Wie tickt der Geheimdienst, der jahrelang von Hans-Georg Maaßen geführt wurde?
Der deutsche Verfassungsschutz ist etwas sehr Besonderes. Einen solchen Geheimdienst haben andere westliche Demokratien nicht. Es ist ein Geheimdienst, der im Inland späht. Er richtet sich nicht gegen Kriminelle, sondern gegen Personen und Gruppen, die als politisch verwerflich erklärt werden. Er spioniert Bürgerinnen und Bürger aus, die keine Gesetze verletzen. Dabei hat der Verfassungsschutz enorm große Freiheiten, enorm große Macht. Er hat viel mehr Einfluss auf politische Bewegungen, als es der Öffentlichkeit bewusst ist.
Schützt der Verfassungsschutz die Demokratie wirklich?
Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik gab es so viele Agentinnen und Agenten, die im Inland die eigene Bevölkerung ausforschen. Das Personal des Verfassungsschutzes hat sich in den letzten 20 Jahren verdoppelt, sein Budget verdreifacht.
Ein kritischer Blick hinter die Kulissen des Verfassungsschutzes
Ronen Steinke recherchiert seit Jahren im Milieu der Inlandsspione. Er hat Spionagechefs interviewt und Agentinnen bei der Arbeit begleitet. Er zeigt, wie V-Leute vorgehen. Und er stellt eine fundamentale Frage: Schützt dieser Geheimdienst die Demokratie - oder schädigt er sie nicht eher?
Eine engagierte Reportage
Mit jeweils eigenen Kapiteln zum heimlichen Vorgehen der Inlandsspione gegen die Klimabewegung, zum Wirken rechter Netzwerke und der Causa Hans-Georg Maaßen.
Der deutsche Verfassungsschutz ist etwas sehr Besonderes. Einen solchen Geheimdienst haben andere westliche Demokratien nicht. Es ist ein Geheimdienst, der im Inland späht. Er richtet sich nicht gegen Kriminelle, sondern gegen Personen und Gruppen, die als politisch verwerflich erklärt werden. Er spioniert Bürgerinnen und Bürger aus, die keine Gesetze verletzen. Dabei hat der Verfassungsschutz enorm große Freiheiten, enorm große Macht. Er hat viel mehr Einfluss auf politische Bewegungen, als es der Öffentlichkeit bewusst ist.
Schützt der Verfassungsschutz die Demokratie wirklich?
Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik gab es so viele Agentinnen und Agenten, die im Inland die eigene Bevölkerung ausforschen. Das Personal des Verfassungsschutzes hat sich in den letzten 20 Jahren verdoppelt, sein Budget verdreifacht.
Ein kritischer Blick hinter die Kulissen des Verfassungsschutzes
Ronen Steinke recherchiert seit Jahren im Milieu der Inlandsspione. Er hat Spionagechefs interviewt und Agentinnen bei der Arbeit begleitet. Er zeigt, wie V-Leute vorgehen. Und er stellt eine fundamentale Frage: Schützt dieser Geheimdienst die Demokratie - oder schädigt er sie nicht eher?
