"Obgleich ich weiß, daß viele junge Menschen Sie mit Briefen und Manuskripten überschütten, um Rat oder Hilfe von Ihnen zu erhalten, und Sie deshalb mit Post und allerlei Geschreibsel im Übermaß bedacht sind, wage ich es, Sie auch mit meiner Sendung zu beglücken", schreibt Peter Weiss Anfang 1937 an Hermann Hesse. Und er bekommt beides: Rat und Hilfe. Hesse beherbergt den jungen Maler und Zeichner im Sommer 1937 in der Casa Camuzzi, in der der Dichter selbst einst lebte. Er ermutigt ihn, empfiehlt ihn an Verlage, vergibt, als das Geld knapp wird, auch eigene Illustrationsaufträge und hilft, einen Platz an der Prager Kunstakademie zu vermitteln. 1938 verbringt Peter Weiss erneut einige Monate im Tessin, bevor er 1939 seiner Familie ins schwedische Exil folgt.
Der Briefwechsel zwischen dem etablierten Hesse und dem jungen Maler, Zeichner und Schriftsteller konzentriert sich auf die Zeit des Krieges, auf jene Zeit, in der Peter Weiss heimatlos um seinen künstlerischen Ausdruck und sein künstlerisches Selbstverständnis ringt. Doch auch später reißt der Kontakt nie ganz ab.
Neben den Briefen überliefert diese Edition auch das frühe, bisher unveröffentlichte Manuskript "Cloe" von Peter Weiss, seine Zeichnungen aus dem Tessin sowie unbekanntes Bildmaterial.
Der Briefwechsel zwischen dem etablierten Hesse und dem jungen Maler, Zeichner und Schriftsteller konzentriert sich auf die Zeit des Krieges, auf jene Zeit, in der Peter Weiss heimatlos um seinen künstlerischen Ausdruck und sein künstlerisches Selbstverständnis ringt. Doch auch später reißt der Kontakt nie ganz ab.
Neben den Briefen überliefert diese Edition auch das frühe, bisher unveröffentlichte Manuskript "Cloe" von Peter Weiss, seine Zeichnungen aus dem Tessin sowie unbekanntes Bildmaterial.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.03.2009Einmal werde ich das alles schreiben können
Bildnis des Künstlers als junger Mann: Der Briefwechsel von Peter Weiss mit Hermann Hesse zeigt, wie der Weg zum Werk über die Freundschaft führt.
Von Andreas Platthaus
Peter Weiss und Hermann Hesse? Was hätten diese beiden Autoren sich zu sagen gehabt? Der erste, 1916 geboren, Sozialist und Avantgardist, Aushängeschild einer politischen Literatur, die in den sechziger und siebziger Jahren auch rabiate Methoden zur gesellschaftlichen Veränderung, die übers Schreiben hinausgingen, guthieß. Revolution war für Weiss mehr als ein Wort, sie war Auftrag.
Dagegen Hesse, der fast vierzig Jahre ältere: ein Einsiedler und Metaphysiker, der bei seinen Lesern ein jugendliches Innerlichkeitsgefühl befeuerte, das zwar durchaus aufsässige Stimmungen hervorzurufen vermochte, doch im Geist der deutschen Romantik gefangen blieb. Wie hätte, ungeachtet ihrer jeweiligen Bedeutung, ein Gespräch zwischen diesen beiden Schriftstellern entstehen können?
Das fragte Peter Weiss sich auch, nachdem es entstanden war. "Es ist merkwürdig, jedes Mal, wenn ich zu Ihnen kam, war ich voll von Dingen, die ich Ihnen sagen wollte, und jedes Mal ging es mir so, dass ich nichts sagte", schrieb er am 18. September 1937 an Hesse. Da war Weiss wieder ins böhmische Warnsdorf zurückgekehrt, wo seine Familie seit einem Jahr lebte - der Vater war Jude und 1935 mit den Seinen aus Berlin zunächst nach England und dann in die Tschechoslowakei emigriert. Dort, in der dörflichen Umgebung und im Haushalt des Fabrikanten Eugen Weiss, war kein Verständnis für die künstlerischen Ambitionen des Sohnes zu finden, der sich sowohl als Maler wie als Schriftsteller versuchte.
