»Ein großartiges Porträt Frankreichs zur Zeit des Sonnenkönigs in all seiner Pracht und in all seinen Schwächen.« 'Times Literary Supplement'
In den Gassen von Paris geht ein Pamphlet von Hand zu Hand: Es diffamiert Ludwig XIV. und seine Mätressenwirtschaft. Der Sonnenkönig tobt und verlangt, den Urheber unverzüglich dingfest zu machen. Als das Flugblatt dem jungen Buchbinder Paul in die Finger kommt, schmiedet er zusammen mit seiner Geliebten Marianne, der Frau seines Meisters, einen perfiden Plan: Sie wollen dem Meister die skandalöse Schrift unterschieben und ihn an die Polizei verraten - und dann wie das Staatsoberhaupt frei in Lust und Laster leben. Aber Paul und Marianne ahnen nicht, welche fatalen Folgen ihre Intrige haben wird.
In den Gassen von Paris geht ein Pamphlet von Hand zu Hand: Es diffamiert Ludwig XIV. und seine Mätressenwirtschaft. Der Sonnenkönig tobt und verlangt, den Urheber unverzüglich dingfest zu machen. Als das Flugblatt dem jungen Buchbinder Paul in die Finger kommt, schmiedet er zusammen mit seiner Geliebten Marianne, der Frau seines Meisters, einen perfiden Plan: Sie wollen dem Meister die skandalöse Schrift unterschieben und ihn an die Polizei verraten - und dann wie das Staatsoberhaupt frei in Lust und Laster leben. Aber Paul und Marianne ahnen nicht, welche fatalen Folgen ihre Intrige haben wird.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Kai Sina warnt davor, sich vom Titel des Buches irreführen zu lassen. Mit einem Krimi a la Stieg Larsson hat Janet Lewis' Roman nämlich nichts zu tun. Stattdessen zeichnet die Autorin sehr akribisch ein Historiengemälde vom Hof des Sonnenkönigs und dem Paris der Buchbinder im 17. Jahrhundert, wo sich eine Intrige abspielt, auf die der König seinen Polizeichef ansetzt. Richtig spannend wird das laut Sina deswegen nicht, weil die Autorin sich immer wieder in Einzelheiten, wie religiösen Bräuchen oder Alltagsgeschichte verliert. Wer den Realismus des 19. Jahrhunderts schätzt, kommt auf seine Kosten, meint Sina.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.06.2021Morgenroutinen des Sonnenkönigs
Amerikanischer Beitrag zur französischen Literaturgeschichte: Ein historischer Roman von Janet Lewis erscheint als "Verhängnis" erstmals auf Deutsch
Man sollte sich vom Titel nicht täuschen lassen. Dessen Absicht ist wohl, das Buch in Anlehnung an die sogenannte Millennium-Trilogie des schwedischen Erfolgsautors Stieg Larsson besser verkaufen zu können: "Verblendung", "Verdammnis", "Vergebung" - und nun eine weitere Fortsetzung: "Verhängnis"! Wer eine skandinavische Gewaltorgie erwartet, wird aber rasch enttäuscht. Keine Triebmorde in nordischen Fichtenwäldern, keine unter Lichtmangel leidenden, depressiven Ermittler. Stattdessen: Frankreich, siebzehntes Jahrhundert, der Sonnenkönig und die Seinen. Ein weiterer, in diesem Fall an Absurdität grenzender Beleg für die Um- und Neubetitelung von Übersetzungen seitens deutscher Verlage, der übrigens auch Larssons Romane selbst zum Opfer gefallen sind: "Verdammnis", zum Beispiel, ist im schwedischen Original "Flickan som lekte med elden" betitelt, wörtlich: "Das Mädchen, das mit dem Feuer spielte". Janet Lewis' 1959 unter dem Titel "The Ghost of Monsieur Scarron" erschienenem, nun in deutscher Erstübersetzung vorliegendem Roman geht alles Reißerische ab, zumal in den ersten zwei Dritteln der insgesamt 448 Seiten.