Eine engagierte Reportage
Mit jeweils eigenen Kapiteln zum heimlichen Vorgehen der Inlandsspione gegen die Klimabewegung, zum Wirken rechter Netzwerke und der Causa Hans-Georg Maaßen.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Patrick Bahners findet Ronen Steinkes Buch zum Verfassungsschutz zu großen Teilen gelungen. Denn in seiner "jüngsten Streitschrift zur Rechtspolitik" lege der SZ-Reporter und -Kommentator analytisch "überzeugend" dar, warum der Verfassungsschutz als "Behörde zum Ausspionieren der Opposition" abgeschafft und die Kontrolle über verfassungswidrige Aktivitäten in die Hände der Polizei gegeben werden sollte. "Schlagend" findet Bahners etwa Steinkes Aufzählung der "Verlegenheiten", die die behördliche Prüfung der Rechtsmäßigkeit der AfD Horst Seehofer bescherte: So musste das Gutachten etwa stellenweise nachträglich abgemildert werden, weil es Überschneidungen von AfD-Parolen und Äußerungen Seehofers gegeben habe, wie Bahners wiedergibt. Auch im Übrigen lobt der Kritiker Steinkes klares analytisches Vorgehen. Was ihn allerdings stört, ist, dass der Autor auf Quellenarbeit zum Thema nahezu gänzlich verzichtet habe - wenigstens die Arbeit von Claus Leggewie und Horst Meier hätte hier zur Sprache kommen müssen, findet Bahners. Auch an anderer Stelle zitiere Steinke nicht ganz korrekt. Für den Kritiker ein zu hoher Preis für die "Zugänglichkeit" des Buchs.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»ein besonders aktuelles Buch« Patrick Bahners FAZ Podcast "Einpsruch" 20230809
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.01.2024Behörde für Wettbewerbsverzerrung
Der Präsident will schlafende Bürger wecken: Ronen Steinke möchte ausgerechnet jetzt den Verfassungsschutz abschaffen
Das unrühmliche Laufbahnende von Hans-Georg Maaßen führte er selbst herbei, weil er den Mund nicht halten konnte. Es war kein Geheimnis, wie kritisch der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz die Flüchtlingspolitik der Regierung Merkel beurteilte. Unhaltbar wurde er, als er in einer Rede vor Kollegen aus Nachbarländern "linksradikale Kräfte" in der Regierungspartei SPD attackierte. Maaßens Nachfolger Thomas Haldenwang, der unter ihm im BfV tätig war und der CDU angehört, die Maaßen jetzt verlassen hat, wird als Gegentyp wahrgenommen, obwohl ihn ein ähnlicher Offenbarungsdrang beseelt. Ist es anachronistisch, vom Chef eines Geheimdienstes einen Habitus der Verschwiegenheit oder wenigstens noch Verständnis für Diskretion zu erwarten?
Als indirekte Gefahr für den Bestand der Verfassung hat Haldenwang jüngst die "schweigende Mehrheit" ausgemacht, also Bürger, die ihre Meinung für sich behalten oder vielleicht auch noch nicht abschließend gebildet haben, während die öffentliche Auseinandersetzung von Warnungen bestimmt wird, Feinde der Demokratie griffen nach der Macht. Haldenwang beklagt in Interviews Gleichgültigkeit "gegenüber dem Erstarken bestimmter Parteien", fordert ein Aufwachen. Der Verzicht auf Namensnennung und der Plural sollten nicht ernsthaft unkenntlich machen, wen er meint.
Wenn der oberste Verfassungsschützer die Wähler davor warnt, ihre Stimmen für die AfD abzugeben, fällt er nicht etwa aus der Rolle, die seiner Behörde im politischen System der Bundesrepublik zugewiesen ist. Das ergibt sich aus der überzeugenden Analyse der Aufgabenstellung und Arbeitsweise des Verfassungsschutzes, die Ronen Steinke, Reporter und Kommentator der "Süddeutschen Zeitung", in seiner jüngsten Streitschrift zur Rechtspolitik vorlegt. Indem der Verfassungsschutz Material über Oppositionsparteien sammelt, verschafft er den Regierungsparteien einen Vorteil - gerade dadurch, dass es nicht im Geheimen geschieht. Auf die legalen Aktivitäten einer nicht verbotenen Partei legt sich der Schatten amtlicher Bedenken.
Diese Wettbewerbsverzerrung können die Verfassungsschutzbeamten durch Orientierung an ihrer Standestugend der Zurückhaltung nicht zum Verschwinden bringen. Der Verfassungsschutz ist, wie Steinke feststellt, als "hierarchisch eingebundene Behörde" verfasst, weil verhindert werden soll, dass er wie das FBI unter J. Edgar Hoover seine eigene Politik macht. Bundesinnenminister Seehofer verschleierte die Verantwortlichkeiten, als er im Zuge der in der Ära Haldenwang eingeleiteten Prüfung der Frage, ob die AfD förmlich als Prüffall eingestuft werden sollte, in der Presse beteuerte, er wolle "keine politische Entscheidung, sondern eine der Sicherheitsbehörden". Auch das entschiedenste Votum der Fachleute unterliegt der Fach- und Rechtsaufsicht des Ministeriums; Seehofers Fiktion innerexekutiver Gewaltenteilung lenkte davon ab, dass es der Sache wie der Wirkung nach zwangsläufig eine politische Entscheidung ist, eine Partei zum Verfassungsfeind zu stempeln.
