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Botticelli gilt - etwa mit seinem Gemälde »Geburt der Venus« - als Schöpfer und Beleber des antikisierenden Ideals von klassischer Nacktheit und Schönheit in der Kunst. Didi-Huberman stellt dieser Tradition, ebenfalls im Ausgang von einem Botticelli-Gemälde, ein gegenläufiges Motiv zur Seite: das gewaltsame »Öffnen«, das Aufschneiden eines nackten Frauenkörpers. Illustriert wird eine Traumepisode bei Bocaccio, in der jemand die Frau, die er begehrt, auf grausamste Weise zu Tode hetzt, aufschlitzt und die Eingeweide den Hunden vorwirft. Botticelli als Begründer nicht nur des Ideals reiner…mehr

Produktbeschreibung
Botticelli gilt - etwa mit seinem Gemälde »Geburt der Venus« - als Schöpfer und Beleber des antikisierenden Ideals von klassischer Nacktheit und Schönheit in der Kunst. Didi-Huberman stellt dieser Tradition, ebenfalls im Ausgang von einem Botticelli-Gemälde, ein gegenläufiges Motiv zur Seite: das gewaltsame »Öffnen«, das Aufschneiden eines nackten Frauenkörpers. Illustriert wird eine Traumepisode bei Bocaccio, in der jemand die Frau, die er begehrt, auf grausamste Weise zu Tode hetzt, aufschlitzt und die Eingeweide den Hunden vorwirft. Botticelli als Begründer nicht nur des Ideals reiner Schönheit, sondern auch eines perversen und grausamen Bildes der Nacktheit, bedrohlich und bedroht zugleich? Botticelli neu gedacht mit Freud, Bataille und de Sade? Neben Botticelli ist es die eigenartige Darstellungstradition der »Venus der Medizin« - jenen anatomischen Wachsmodellen des 18. Jahrhunderts -, an denen Didi-Huberman sein Thema entfaltet: die Verflechtung von Nacktheit und Gewalt, von Schönheit und Krankheit. Ein brillanter Essay über die Darstellung weiblicher Nacktheit und deren Erotik in der Kunst - und ein faszinierender Blick auf ihre düstere Ambivalenz.
Autorenporträt
Georges Didi-Huberman ist Kunsthistoriker und Philosoph und lehrt an der École des Hautes Études en Sciences Sociales, Paris. Zudem ist er Kurator zahlreicher Ausstellungen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.12.2006

Von Hunden gehetzt und von Männern getötet
Botticellis Frauen: Georges Didi-Huberman öffnet den Blick für die Höllenjagd der Sinne / Von Christine Tauber

Wer kennt sie nicht, Botticellis zur Kunstikone erstarrte, schaumgeborene Venus, wie sie da scheinbar gänzlich ungerührt auf ihrer geöffneten Muschelschale steht und ihre weiblichen Reize schamhaft mit Händen und Haaren zu bedecken sucht. Dabei wäre das gar nicht nötig: Die oberflächenhaft-glatte Faktur der Malweise, die artifizielle Körperbildung und der madonnengleiche Blick dieser Venus immaculata lassen kaum erotisches Begehren beim Betrachter aufkommen.

Diese Evidenz der Unsinnlichkeit des Bildes nimmt Georges Didi-Huberman in einem ingeniösen Essay zum Anlaß, um nach der Darstellung von Nacktheit bei Botticelli zu fragen. Der Titel des versiert übersetzten Buches ist Programm: "Venus öffnen" bedeutet, eine Geschichte der krisenhaften Erfahrung von Botticellis Kunst zu schreiben und das Beunruhigungspotential dieser Gemälde offenzuhalten.

Dies wirft Didi-Huberman einer bestimmten Form ikonographisch-ikonologisch geprägter Kunstgeschichtsschreibung im Umgang mit Botticelli vor: Sie habe die bedrohliche, da ein Begehren weckende Nacktheit zur idealen Aktdarstellung frigidisiert, indem sie Strategien der Überdeckung und Bändigung ins Werk gesetzt habe.

