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Traum und Schlaf, Dämmerung und Dunkelheit - Umrisse verschwimmen, Bilder überlagern sich, Orte und Szenen ändern ihre Form. Geräusche sind hier mitunter eindringlicher als Sichtbares, und der Rhythmus faltet Räume auf: "keller / die nachhallten, gänge, einfach überwölbt, / von feuchte durchzogen. sie zeigte sich vorne, / bewegte sich im hintergrund". In seinem dritten Gedichtband spürt Nico Bleutge den Übergängen zwischen Wach- und Traumzuständen nach. Und er nähert sich den beweglichen Orten an, wo Wahrnehmungen und Gedanken ineinandergleiten, findet Zwischenmomente, in die sich immer wieder…mehr

Produktbeschreibung
Traum und Schlaf, Dämmerung und Dunkelheit - Umrisse verschwimmen, Bilder überlagern sich, Orte und Szenen ändern ihre Form. Geräusche sind hier mitunter eindringlicher als Sichtbares, und der Rhythmus faltet Räume auf:
"keller / die nachhallten, gänge, einfach überwölbt, / von feuchte durchzogen. sie zeigte sich vorne, / bewegte sich im hintergrund".
In seinem dritten Gedichtband spürt Nico Bleutge den Übergängen zwischen Wach- und Traumzuständen nach. Und er nähert sich den beweglichen Orten an, wo Wahrnehmungen und Gedanken ineinandergleiten, findet Zwischenmomente, in die sich immer wieder Erinnerungen und Sprachsplitter schieben, aber auch geschichtliche Spuren, erdachte und projizierte Bilder. Im Areal von Gedicht und Erinnerung erkundet er die Atmosphären, die Landschaften und Städte annehmen können. So lassen sich wundersame Entdeckungen machen, die Sprache und Wahrnehmung schärfen, "meeresbeweglichkeit" etwa, "gleisluft" oder "ein ziehen der muskeln im sand". Mit ihren wechselnden Rhythmen sind diese Gedichte aufregende Expeditionen ins Sprachgelände und in die Grenzzonen von Bewusstsein und Welt.
Autorenporträt
Nico Bleutge, 1972 in München geboren, studierte Neuere Deutsche Literatur, Allgemeine Rhetorik und Philosophie in Tübingen. Heute lebt er in Berlin. Bei C.H.Beck erschienen die beiden Gedichtbände "klare konturen" (2006) und "fallstreifen" (2008). Für sein Schreiben wurde er vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Anna Seghers-Preis (2006), dem Wilhelm-Lehmann-Preis (2011) und dem Erich-Fried-Preis (2012).
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Am Anfang wittert Rezensentin Ina Hartwig eine Absage ans Digitale. Geborstene Kabel quellen aus der Landschaft in Bleutges neuen Gedichten. Aber so einfach ist das nicht: Bleutge ist laut Hartwig keineswegs ein Idylliker. Darum ist die Landschaft auch nicht Landschaft: Hier passiert "so etwas die Ablösung der Landschaftsromantik durch eine Geländewahrnehmung". Auch das lyrische Ich habe sich "weitgehend erledigt": An seine Stelle tritt eine sich verselbständigende Wahrnehmung und intensiviert sich und bohrt von der Oberfläche des Geländes in die Tiefen des Traums, der Geschichte, der Literatur. Schön zeigt Hartwig, wie sich Bleutge durch eine Überschreibung eines Heiner Müller-Gedichts dem Goetheschen "Erlkönig" nähert. "Das Kind war ich."

