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Hier zeigt ein Autor, was Gedichte heute noch vermögen: Paul Wührs großer Zyklus Venus im Pudel verhandelt neu über das Paar, über Ehe, Familie, Kirche und Staat. Streng und frivol zugleich wird nahezu alles von Ihr und von Ihm erzählt, vorgespielt und dargestellt. Einmal mehr beweist Paul Wühr seinen Rang als einer der großen, eigenständigen und vollkommen unvergleichbaren Dichter seiner Zeit.

Produktbeschreibung
Hier zeigt ein Autor, was Gedichte heute noch vermögen: Paul Wührs großer Zyklus Venus im Pudel verhandelt neu über das Paar, über Ehe, Familie, Kirche und Staat. Streng und frivol zugleich wird nahezu alles von Ihr und von Ihm erzählt, vorgespielt und dargestellt. Einmal mehr beweist Paul Wühr seinen Rang als einer der großen, eigenständigen und vollkommen unvergleichbaren Dichter seiner Zeit.
Autorenporträt
Paul Wühr, 1927 in München geboren, machte nach Kriegsende das Abitur und eine Ausbildung zum Volksschullehrer. 1949-1983 war er als Volksschullehrer in München-Gräfelfing tätig. Wühr, der zuletzt in Passignano in Italien lebte, starb 2016. Seine Werke wurden mit diversen Preisen ausgezeichnet.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.06.2000