Die Handlung ist angesiedelt in zwei gesellschaftlichen Sphären, die kontrastreicher nicht sein könnten: am Hofe Ludwigs XIV., der sich in einer kritischen Phase seiner Herrschaft befindet und auch sonst einen dekadenten Lebensstil pflegt, und in den Straßen von Paris, dessen Einwohner in Dreck und Armut darben. Auslöser der Handlung ist ein Skandal nach der Veröffentlichung einer Schmähschrift, die in der Hauptstadt kursiert. Sie macht sich mit derbem Humor lustig über den König und seine Mätressen. Deswegen auch der Titel des Romans, der zugleich der Titel des Pamphlets ist: Der erste Ehemann der letzten und berühmtesten Mätresse des Königs, Madame de Maintenon, war der damals in Frankreich bekannte Komödienautor Scarron. Er verstarb schon 1660, während die Handlung des Romans - mit ihm als "Geist" - 1694 spielt.
Der König wütet, als er das anonyme Schriftstück zu Gesicht bekommt, und schickt seinen schärfsten Mann, den Polizeichef von Paris, auf die Suche nach denen, die es verfasst und verbreitet haben. Die Suche führt hinein ins Milieu der Buchbinder, in dem sich eine Intrige ereignet. Von ihr wird parallel zum Königsdrama in den oberen Rängen erzählt - und zwar in aller Ausführlichkeit, mit sorgfältigen Figurenzeichnungen und viel Sinn für soziale Zeitumstände: Ein junger Lehrling schiebt die Skandalschrift dem Ehemann seiner Geliebten unter, der zugleich sein Meister ist, und verrät diesen an die Polizei.
Für das Liebespaar, Paul und Marianne, realisiert sich aber weder der verbotene Traum einer gemeinsamen Zukunft, noch kommt der Betrogene mit der vom Betrüger erwarteten milden Bestrafung davon, im Gegenteil.
Anders als der Plot es nahelegt, wird es bei all dem nur passagenweise wirklich spannend. Prägend für den Roman ist weniger die kriminalistisch angehauchte Whodunit-Struktur, sondern vielmehr das, was Roland Barthes als "effets de réel" bezeichnete, als "Realitätseffekte". Lewis' großes Epochenporträt umfasst noch letzte, ja allerletzte Details. Fast wie in einem hyperrealistischen Gemälde wirkt dies in der Schilderung des "Lever", also der zeremoniellen Morgenroutinen des Königs, oder in der für Leser schmerzhaften Darstellung einer Gebissbehandlung durch einen wandernden "Zahnzieher".
So erzählen zu können setzt umfassende Kenntnisse des zeitgenössischen Alltags- und Gesellschaftslebens voraus, und so ist "Verhängnis" nicht zuletzt das Ergebnis einer imponierenden Rechercheleistung. Lewis weiß alles über die religiösen Bräuche der Zeit, die politischen Zustände und Rechtsfragen, über das Druckwesen, die Buchkultur, die literarische Welt - und so fort. Für das, was sich nicht unbedingt in historischen Darstellungen nachlesen lässt, gerade für eine zeittypische Sprache der Liebe, fehlen der Autorin indes eigene, auch heute noch überzeugende Worte, und das ist sicher nicht auf die makellos-elegante Übersetzung von Susanne Höbel zurückzuführen.
Aber vielleicht liest man das Buch ohnehin zu oberflächlich, wenn man es nur auf historische Akkuratesse hin befragt. "Mit Geschichte will man etwas", sagte Döblin, und das ist in diesem Fall nicht anders. Reizvoll ist die von Julia Encke im Nachwort formulierte These, die 1899 in Chicago geborene Amerikanerin Lewis, die nicht nur Schriftstellerin, sondern auch politische Aktivistin war, wolle der von männlichen Perspektiven bestimmten Liebesdarstellung bei Stendhal und Mauspassant den Blick ihrer vielschichtigsten Figur gegenüberstellen, also der Figur der Marianne. Demnach stünde hinter dem Buch das Streben nach weiblicher Repräsentation, es wäre ein amerikanischer Beitrag zur Steigerung der Diversität in der französischen Literaturgeschichte.