Steinke illustriert das schlagend mit den Verlegenheiten, welche die Endabnahme des Gutachtens zum Prüffall AfD sowohl den Autoren als auch dem Minister bereitete. Einige Stellen, an denen die Verfassungsschützer islamfeindliche und migrationskritische Äußerungen von AfD-Funktionären zusammengetragen hatten, wurden im Schlussredigat abgemildert, weil gleichklingende Wortmeldungen auch von Unionspolitikern und sogar vom Minister selbst dokumentiert waren. So deckt sich Seehofers Diktum, Zuwanderung sei die "Mutter aller Probleme", mit einer Prämisse der rechtsextremistischen Planspiele vom Rückwanderungsland Deutschland.
Ein spezieller Idealismus der deutschen konstitutionellen Tradition, die Erwartung, dass der Gedanke die Tat nach sich zieht wie der Blitz den Donner, schlägt ins Repressive um, wenn im Namen einer so früh wie möglich ansetzenden Prävention radikalen Bewegungen auch hypothetische Spätfolgen ihres ungewissen Erfolges zugerechnet werden. Steinkes Beispiel für diese Einschränkung des Spielraums der politischen Phantasie ist der Umgang mit den entschlossenen Klimaschützern. So bewertete der Hamburger Verfassungsschutz den Slogan "Systemwechsel statt Klimawandel" als "unzweideutige Parole"; eine Gruppe, die im Namen des Klimas Enteignungen propagiert, befinde sich "in einem nicht aufzulösenden Widerspruch zum Grundgesetz" - obwohl das Grundgesetz selbst in Artikel 15 die Option der Vergesellschaftung vorsieht und im Übrigen die Grundrechte auf Eigentum und Berufsausübung schützt, nicht aber den Bestand des kapitalistischen Systems.
Steinke bestimmt das Genre seines Buches als "Reportage-Essay". Mit atmosphärischen Einzelfallskizzen führt er die moralischen Kosten der geheimdienstlichen Infiltration der politischen Meinungsbildung vor Augen, insbesondere des Instruments der V-Leute; er deutet an, dass Professionalisierung in diesem Spezialsegment der Menschenführung Gewöhnung an den eigenen Zynismus bedeutet. Klarheit der Argumentationslinien und Prägnanz im faktischen Detail - etwa zur Bestückung der Stäbe der parlamentarischen Kontrollgremien mit Ex-Parlamentariern - machen die Darstellung eingängig. Steinkes Vorschlag ist so einfach wie schlüssig: Der Verfassungsschutz soll abgeschafft werden; die politische Gefahrenabwehr, wo sie illegale Handlungen betrifft, soll Sache der Polizei werden, deren speziellen Befugnissen eine besondere Kontrolle korrespondiert.
Leider ist der Preis des bündigen Duktus eine Stolperfalle. Unvermittelt stehen im Schlusskapitel unter sieben durchnummerierten Thesen die Behauptungen nebeneinander, die "Theorie" der wehrhaften Demokratie als Lehre aus dem Untergang der Weimarer Republik sei "einleuchtend", aber "die Praxis" zeige, dass der Verfassungsschutz seines Amtes als Wächter sehr hoch auf der Zinne "selten objektiv" walte. Warum sollte das Bedenken nur gegenüber diesem einen Institut der wehrhaften Demokratie durchschlagen? Sehr wichtig ist Steinke der "vergleichende Blick in andere Rechtsstaaten". Dieser Blick zeigt, dass andere Rechtsstaaten und Demokratien nicht nur ohne Behörde zum Ausspionieren der Opposition, sondern auch ohne Parteiverbotsverfahren überleben.
Es rächt sich, dass Steinke um der Zugänglichkeit des Buches willen nicht nur auf die Erörterung, sondern sogar auf die Erwähnung der Literatur zu seinem Thema verzichtet. Claus Leggewie und Horst Meier haben den Abolitionismus in seiner bezwingenden Konsequenz schon vor Jahren vertreten - das ist nicht unwichtig für die politische Frage, wie es um die Chancen für Steinkes Vorschlag steht.