Die Liebe in den Zeiten des www.
„Venus im Pudel” – Paul Wührs neue Gedichte
Eine Gattungsbezeichnung wird uns verweigert, und nach 700 Seiten mit Gedichten – Gedichten? – ahnen wir zwar, was es mit dem Titel auf sich hat, sprich: was des Pudels Kern sein dürfte, doch ein erläuternder Untertitel will einem nicht einfallen. Dass einem das nichts ausmacht, gehört zum Effekt der Lektüre dieses Dicht-Werks, dieser Konstellation von Poemen, dieses Kraftfelds von Fragen und Spielen in Form von inszenierten Dialogen, hingeworfenen Ideen, Gedankenspielen, zugespitzten Frechheiten, die sich die Freiheit nehmen, alles um und um zu wälzen. Und am Ende sind eben viele der Texte hier – die meisten übrigens kaum eine Seite lang – doch Gedichte, Gedichte von großer Intensität, die mit Bildern, Vorstellungen, Begriffen, Ideen arbeiten, sie Paradoxa herausprozessieren lassen, Unruhe stiften und lyrische Bilder für die Versöhnung des Gedanklichen mit der Anschauung. Paul Wühr hat „die Verskunst von ihren Regeln erlöst”, benutzt weder strenge (alte) Strophenformen, noch flüchtet er ins Parlando, aber baut von innen heraus neue, seine Vers- und Gedichtformen auf, die sich seinem ungemein insistierenden Nachfragen anpassen, Formen, die dem Stocken und Hakenschlagen und den abgefeimten Argumentationen genau entsprechen.
Zu lesen und zu hören ist der Wühr-Sound: Kaum ein zeitgenössischer Wert oder Gedanke, der nicht vor den Richtstuhl, in die Mahlmaschine, durch die logische Verwirrapparatur seiner Poesie gezogen wird, und da tut’s dann stimmungshaft einschwingende Lektüre nicht mehr: Man muss bereit sein, sich in der Achterbahn dieses Gedankenwerks nach und nach zu orientieren. Wegmarken und Verstrebungen einzuziehen, in wiederkehrenden lyrisch-gedanklichen Bildern dasselbe und doch nicht dasselbe wiederzuerkennen, und zur Genugtuung gereicht einem noch nicht einmal, dass man „Meinungen” oder Urteile oder poetische Sprüche nach Hause tragen könnte.
Aber gehandelt wird von etwas, wovon wir gerne reden hören, weil es uns doch angeht, auch wenn wir’s verschämt gern anders hätten: von der Liebe, vom „Paar” und was aus ihm geworden ist oder zu werden droht, von der geschlechtlichen Identität (oder eben Nicht-Identität) heute, von der zerflatternden Substantialität von „männlich” und „weiblich”, von der festen Umrissenheit dessen, was da Subjekt hieß und sich ins total Bedingte, nur noch Virtuelle auflöst und ganz bestimmt jedenfalls von denen nicht mehr ernst genommenen wird, die nur noch „fun” in der „Spaßgesellschaft” haben wollen.
Wühr nimmt das „Paar” so ernst wie – wenn ich es recht sehe – sonst in der Dichtung nur Botho Strauß, geht aber in seinen Dialogen (und Venus im Pudel ist bis in den innersten Kern hinein dialektisch-dialogisch und fast streitsüchtig angelegt) mit dem „Paar” deftiger und eleganter, zärtlicher und nie sentimental, handfester und illusionsloser und doch schützend um. Hinter die Konstellation Er – Sie baut er andere Paare und kriegt damit einen Hallraum, der es ihm erspart, abstrakt und beschränkt alles an Erörterung und Fragen an einem Paar abzuhandeln: Er und Sie sind hinterlegt von Physis und Geist, sind anwesend als Nietzsche und Ariadne, als Justine und Juliette, als Gut und Böse, als Jorinde und Joringel, als Kafka und Felice; die historischen und literarischen Paare repräsentieren das Paar, stellen alles nach und spielen durch, was es über Paare und in Paaren zu verhandeln gibt.
Und das ist schließlich nichts Harmloses; darauf deutet auch der Titel dieses voluminösen poetisch-dramatischen Prozesses in Gedichten. Die „Venus im Pelz” Sacher-Masochschen Angedenkens wird spöttisch verbilligt zur Venus im Pudel – sie ist also dessen Kern (siehe Faust . . .), der sich ja als Mephisto entpuppt: Der Pudel, das gelehrige Tier, kann mit seinen Kunststückchen nicht überspielen, dass es den Teufel im Leib hat, sprich: dass Geschlechtlichkeit sein Kern ist, und dies – auch bei Wühr – mit einer Radikalität, von der sich manche Gender studies gar nichts mehr träumen lassen wollen.
Wühr aber lässt nicht alles auf den alten und ewigen Geschlechtskampf hinauslaufen und diesen poetisch-rhetorischen fröhliche vorkritische Urstände feiern, sondern er befragt und inszeniert alle diese Fragen unter Benutzung der Ergebnisse, Denkbilder, Behauptungen und Forschungsergebnisse von Feminismus und Genetik, Geschlechtertheorie und den Resten kirchlicher Liebes- und Ehelehre, und er spricht immer davon im Bewusstsein der Tatsache, dass Zeugung nicht nur heißt: Leben schaffen, sondern: jemanden zum Tode zu verurteilen.
