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Die Speziallager des sowjetischen Geheimdienstes in der SBZ und DDR - ein tabuisiertes und verdrängtes Kapitel deutscher Nachkriegsgeschichte.
Am 17. Januar 1950 wurde im Neuen Deutschland die Auflösung von Lagern bekannt gegeben, die es offiziell gar nicht gab: die Speziallager des sowjetischen Geheimdienstes. Schätzungsweise 154 000 Deutsche waren seit 1945 in der SBZ und frühen DDR unter Bedingungen gefangen gehalten worden, die ein Drittel von ihnen nicht überlebte.
Bettina Greiner untersucht die Selbstorganisation der Gefangenen und ihre internen, meist gewaltsamen Konflikte. Sie
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Produktbeschreibung
Die Speziallager des sowjetischen Geheimdienstes in der SBZ und DDR - ein tabuisiertes und verdrängtes Kapitel deutscher Nachkriegsgeschichte.

Am 17. Januar 1950 wurde im Neuen Deutschland die Auflösung von Lagern bekannt gegeben, die es offiziell gar nicht gab: die Speziallager des sowjetischen Geheimdienstes. Schätzungsweise 154 000 Deutsche waren seit 1945 in der SBZ und frühen DDR unter Bedingungen gefangen gehalten worden, die ein Drittel von ihnen nicht überlebte.

Bettina Greiner untersucht die Selbstorganisation der Gefangenen und ihre internen, meist gewaltsamen Konflikte. Sie beleuchtet ebenfalls den Alltag im Lager, der von Hunger und Untätigkeit geprägt war.

Schließlich fragt sie, weshalb den Opfern stalinistischer Verfolgung noch heute die gesellschaftliche Anerkennung versagt bleibt. Anhand der Hafterinnerungen zeigt sie, wie schwierig es ist , gebrochene Biografien zu erzählen und in ihrer Ambivalenz zu akzeptieren - wer einmal Täter war, kann kein Opfer sein, und umgekehrt.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Autorenporträt
Bettina Greiner, Dr. phil., Historikerin, Leiterin des Willy-Brandt-Hauses in Lübeck.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.08.2010