Von Helmut Ridder, vorgestellt als "inzwischen verstorbener linksliberaler Verfassungsrechtler", führt Steinke eine "prägnante Formulierung" an: "Demokratierettung durch Demokratieverkürzung". Das habe Ridder "auch mit Blick auf die Erfahrung der Nazi-Zeit geschrieben, also darauf, dass Hitler ganz legal in das Amt des Reichskanzlers gekommen war". Vier Seiten später schreibt Steinke: ",Demokratierettung durch Demokratieverkürzung' ist ein guter Slogan." Ridder koppelte allerdings die beiden Begriffe in der Absicht, das Widersinnige des Programms der wehrhaften Demokratie offensichtlich zu machen.
Steinke zitiert ihn ohne bibliographischen Nachweis, obwohl ein Nachdruck des zuerst 1977 veröffentlichten Aufsatzes "Vom Wendekreis der Grundrechte" 2009 in Ridders gesammelten Schriften erfolgte, zu deren Herausgebern der Ridder-Schüler Frank-Walter Steinmeier gehört. Die prägnante Formulierung war von Ridder nicht als Slogan gedacht. Sie findet sich in einer Parenthese, einer kritischen Anmerkung zu dem Juristen und Politikwissenschaftler Ernst Fraenkel. Dieser habe "schon am Ende der Weimarer Republik zu jenen Gesprächskreisen" gehört, "die Demokratierettung durch Demokratieverkürzung erwogen und deren Erwägungen später dafür mitbestimmend wurden, dass auch der Parlamentarische Rat die Demokratie für ihre angebliche Selbstzerstörung bestrafte und sich zur Kupierung der demokratischen Institute im Grundgesetz und zu ihrem verfassungsgerichtlichen Legitimationsersatz entschloss". An Fraenkels berühmtem Buch "Der Doppelstaat" rügte Ridder, dass es der "juristischen Weltanschauung" verhaftet bleibe, die in der Bundesrepublik später das Volk als Legitimationsinstanz durch das Verfassungsgericht ersetzt habe. Allseits bleibe in der deutschen Diskussion "unbegriffen, dass die demokratische Legalität die Legitimität ausmacht" und "Demokratie- und Rechtszerstörung" zusammenfallen.
Von Ronen Steinke ist für den 10. April das nächste eingreifende Buch angekündigt; er hat es gemeinsam mit der Rechtsprofessorin Nora Markard verfasst. Der Titel "Jura not alone" wäre ein guter Slogan für eine Kritik der juristischen Weltanschauung. PATRICK BAHNERS
Ronen Steinke: "Verfassungsschutz". Wie der Geheimdienst Politik macht.
Berlin Verlag, Berlin/ München 2023. 224 S., geb., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der Präsident will schlafende Bürger wecken: Ronen Steinke möchte ausgerechnet jetzt den Verfassungsschutz abschaffen
Das unrühmliche Laufbahnende von Hans-Georg Maaßen führte er selbst herbei, weil er den Mund nicht halten konnte. Es war kein Geheimnis, wie kritisch der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz die Flüchtlingspolitik der Regierung Merkel beurteilte. Unhaltbar wurde er, als er in einer Rede vor Kollegen aus Nachbarländern "linksradikale Kräfte" in der Regierungspartei SPD attackierte. Maaßens Nachfolger Thomas Haldenwang, der unter ihm im BfV tätig war und der CDU angehört, die Maaßen jetzt verlassen hat, wird als Gegentyp wahrgenommen, obwohl ihn ein ähnlicher Offenbarungsdrang beseelt. Ist es anachronistisch, vom Chef eines Geheimdienstes einen Habitus der Verschwiegenheit oder wenigstens noch Verständnis für Diskretion zu erwarten?
Als indirekte Gefahr für den Bestand der Verfassung hat Haldenwang jüngst die "schweigende Mehrheit" ausgemacht, also Bürger, die ihre Meinung für sich behalten oder vielleicht auch noch nicht abschließend gebildet haben, während die öffentliche Auseinandersetzung von Warnungen bestimmt wird, Feinde der Demokratie griffen nach der Macht. Haldenwang beklagt in Interviews Gleichgültigkeit "gegenüber dem Erstarken bestimmter Parteien", fordert ein Aufwachen. Der Verzicht auf Namensnennung und der Plural sollten nicht ernsthaft unkenntlich machen, wen er meint.
