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Martine Martin, als Literaturwissenschaftlerin mit der erotischen Literatur des 18. Jahrhunderts beschäftigt, wird als Kulturattache in ein arabisches Land berufen. Schon gleich bei ihrer Ankunft bekommt die attraktive, selbstbewusste junge Frau einen Eindruck dessen, worauf sie sich mehr spontan als mit Bedacht eingelassen hat. Mit ihrer Direktheit verwirrt sie ihre solide Umgebung zutiefst. Es häufen sich der Tratsch und die Zweifel an ihrer Integrität, während sich gleichzeitig die Zahl der eindeutigen Angebote erhöht.

Produktbeschreibung
Martine Martin, als Literaturwissenschaftlerin mit der erotischen Literatur des 18. Jahrhunderts beschäftigt, wird als Kulturattache in ein arabisches Land berufen. Schon gleich bei ihrer Ankunft bekommt die attraktive, selbstbewusste junge Frau einen Eindruck dessen, worauf sie sich mehr spontan als mit Bedacht eingelassen hat. Mit ihrer Direktheit verwirrt sie ihre solide Umgebung zutiefst. Es häufen sich der Tratsch und die Zweifel an ihrer Integrität, während sich gleichzeitig die Zahl der eindeutigen Angebote erhöht.

Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.11.1996

Schöne Frau auf Dienstreise
Prekär: Raymond Jean modernisiert die Erotik im Golfkrieg

Vor einigen Jahren publizierte der Autor und Literaturprofessor Raymond Jean ein romanhaftes "Porträt des Marquis de Sade". Der Literatur des Marquis antwortete im Spiegel der Kritik jene des Gelehrten. Im neuen Roman "Verbotene Lektüre" schreibt nun die charmante Literaturstudentin Martine Martin ihrerseits eine Arbeit über Sade. Autor, Kritiker und Romanheld reichen einander den Stoff weiter, zusammen mit dem nicht mehr ganz neuen Geheimtip, daß Literatur am besten von Literatur handle. Die Hüllen seien gefallen, Literatur und Kritik stünden nackt voreinander und müßten erkennen, daß sie im Grunde dasselbe seien: eben Literatur - stellte Raymond Jean 1966 in einem Vortrag etwas erschreckt zu einer Zeit fest, als Philippe Sollers und Roland Barthes noch als Vorbilder galten. Wie so viele andere hat Jean seither mehr oder weniger glückvoll versucht, seine kritische Kompetenz in Literatur umzumünzen. Am elegantesten ist ihm das in dem durch die Verfilmung berühmt gewordenen Roman "Die Vorleserin" gelungen.

"Sie und ich, wir sind all diese literarischen Theorien und ihre klinische Sprache leid", sagt im neuen Roman der in Aix-en-Provence tätige Literaturprofessor zu seinen Doktoranden. Das alles hätte ausgedient. Er rät seinen Studenten, die Promotionsthemen nach anderen Kriterien zu wählen, und schlägt vor: berühmte Persönlichkeiten aus Aix-en-Provence. Mirabeau, Zola, Louise Colet, Germain Nouveau, Cézannes Tagebücher sind bald vergeben. Frei ist nur noch der zwar nicht aus Aix stammende, aber immerhin dort in effigie verbrannte de Sade. Das Thema bleibt an unserer jungen, hübschen Romanheldin hängen.

