Umbruch, Wende, Revolution? Die dramatischen Ereignisse 1989/90 in Osteuropa und in der Sowjetunion haben in Deutschland und Europa eine Epoche beendet. Für die Geschichtswissenschaft ist dieser Einschnitt eine Herausforderung, die sie nicht ignorieren kann. Gerade das wird den Historikern freilich von manchen vorgeworfen - daß sie schwiegen und sich verhielten, als sei nichts geschehen. Aber das stimmt nicht.Jürgen Kocka, einer der angesehensten deutschen Historiker, hat sich mit den tiefgreifenden Veränderungen dieser Jahre, besonders mit der neuen Situation in Deutschland eindringlich auseinandergesetzt. Er hatte damit auch praktisch zu tun. Als Mitglied des Wissenschaftsrats (1990-1992) war er mit der Forschung in der früheren DDR befaßt. So ist die Vereinigung der Wissenschaften ein Schwerpunktthema des Bandes. »Die Vereinigung Deutschlands ist ein historisches Experiment ohne Beispiel. Auf der Ebene der Verfassung, der Währungs-, Sozial- und Wirtschaftsordnung, auch auf der Ebene des Rechts und vieler Institutionen ging sie überraschend schnell vonstatten. Aber im Bereich des Alltags, der politischen Kultur, der sozialen Verhältnisse und der Mentalitäten ist sie noch ganz am Anfang. Wie steht es mit den Wissenschaften?«Ebenso aktuell sind die Aufsätze zur Geschichte der DDR. Die DDR-Vergangenheit spielt ja ständig in die gegenwärtige Politik hinein. Wie sollen wir mit dieser Vergangenheit umgehen? Das ist eine wissenschaftliche und eine politische Frage. In dem Grenzgebiet von Wissenschaft und Politik, auch von Gegenwart und Geschichte bewegen sich, ausgesprochen oder nicht, alle Beiträge. Zwischen 1990 und 1994 entstanden, versuchen sie, die gerade erlebten politischen Veränderungen historisch einzuordnen und mit den Mitteln des Historikers begreiflich zu machen.