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.06.2013

Und manchmal,
nachts
Wunderbare Wanderungen durch die Gegenwart:
Nico Bleutges neuer Gedichtband „verdecktes gelände“
VON JENS BISKY
Im Halblicht beginnt der neue Gedichtband Nico Bleutges, in einem Moment des Zögerns. Doch die Landschaft weiß, wohin: „dämmerung. schwanken. lange schon wies der weg / durch die felder.“ Hinaus, hinab, vorbei an Ufern, Halden, Hangars, Hängen führen diese Gedichte, und gern folgt der Leser ihrem Rhythmus, der den verschiedenen Atemgeschwindigkeiten eines Wanderers nachgebildet scheint. Hier ist meist Bewegung: „noch einmal die wand entlang“, „sich öffnen, luft wieder freigeben“, „geht nicht voraus, läßt sich nicht fassen“. Vor eine Landschaft im unverächtlich-konventionellen Sinn der Malerei führen diese Gedichte nicht, sie sind keine Wort-Veduten. Sie leben vom Rhythmus und einer Imagination, die sich von einzelnen Wörtern befeuern lässt, von „grind“, „grauwacke“, „hirschzunge“, von „torf“, „filz“, „schlacke“, von der Spannung zwischen Idylle und Großstadt.
  Seit Bleutges erstem Gedichtband „klare konturen“ (2006) schlägt man sein Werk der Landschaftslyrik zu. Auch sein drittes Buch – „verdecktes gelände“ – hält es mit Farnen, Fischen, Seen, Erdreich, Luft und Wasser – doch Landschaftslyrik ist dies wohl nur, wenn man den Begriff so weit dehnt, dass er nichts Genaues mehr bezeichnet. „Geländelyrik“ bietet sich an, denn von Streifzügen im Gelände ist hier die Rede und von den Schwierigkeiten, seine Atmosphäre zu erfassen, etwas also, das sich entzieht, sobald man es zu benennen, zu begreifen versucht: Geländelyrik, Atmosphärendichtung statt Landschaft und Bild.
  Im Gelände, in den Atmosphären sind organische und anorganische Natur, Gegebenes und Menschengemachtes unauflöslich miteinander vermischt. Manchmal scheint die Unterscheidung von Natürlichem und Nicht-Natürlichem hinfällig, die Wahrheit verdeckend: „am ufer ankommen, wach / unter dem schwelgeruch der flure. ruß- / wasser, wandernder austritt. der sog / lief langsam in sich selbst zurück. keller / die nachhallten, gänge, einfach überwölbt, / von feuchte durchzogen.“
  Fünf Abschnitte hat der Band: „dämmerung. schwanken“, „farnkraut“, fischhaare finden“, „ringsum nacht“ und abschließend das Langgedicht „verdecktes gelände“, eine Berlin-Erkundung, für die man gern Dutzende Berlin-Beschwörungen drangäbe. Was Bleutges Lyrik immer ausgezeichnet hat, die Zurücknahme des Ich, um Welt und Wahrnehmung ungestört beobachten, mit der Strenge eines Phänomenologen beschreiben zu können, findet sich auch hier. Doch besticht das Buch durch seine Vielfalt, Variationen, die Wiederaufnahme von Motiven in anderen Tonlagen, durch Figurenrede, eine Entwicklung zum Freieren, Spielerischen hin. Manchmal nähert sich Bleutge dem verknappten, verkappten Erzählen: „die augen meiner mutter waren / hinter glas, so ähnlich hätte ich / es dir geschrieben, wenn ich dir je / geschrieben hätte. nassau vielleicht, / du kennst die bilder an der eingangs- / türe, doch ich wohne hier.“
  Gewiss ist es eine Verkürzung, das Gedicht vielfach auszulegen, doch liegt es nahe, in den innigen Versen „und manchmal nachts, da geht der atem leise“ die Erfahrung nächtlichen, keuschen Wachliegens neben einer, neben einem Geliebten erfasst zu finden: „und manchmal, nachts, da geht der atem leise / der körper wach, die augen eingerollt / das schauen mischt sich in die kreise / die noch der schlaf im innern zieht / und schleicht sich doch nach draußen, leise / zu einem stuhl, dem wäscheständer, staub. (. . . ) nur manchmal / rollt der eine atem sich hinüber, wenn / etwas aufhorcht, dunkel sich bewegt.“
  Wer mag, entdeckt in diesen Gedichten voller Traum, Dämmerung, Dunkelheit, Nacht und Hinab reichlich romantische Motive, doch drängen sie sich nicht auf, werden erst nach wiederholter Lektüre bewusst. Dieses Kunststück macht Bleutge, der in München geboren wurde und in Berlin lebt, derzeit kaum einer nach. Ihm gelingt die Erneuerung der romantischen Dichtersprache, er verleiht ihr vollkommene Gegenwärtigkeit. Diese erscheint in seinen Versen nicht wie so oft als modische Zutat oder forsche Behauptung. Seine Gedichte sind ganz gegenwärtig, weil sie den Leser einüben in interesselose Neugier, in Absichtslosigkeit.
  Zeitgenosse sein, heißt dann nicht länger, ein Problem haben, sich für einzigartig halten, sondern mit gesunden, offenen Sinnen in der Welt zu stehen, zu riechen, zu hören, zu erinnern, zu wandern und selbst die Nacht zu erleben, als wäre sie soeben zum ersten Mal hereingebrochen.
  Wie jeder lebt auch Nico Bleutge von den Worten anderer. Die fremden Stimmen, denen er sich anvertraut hat er in Anmerkungen verzeichnet, von Inger Christensen bis Ezra Pound. Zwei Gedichte jedoch sind buchstäblich Überschreibungen: einmal von Heiner Müllers „Traumwald“, einmal von Johan Peter Hebels Prosastück „Von den Schlangen“: eine erstaunliche Mimikry an den Naturforscher, der zum Dichter werden muss, will er das Getier verstehen: „und dann hinunter in die tiefe steigen, auf den / grund. den mund behutsam auf die steine legen, schild / an schild. und warten, auf den schlamm, geräusche. / auf die dämmerung. ob sie die schuppen aneinander reiben? / ob sie sich hören lassen, nachts, / in ihrem wellengang? (. . . ) nur wärmefäden / strahlen aus, von den steinen, und schließen / einen leeren raum wie eine insel zwischen sich ein / darin die schwere, langsam, sich verdichtet, schicht / über schicht. von oben bald, und bald von der seite / dringt es nach. / wer könnte sagen, ob sie kommen, / schon dagewesen sind.“
  Gefragt, wie er schreibe, wie ihm die Worte, Ideen kommen, hat Nico Bleutge einmal von „konzentrierter Euphorie“ gesprochen, von einem Zustand also, über den man nicht gebieten kann, der nur durch beharrliche Übung, Versenkung, programmatische Langsamkeit herbeizuführen ist, ein Versuch in willkürlicher Unwillkürlichkeit. Glückt dieser wie in den Gedichten dieses Bandes, teilt sich das Hochgefühl des Bei-Sich und der Welt-Zugewandt-Seins zugleich auch dem Leser mit. So wandert man gern durch Gelände und Atmosphären der Gegenwart. 
  