Im Falle der Venus wurde ihre spröde Schönheit versteinert, indem man sie mit ihrem antiken Vorbild der mediceischen in der Tribuna der Uffizien gleichsetzte; ein Theoriemantel wurde ihr übergeworfen mit der neuplatonischen Philosophie, der statt zu wärmen alle Sinnlichkeit kaltstellte; schließlich erstarrte Venus zu vermeintlich wörtlichen Umsetzungen literarisch-humanistischer Programme. Diese unbewußte Abwehr von Sinnesreizung und Affekt im Umgang mit dem weiblichen Akt ist nach Didi-Huberman mit der Freudschen Triebabwehr und Verdrängung eines gefährlich-venerischen Potentials zu erklären. Diesen Strategien der Sublimierung möchte Didi-Huberman eine andere Betrachtung der Nacktheit im OEuvre von Botticelli entgegenstellen - er will die Kehrseite der Venus zeigen, die alles andere als eine schönhintrige ist. Bereits dem Befruchtungsakt, aus dem sie entsprang, war eine wüste Tat der Kastration des Uranos vorausgegangen, eine "Horrorvision" von "Schönheit produzierender Katastrophe", wie Didi-Huberman schreibt.

In einem anderen Bilderzyklus Botticellis, der das "Gastmahl des Nastagio degli Onesti" darstellt, sieht er die Grausamkeit des Künstlers explizit am Werk: Auf diesen vier auf den ersten Blick enigmatischen Tafeln sieht man eine dynamisierte, in schreckliche Unruhe versetzte, gehetzte und schließlich abgeschlachtete Nacktheit, eine pervertierte Venus, die den Betrachter die tödliche Beunruhigung durch das Nackte verspüren läßt. Nicht mehr nur "bewegtes Beiwerk", vielmehr eine körpereigene Pathosformel zeugt hier vom verdrängten Unruhepotential einer nächtigen, grausamen, unreinen, wilden und alles andere als ruhiggestellten Renaissance, wie bereits Aby Warburg in seiner Botticelli-Dissertation von 1893 gezeigt hatte. Hier schreit und rennt mänadengleich eine nackte Frau durch die Bilder, "die in einer ewigen Ermordung vergeht".

Die literarische Quelle, die Botticelli in den merkwürdig bedrohlich wirkenden Tafeln ziemlich buchstabengetreu umsetzt, ist die achte Geschichte des fünften Tages aus Boccaccios Decamerone, für die sich die Bezeichnung "Höllenjagd" eingebürgert hat. Die Geschichte, die von unerfüllter Begierde einerseits, von der Rache für Hartherzigkeit und Hochmut andererseits erzählt, ist kurz gefaßt die folgende: Der junge Nastagio degli Onesti aus Ravenna ist seiner unerwiderten Liebe zu der Tochter des Paolo Traversari derart erlegen, daß er mit Selbstmordgedanken spielt. Wohlmeinende Freunde raten zu einer Luftveränderung, die den Liebeskranken aber nur wenige Meilen vor die Stadt führt. Dort, in einem Pinienwald, hat er beim Spaziergang eine schreckliche Vision: Er sieht, wie eine junge Frau von Hunden und einem bewaffneten Reiter durch den Wald gejagt und niedergemetzelt wird. Als er rettend eingreifen will, erläutert ihm der Verfolger die Vergeblichkeit diese Unterfangens und entpuppt sich damit als Nastagios bereits verstorbener Vor- und Doppelgänger auf dem Sektor spröder Schönheiten und nicht erhörter Liebe. Er sei nach seinem Selbstmord dazu verdammt, seine grausame Geliebte jeden Freitag einer sich unentrinnbar wiederholenden Dauerpenetration zu unterwerfen: "Sooft ich sie alsdann erreiche, so oft durchbohre ich sie mit diesem selben Degen, mit dem ich einst mich umgebracht, öffne ihr, wie du sogleich gewahren wirst, mit dem Messer die Seite, reiße das harte kalte Herz, in das weder Liebe noch Mitleid den Eingang zu finden wußten, samt den übrigen Eingeweiden aus ihrem Leibe und werfe es den Hunden hier zum Fraße vor. Dann vergehen nur wenige Augenblicke, und sie ersteht nach Gottes gerechtem Ratschluß durch seine Allmacht nicht anders vom Boden, als ob sie nie getötet worden wäre, und danach beginnen die klägliche Flucht und die Verfolgung durch mich und die Hunde von neuem."

Nastagio erkennt das didaktisch-moralische Potential dieser Vision und beraumt am nächsten Freitag ein Bankett am Ort des zwanghaften Geschehens an, zu dem auch seine sich zierende Geliebte als heimliche Hauptperson geladen wird. Die Gesellschaft wird somit Zeuge der grausamen Szene, der Verfolger erläutert erneut fast wortgleich das Geschehen und führt damit in Nastagios Angebeteter einen wundersamen Sinneswandel herbei: Sie ist plötzlich bereit, ihn zu heiraten - wenn auch mehr aus Angst vor einem vergleichbaren Schicksal als aus wahrer Liebe.

