
Prosecco für die Polizei: Donna Leons "Venezianische Scharade"
Donna Leons erste venezianische Leiche lag noch stilvoll in der Künstlergarderobe des Teatro La Fenice, das Frackhemd mit Zyankali-Kaffee bekleckert. Die zweite schwamm, schon etwas weniger elegant, mit dem Gesicht nach unten im Kanal und hatte eine Stichwunde zwischen den Rippen. Den dritten Fall des Commissario Brunetti läßt die amerikanische Krimiautorin, die seit über zehn Jahren in Venedig lebt, auf einem Gelände beginnen, das vom morbiden Zauber der Lagunenstadt weit entfernt scheint und doch gleich vor der Haustür liegt: Bei den Schlachthäusern des Industriemolochs Mestre, auf blut- und giftgetränktem Boden, wird in brütender Augusthitze ein Toter in Frauenkleidern gefunden, von seinen Mördern derartig zugerichtet, daß die Identifizierung Probleme bereitet. Brunetti, ebenso pflichtbewußt wie urlaubsreif, ermittelt zunächst in der Transvestiten- und Stricherszene, muß sich aber alsbald durch jenen Sumpf aus politischer Korruption, Geldgier und Doppelmoral kämpfen, der in Italien spielende Kriminalromane so reichlich mit realitätsnahem Stoff versorgt.
Offensichtlich hat Donna Leon einiges vom italienischen Autorenduo Fruttero und Lucentini gelernt, dessen Kommissar Santamaria im einschlägigen Milieu eine tadellose, nicht zu ernste Figur machte. Andererseits verkörpert Guido Brunetti, dem von seiner wachsenden Gemeinde bereits der Rang eines Maigret zugesprochen wird, einen neuen, eigenständigen Typus im Reigen seiner Kollegen: In ihm sind mediterrane Lebensart und amerikanische Italien-Nostalgie, altmodische Moralität und zeitgemäße political correctness zu einem Charakter verschmolzen, der ungemein vertrauenerweckend wirkt.
Der Commissario haßt "hartgesottene Bullen", behandelt seine Untergebenen rücksichtsvoll und seinen eitlen, arroganten Vorgesetzten mit Nachsicht; er bewahrt die Ruhe im Umgang mit Kleinkriminellen und erlaubt sich angesichts von Gewalttaten eine berufsuntypische Empfindsamkeit. Im Privatleben ist dieser nach weiblichem Geschmack konzipierte Polizist ein zärtlicher Gatte und Familienvater sowie ein "Mann des Fleisches", der gern ißt und trinkt, aber selbstverständlich nicht raucht. Ehefrau Paola, die trotz Uni-Job bravourös am Herd steht und trotz adliger Herkunft aufgeklärt-liberale Ansichten vertritt, lehrt ihren Guido, Verständnis für Minderheiten zu entwickeln, was ihm in seiner Arglosigkeit nicht immer leichtfällt: Lange staunt er, nachdem er in den entsprechenden Kreisen recherchiert hat, über die Verbreitung bestimmter sexueller Vorlieben und muß dann bei der abendlichen Tacitus-Lektüre feststellen: "Transvestiten überall."
Die Grenzen der Toleranz aber sind beim Anblick der "halbnackten Touristen" erreicht, die Venedig im Sommer bevölkern und den korrekt gekleideten Kommissar "sehnsüchtig an die erzwungene Bescheidenheit in islamischen Gesellschaften" denken lassen. Brunettis Verhältnis zu seiner Heimatstadt ist - und das weist ihn eindeutig als Geschöpf einer Wahl-Venezianerin aus - ein sentimentalisches, das leidenschaftliches Fußgängertum ebenso einschließt wie ökologisches Engagement, stets neue Ergriffenheit bei der Rückkehr in die atemraubende Kulisse der Serenissima und heftigen Widerwillen gegen die Conquista der Busreisenden.