Er ist ein großer Metaphysiker der Liebe in einem Zeitalter, das daran ist, alle Metaphysizität der Phänomene Leben und Liebe und Schöpfung in die Entzifferung des gesamten menschlichen Gen-Codes und also dessen demnächstige völlige Steuerbarkeit aufzulösen. Was ist im emphatischen Sinn ein unausschöpfbares Individuum, wenn wir es demnächst bis in seine letzten Fasern und Wesenszüge planen können, und was wird Elternschaft sein, wenn nicht mehr nur in vitro befruchtet, sondern in Nährsuppe, in Fruchtlauge außerkörperlich ausgetragen wird? Wühr hält dabei einfach trotzig romantisch die Idee der Liebe empor – dazu ist er viel zu ernsthaft einer der wenigen Dichter in Deutschland im Moment, die dem Stand naturwissenschaftlicher Erkenntnis zu entsprechen versuchen; poetische „idealistische Arroganz” (Peter Sloterdijk) ist ihm fremd. Doch als Erfahrung und als regulative Idee ist am Zusammenhang von Liebe und Körperlichkeit festzuhalten; und nur in einem Moment muss Wühr die Liebe verraten: Wenn er schreibt, und zwar: an die Poesie.
Aber dafür ist er Dichter. Die verraten alles an die Poesie, gerade um in der Poesie alles Wichtige verraten und an unserer Stelle aussprechen zu können, was wir erfahren und nicht aussprechen können:
Öffnet
die Brust authentischer die
Augen mit welchen
sie aus dem Fleisch in die
Welt schaut die
sie aus dem selben Geist
geschaffen erkennt
aus dem sie selber das
Fleisch ist mit dem
sie uns augenblicklich
durchbohrt
Welche Augen da real und metaphorisch schauen, um uns zu durchbohren wie die Pfeile Amors, ist überdeutlich, und zum Rang der „Venus im Pudel” gehört, dass dies Buch eine große Sequenz von atemberaubenden, drastischen, massiv obszönen Gedichten ist, die Wühr als großen Liebeslyriker ausweisen, was nicht unerwartet ist: Der Band Sage und das vor drei Jahren veröffentlichte Dichtwerk Salve Res Publica Poetica schlugen schon den Körper – ihren Körper, seinen Körper, die in Venus im Pudel gezielt verwechselt werden – auf wie ein Buch, vertieften sich in ihn wie in ein Gedicht, schafften so etwas wie den poetischen Beweis dafür, dass das Körperliche immer schon etwas Geistiges ist. Damit gibt Wühr sich auch die Lizenz, auf große Weise obszön zu sein: Er ist es nicht aus Lüsternheit, sondern aus der rücksichtslosen Lust am Erkennen. Die Wahrheit ist schamlos, und zur Wahrheit über die Liebe (mit oder ohne Anführungszeichen) gehört heute, dass es Cyber- und Internet-Sex gibt und ein Dichter, der sich die Zukunft nicht verstellen und an der Schwelle zum www.-Zeitalter stehen will, an der entkörperlichten Liebe am Bildschirm und auf dem Display, der bizarren Spiritualisierung von Sexualität mit kalter Genauigkeit hinsehen muss. Auch dies sind Winkel in der „Hölle der Geschlechtlichkeit”, wie man dies früher bei Strindberg etwa, genannt hätte, und etwa Franz Kafkas Fleisches-Angst ist ein infernalisches Beispiel für das – in Wührs Augen – extreme Verfehlen eines anderen Menschen wegen eines heillosen Auseinanderklaffens von Fleisch und Geist:
Jener
der vor dem Tier das er in
sich vermuten mußte von
seinem Geist her
Furcht empfand dieser
sagt sie hat es wirklich
gesehen besonders
in ihr die er deshalb
nicht lieben durfte sein Gott
war Geist und
unterschied ihn vom Fleisch
und sie vom Mann und
Kafka
von jeder Frau
„Talus” ist ein römisches Würfelspiel, in dem es einen „kynischen” Wurf gibt und einen „venerischen”, und das mag eine weitere Schicht der Bedeutung des Buchtitels sein. Die vielen, vielen Gedichte sind „Würfe”, ergeben Zeilengruppen, Gedichtgruppen, „Augen”, „Punkte”; sie ergeben nicht Gesetzlosigkeit, doch je mehr Würfe getan werden, desto stärker verwirrt sich die Systematik, und wenn etwas nicht zu dem Anarchisten, dem Aufsässigen, dem ewig unruhigen Kopf Wühr passte, so wäre es absolute Systematik.
Ein Würfelwurf kann niemals ganz den Zufall abschaffen, soll es auch gar nicht: Jeder neue Wurf öffnet das bisher Berechnete. Was immer man Wühr vorgibt als Thema, welche Werte oder Vorstellungen auch immer ihm vor Augen kommen, er denkt weiter, erweist ihr Falsches, hält das Gesamtbild in Bewegung. Faltet man den Titel Venus im Pudel nach allen Seiten aus, assoziativ, nach Anspielungen, bekommt man so etwas wie eine dynamische Allegorie der Liebe und des Paares, ein Gesamtbild, gedichtet-gemalt um das Jahr 2000, von böser Wahrhaftigkeit im Detail, aber dem der Künstler am Ende sein „Amen” verweigert.
Paul Wühr traut mit einer irritierenden Unbeirrbarkeit und mit großem Atem seiner Poesie, der Poesie überhaupt noch einmal zu, mit Pathos und Vielfalt ein großes Sujet zu besprechen: den gegenwärtigen Weltzustand und die Chancen der Liebe in ihm. Die Zeiten mögen götterfern sein, aber er muss den wenigen sich noch zeigenden halb himmlischen, halb göttlichen Wesen zwanghaft und unermüdlich nachsingen:
Wessen
Ahnen weit weg von
Göttern ihn stießen
ins Leben der
muß Blumen anhören
die in den Flügeln
singen mit
Blut muß schreiben
in die Luft den
Sirenen nach
muß er sich an seinen
Ohren himmellang
ziehen
JÖRG DREWS
PAUL WÜHR: Venus im Pudel. Hanser Verlag, München 2000. 700 S. , 98 Mark.
Paul Wühr und die zur Beurteilung durch Paris angetretenen Göttinnen im Nymphenburger Park
Foto: Isolde Ohlbaum
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.06.2000

