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Wie aus dem Warenhauskonzern Hermann Tietz Hertie wurde
In den 1920er Jahren stand der Warenhauskonzern Hermann Tietz wie kaum ein anderer für eine moderne Kaufhauskultur. Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme wurde das Unternehmen den jüdischen Inhabern genommen. Aus der Hermann Tietz OHG wurde die Hertie GmbH unter der Leitung des ehemaligen Angestellten Georg Karg, der den Konzern später übernahm. Die Autoren rekonstruieren die Umstände dieser frühen "Arisierung". Die Studie beleuchtet auch das Schicksal der Familie Tietz nach dem Verlust ihres Unternehmens und den Werdegang…mehr

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Produktbeschreibung
Wie aus dem Warenhauskonzern Hermann Tietz Hertie wurde

In den 1920er Jahren stand der Warenhauskonzern Hermann Tietz wie kaum ein anderer für eine moderne Kaufhauskultur. Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme wurde das Unternehmen den jüdischen Inhabern genommen. Aus der Hermann Tietz OHG wurde die Hertie GmbH unter der Leitung des ehemaligen Angestellten Georg Karg, der den Konzern später übernahm. Die Autoren rekonstruieren die Umstände dieser frühen "Arisierung". Die Studie beleuchtet auch das Schicksal der Familie Tietz nach dem Verlust ihres Unternehmens und den Werdegang des Hertie-Konzerns bis zu den Auseinandersetzungen um Restitution und Entschädigung in den unmittelbaren Nachkriegsjahren. Gestützt auf vielfältige Quellen, darunter bislang nicht zugängliche Dokumente, entsteht so erstmals ein detailliertes Bild des "Arisierungsprozesses" und seiner Folgen.
Autorenporträt
Johannes Bähr, geb. 1956, studierte Geschichte und Politikwissenschaft in Freiburg i. Br. und München. Er wurde 1986 zum Dr. phil. promoviert und habilitierte 1998 an der Freien Universität Berlin. Heute lehrt er als apl. Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Goethe-Universität Frankfurt am Main.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.01.2024

Hertie im Dritten Reich
Erste Studie zur Geschichte des Warenhauskonzerns

Die NSDAP lebte von der Fiktion, sich 1920 ein unabänderliches Programm gegeben zu haben. Darin war eine "sofortige Kommunalisierung der Groß-Warenhäuser und ihre Vermietung zu billigen Preisen an kleine Gewerbetreibende" vorgesehen. Ein Flaggschiff der Branche war die Hermann Tietz OHG, 1882 von Oscar Tietz in Gera mit dem ersten Kaufhaus ins Leben gerufen und nach seinem Kapital gebenden Onkel Hermann benannt. Die Söhne Georg und Martin Tietz und der Schwiegersohn Hugo Zwillenberg führten das Unternehmen als persönlich haftende Gesellschafter weiter. Am Ende der Weimarer Republik rangierte das Unternehmen mit 20 Häusern, davon allein zehn in Berlin, hinter der Karstadt AG, war anders als diese aber noch in Familienbesitz. Freilich war man durch die Übernahme des Jandorf-Konzerns 1926 und die Weltwirtschaftskrise 1929 in Zahlungsschwierigkeiten geraten. 1932 überzog man den zusätzlich gewährten Dispositionskredit. Die damals so genannte "Zahlungsschlappe" konnte einigermaßen überwunden werden. Der Umsatzrückgang seit 1929 beschleunigte sich dagegen nach der "Machtergreifung" durch die antisemitischen Boykotte und die folgende Änderung des Konsumverhaltens.

Ausgerechnet der Autor der eingangs zitierten Forderung, Gottfried Feder, trug als neuer Staatssekretär des Wirtschaftsministeriums dazu bei, dass Hitler keine Einwände mehr gegen eine Sanierung des Konzerns erhob und Kredite ermöglicht wurden. Der "arische" Karstadt-Konzern war schon kreditiert worden, die Leonhard Tietz AG von Oscars Bruder "arisiert" und in Westdeutsche Kaufhof AG umbenannt worden.

Bei Hermann Tietz war das nicht so einfach, weil die Gesellschafter der OHG persönlich für die Schulden hafteten. Also gründeten die Gläubigerbanken die Hertie Kaufhaus-Beteiligungs GmbH, welche den eingeführten Produktnamen "Hertie" als Zusammenfügung des Vor- und Nachnamens des Gründungspaten aufnahm und das Unwort "Warenhaus" vermied. Zu Gesellschaftern wurden der schon im Unternehmen tätige Prokurist Georg Karg und sein Vertrauter Helmut Friedel bestimmt, als Geschäftsführer wiederum Karg und ein Delegierter des mächtigen Beirats der Banken. Auch wenn Karg noch ganz von diesen abhängig war, zeichnete sich mit dieser Personalie die weitere Entwicklung ab.