Statt sich damit in die Bibliotheken zu vergraben, dehnt diese es aus auf die ganze erotische Literatur vorab des achtzehnten Jahrhunderts und zieht damit hinaus in die weite Welt. So sitzt sie am Romananfang im Flugzeug, unterwegs zu ihrem ersten Diplomatenposten im Mittleren Osten. Der Golfkrieg hat noch nicht begonnen, Saddam Husseins Zugriff auf Kuweit läßt sich aber schon absehen. Besorgt vergleicht der französische Botschafter, bei dem die junge Frau ihren Dienst als Kulturattaché antreten soll, mit dem Lineal auf den Pressefotos das Wachsen von Saddams Schnurrbart mit den Maßen von Hitler und Stalin. Eine Kennerin des achtzehnten Jahrhunderts, der Zeit Montesquieus, Voltaires, Rousseaus, das sei genau das richtige für diese Gegend des aufkommenden Fanatismus, freut sich der Diplomat, noch nicht ahnend, welch freizügige Sitten und freigeistige Bücher die neue Mitarbeiterin mit sich bringt. Das Jahrhundert von Restif de la Bretonne, de Laclos, de Sade, Crébillion kommentiert schon ahnungsvoller der Zweite Botschaftsrat.

Wie das Mädchen zugleich unschuldig und durchtrieben seine verführerische Erscheinung im Mittleren Osten spazierenführt und den Diplomaten und Ölscheichs den Kopf verdreht, wird im Roman lang, breit und ziemlich eindimensional dahererzählt. Von den orientalischen Palästen über exotische Pflanzen und Tiere bis zu den dunkelhäutigen Dienern und festlich rauschenden Nächten bleibt uns keines der verfügbaren Klischees erspart. Das sympathische Mädchen könne doch nichts dafür, scheint der Autor uns mit jedem Halbsatz ins Ohr flüstern zu wollen: Daß sie stets Apollinaires "Elftausend Ruten", Aretinos "Unkeusche Sonette", Roger Vaillands "Kalten Blick" oder eben de Sade mit sich führe, daran sei ihr Doktorvater schuld. Und der unwiderstehliche Charme ihrer Person könne ihr auch nicht zum Vorwurf gemacht werden. Die Schöne: im Grund eine Gefangene der Blicke, die auf ihr ruhen. "L'Attachée" hieß im Original 1993 der französische Titel. So begeht die Titelheldin, deren menschliches Profil im Roman etwa so tief wie ein hochglänzendes Illustriertenfoto reicht, auf dem glatten mittelöstlichen Diplomatenparkett einen Faux-pas nach dem anderen. Bleibt schließlich nur noch der Ausweg, sie pünktlich zum Anfang des Golfkriegs auf Dienstreise nach Bagdad zu schicken. Zusammen mit anderen Westlern wird sie dort von Saddam Hussein als lebender Schutzschild gegen amerikanische Bombardierungen eingesetzt.

Die gelehrten Anspielungen auf die erotische Literatur, mit denen der Autor gern den ersten Romanteil anreicherte, muß er hier allerdings mit Recherchiertem über UN-Resolutionen und irakische Truppenverschiebungen vertauschen. Das wiederum lockert er auf mit Jahrtausendmythologie. Nachdem die unerschrockene Schöne an irakischen Kindern ihre Menschlichkeit unter Beweis stellte, darf sie eine Nacht lang in einer Oase des Zweistromlands mit einem amerikanischen Historiker Adam und Eva spielen. Aus Saddams Fängen schließlich wieder frei gekommen, wird sie aus dem diplomatischen Dienst entlassen und tritt in der Haute-Provence eine Stelle als Schullehrerin an, wo sie auch brav ihre Doktorarbeit über die "Erographie" zu Ende schreibt. Wider alle akademischen Gepflogenheiten nutzt sie dann aber die Zeremonie der Titelverleihung, um eine persönliche Erklärung abzugeben, die offenbar dem Autor Raymond Jean selbst ganz besonders am Herzen lag: Daß nämlich Pornographie nicht darin liege, was man sich gewöhnlich darunter vorstelle, sondern im täglichen obszönen Vorzeigen von zerstückelten Leichen, zermalmten Körpern und verkohltem Fleisch in den Medien. Hätte der Autor das doch gleich gesagt. JOSEPH HANIMANN

Raymond Jean: "Verbotene Lektüre". Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Sabine Herting. Limes Verlag, München 1996. 208 S., geb., 32,- DM.

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