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Ein fiktiver faschistischer Schriftstellerkongress im norditalienischen Pinerolo im April 1945, kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs, endet mit einem Mord. Ebenfalls kurz vor Kriegsende wird ein verletzter Partisan von einem Faschisten versteckt. Keiner weiß, was er mit ihm vorhat. Ein halbes Jahrhundert später forscht der Enkel des Partisanen über Faschisten, Futuristen und Brigadisten und stößt dabei auf die Geschichte seines Großvaters. Für den Leser setzt sich Stück für Stück ein Puzzle zusammen, das den Zusammenhang von Kunst, Politik und Gewalt zeigt. Pron ist ein Autor, der konsequent…mehr

Produktbeschreibung
Ein fiktiver faschistischer Schriftstellerkongress im norditalienischen Pinerolo im April 1945, kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs, endet mit einem Mord.
Ebenfalls kurz vor Kriegsende wird ein verletzter Partisan von einem Faschisten versteckt. Keiner weiß, was er mit ihm vorhat.
Ein halbes Jahrhundert später forscht der Enkel des Partisanen über Faschisten, Futuristen und Brigadisten und stößt dabei auf die Geschichte seines Großvaters. Für den Leser setzt sich Stück für Stück ein Puzzle zusammen, das den Zusammenhang von Kunst, Politik und Gewalt zeigt.
Pron ist ein Autor, der konsequent seine eigene Poetik verfolgt und schon jetzt mit großen Stimmen der Weltliteratur, wie Borges oder Rulfo, verglichen wird.

Autorenporträt
Pron, PatricioPatricio Pron wurde 1975 in Rosario, Argentinien, geboren, hat in Göttingen in Romanistik promoviert und lebt heute in Madrid. 2010 wurde er in die spanische Ausgabe der "Granta"-Anthologie aufgenommen, unter die 20 besten spanischsprachigen Autoren unter 40 gewählt. Für "Morgen haben wir andere Namen" wurde er mit dem Premio Alfaguara de novela ausgezeichnet.

Hansen, ChristianChristian Hansen wurde 1962 in Köln geboren, studierte Vergleichende Literaturwissenschaft in Berlin, lebt in Berlin und Madrid. Er übersetzte u. a. César Aira, Roberto Bolaño, Julio Cortázar.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.10.2019

Warum man den Professor auf der Straße erschoss
Der argentinische Erzähler Patricio Pron rührt artistisch in Italiens Geschichte der Gewalt

Wenn ein historischer Roman glückt, vollbringt er ein erzählerisches Origami. Dann faltet er die einzelnen Seiten der Geschichte so, dass die Historie in neuer, plastischer Gestalt erscheint. Auf diese Weise erzählt er von Helden, für welche die Geschichte bislang keinen Blick hatte: Turin, 1977, ein junger Mann verfolgt im Auftrag der Brigada Rossa einen Professor auf dessen täglichem Gang von der Universität zu dessen Haus. Ein paar Straßen Fußweg, kurzer Stopp im Buchladen, keine Besonderheiten. Aber doch hinreichende Informationen, um sie weiterzugeben. Wenige Tage später wird der Professor Opfer eines Anschlags - Schüsse in die Beine, keine tödliche Verwundung. Doch der Krankenwagen kommt zu spät. Der Professor stirbt. Der junge Mann flieht. Bevor er untertaucht, holt er noch unter falschem Namen jene Ware ab, die der Professor am Tag der Beschattung in seiner Buchhandlung bestellt hatte: Bücher von drei faschistischen Futuristen, deren Leben und Schreiben wiederum eng mit dem Schicksal eines gewissen Luca Barrello verwoben ist. Der Name springt dem jungen Mann entgegen. Nicht allein, weil dieser Autor, der kein Werk hinterlassen hat, bei einem letzten Treffen faschistischer Autoren im April 1945 auf rätselhafte Weise ums Leben kam. Sondern weil er Barrello aus den Erzählungen seines Vaters kennt: Barrello war es, der seinem Vater einst das Leben rettete, als dieser im Partisanenkampf des Zweiten Weltkriegs seinen Gegnern in die Hände fiel. Der junge Mann, Pietro Linden, beginnt zu recherchieren.