Glücklich, wer nicht vergessen muss
Vier vorbildliche Bücher demonstrieren, wie sich eine Routine gewordene Gedenkkultur weiterentwickeln kann / Von Claus Leggewie
Als Streberin musste sich die 17-Jährige von einer Mitschülerin anmachen lassen, weil sie ihrem Lehrer vorschlug, einen KZ-Überlebenden, den sie in Auschwitz bei einem Besuchergespräch in der Jugendbegegnungsstätte kennen gelernt hatte, in den Geschichtsunterricht einzuladen. Und ein Mitschüler legte nach, das Erbschuldgerede der 68er-Lehrer komme ihm schon zu den Ohren heraus.
Das ist keine ungewöhnliche Reaktion, wenn die dritte Nachkriegsgeneration auf die NS-Verbrechen zu sprechen kommt. Die Gymnasiastin Katarina Bader (Jahrgang 1979) hat sich nicht abschrecken lassen, und der Auschwitz-Häftling Jerzy Hronowski, genannt Jurek, aus Polen vermochte die Klasse zu packen. Gespräche mit Überlebenden und Zeitzeugen waren die besten Mittel, die Erinnerung an ein sich immer weiter entfernendes Menschheitsverbrechen wachzuhalten und damit bei Nachlebenden nicht Schuldgefühle, wohl aber Verantwortungsbewusstsein hervorzurufen, nach dem Ableben der Zeitzeugen.
Bader ist mittlerweile eine erfolgreiche Journalistin und Politologin an der Münchner Universität, aus der Schulepisode wurde eines der besten und originellsten Bücher zum Thema „Aufarbeitung der Vergangenheit“. „Jureks Erben“ ist die durchkomponierte Biographie des Jurek Hronowski, die er selbst nie vollenden konnte und an deren Abfassung eine Reihe älterer und jüngerer Deutscher symptomatisch gescheitert sind. Die Lebensgeschichte verkrampft sich nicht am Thema Aufarbeitung, sie ist zugleich die Erzählung einer ganz unlogischen Freundschaft, der Beziehungen zwischen Deutschland und Polen vor und nach 1945, und nicht zuletzt der Überwindung des Schweigens, das zwischen den Generationen – bei Tätern wie Opfern – so oft geherrscht hat.
Das Buch beginnt 2006 mit dem Tod des 83-Jährigen in seiner Warschauer Wohnung, acht Jahre nach seiner ersten Begegnung mit Frau Bader in Auschwitz. Auf eine im Internet publizierte Hommage Baders melden sich verschiedene Personen mit Mutmaßungen über Jureks Leben und Sterben. Diese Fäden hat die Autorin zu einem spannenden Bericht verbunden, der Gespräche mit Hronowski, seine eigenen Aufzeichnungen und mündliche und schriftliche Aussagen anderer auswertet, die sich allesamt von Jurek instruieren und faszinieren, oft auch verwirren und abstoßen ließen. Die Originaltöne Hronowskis, der eigentlich Jerzy Baran hieß, ziehen sich kursiv durch das gesamte Buch und werden in bester quellenkritischer Manier geprüft.
Bader hat sich dabei einer emotionalen Tortur unterzogen. Der Mensch, den sie so sehr respektiert und schätzt, wird nach dem Tod mit seinen schwierigen, unangenehmen Seiten sichtbar – als Mitarbeiter des polnischen Geheimdienstes, als denkbar schlechter Ehemann und Vater. Er provozierte alle, mit denen er zu tun hatte, er war so charmant wie aufbrausend, so furchtlos wie paranoid. Was kaum anders zu erwarten ist von einem Menschen, der vier Jahre im „Anus Mundi“ verbracht hat, wie ein anderer polnischer Überlebender, Wieslaw Kielar, Auschwitz einst genannt hat. „Das habe ich im Auschwitz gelernt“, war ein Standardsatz von Jurek, dessen Stimme man als Leser oft zu hören meint. Über die Jahrzehnte hinweg hat er über seine Erlebnisse zu reden gelernt und sie in dreißig didaktische Standardgeschichten komprimieren können, aber das Trauma, das andere in den Selbstmord oder Wahnsinn trieb, hat er damit nie überwunden. An seinem Fall ist erkennbar, wie existentiell „Schreiben nach Auschwitz“ sein konnte: Die für alle unvorstellbaren Grausamkeiten verwandelten sich in Geschichten mit gutem Ausgang, damit sie für die Zuhörer fassbar und auch für den Erzähler in seiner Überlebensschuld erträglich wurden.
Nach Baders Rechnung hat Hronowski gut 10 000 Deutschen seine Geschichte erzählt, über die er mit seiner Frau nicht reden wollte und die er auch seinem nach Amerika emigrierten Sohn Tomek vorenthielt. Auch sein Enkel Marek hat die Geschichte seines Großvaters erst nach dessen Begräbnis in Warschau erfahren – von der Autorin. Sie wurde zur Haupterbin Jureks, weil sie jenseits der Routinen von Aussöhnung und Vergangenheitsbewältigung die (trotz allem liebenswerte) Person nicht aus den Augen verlor.
Bei vielen Deutschen und Polen hatte sich die Bewältigung der eigenen Familiengeschichte vor die Freundschaft geschoben, sodass Jurek nur ein „Köder für Gespräche“ war, die ehemalige Napola- Zöglinge und Heimatvertriebene mit ihren verstockten Eltern, einer postfaschistischen Gesellschaft und mit eigenen Schuldkomplexen nicht führen konnten. Man stilisierte Jurek zum „Opfer“ und verfehlte damit den leidenden Menschen.
Wie Katarina Bader vom Weiterleben nach dem Überleben schreibt, zeigt einen Weg, Gedenkroutinen aufzubrechen. Das geht nicht ohne die Entmystifizierung auch dieses Zeitzeugen, der so um die Wahrheit gekämpft hat und sie nie finden konnte – und dabei fest an „selbsterlebte“ Geschichten glauben wollte, wie eine alliierte Bombardierung von Auschwitz, die niemals stattgefunden hat. Davon zu schreiben, hat auch Katarina Bader erst nach dem Tod ihres Protagonisten gewagt. Ihr Buch sollten besonders diejenigen lesen, die finden, es sei genug über die NS-Vergangenheit geschrieben und gesprochen worden.
Aber sollten wir diese Vergangenheit nicht doch endlich vergraben und vergessen? Alle Friedensverträge nach Kriegen und Bürgerkriegen enthielten bis ins 20. Jahrhundert hinein entsprechende Klauseln. Christian Meier, dem 81-jährigen Doyen der deutschen (Alt-)Historiker, ist das Kunststück gelungen, uns das Vergessen am Vorbild der antiken Amnestiepraxis plausibel zu machen und sogleich am Exempel von Auschwitz die Unabweisbarkeit der Erinnerung klarzumachen.