Wenn der oberste Verfassungsschützer die Wähler davor warnt, ihre Stimmen für die AfD abzugeben, fällt er nicht etwa aus der Rolle, die seiner Behörde im politischen System der Bundesrepublik zugewiesen ist. Das ergibt sich aus der überzeugenden Analyse der Aufgabenstellung und Arbeitsweise des Verfassungsschutzes, die Ronen Steinke, Reporter und Kommentator der "Süddeutschen Zeitung", in seiner jüngsten Streitschrift zur Rechtspolitik vorlegt. Indem der Verfassungsschutz Material über Oppositionsparteien sammelt, verschafft er den Regierungsparteien einen Vorteil - gerade dadurch, dass es nicht im Geheimen geschieht. Auf die legalen Aktivitäten einer nicht verbotenen Partei legt sich der Schatten amtlicher Bedenken.
Diese Wettbewerbsverzerrung können die Verfassungsschutzbeamten durch Orientierung an ihrer Standestugend der Zurückhaltung nicht zum Verschwinden bringen. Der Verfassungsschutz ist, wie Steinke feststellt, als "hierarchisch eingebundene Behörde" verfasst, weil verhindert werden soll, dass er wie das FBI unter J. Edgar Hoover seine eigene Politik macht. Bundesinnenminister Seehofer verschleierte die Verantwortlichkeiten, als er im Zuge der in der Ära Haldenwang eingeleiteten Prüfung der Frage, ob die AfD förmlich als Prüffall eingestuft werden sollte, in der Presse beteuerte, er wolle "keine politische Entscheidung, sondern eine der Sicherheitsbehörden". Auch das entschiedenste Votum der Fachleute unterliegt der Fach- und Rechtsaufsicht des Ministeriums; Seehofers Fiktion innerexekutiver Gewaltenteilung lenkte davon ab, dass es der Sache wie der Wirkung nach zwangsläufig eine politische Entscheidung ist, eine Partei zum Verfassungsfeind zu stempeln.
Steinke illustriert das schlagend mit den Verlegenheiten, welche die Endabnahme des Gutachtens zum Prüffall AfD sowohl den Autoren als auch dem Minister bereitete. Einige Stellen, an denen die Verfassungsschützer islamfeindliche und migrationskritische Äußerungen von AfD-Funktionären zusammengetragen hatten, wurden im Schlussredigat abgemildert, weil gleichklingende Wortmeldungen auch von Unionspolitikern und sogar vom Minister selbst dokumentiert waren. So deckt sich Seehofers Diktum, Zuwanderung sei die "Mutter aller Probleme", mit einer Prämisse der rechtsextremistischen Planspiele vom Rückwanderungsland Deutschland.
Ein spezieller Idealismus der deutschen konstitutionellen Tradition, die Erwartung, dass der Gedanke die Tat nach sich zieht wie der Blitz den Donner, schlägt ins Repressive um, wenn im Namen einer so früh wie möglich ansetzenden Prävention radikalen Bewegungen auch hypothetische Spätfolgen ihres ungewissen Erfolges zugerechnet werden. Steinkes Beispiel für diese Einschränkung des Spielraums der politischen Phantasie ist der Umgang mit den entschlossenen Klimaschützern. So bewertete der Hamburger Verfassungsschutz den Slogan "Systemwechsel statt Klimawandel" als "unzweideutige Parole"; eine Gruppe, die im Namen des Klimas Enteignungen propagiert, befinde sich "in einem nicht aufzulösenden Widerspruch zum Grundgesetz" - obwohl das Grundgesetz selbst in Artikel 15 die Option der Vergesellschaftung vorsieht und im Übrigen die Grundrechte auf Eigentum und Berufsausübung schützt, nicht aber den Bestand des kapitalistischen Systems.
Steinke bestimmt das Genre seines Buches als "Reportage-Essay". Mit atmosphärischen Einzelfallskizzen führt er die moralischen Kosten der geheimdienstlichen Infiltration der politischen Meinungsbildung vor Augen, insbesondere des Instruments der V-Leute; er deutet an, dass Professionalisierung in diesem Spezialsegment der Menschenführung Gewöhnung an den eigenen Zynismus bedeutet. Klarheit der Argumentationslinien und Prägnanz im faktischen Detail - etwa zur Bestückung der Stäbe der parlamentarischen Kontrollgremien mit Ex-Parlamentariern - machen die Darstellung eingängig. Steinkes Vorschlag ist so einfach wie schlüssig: Der Verfassungsschutz soll abgeschafft werden; die politische Gefahrenabwehr, wo sie illegale Handlungen betrifft, soll Sache der Polizei werden, deren speziellen Befugnissen eine besondere Kontrolle korrespondiert.