Es gibt hier doch keine Dualitäten
Paul Wühr sucht das Ursprüngliche im Haustier · Von Friedmar Apel

Im Gegensatz zu Enzensberger oder Rühmkorf gilt der 1927 geborene Paul Wühr als der große Unzeitgemäße unter den Dichtern seiner Generation. Vielleicht deshalb, weil er sich in hochfahrendem Anspruch auf höhere Erkenntnis mit dem neuesten Denken auseinander gesetzt hat. Als Gärtner im totgesagten Park hat er sich nie verstanden, sein Forum ist der imaginäre Marktplatz, auf dem seit Diogenes und Sokrates große Geister fragen. In Gesellschaft von Philosophen und Wissenschaftlern fühlt er sich wohler als unter dichterischen Kleingewerbetreibenden. In seiner lyrischen Enzyklopädie versammelt er mit Vorliebe alte und neue Flüchtlinge aus dem Reich der Vernunft um sich, die der Poesie schon entgegengeeilt sind: Hamann und Novalis, Nietzsche, Bataille, Lacan, Derrida oder Baudrillard.

"Venus im Pudel" ist der Versuch, die Verknotungen in der Dialektik der Aufklärung mit dem lyrischen Skalpell zu durchtrennen und den vitalen Kern zu finden, der die Welt im Innersten zusammen hält. Der verbirgt sich augenscheinlich im Begehren. Alles Sprechen oder Schweigen gründet in Lust und Not des Fleisches, alles Denken und Handeln resultiert aus dessen Aufstehen und Erschlaffen. Im Gegensatz zu Sacher-Masoch, auf den der Titel auch anspielt, und zum häufig zitierten Weininger erscheint Sexualität nicht als pathologisches Phänomen. Die körperliche Ich-Du-Beziehung soll als wahrer Text alles Sozialen und Gesellschaftlichen lesbar werden, und solche Poesie scheut sich auch nicht, "mit zwei Brüsten und Bauch / Schwanz Schenkel und dem / Hintern unter der Haube der / Pornografie" zuzustreben.

In antidiskursivem Furor treibt Wühr Philosopheme jeglicher Provenienz, vor allem die Aussagen zum Verhältnis von Geist und Körper, durch die Sprache: "was für ein Wahn es gibt hier doch / keine Dualitäten Wirkliches wird / bei Gott nicht vernichtet das Wesen / zerfällt nicht weil es im Geist Physis / bleibt . . ." Nur in seiner Sichtbarkeit und Leiblichkeit ist der Mensch in Wührs poetischer Welt für den Menschen das höchste Wesen. Sprache und Denken sind in ihrem Ursprung fleischlich und venerisch, generativ und doch immateriell. So will Wührs Werk als ein barocker Textkörper erscheinen, der die Schönheit und Abscheulichkeit des vergänglichen Leiblichen zur Lesbarkeit bringt, ohne dass das Dingliche und Leibliche zur Unsichtbarkeit von Normen und Ordnungsprinzipien transformiert und dem fälschlich Abgespaltenen unterworfen würde.