Das weise kleine Buch nimmt dem Erinnern den Furor und rühmt am Vergessen die Klugheit. Das Problem liegt jeweils in der transitiven Form: Erinnern und vergessen sind spontane Vorgänge des Gedächtnisses, erst andere erinnern oder sie vergessen lassen, bewirkt die Aporien und Verstörungen, die Meier in einem fast lakonischen Durchgang von der ganz alten bis zur jüngsten Geschichte darlegt.
Vor allem der deutsche Fall widerlegt das populäre Motto: Glücklich ist, wer vergisst, wenn es um die öffentliche Bearbeitung der Vergangenheit geht. Die Bundesrepublik konnte als Demokratie nur gelingen, weil der spontane Impuls, die abominablen Verbrechen des „Dritten Reiches“ zu verdrängen und zu leugnen, von außen und innen durchkreuzt wurde. Man darf nicht, man kann aber auch nicht einfach vergessen (machen), was Vorstellung und Vernunft so übersteigt wie die Shoah. Die Zäsur setzt Meier bereits vorher an: Schon der Erste Weltkrieg war ein Zivilisationsbruch, nach dem man nicht zur Tagesordnung übergehen konnte – und dem ein weit schlimmerer folgte, weil die alteuropäische Staatenordnung es dennoch versuchte.
Ganz anders bewertet Meier die Verarbeitung der Staatsverbrechen der DDR, die weder Krieg noch Genozid beinhalteten und auch keine Stalinsche Große Säuberung. Dass die Bürgerrechtler nach Erringung ihrer Freiheit keine Unabhängigkeitserklärung abgaben, sondern ein Schuldeingeständnis (und zwar am Holocaust), ist für Meier der Grund für ihre Machtlosigkeit und eine Ursache für das teilweise Misslingen der Einheit.
„Bei aller gebotenen Abgrenzung zum Nationalsozialismus gibt es keinen Grund, die Speziallager nicht bei dem Namen zu nennen, der ihnen zusteht: „Konzentrationslager“, resümiert die Berliner Historikerin Bettina Greiner (Jahrgang 1969) ihre exzellente Studie über die 13 Internierungslager, die der sowjetische Geheimdienst NKWD 1944/5 in der SBZ einrichtete. Ihre Analyse beruht auf der Auswertung russischer und deutscher Archivmaterialien sowie von Erfahrungsberichten und Interviews ehemaliger Häftlinge. Inhaftiert wurden „Spione“, „Diversanten“, „Terroristen“ und „aktive Mitglieder der Nationalsozialistischen Partei“, doch dienten die Lager nicht der Entnazifizierung, sondern der Isolierung und Eliminierung von „Klassenfeinden“, also von tatsächlichen oder vermeintlichen Gegnern der Sowjetisierung.
Die Bilanz ist erschütternd: Von über 150 000 Inhaftierten, darunter viele Jugendliche, starb ein Drittel an Hunger und Entkräftung. Greiner arbeitet die Zustände in den Lagern minutiös heraus, und man fragt sich am Ende, warum ein solches Werk erst sechzig Jahre nach ihrer Schließung und zwanzig Jahre nach der Vereinigung erschienen ist. Die Lager waren im Osten wie im Westen Deutschlands tabu, darüber zu reden inopportun. Insofern bietet dieses Buch auch den brisantesten Beitrag zur deutschen Geschichtspolitik. Die Namen Sachsenhausen und Buchenwald blieben allein mit dem NS-Terror belegt, auch wenn der stalinistische Terror dort nahtlos weiterging und sich in den ersten Jahren der antifaschistischen DDR fortsetzte.
„Ist es zulässig, zwischen Tod und Tod, zwischen Sterben und Sterben zu unterscheiden?“ fragt Dan Diner (Jahrgang 1946) zur Unterscheidung von Pietät und Reflexivität angesichts der verschwimmenden Narrative der massenhaften Vernichtung im 20. Jahrhundert, und er illustriert dies an einem vertrackten deutschen Fall: der gemeinsamen Todesangst einer jüdischen KZ-Insassin und einer SS-Wärterin beim Luftangriff auf Dresden. Diners gelehrte und tiefgründige Beiträge gehören seit langem zu den besten Analysen der Zeitgeschichte. Der auch thematisch zwischen Deutschland und Israel pendelnde Direktor des Simon-Dubnow-Instituts macht in zehn sehr dichten Kapiteln die Zeitenschwelle erkennbar, in der die Menschheit derzeit lebt, und für die ihr so oft das Verständnis fehlt, weil es an historischer und geschichtsphilosophischer Einordnung mangelt. Wer nach Orientierung im Gegenwartschaos sucht, sollte diesen Band zu Rate ziehen.
Eine brillante zeitgeschichtliche Reportage, ein souveräner Essay, eine profunde Promotionsarbeit und eine globalgeschichtlich fundierte Zeitdiagnose – vier Autoren aus vier politischen Generationen demonstrieren, dass die deutsche Erinnerungskultur von der „Moralkeule“ (Martin Walser) keineswegs niedergestreckt wurde, sondern unabdingbar ist für das Verständnis der Gegenwart. Dank solcher Beiträge kann sich eine in der Tat Routine gewordene Gedenkkultur weiterentwickeln.
KATARINA BADER: Jureks Erben. Vom Weiterleben nach dem Überleben. Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 2010. 272 Seiten, 19,95 Euro.
CHRISTIAN MEIER: Das Gebot zu vergessen und die Unabweisbarkeit des Erinnerns. Vom öffentlichen Umgang mit schlimmer Vergangenheit. Siedler Verlag, Berlin 2010. 160 S., 14,95 Euro.
BETTINA GREINER: Verdrängter Terror. Geschichte und Wahrnehmung sowjetischer Speziallager in Deutschland. Hamburger Edition, Hamburg 2010. 524 S., 35 Euro.
DAN DINER: Zeitenschwelle. Gegenwartsfragen an die Geschichte. Pantheon, München 2010. 272 S., 12,95 Euro.
Claus Leggewie ist Direktor des Kulturwissenschaftlichen Instituts, Essen
Man stilisierte ihn zum „Opfer“ und
verfehlte den leidenden Menschen
Auch die Speziallager in der SBZ
waren Konzentrationslager
Erneuerte Erinnerungskultur
jenseits der „Moralkeule“
Gespräche mit Überlebenden und Zeitzeugen waren und sind die besten Mittel, die Erinnerung an ein sich immer weiter entfernendes Menschheitsverbrechen wachzuhalten und damit bei Nachlebenden nicht etwa Schuldgefühle, wohl aber das Verantwortungsbewusstsein hervorzurufen, dessen es nach dem Ableben der Zeitzeugen bedarf.
Schüler in der Gedenkstätte in Auschwitz.  
Foto: Frank Wache / LUX/WACHE / Agentur Focus
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.06.2010