Doch in der Familienbibliothek standen Hesses Bücher, an die sich Weiss in seinem 1961 erschienenen autobiographischen Buch "Abschied von den Eltern" so erinnerte (wobei er Hesses Namen durch den von Harry Haller, die Hauptfigur des "Steppenwolf"-Romans, ersetzte): "Das Lesen von Hallers Werken war wie ein Wühlen in meinem eigenen Schmerz. Hier war meine Situation gezeichnet, die Situation des Bürgers, der zum Revolutionär werden möchte und den die Gewichte alter Normen lähmen." Um sie abzuschütteln, hatte Weiss im Januar 1937 als Zwanzigjähriger an den bewunderten Schriftsteller geschrieben.
Für den Jüngeren wurde die Idylle von Montagnola produktiv.
Mit diesem Brief setzt ein kleiner Briefwechsel ein, der nun erstmals veröffentlicht worden ist. Insgesamt sind knapp mehr als vierzig wechselseitige Schreiben aus den fünfundzwanzig Jahren überliefert, bis Hesse 1962 starb, und auch wenn man aus der Korrespondenz erschließen kann, dass es noch ein paar Episteln mehr gegeben haben muss, wird die Gesamtzahl nicht wesentlich höher gelegen haben. Von 1944 bis 1961 herrschte gar vollständiges Schweigen, ehe Hesse aus Begeisterung über "Abschied von den Eltern" den Briefwechsel wiederbelebte, der die beiden im Januar 1962 sogar noch einmal in Hesses Haus zusammenführte. Von dieser Begegnung erzählte Weiss seinem Freund Hermann Levin Goldschmidt: "Immer wieder fragte ich mich, warum bin ich hier, was will ich denn sagen, und dann war die Besuchszeit schon vorüber, . . . und ich hatte nichts von dem, was ich sagen wollte, aussprechen können." Nach fünfundzwanzig Jahren hatte sich die Empfindung der Unfähigkeit, mit Hesse zu sprechen, nicht geändert.
Gleich 1937 war Weiss erstmals zu Hesse ins Tessin nach Montagnola gereist. Die Antwort des berühmten Schriftstellers auf seinen ersten Brief hatte Weiss enthusiasmiert: "Begabung haben Sie ohne Zweifel, sowohl als Dichter wie als Zeichner", hieß es da. Dieser Ritterschlag gab den Ausschlag dafür, dass Weiss sich vom Elternhaus emanzipierte; im Juli war er bereits auf Wanderung durch die Schweiz und nahm für zehn Wochen Quartier in Hesses altem Haus, der Casa Camuzzi, die in "Klingsors letzter Sommer" literarisch verewigt worden war. Die Begegnungen mit Hesse und dessen dritter Frau Ninon erlebte Weiss als Offenbarungen; der von Bewunderern und Ratsuchenden mit Briefen und Besuchen belagerte Autor schenkte ihm alle Aufmerksamkeit und stand ihm mit Empfehlungsschreiben und Kontakten zur Seite. Auf Hesses Rat hin begann Weiss im Herbst 1937 in Prag Kunst zu studieren, und von dort sandte er an den Gastgeber des Sommers eine Erzählung namens "Cloe", in der nun er die Idylle in Montagnola literarisch verherrlichte.
Diese bislang unpublizierte frühe Probe Weissscher Prosa, die im schwelgerischen Ton und der Exaktheit der Landschafts- und Stimmungsbeschreibungen verblüffend jenen Texten gleicht, die Hesse 1951 unter dem Titel "Späte Prosa" veröffentlicht hat, ist dem schmalen Briefwechsel beigegeben. Durch Abbildungen, vereinzelte Auszüge aus anderen Büchern von Weiss und einem langen Brief an die Eltern sowie umfangreiche Kommentierung ist ein ansehnlicher Band zusammengekommen, von dem die Korrespondenz indes kaum die Hälfte ausmacht.