  
  
Nico Bleutge wurde 1972 in München geboren, studierte in Tübingen und lebt heute in Berlin. „verdecktes gelände“ ist sein dritter Gedichtband.
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Nico Bleutge: verdecktes gelände. Gedichte. Verlag C.H. Beck, München 2013. 75 Seiten, 14,95 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.08.2013

Vom Klang der Reptilien
Nico Bleutge dichtet über Erinnerungen und Träume

Wer Lyrik liest, konzentriert sich meist auf ein einzelnes Gedicht oder einen Band. Wer sie schreibt, hat oft größere Zusammenhänge im Blick. Liest man die Titel der drei bislang erschienenen Lyrikbände von Nico Bleutge in Folge, lässt sich beobachten, wie der 1972 geborene, vielfach Ausgezeichnete mit großer Bedachtsamkeit ein poetisches Bezugssystem auf- und ausbaut: Sein Debüt "klare konturen" bezeichnet die Umrisslinien von Körpern. "fallstreifen" (2008) verwendet die meteorologische Bezeichnung für Niederschläge, die, bevor sie die Erde erreichen, in der Luft verdunsten und dabei schleier- oder streifenartige Schleppen bilden. Aus Linien werden Schleppen, die sich in "verdecktes gelände", so der Titel des jüngsten Bandes, zur Fläche weiten. Vollzieht man den Dreischritt, wird eine zweite, in gewissem Sinne gegenläufige Bewegung erkennbar. Sie führt von der Klarheit über ein Verschleiern hin zum Verdeckten.