"Tschekistische Maßnahmen"
Die NKWD-Lager in der SBZ/DDR dienten der Isolierung potentieller Feinde

Er war ein Schlüsseldokument, streng geheim, mit dem die Existenz russischer Internierungslager in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands begründet wurde - der Befehl Nr. 00315 des NKWD vom 18. April 1945. Er trug die Unterschrift von L. P. Berija, dem berüchtigten Volkskommissar für innere Angelegenheiten, und verstetigte "tschekistische Maßnahmen zur Säuberung des Hinterlandes der kämpfenden Truppen der Roten Armee von feindlichen Elementen". Sie wurden schon seit 1944 ausgeführt. Zu verhaften waren "Spione", "Diversanten", "Terroristen", "aktive Mitglieder der Nationalsozialistischen Partei", "Führer der faschistischen Jugendorganisationen" und andere pauschal Verdächtigte, die in Gefängnissen und Lagern "an Ort und Stelle unterzubringen" waren. So etablierte Stalins Geheimpolizei 1945 in der SBZ zahlreiche Gefängnisse, größere und kleinere, und richtete dreizehn "Internierungslager" ein, intern als "Speziallager" bezeichnet, die ihre offizielle Rechtfertigung durch Verweis auf die Erfordernisse der Entnazifizierung erfahren sollten.