Statt spurlos unterzutauchen, reist er zu den drei faschistischen Autoren, um sie zum ominösen Tod Barrellos zu befragen. Mit jeder Sekunde, die er den Autoren zuhört, wächst die Gefahr, festgenommen zu werden. Und tatsächlich endet die historische Wahrheitssuche direkt im Gefängnis. Der Lebenskampf von Francesco Linden, dem Partisan, und Pietro Linden, dem roten Brigadisten, - bestimmt auch noch das Schicksal von Thommasso Linden: Vater in Haft, Mutter auf Selbstfindungstrip in Indien, wächst er bei seinen Großeltern mütterlicherseits auf. Bis er sich entschließt, in ein besetztes Haus zu ziehen und sich im Dezember 2014 in den Aufregungswellen eines Streiks treiben zu lassen. Indem der Argentinier Patricio Pron die Jahre 1944, 1977 und 2014 kunstvoll übereinanderlegt, verleiht er in seiner hochgradig ambitionierten, männlichen Romangenealogie der italienischen Literatur- und Widerstandsgeschichte eine neue Gestalt. "Vergieß deine Tränen für keinen, der in diesen Straßen lebt", entfaltet diese Geschichte mit beeindruckender Sicherheit, artistischer Erzählorganisation und fundiertem historischen Wissen.

Und doch bleibt der Roman hinter den von ihm selbst in Anspruch genommenen höchsten Ambitionen zurück. Der Frage, wie eng sich Marinettis Futurismus und der italienische Faschismus ineinander verschränkt hatten, weiß er keine neuen Facetten hinzuzufügen. Und er bleibt auch im Hinblick auf die Gegenwartsdiagnostik fad: Die Faszination von rasanter Beschleunigung und rasanter Überbietung hat im Turbokapitalismus keinen Deut abgenommen? Das hat man durchaus schon einmal gehört. Auch gegenüber der poetischen Innovation bleibt Skepsis angebracht: Solche Konstruktionen des Literarischen aus der Literatur werden spätestens seit Roberto Bolaños "Die wilden Detektive" oder "Die Naziliteratur in Amerika" ihren modrigen Nachgeschmack des Epigonalen nicht ganz los - und da hat man noch nicht über Jorge Luis Borges, César Aira oder Javier Marias nachgedacht.

Zudem gerät Prons Erzählen zwischenzeitlich auch noch aus der Balance. Wenn der junge Pietro Linden auf den Spuren des Professors durch Turin schleicht oder wenn dessen Vater Francesco auf Barrello trifft, dann findet die Darstellung zu großer Eindringlichkeit und Lebendigkeit. Aber wenn Pron die drei faschistischen Schriftsteller über mehr als hundert Seiten hinweg kommentarlos nacheinander ihre Geschichten erzählen lässt, als wären sie in ihren "Mutmaßungen über Barrello" auch noch dem abseitigsten Detail verpflichtet, wenn sie sich in Redundanzen drehen und in Abschweifungen verlieren, dann erdrückt die Konstruktion den Inhalt. Pron kann erzählen - das belegen auch sein vorheriger Roman "Der Geist meiner Väter steigt im Regen auf" und sein jüngst im spanischsprachigen Raum erschienenes Buch "Mañana tendremos otros nombres", das zu Recht von der Kritik gefeiert wird. Aber im jetzt auf Deutsch vorliegenden Fall verliert seine historische Faltarbeit ihre Konturen.

CHRISTIAN METZ.

Patricio Pron: "Vergieß deine Tränen für keinen, der in diesen Straßen lebt". Roman.

Aus dem Spanischen von Christian Hansen. Rowohlt Verlag, Hamburg 2019. 416 S., geb., 24,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Ein starkes Stück Literatur, politisch, skeptisch, offen und verletzlich, sprachlich verführerisch, raffiniert konstruiert und nicht ohne Humor. Ein Roman im Geist von Roberto Bolaño. Ralph Hammerthaler Süddeutsche Zeitung 20191212