Man kann auch in der Mikrostruktur der in Kleinbuchstaben gesetzten Gedichte, in ihrem Rhythmus, ihrer fein austarierten Lautlichkeit und Motivik, diesen Zusammenhängen nachspüren, die Bleutges Formbewusstsein und seine immense Fähigkeit zum Weben feinster sprachlicher Texturen belegen. Dafür ist zunächst Geduld unabdingbar, denn die Gedichte erscheinen kühl, was ihrem Fokus auf oft menschenleere Landschaften geschuldet ist, mehr jedoch der fast gänzlich fehlenden Selbstadressierung des lyrischen Ichs. Das Ich in "verdecktes gelände" mutet an wie ein Flussbett, durch das Bilder und Töne fließen, wie ein Medium, das visuelle und akustische Phänomene der Natur, urbaner Landschaften und städtischer Peripherien vermittels Sprache aufzeichnet und mit der Erinnerung reflektierend ins Verhältnis setzt. Durchlässig für die Phänomene, versucht dieses Ich umgekehrt, sich sprechend in der Welt zu verankern. Die Wechselwirkungen zwischen und Durchdringungen von Wahrnehmen, Benennen und Bedenken entfalten eine soghafte Wirkung.

Sie zeigt sich schon im ersten Gedicht "dämmerung. schwanken" in der ersten der fünf Abteilungen von "verdecktes gelände". In der Dämmerung, in der sich das Licht noch nicht durchgesetzt hat oder verschwunden ist, verliert die Außenwelt an Sichtbarkeit, gewinnt Wahrgenommenes Raum und kann sich in das Ich einsenken: "lange schon wies der weg / durch die felder. zweige bewegten sich, regen / strich durch die stirn. das wasser schob sich quer an den flanken der bäume entlang." Der Regen sickert ins Bewusstsein, streicht "durch die stirn", nicht "über die Stirn", besetzt den Raum des Denkens. Solcherart flirrend und zugleich frei von schwärmerischen Gesten sind Bleutges Gedichte ein Sprechen über die Natur "nach der natur", wie es in "fallstreifen" heißt. Mythologische oder transzendente Bezüge lassen sich allenfalls erahnen. Neben den Verweisungszusammenhängen innerhalb der Bände muss man sich konkrete Bezugspunkte einzelner Verse nicht selten aus "Nachbildern" der Verse erschließen.

Das Gedicht "und dann hinunter" etwa verwendet Sprachmaterial aus Johann Peter Hebels "Von den Schlangen", wo es heißt: "Und die Schlange, ob sie gleich mit dem Bauch auf der Erde schleicht, ist doch ein merkwürdiges und wirklich ein schönes Tier." Anders als Hebels die Natur und die göttliche Schöpfung preisende Kalendergeschichte, nennt Bleutges Gedicht die Schlangen nicht beim Namen, sondern nur in einer Anmerkung. Gegenstand des Gedichts ist eher die "Schlangenhaftigkeit", es stellt sinnliche Eindrücke vor, die von Schlangen erzeugt werden, ein Geräusch von sich berührender Reptilienhaut oder den Anblick und das Aufgewühlte von bewegtem Wasser. Offen bleibt, ob die Schlangen wahrgenommen, vorgestellt oder erinnert sind: "wer könnte sagen, ob sie kommen, schon dagewesen sind" - die Ungewissheit befördert die innere Spannung und den Reiz der Verse.

In ihrer Klarheit und Genauigkeit sind Bleutges Gedichte Talismane gegen ein Abstumpfen der Sinne und jeglichen Alltagssprachbrei. Sie fordern dazu auf, sich langsam und konzentriert den Räumen und Rändern des Wahrnehmens, Denkens, Erkennens, Erinnerns und Sprechens zu nähern. Mit seinem Vokabular, in dem, wie in den späteren Gedichten Paul Celans, geologische Begriffe wie "muschelkalk", "ton", "lehm", "grauwacke", "schlamm" auftauchen, fahndet "verdecktes gelände" nicht nur nach der Schichtung und Beschaffenheit der Erde. Das Vokabular lässt sich auch auf Sprach- und Bewusstseinsschichten und Erinnerungen beziehen. Bleutges Gedichte durchmessen ein Gelände, in dem jede Entdeckung neue Rätsel gebiert.

BEATE TRÖGER

Nico Bleutge: "verdecktes gelände". Gedichte.

Verlag C. H. Beck, München 2013. 76 S., geb., 14,95 [Euro].

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