Ursprünglich schien dies durchaus plausibel. "Dennoch kann von einer zielgerichteten Entnazifizierungspolitik mittels Internierungen nicht die Rede sein", resümiert die in Berlin lebende Historikerin Bettina Greiner, die das NKWD-Lagersystem in der SBZ/DDR zum Gegenstand einer fundierten wissenschaftlichen Untersuchung macht. Im Ergebnis zerstört sie die Entnazifizierungslegende. Die sowjetischen Verfolgungen der frühen Nachkriegsjahre charakterisiert die Autorin mit Recht als "Repressionsmaßnahmen, mit denen die Besatzungsmacht ihrer sicherheitspolitischen Paranoia Rechnung trug. Das legitime Ansinnen, deutsches Unrecht zu ahnden, blieb dabei auf der Strecke." Die Gesamtzahl der Internierten bis 1950 wurde in Moskau 1990 auf 157 827 Männer und Frauen beziffert, davon 122 671 deutsche Zivilpersonen, von denen 42 889 starben. Jeder dritte Häftling ist umgekommen, im Lager elend verhungert oder an Krankheiten zugrunde gegangen - unter ihnen mehrere tausend Jugendliche zwischen 15 und 18 Jahren, denen man überwiegend unbegründet "Werwolf"-Aktivitäten anlastete. Die Dunkelziffer der Opfer kennt niemand.

Frau Greiners Forschungen basieren auf russischen Archivalien, einschlägiger Fachliteratur und historischer Dokumentation, aber auch auf 77 Erlebnis- und Erfahrungsberichten ehemaliger Häftlinge, mit denen sie sich überkritisch auseinandersetzt. So etwa, wenn sie ihnen vorhält, "die nationalsozialistische Vorgeschichte auszublenden und ausnahmslos alle Speziallagerhäftlinge zu unschuldigen Opfern zu erklären". Andererseits erlauben die dramatischen Totenzahlen in den Speziallagern nicht deren Gleichsetzung mit nationalsozialistischen Vernichtungslagern, wozu mancher Ex-Häftling neigt. Daraus den Vorwurf abzuleiten, stalinistisch Verfolgte wollten die NS-Verbrechen relativieren und die Deutschen von ihrer Vergangenheit freisprechen, ist aber allzu rigoros gefolgert.