Doch was steckt darin! Denn schriftlich fehlte es Weiss gegenüber Hesse durchaus nicht an Worten. In dem Brief, den er am 23. Mai 1961 als Antwort auf Hesses Lob für seinen "Abschied von den Eltern" schreibt, findet sich ein Bekenntnis, das wie ein Programm für sein Hauptwerk, die zehn Jahre später begonnene "Ästhetik des Widerstands" mit ihrer pathetischen Beschwörung der antiresignativen Kraft der Kunst, wirkt: "Dies sind die bleibenden, zeitlosen Ereignisse im Leben: das Lauschen auf die Stimme in einem Brief, einem Buch, einem Kunstwerk. Man tritt aus sich heraus und gehört einer Gemeinschaft an." Und dann folgt zum Ende des Briefs jene bewegende Erkenntnis, die auch die "Ästhetik des Widerstands" später vom revolutionären zum individualistischen Ideal werden lässt, weil wichtiger noch als Kunst Freundschaft ist: "Und manchmal denke ich, dass diese Werke garnichts sind und dass das einzige, was etwas im Leben gilt, das Flüchtige ist, die Berührung mit einem Menschen, das Gespräch, der Blick aus Augen, das Atmen in einer Landschaft." Das also, was erstmals Hesses Gastlichkeit im Tessin ihn 1937 zu verstehen gelehrt hatte.
Gehen Sie den Weg, der jetzt nötig scheint.
Beim Einmarsch der Deutschen ins Sudetenland im September 1938 hielt sich Weiss seit einem Monat wieder am Luganer See auf, wo er diesmal fünf Monate blieb. Die finanzielle Not des jungen Künstlers linderte Hesse, indem er ihn gegen Honorar drei Manuskripte kalligraphieren und illustrieren ließ, mit denen dann der Mäzen Hans C. Bodmer beschenkt wurde. Eines von ihnen ist das autobiographische Märchen "Kindheit des Zauberers", in dessen von ihm gestaltetem Manuskript Weiss eine Verbeugung vor Hesse unterbrachte: "Aufgeschrieben und bebildert vom Zauberlehrling Peter Ulrich Weiss". Doch nur einmal nahm er sich diese persönliche Reminiszenz auch in beider Korrespondenz heraus: "Verehrter großer Zauberer in Montagnola" steht als Anrede im Brief vom 18. Dezember 1943, den Weiss aus Schweden schrieb, wohin seine Familie im Herbst 1938 geflüchtet war.
Dort war Hesse aus der Ferne noch einmal zum Ratgeber geworden, als Weiss abermals an der Nichtbeachtung seiner Kunst zu verzweifeln schien und im längsten Brief der Korrespondenz am 4. April 1939 dem Kollegen sein Leid klagte. Doch steht hier auch ein Satz, der Hesses Beifall fand: "Einmal werde ich alles das malen und schreiben können", erklärte Weiss ihm, "was sich in dieser Zeit formt und bildet und unaufhörlich wächst, dann werde ich frei sein." Und Hesse antwortete: "Gehen Sie den Weg, der jetzt nötig scheint, und behalten Sie sich vor, das, was er Ihnen mit der Zeit an Geld und an Unabhängigkeit bringt, dann wieder so zu verwenden, wie Sie es früher taten." Daran hielt sich Weiss, auch wenn er bis zu seinem Erfolg noch zwanzig Jahre warten musste.
Danach schrieb er im "Abschied von den Eltern" über Hesse: "In vielem hielt mich diese Lektüre in einem romantischen Niemandsland fest, im Selbstmitleid und in altmeisterlichen Sehnsüchten, ich hätte eine härtere und grausamere Stimme gebraucht, eine Stimme, die mir den Schleier von den Augen gerissen und mich aufgerüttelt hätte. Doch vor einer solchen Stimme war ich noch taub." Als die Stimme sich aber nach Erscheinen dieses Buches wieder meldete, war Weiss sofort wieder empfänglich für ihre Milde, die ihm den Weg in die Kunst gewiesen hatte. Nach dem Tod von Hermann Hesse schrieb er dessen Witwe: "Er wird für mich immer lebendig sein, so wie mir seine Bücher immer lebendig und gegenwärtig sind." Die Bücher von Peter Weiss könnten uns nicht lebendig sein, hätte er nicht mit Hermann Hesse gesprochen.