Kein Zufall also, dass Janet Lewis' transatlantischer Roman gerade heute für das deutschsprachige Lesepublikum neu entdeckt wird. Die Frage ist wohl nur, ob es auch dazu bereit ist, sich ästhetisch auf das Buch einzulassen: auf dessen äußerst kleinteiligen, am neunzehnten Jahrhundert geschulten, etwas gemächlichen Realismus, der dem Roman als einem Historiengemälde zwar unbedingt entgegenkommt, aber die eingebettete Geschichte um Liebe und Verrat immer wieder ausbremst, ja teilweise zäh werden lässt.
Dass die Fans der Werke von Stieg Larsson, vom falschen Titel angelockt, darin sogar einen Vorzug sehen könnten, ist natürlich nicht auszuschließen. "Verhängnis" wäre dann ein literarisches Beruhigungs- und Entschleunigungsmittel, das ihnen nur mehr Lust machte auf stakkatohaftes Morden in nordischen Gefilden.
KAI SINA
Janet Lewis:
"Verhängnis". Roman.
Aus dem amerikanischen Englisch von Susanne Höbel. Mit einem Nachwort von Julia Encke. Dtv, München 2020. 448 S., geb., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Amerikanischer Beitrag zur französischen Literaturgeschichte: Ein historischer Roman von Janet Lewis erscheint als "Verhängnis" erstmals auf Deutsch
Man sollte sich vom Titel nicht täuschen lassen. Dessen Absicht ist wohl, das Buch in Anlehnung an die sogenannte Millennium-Trilogie des schwedischen Erfolgsautors Stieg Larsson besser verkaufen zu können: "Verblendung", "Verdammnis", "Vergebung" - und nun eine weitere Fortsetzung: "Verhängnis"! Wer eine skandinavische Gewaltorgie erwartet, wird aber rasch enttäuscht. Keine Triebmorde in nordischen Fichtenwäldern, keine unter Lichtmangel leidenden, depressiven Ermittler. Stattdessen: Frankreich, siebzehntes Jahrhundert, der Sonnenkönig und die Seinen. Ein weiterer, in diesem Fall an Absurdität grenzender Beleg für die Um- und Neubetitelung von Übersetzungen seitens deutscher Verlage, der übrigens auch Larssons Romane selbst zum Opfer gefallen sind: "Verdammnis", zum Beispiel, ist im schwedischen Original "Flickan som lekte med elden" betitelt, wörtlich: "Das Mädchen, das mit dem Feuer spielte". Janet Lewis' 1959 unter dem Titel "The Ghost of Monsieur Scarron" erschienenem, nun in deutscher Erstübersetzung vorliegendem Roman geht alles Reißerische ab, zumal in den ersten zwei Dritteln der insgesamt 448 Seiten.
Die Handlung ist angesiedelt in zwei gesellschaftlichen Sphären, die kontrastreicher nicht sein könnten: am Hofe Ludwigs XIV., der sich in einer kritischen Phase seiner Herrschaft befindet und auch sonst einen dekadenten Lebensstil pflegt, und in den Straßen von Paris, dessen Einwohner in Dreck und Armut darben. Auslöser der Handlung ist ein Skandal nach der Veröffentlichung einer Schmähschrift, die in der Hauptstadt kursiert. Sie macht sich mit derbem Humor lustig über den König und seine Mätressen. Deswegen auch der Titel des Romans, der zugleich der Titel des Pamphlets ist: Der erste Ehemann der letzten und berühmtesten Mätresse des Königs, Madame de Maintenon, war der damals in Frankreich bekannte Komödienautor Scarron. Er verstarb schon 1660, während die Handlung des Romans - mit ihm als "Geist" - 1694 spielt.
Der König wütet, als er das anonyme Schriftstück zu Gesicht bekommt, und schickt seinen schärfsten Mann, den Polizeichef von Paris, auf die Suche nach denen, die es verfasst und verbreitet haben. Die Suche führt hinein ins Milieu der Buchbinder, in dem sich eine Intrige ereignet. Von ihr wird parallel zum Königsdrama in den oberen Rängen erzählt - und zwar in aller Ausführlichkeit, mit sorgfältigen Figurenzeichnungen und viel Sinn für soziale Zeitumstände: Ein junger Lehrling schiebt die Skandalschrift dem Ehemann seiner Geliebten unter, der zugleich sein Meister ist, und verrät diesen an die Polizei.