Gleichwohl mag auch Donna Leon auf touristische Serviceleistungen nicht ganz verzichten: Gern schweift sie von der Krimihandlung ab, um etwa das kunstgerechte Öffnen einer Flasche Prosecco oder das Rezept für eine Insalata Caprese zu erläutern. Der trickreiche und zugleich handfeste Plot um die Machenschaften einer sogenannten "Lega della Moralità" freilich beweist, daß ihre Vertrautheit mit den Landessitten sich nicht auf Kulinarisches beschränkt. Fatal ist nur, daß das Brunetti-Fieber (Fall Nummer vier folgt auf dem Fuße) noch mehr Neugierige in ihre Lieblingsstadt locken dürfte. KRISTINA MAIDT-ZINKE
Donna Leon: "Venezianische Scharade. Commissario Brunettis dritter Fall." Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Monika Elwenspoek. Diogenes Verlag, Zürich 1996. 373 S., geb., 39,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Prosecco für die Polizei: Donna Leons "Venezianische Scharade"
Donna Leons erste venezianische Leiche lag noch stilvoll in der Künstlergarderobe des Teatro La Fenice, das Frackhemd mit Zyankali-Kaffee bekleckert. Die zweite schwamm, schon etwas weniger elegant, mit dem Gesicht nach unten im Kanal und hatte eine Stichwunde zwischen den Rippen. Den dritten Fall des Commissario Brunetti läßt die amerikanische Krimiautorin, die seit über zehn Jahren in Venedig lebt, auf einem Gelände beginnen, das vom morbiden Zauber der Lagunenstadt weit entfernt scheint und doch gleich vor der Haustür liegt: Bei den Schlachthäusern des Industriemolochs Mestre, auf blut- und giftgetränktem Boden, wird in brütender Augusthitze ein Toter in Frauenkleidern gefunden, von seinen Mördern derartig zugerichtet, daß die Identifizierung Probleme bereitet. Brunetti, ebenso pflichtbewußt wie urlaubsreif, ermittelt zunächst in der Transvestiten- und Stricherszene, muß sich aber alsbald durch jenen Sumpf aus politischer Korruption, Geldgier und Doppelmoral kämpfen, der in Italien spielende Kriminalromane so reichlich mit realitätsnahem Stoff versorgt.
Offensichtlich hat Donna Leon einiges vom italienischen Autorenduo Fruttero und Lucentini gelernt, dessen Kommissar Santamaria im einschlägigen Milieu eine tadellose, nicht zu ernste Figur machte. Andererseits verkörpert Guido Brunetti, dem von seiner wachsenden Gemeinde bereits der Rang eines Maigret zugesprochen wird, einen neuen, eigenständigen Typus im Reigen seiner Kollegen: In ihm sind mediterrane Lebensart und amerikanische Italien-Nostalgie, altmodische Moralität und zeitgemäße political correctness zu einem Charakter verschmolzen, der ungemein vertrauenerweckend wirkt.
Der Commissario haßt "hartgesottene Bullen", behandelt seine Untergebenen rücksichtsvoll und seinen eitlen, arroganten Vorgesetzten mit Nachsicht; er bewahrt die Ruhe im Umgang mit Kleinkriminellen und erlaubt sich angesichts von Gewalttaten eine berufsuntypische Empfindsamkeit. Im Privatleben ist dieser nach weiblichem Geschmack konzipierte Polizist ein zärtlicher Gatte und Familienvater sowie ein "Mann des Fleisches", der gern ißt und trinkt, aber selbstverständlich nicht raucht. Ehefrau Paola, die trotz Uni-Job bravourös am Herd steht und trotz adliger Herkunft aufgeklärt-liberale Ansichten vertritt, lehrt ihren Guido, Verständnis für Minderheiten zu entwickeln, was ihm in seiner Arglosigkeit nicht immer leichtfällt: Lange staunt er, nachdem er in den entsprechenden Kreisen recherchiert hat, über die Verbreitung bestimmter sexueller Vorlieben und muß dann bei der abendlichen Tacitus-Lektüre feststellen: "Transvestiten überall."
Die Grenzen der Toleranz aber sind beim Anblick der "halbnackten Touristen" erreicht, die Venedig im Sommer bevölkern und den korrekt gekleideten Kommissar "sehnsüchtig an die erzwungene Bescheidenheit in islamischen Gesellschaften" denken lassen. Brunettis Verhältnis zu seiner Heimatstadt ist - und das weist ihn eindeutig als Geschöpf einer Wahl-Venezianerin aus - ein sentimentalisches, das leidenschaftliches Fußgängertum ebenso einschließt wie ökologisches Engagement, stets neue Ergriffenheit bei der Rückkehr in die atemraubende Kulisse der Serenissima und heftigen Widerwillen gegen die Conquista der Busreisenden.
Gleichwohl mag auch Donna Leon auf touristische Serviceleistungen nicht ganz verzichten: Gern schweift sie von der Krimihandlung ab, um etwa das kunstgerechte Öffnen einer Flasche Prosecco oder das Rezept für eine Insalata Caprese zu erläutern. Der trickreiche und zugleich handfeste Plot um die Machenschaften einer sogenannten "Lega della Moralità" freilich beweist, daß ihre Vertrautheit mit den Landessitten sich nicht auf Kulinarisches beschränkt. Fatal ist nur, daß das Brunetti-Fieber (Fall Nummer vier folgt auf dem Fuße) noch mehr Neugierige in ihre Lieblingsstadt locken dürfte. KRISTINA MAIDT-ZINKE
Donna Leon: "Venezianische Scharade. Commissario Brunettis dritter Fall." Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Monika Elwenspoek. Diogenes Verlag, Zürich 1996. 373 S., geb., 39,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Donna Leon hat mit ihrem Commissario Brunetti eine ebenso sympathische wie intelligente und humane Figur erfunden, ein ebenbürtiges italienisches Pendant zum französischen Kollegen Maigret.« Christa Hasselhorst / Die Welt Die Welt