Leider ist der Preis des bündigen Duktus eine Stolperfalle. Unvermittelt stehen im Schlusskapitel unter sieben durchnummerierten Thesen die Behauptungen nebeneinander, die "Theorie" der wehrhaften Demokratie als Lehre aus dem Untergang der Weimarer Republik sei "einleuchtend", aber "die Praxis" zeige, dass der Verfassungsschutz seines Amtes als Wächter sehr hoch auf der Zinne "selten objektiv" walte. Warum sollte das Bedenken nur gegenüber diesem einen Institut der wehrhaften Demokratie durchschlagen? Sehr wichtig ist Steinke der "vergleichende Blick in andere Rechtsstaaten". Dieser Blick zeigt, dass andere Rechtsstaaten und Demokratien nicht nur ohne Behörde zum Ausspionieren der Opposition, sondern auch ohne Parteiverbotsverfahren überleben.
Es rächt sich, dass Steinke um der Zugänglichkeit des Buches willen nicht nur auf die Erörterung, sondern sogar auf die Erwähnung der Literatur zu seinem Thema verzichtet. Claus Leggewie und Horst Meier haben den Abolitionismus in seiner bezwingenden Konsequenz schon vor Jahren vertreten - das ist nicht unwichtig für die politische Frage, wie es um die Chancen für Steinkes Vorschlag steht.
Von Helmut Ridder, vorgestellt als "inzwischen verstorbener linksliberaler Verfassungsrechtler", führt Steinke eine "prägnante Formulierung" an: "Demokratierettung durch Demokratieverkürzung". Das habe Ridder "auch mit Blick auf die Erfahrung der Nazi-Zeit geschrieben, also darauf, dass Hitler ganz legal in das Amt des Reichskanzlers gekommen war". Vier Seiten später schreibt Steinke: ",Demokratierettung durch Demokratieverkürzung' ist ein guter Slogan." Ridder koppelte allerdings die beiden Begriffe in der Absicht, das Widersinnige des Programms der wehrhaften Demokratie offensichtlich zu machen.
Steinke zitiert ihn ohne bibliographischen Nachweis, obwohl ein Nachdruck des zuerst 1977 veröffentlichten Aufsatzes "Vom Wendekreis der Grundrechte" 2009 in Ridders gesammelten Schriften erfolgte, zu deren Herausgebern der Ridder-Schüler Frank-Walter Steinmeier gehört. Die prägnante Formulierung war von Ridder nicht als Slogan gedacht. Sie findet sich in einer Parenthese, einer kritischen Anmerkung zu dem Juristen und Politikwissenschaftler Ernst Fraenkel. Dieser habe "schon am Ende der Weimarer Republik zu jenen Gesprächskreisen" gehört, "die Demokratierettung durch Demokratieverkürzung erwogen und deren Erwägungen später dafür mitbestimmend wurden, dass auch der Parlamentarische Rat die Demokratie für ihre angebliche Selbstzerstörung bestrafte und sich zur Kupierung der demokratischen Institute im Grundgesetz und zu ihrem verfassungsgerichtlichen Legitimationsersatz entschloss". An Fraenkels berühmtem Buch "Der Doppelstaat" rügte Ridder, dass es der "juristischen Weltanschauung" verhaftet bleibe, die in der Bundesrepublik später das Volk als Legitimationsinstanz durch das Verfassungsgericht ersetzt habe. Allseits bleibe in der deutschen Diskussion "unbegriffen, dass die demokratische Legalität die Legitimität ausmacht" und "Demokratie- und Rechtszerstörung" zusammenfallen.
Von Ronen Steinke ist für den 10. April das nächste eingreifende Buch angekündigt; er hat es gemeinsam mit der Rechtsprofessorin Nora Markard verfasst. Der Titel "Jura not alone" wäre ein guter Slogan für eine Kritik der juristischen Weltanschauung. PATRICK BAHNERS
Ronen Steinke: "Verfassungsschutz". Wie der Geheimdienst Politik macht.
Berlin Verlag, Berlin/ München 2023. 224 S., geb., 24,- Euro.
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