Sätze, die mit einem Punkt enden, und aus dem Zusammenhang gerissene Zitate, Brot und Wein also des Rezensenten, die er dem vermutlich konventionellen Leser reicht, sind eigentlich eine Sünde wider Geist und Fleisch der Lyrik Wührs. Seine poetische Methode besteht im Verzicht auf Satzzeichen und die gewohnten Ordnungselemente des Satzbaus. Vielfältig kalkulierte Zeilenbrüche lassen mehrere syntaktische Lesarten zu, oder sie emanzipieren einzelne Wortfolgen und Wörter vom Satz- und Sinnzusammenhang. Insbesondere verselbständigen sich nichtbezeichnende Wörter wie als, so, seitdem, wie, es oder freilich, und es sorgen Partikelgestöber für einen verwirrenden Verweisungszusammenhang. Rhythmische Retardierungen und Beschleunigungen treiben jeden Ansatz zu einer Aussage über sich hinaus. Derart inszeniert Wühr die Vielstimmigkeit der Welt.

Die Methode zielt auf systematische Entautomatisierung kognitiver Rede, die dann gelegentlich selbst die Begriffe des logischen Positivismus zu poetischen Chiffren transformiert. Sätze und Worte verzichten auf ihre Rückbindung im System der Sprachlogik, sie kommen gleichsam niemals im Satz zur Ruhe und lassen so den Zusammenhang von Begehren, Sprechen und Denken als unaufhörlich strömenden Prozess erscheinen, in dem das Begehren unvorhersehbare Strudel bildet. Wührs negative lyrische Dialektik verspricht die Befreiung von mühseligen Identitäts- und Systemvorstellungen.

Der Mensch mit seinen Begriffen und seinen sozialen und gesellschaftlichen Konstruktionen erscheint als "totale Diskontinuität". Regelgerechte Rede als Bedingung des Denkens und Handelns ist damit natürlich insgesamt in Frage gestellt. Ein eitler Ton ist darin unüberhörbar, dabei träumt auch Wühr nur den altbekannten Mythos von der reinen Poesie einer nichtsignifikativen Sprache weiter. In seinem lyrischen Antiidealismus soll die Sprache nicht mehr System und Abdruck des Geistes und seiner Operationen sein, sondern eine vom Begehren getriebene unendliche Wucherung, in der die alte mystische Sehnsucht nach Sprachergänzung als triebhaftes Geschehen sichtbar wird. Daher soll es in diesem Buch auch kein lyrisches Ich im konventionellen Sinne mehr geben, vielmehr wollen virtuell unendliche Stimmen als moderner Sirenengesang ins Reich subjektloser Begehrung locken.

Wird der Leser mit seinen Gefährten dem Ruf folgen wollen, oder hat er einmal wieder ihnen die Ohren verstopft und sich selbst an den Mast der konventionellen Ordnung der Dinge gefesselt? Keine Angst vorm Versagen! Dieser hochgelehrte und im unfassenden Sinne aufgeklärte Autor treibt nur sein Spiel mit uns minder Gebildeten, das alle seine Effekte selbst der Tradition verdankt. Und bis wir "gleich weit weg von der / Norm sein werden und gar nichts / mehr mit uns anfangen können / oder beenden", ist es vermutlich noch ein Weilchen hin.

Paul Wühr: "Venus im Pudel". Carl Hanser Verlag, München und Wien 2000. 700 S., geb., 98,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Im Gegensatz zu Enzensberger oder Rühmkorf, findet Rezensent Friedmar Apel, gilt Wühr als der "große Unzeitgemäße seiner Generation". Vielleicht, meint Apel, weil Wühr sich nie "als Gärtner im totgesagten Park" verstanden habe. Dann nimmt der Rezensent das Seziermesser und beginnt, Wührs Dichtung zu zerlegen: zum Zweck der Vorführung. Zunächst ergibt das Unternehmen noch messerscharfe Formulierungen. Bald aber blickt man bloß noch auf unansehnliche Einzelteile, die auf dem Seziertisch des Lyrikpathologen liegen. Den Gedichten dieses "hochgelehrten und im umfassenden Sinne aufgeklärten" Autors, die er doch eigentlich loben wollte, hat der Rezensent damit keinen Gefallen getan.

© Perlentaucher Medien GmbH