Hermann Hesse, Peter Weiss: "Verehrter großer Zauberer". Briefwechsel 1937-1962. Hrsg. von Beat Mazenauer und Volker Michels. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2009. 249 S., Abb., geb., 24,80 [Euro].
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Bildnis des Künstlers als junger Mann: Der Briefwechsel von Peter Weiss mit Hermann Hesse zeigt, wie der Weg zum Werk über die Freundschaft führt.
Von Andreas Platthaus
Peter Weiss und Hermann Hesse? Was hätten diese beiden Autoren sich zu sagen gehabt? Der erste, 1916 geboren, Sozialist und Avantgardist, Aushängeschild einer politischen Literatur, die in den sechziger und siebziger Jahren auch rabiate Methoden zur gesellschaftlichen Veränderung, die übers Schreiben hinausgingen, guthieß. Revolution war für Weiss mehr als ein Wort, sie war Auftrag.
Dagegen Hesse, der fast vierzig Jahre ältere: ein Einsiedler und Metaphysiker, der bei seinen Lesern ein jugendliches Innerlichkeitsgefühl befeuerte, das zwar durchaus aufsässige Stimmungen hervorzurufen vermochte, doch im Geist der deutschen Romantik gefangen blieb. Wie hätte, ungeachtet ihrer jeweiligen Bedeutung, ein Gespräch zwischen diesen beiden Schriftstellern entstehen können?
Das fragte Peter Weiss sich auch, nachdem es entstanden war. "Es ist merkwürdig, jedes Mal, wenn ich zu Ihnen kam, war ich voll von Dingen, die ich Ihnen sagen wollte, und jedes Mal ging es mir so, dass ich nichts sagte", schrieb er am 18. September 1937 an Hesse. Da war Weiss wieder ins böhmische Warnsdorf zurückgekehrt, wo seine Familie seit einem Jahr lebte - der Vater war Jude und 1935 mit den Seinen aus Berlin zunächst nach England und dann in die Tschechoslowakei emigriert. Dort, in der dörflichen Umgebung und im Haushalt des Fabrikanten Eugen Weiss, war kein Verständnis für die künstlerischen Ambitionen des Sohnes zu finden, der sich sowohl als Maler wie als Schriftsteller versuchte.
Doch in der Familienbibliothek standen Hesses Bücher, an die sich Weiss in seinem 1961 erschienenen autobiographischen Buch "Abschied von den Eltern" so erinnerte (wobei er Hesses Namen durch den von Harry Haller, die Hauptfigur des "Steppenwolf"-Romans, ersetzte): "Das Lesen von Hallers Werken war wie ein Wühlen in meinem eigenen Schmerz. Hier war meine Situation gezeichnet, die Situation des Bürgers, der zum Revolutionär werden möchte und den die Gewichte alter Normen lähmen." Um sie abzuschütteln, hatte Weiss im Januar 1937 als Zwanzigjähriger an den bewunderten Schriftsteller geschrieben.
Für den Jüngeren wurde die Idylle von Montagnola produktiv.
Mit diesem Brief setzt ein kleiner Briefwechsel ein, der nun erstmals veröffentlicht worden ist. Insgesamt sind knapp mehr als vierzig wechselseitige Schreiben aus den fünfundzwanzig Jahren überliefert, bis Hesse 1962 starb, und auch wenn man aus der Korrespondenz erschließen kann, dass es noch ein paar Episteln mehr gegeben haben muss, wird die Gesamtzahl nicht wesentlich höher gelegen haben. Von 1944 bis 1961 herrschte gar vollständiges Schweigen, ehe Hesse aus Begeisterung über "Abschied von den Eltern" den Briefwechsel wiederbelebte, der die beiden im Januar 1962 sogar noch einmal in Hesses Haus zusammenführte. Von dieser Begegnung erzählte Weiss seinem Freund Hermann Levin Goldschmidt: "Immer wieder fragte ich mich, warum bin ich hier, was will ich denn sagen, und dann war die Besuchszeit schon vorüber, . . . und ich hatte nichts von dem, was ich sagen wollte, aussprechen können." Nach fünfundzwanzig Jahren hatte sich die Empfindung der Unfähigkeit, mit Hesse zu sprechen, nicht geändert.