Wie und warum hatten sich aber die Tietz-Brüder und Zwillenberg auf die neue Konstruktion eingelassen? Die Autoren des vorliegenden Buches, beide ausgewiesene Unternehmenshistoriker, verweisen mit Vorsicht auf eine Quelle von 1950, die im Rahmen des Rückerstattungsverfahrens von Tietz-Anwälten verfasst wurde. Demnach seien die Inhaber ins Hotel Adlon gelockt worden und dort von Hermann Görings Vetter Herbert unter Druck gesetzt worden, sodass sie der neuen Konstruktion schließlich zustimmten. Näheres bleibt im Dunkeln, die Quelle weist auch Datierungsfehler auf. Da die Zahlungsunfähigkeit drohte und eine Kreditsperre der Banken die Entwicklung belastete, blieb den Verantwortlichen jedenfalls kaum eine andere Wahl.

Nun wurden 500 jüdische Angestellte entlassen, die anderen, auch in höheren Positionen, mit Blick auf den Arbeitsmarkt vorerst behalten. Mit Ablauf des Jahres 1934 trat dann ein komplexer Auseinandersetzungsvertrag in Kraft, bei dem auch die stille Gesellschafterin Betty Tietz, Oscars Witwe, allerdings zum Teil bereits verpfändete Anteile im Wert von 40 Millionen Reichsmark einbrachte. Die jüdischen Eigentümer wurden damit enthaftet, von der Reichsfluchtsteuer befreit und konnten Grundstücke und Wertpapiere in Höhe von rund vier Millionen Reichsmark freibekommen. Neben der Verrechnung des Schuldenbergs konnte die neue Hertie Waren- und Kaufhaus GmbH einen "Arisierungsgewinn" von über 15 Millionen Reichsmark verbuchen. Die Eigentümer waren also nicht, wie es ein bisweilen in der Literatur definierter Begriff von "Arisierung" impliziert, enteignet worden, sie mussten allerdings die boykottbedingten Verluste tragen und eine Art "Arisierungsabschlag" hinnehmen. Und sie wurden zum Ausscheiden überhaupt erst genötigt. Die Tietz-Familie musste später in die USA emigrieren. Zwillenberg hatte ein ungleich härteres Schicksal, überlebte mehrere Lager und ließ sich nach dem Krieg mit der Familie in Rotterdam nieder, seines Besitzes weitgehend beraubt.

Ab 1937 konnte Georg Karg Hertie zu einem "Schleuderpreis" übernehmen, da die Banken um ihre Kredite fürchteten. 1940 war Karg dann Alleingesellschafter. In der Kriegswirtschaft nicht sonderlich exponiert, prägte Karg auch die Nachkriegsgeschichte und damit eine anhaltenden Boomphase, in der er für seine Konzerngesellschaften als Dach eine Familienstiftung errichtete.

Karg war nach Einschätzung der Verfasser kein Antisemit, nicht einmal Parteimitglied. Er spielte auch keine führende Rolle bei der "Arisierung", aber er nutzte sie. Nach dem Krieg einigte er sich schnell mit der Familie Tietz, die drei Warenhäuser zurückerhielt und diese sogleich rückverpachtete und damit an den Umsätzen beteiligt wurde. Fortan pflegte man einen "Umgang auf Augenhöhe". Die mit starken Wertungen nicht geizenden Autoren bescheinigen Karg und den Hertie-Vertretern aber eine fehlende Übernahme moralischer Verantwortung, bis 2020 die Hertie-Stiftung die vorliegende Studie in Auftrag gegeben hat. PETER HOERES

Johannes Bähr und Ingo Köhler: Verfolgt, "arisiert", wiedergutgemacht? Wie aus dem Warenhauskonzern Hermann Tietz Hertie wurde, Siedler-Verlag, München 2023, 432 Seiten, 36 Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Die Unternehmenshistoriker Johannes Bähr und Ingo Köhler beschäftigen sich in ihrem Buch mit der Geschichte des Warenhauskonzerns Hertie, der, wie Rezensent Peter Hoeres darlegt, in den 1920er Jahren unter dem Namen Hermann Tietz firmierte. Die Weltwirtschaftskrise hatte, zeichnet Hoeres die Geschichte mit Bähr und Köhler nach, dem Geschäft zugesetzt, die Nationalsozialisten sanierten den Konzern nach der Machtübernahme mithilfe der Gründung einer Aktiengesellschaft, viele jüdische Angestellte wurden entlassen. Im Zuge dieser womöglich unter Druck zustande gekommenen Umformung wurde der Name des Gründers Hermann Tietz zu Hertie verkürzt, so Hoeres, im Zuge weiterer Umstrukturierungen wurden die jüdischen Besitzer entschuldet und teilweise ausbezahlt, dabei allerdings, so rekonstruiert der Rezensent die Argumentation, nicht komplett enteignet. Die Familie Tietz ging, fährt die Rezension fort, ins Exil, ein Schwiegersohn überlebte die Lager, und nach dem Krieg arrangierte sich der neue Konzernleiter Georg Karg mit den alten Eigentümern. Die moralische Verantwortung für die Ereignisse im Dritten Reich hat der Konzern allerdings bis weit ins neue Jahrtausend nicht übernommen, so die Kritik der Studie laut Hoeres.

© Perlentaucher Medien GmbH