Hier haben wir sie also explizit, die geöffnete Venus Botticellis, und wir sind mit diesem sadistischen Szenario, das Eros und Thanatos einmal mehr untrennbar verknüpft, nicht allzuweit entfernt von Georges Bataille und seinen Überlegungen zum Erotisme als ultimativem Akt der Beschmutzung und Entweihung. Sowohl die literarische Szene wie ihre bildliche Umsetzung lassen sich, wie Didi-Huberman es überzeugend tut, als Darstellungen psychischer Prozesse und traumhafter Visionen deuten. Diese antirationalistische Tradition des Traums und der Phantasmagorie, die den Florentiner Humanismus eben auch prägt und die dann in einer kompensierenden Gegenreaktion Triebsublimation in höchster Reflektiertheit herausfordert, hat bereits Jacob Burckhardt in seiner "Cultur der Renaissance in Italien" herausgestellt.

Didi-Huberman kann diese "Kehrseite" der Florentiner Renaissancekultur bis ins achtzehnte Jahrhundert weiterverfolgen. Er bedient sich hierbei originellerweise des Italien-Reiseberichts des Marquis de Sade, der den Leser - wie kaum anders zu erwarten - alsbald von den edel-einfältigen Kunstschönheiten der Tribuna über einen Korridor in die Abgründe des mediceischen anatomischen Kabinetts, die sogenannte Specola, führt. Nicht nur Giulio Gaetano Jumbos Wachsszenen mit Leichendarstellungen in unterschiedlichen Verwesungsstadien konfrontieren ihn dort mit dem humanen Horror par excellence, der ultimativen Zersetzung des nackten Körpers. Er trifft dort auch in dem absolut realistisch gestalteten wächsernen Mädchenmodell von Clemente Susini, das wenige Jahre nach de Sades Reise Einzug in das Kabinett fand, auf eine späte Nachfahrin der von Botticelli geöffneten Venus. Diese "Venere de' Medici", die zugleich die Venus der Mediziner wie die der Medici war, wird hier zur leibhaftigen Nachfolgerin der ausgeweideten Venus, denn diese wächserne Schöne mit ihrer Perlenkette läßt sich de facto öffnen und gibt ihr Innenleben demjenigen Betrachter preis, der den richtigen Griff an ihre Hüften und Brüste beherrscht. Was er dann sieht, ist das Grauen eines im Chaos erstarrten Innenlebens, sind verschlungene Därme und ein "coeur mis à nu", das nicht mehr schlägt. Aus diesem Horrorkabinett nimmt Didi-Huberman wenige Seiten vor Ende des Buches einen ironisch-leichten Abgang, wie es sich für einen französischen Essay gehört: "Der Leser, sofern er Kunsthistoriker oder Liebhaber der idealen Venus ist, wird gebeten, das Buch hier zu schließen oder mir zu verzeihen, daß ich vor seinen Augen jene Grausamkeiten, die in der Kunst Botticellis bereits enthalten sind, bis zum Exzeß weitertreibe."

Georges Didi-Huberman: "Venus öffnen". Nacktheit, Traum, Grausamkeit. Aus dem Französischen von Mona Belkhodja und Marcus Coelen. diaphanes Verlag, Zürich 2006. 176 S., Abb., br., 26,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Schluss machen will der renommierte Kunstwissenschaftler Georges Didi-Huberman mit den verharmlosenden, ja "frigidisierenden" Lektüren der Venus und überhaupt von Nacktheit bei Botticelli. Was der Autor dabei entdeckt und ans Licht zerrt, hat mit dem Bild, das man sich bis heute gerne von antikentrunkener Schönheitsliebe der Renaissance macht, wenig zu tun. Völlig überzeugend findet die Rezensentin Christine Tauber diese Analyse insbesondere in den Analysen des Zyklus "Gastmahl des Nastagio degli Onesti", die sich wiederum auf die Quelle der dargestellten "mänadengleichen" nackten Frau berufen - nämlich die Novelle "Höllenjagd" aus Boccaccios "Decamerone". Didi-Huberman folgt diesem Motiv einer "nächtigen, grausamen, unreinen" Geschichte weiblicher Körperdarstellung bis ins 18. Jahrhundert, und zwar mit der Lektüre der Reiseberichte des Marquis de Sade. Auch hier macht die Rezensentin keinen Widerspruch geltend, sie scheint von diesem "ingeniösen Essay" rundum begeistert.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Man sieht nach der Lektüre mit anderen Augen.« Andreas Strobl, Süddeutsche Zeitung