Gleich 1937 war Weiss erstmals zu Hesse ins Tessin nach Montagnola gereist. Die Antwort des berühmten Schriftstellers auf seinen ersten Brief hatte Weiss enthusiasmiert: "Begabung haben Sie ohne Zweifel, sowohl als Dichter wie als Zeichner", hieß es da. Dieser Ritterschlag gab den Ausschlag dafür, dass Weiss sich vom Elternhaus emanzipierte; im Juli war er bereits auf Wanderung durch die Schweiz und nahm für zehn Wochen Quartier in Hesses altem Haus, der Casa Camuzzi, die in "Klingsors letzter Sommer" literarisch verewigt worden war. Die Begegnungen mit Hesse und dessen dritter Frau Ninon erlebte Weiss als Offenbarungen; der von Bewunderern und Ratsuchenden mit Briefen und Besuchen belagerte Autor schenkte ihm alle Aufmerksamkeit und stand ihm mit Empfehlungsschreiben und Kontakten zur Seite. Auf Hesses Rat hin begann Weiss im Herbst 1937 in Prag Kunst zu studieren, und von dort sandte er an den Gastgeber des Sommers eine Erzählung namens "Cloe", in der nun er die Idylle in Montagnola literarisch verherrlichte.
Diese bislang unpublizierte frühe Probe Weissscher Prosa, die im schwelgerischen Ton und der Exaktheit der Landschafts- und Stimmungsbeschreibungen verblüffend jenen Texten gleicht, die Hesse 1951 unter dem Titel "Späte Prosa" veröffentlicht hat, ist dem schmalen Briefwechsel beigegeben. Durch Abbildungen, vereinzelte Auszüge aus anderen Büchern von Weiss und einem langen Brief an die Eltern sowie umfangreiche Kommentierung ist ein ansehnlicher Band zusammengekommen, von dem die Korrespondenz indes kaum die Hälfte ausmacht.
Doch was steckt darin! Denn schriftlich fehlte es Weiss gegenüber Hesse durchaus nicht an Worten. In dem Brief, den er am 23. Mai 1961 als Antwort auf Hesses Lob für seinen "Abschied von den Eltern" schreibt, findet sich ein Bekenntnis, das wie ein Programm für sein Hauptwerk, die zehn Jahre später begonnene "Ästhetik des Widerstands" mit ihrer pathetischen Beschwörung der antiresignativen Kraft der Kunst, wirkt: "Dies sind die bleibenden, zeitlosen Ereignisse im Leben: das Lauschen auf die Stimme in einem Brief, einem Buch, einem Kunstwerk. Man tritt aus sich heraus und gehört einer Gemeinschaft an." Und dann folgt zum Ende des Briefs jene bewegende Erkenntnis, die auch die "Ästhetik des Widerstands" später vom revolutionären zum individualistischen Ideal werden lässt, weil wichtiger noch als Kunst Freundschaft ist: "Und manchmal denke ich, dass diese Werke garnichts sind und dass das einzige, was etwas im Leben gilt, das Flüchtige ist, die Berührung mit einem Menschen, das Gespräch, der Blick aus Augen, das Atmen in einer Landschaft." Das also, was erstmals Hesses Gastlichkeit im Tessin ihn 1937 zu verstehen gelehrt hatte.
Gehen Sie den Weg, der jetzt nötig scheint.