Von den NKWD-Lagern, die bis 1948 der SMAD in Berlin-Karlshorst, danach der Hauptverwaltung Lager (GULag) in Moskau unterstanden, wurden zehn in den ersten drei Nachkriegsjahren wieder aufgelöst. Obwohl durch Befehl Nr. 35 der SMAD vom 26. Februar 1948 die Entnazifizierung in der SBZ für abgeschlossen erklärt worden war, wurden die drei größten Speziallager - Bautzen, Buchenwald und Sachsenhausen - weiterbetrieben. Sie wurden erst zwei Jahre später "liquidiert", ohne dass alle Häftlinge entlassen wurden. Zur Entlassung kamen 9634 Internierte und 5404 SMT-Verurteilte. 3432 Internierte wurden der DDR-Strafjustiz überantwortet und in den "Waldheimer Prozessen" rechtsstaatswidrig verurteilt, 32 zum Tode. 10 513 SMT-Verurteilte wurden der DDR zum Strafvollzug übergeben, weitere 649 in die Sowjetunion verbracht.

Die Autorin hat das alles akkurat aufgearbeitet. Sie gliedert ihre Monographie in drei Teile. Nach einer einleitenden Darstellung des Lagersystems untersucht sie konkret Haftmaßnahmen, Hafterfahrungen und Hafterinnerungen. Den Schwerpunkt macht Sachsenhausen aus. Das frühere NS-KZ war mit 60 000 Häftlingsdurchgängen bis 1950 das größte Speziallager. Es war ein "doppeltes Lager". Außer Internierten, die nie vor Gericht gestellt waren, wurden hier seit 1947 zunehmend Verurteilte Sowjetischer Militärtribunale (SMT) inhaftiert. Sie stellten nach Internierten-Entlassungen 1948 das größere Häftlingskontingent in Sachsenhausen. Zu über 70 Prozent waren sie wegen "konterrevolutionärer Delikte" verurteilt worden, nicht wegen NS-Verbrechen, politisch willkürlich.

Die Funktion der Speziallager erschöpfte sich in der Isolierung potentieller Feinde. Zur Erinnerung: Am 5. September 1918, also kaum ein Jahr nach der Oktoberrevolution in Russland, erließ die Sowjetregierung das Dekret "Über den roten Terror", das die TscheKa - Lenins Geheimpolizei - ausdrücklich ermächtigte, "die Sowjetrepublik vor ihren Klassenfeinden zu schützen, indem diese in Konzentrationslagern isoliert werden". Es war die Geburtsurkunde des Archipel GULag. Die 1945 in der SBZ errichteten Speziallager entsprachen insoweit der Tradition des "roten Terrors". Die Entnazifizierung war Nebensache. Durchsetzung und Sicherung der zweiten Diktatur war entscheidend. Das Fazit, das Bettina Greiner zieht, überrascht daher nicht. Es steht auf der letzten Seite ihres geschichtspolitisch relevanten Buches: "Bei aller gebotenen Abgrenzung zum Nationalsozialismus gibt es keinen Grund, die Speziallager nicht bei dem Namen zu nennen, der ihnen zusteht: Konzentrationslager."

KARL WILHELM FRICKE

Bettina Greiner: Verdrängter Terror. Geschichte und Wahrnehmung sowjetischer Speziallager in Deutschland. Hamburger Edition, Hamburg 2010. 510 S., 35,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Bedeutend und erschütternd findet Rezensent Claus Leggewie diese Studie der Historikerin Bettina Greiner zu den sowjetischen Speziallagern von 1945 bis 1949. Exzellent nennt er diese Studie, der er entnimmt, dass 150.000 Menschen in den Lagern inhaftiert waren, die weniger der behaupteten Entnazifizierung dienten als vielmehr der Ausschaltung der eigenen politischen Gegner. Leggewie wundert sich, dass es so lange "inopportun" war, über diese Lager zu sprechen, ging in ihnen doch nahtlos der nationalsozialistische Terror in stalinistischen über. Da staunt man allerdings über Leggewies Staunen, denn in der gleichen Besprechung lobt er Christian Meiers Schrift über das Erinnern, die an der Singularität der nationalsozialistischen Verbrechen festhält und bei anderen Untaten auch mal für das Vergessen plädiert.

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