Für das Liebespaar, Paul und Marianne, realisiert sich aber weder der verbotene Traum einer gemeinsamen Zukunft, noch kommt der Betrogene mit der vom Betrüger erwarteten milden Bestrafung davon, im Gegenteil.
Anders als der Plot es nahelegt, wird es bei all dem nur passagenweise wirklich spannend. Prägend für den Roman ist weniger die kriminalistisch angehauchte Whodunit-Struktur, sondern vielmehr das, was Roland Barthes als "effets de réel" bezeichnete, als "Realitätseffekte". Lewis' großes Epochenporträt umfasst noch letzte, ja allerletzte Details. Fast wie in einem hyperrealistischen Gemälde wirkt dies in der Schilderung des "Lever", also der zeremoniellen Morgenroutinen des Königs, oder in der für Leser schmerzhaften Darstellung einer Gebissbehandlung durch einen wandernden "Zahnzieher".
So erzählen zu können setzt umfassende Kenntnisse des zeitgenössischen Alltags- und Gesellschaftslebens voraus, und so ist "Verhängnis" nicht zuletzt das Ergebnis einer imponierenden Rechercheleistung. Lewis weiß alles über die religiösen Bräuche der Zeit, die politischen Zustände und Rechtsfragen, über das Druckwesen, die Buchkultur, die literarische Welt - und so fort. Für das, was sich nicht unbedingt in historischen Darstellungen nachlesen lässt, gerade für eine zeittypische Sprache der Liebe, fehlen der Autorin indes eigene, auch heute noch überzeugende Worte, und das ist sicher nicht auf die makellos-elegante Übersetzung von Susanne Höbel zurückzuführen.
Aber vielleicht liest man das Buch ohnehin zu oberflächlich, wenn man es nur auf historische Akkuratesse hin befragt. "Mit Geschichte will man etwas", sagte Döblin, und das ist in diesem Fall nicht anders. Reizvoll ist die von Julia Encke im Nachwort formulierte These, die 1899 in Chicago geborene Amerikanerin Lewis, die nicht nur Schriftstellerin, sondern auch politische Aktivistin war, wolle der von männlichen Perspektiven bestimmten Liebesdarstellung bei Stendhal und Mauspassant den Blick ihrer vielschichtigsten Figur gegenüberstellen, also der Figur der Marianne. Demnach stünde hinter dem Buch das Streben nach weiblicher Repräsentation, es wäre ein amerikanischer Beitrag zur Steigerung der Diversität in der französischen Literaturgeschichte.
Kein Zufall also, dass Janet Lewis' transatlantischer Roman gerade heute für das deutschsprachige Lesepublikum neu entdeckt wird. Die Frage ist wohl nur, ob es auch dazu bereit ist, sich ästhetisch auf das Buch einzulassen: auf dessen äußerst kleinteiligen, am neunzehnten Jahrhundert geschulten, etwas gemächlichen Realismus, der dem Roman als einem Historiengemälde zwar unbedingt entgegenkommt, aber die eingebettete Geschichte um Liebe und Verrat immer wieder ausbremst, ja teilweise zäh werden lässt.
Dass die Fans der Werke von Stieg Larsson, vom falschen Titel angelockt, darin sogar einen Vorzug sehen könnten, ist natürlich nicht auszuschließen. "Verhängnis" wäre dann ein literarisches Beruhigungs- und Entschleunigungsmittel, das ihnen nur mehr Lust machte auf stakkatohaftes Morden in nordischen Gefilden.
KAI SINA
Janet Lewis:
"Verhängnis". Roman.
Aus dem amerikanischen Englisch von Susanne Höbel. Mit einem Nachwort von Julia Encke. Dtv, München 2020. 448 S., geb., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Das ist detailreich, klug und empfindsam geschrieben. Achim Lettmann Westfälischer Anzeiger 20210630