Beim Einmarsch der Deutschen ins Sudetenland im September 1938 hielt sich Weiss seit einem Monat wieder am Luganer See auf, wo er diesmal fünf Monate blieb. Die finanzielle Not des jungen Künstlers linderte Hesse, indem er ihn gegen Honorar drei Manuskripte kalligraphieren und illustrieren ließ, mit denen dann der Mäzen Hans C. Bodmer beschenkt wurde. Eines von ihnen ist das autobiographische Märchen "Kindheit des Zauberers", in dessen von ihm gestaltetem Manuskript Weiss eine Verbeugung vor Hesse unterbrachte: "Aufgeschrieben und bebildert vom Zauberlehrling Peter Ulrich Weiss". Doch nur einmal nahm er sich diese persönliche Reminiszenz auch in beider Korrespondenz heraus: "Verehrter großer Zauberer in Montagnola" steht als Anrede im Brief vom 18. Dezember 1943, den Weiss aus Schweden schrieb, wohin seine Familie im Herbst 1938 geflüchtet war.
Dort war Hesse aus der Ferne noch einmal zum Ratgeber geworden, als Weiss abermals an der Nichtbeachtung seiner Kunst zu verzweifeln schien und im längsten Brief der Korrespondenz am 4. April 1939 dem Kollegen sein Leid klagte. Doch steht hier auch ein Satz, der Hesses Beifall fand: "Einmal werde ich alles das malen und schreiben können", erklärte Weiss ihm, "was sich in dieser Zeit formt und bildet und unaufhörlich wächst, dann werde ich frei sein." Und Hesse antwortete: "Gehen Sie den Weg, der jetzt nötig scheint, und behalten Sie sich vor, das, was er Ihnen mit der Zeit an Geld und an Unabhängigkeit bringt, dann wieder so zu verwenden, wie Sie es früher taten." Daran hielt sich Weiss, auch wenn er bis zu seinem Erfolg noch zwanzig Jahre warten musste.
Danach schrieb er im "Abschied von den Eltern" über Hesse: "In vielem hielt mich diese Lektüre in einem romantischen Niemandsland fest, im Selbstmitleid und in altmeisterlichen Sehnsüchten, ich hätte eine härtere und grausamere Stimme gebraucht, eine Stimme, die mir den Schleier von den Augen gerissen und mich aufgerüttelt hätte. Doch vor einer solchen Stimme war ich noch taub." Als die Stimme sich aber nach Erscheinen dieses Buches wieder meldete, war Weiss sofort wieder empfänglich für ihre Milde, die ihm den Weg in die Kunst gewiesen hatte. Nach dem Tod von Hermann Hesse schrieb er dessen Witwe: "Er wird für mich immer lebendig sein, so wie mir seine Bücher immer lebendig und gegenwärtig sind." Die Bücher von Peter Weiss könnten uns nicht lebendig sein, hätte er nicht mit Hermann Hesse gesprochen.
Hermann Hesse, Peter Weiss: "Verehrter großer Zauberer". Briefwechsel 1937-1962. Hrsg. von Beat Mazenauer und Volker Michels. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2009. 249 S., Abb., geb., 24,80 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Für Andreas Platthaus hat dieser erstmals zugängliche Briefwechsel es in sich. Die Initiation des Peter Weiss zum Schrifststeller nämlich durch den väterlichen Freund und Ratgeber Hermann Hesse. Dabei liegt die Unterschiedlichkeit der beiden für Platthaus auf der Hand: Hier der Avantgardist und Revoluzzer, dort der eremitische Metaphysiker, ein Erbe der deutschen Romantik. Doch Weiss übernimmt sogar zeitweise den schwelgerischen Ton des Älteren, wie Platthaus an der im Band enthaltenen Erzählung "Cloe" studieren kann. Zusammen mit Abbildungen, anderen Bücherauszügen und einem ausgiebigen Kommentar ergibt diese Korrespondenz laut Platthaus vor allem ein Bildnis des Künstlers als junger Mann. Bekenntnisse enthält es zu Freundschaft und Kunst, die Platthaus im Hinblick auf Weiss' späteres Werk als programmatisch begreift.
© Perlentaucher Medien GmbH
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