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Die Mutter spielt, so der Befund der Autorinnen, als Objekt in der Kunst und Literatur seit Jahrhunderten nur eine marginale Rolle. Das gilt für das bürgerliche Trauerspiel wie für die Malerei, für den Roman und das Märchen wie für den Heimatfilm der deutschen Nachkriegszeit. Wo sie vorkommen, dienen Mütterbilder verklärenden, verkitschenden oder anderen der mütterlich-weiblichen Wirklichkeit unangemessenen Zwecken.

Produktbeschreibung
Die Mutter spielt, so der Befund der Autorinnen, als Objekt in der Kunst und Literatur seit Jahrhunderten nur eine marginale Rolle. Das gilt für das bürgerliche Trauerspiel wie für die Malerei, für den Roman und das Märchen wie für den Heimatfilm der deutschen Nachkriegszeit. Wo sie vorkommen, dienen Mütterbilder verklärenden, verkitschenden oder anderen der mütterlich-weiblichen Wirklichkeit unangemessenen Zwecken.
Autorenporträt
Renate Möhrmann studierte Germanistik, Romanistik und Medienwissenschaft in Hamburg, Lyon und New York. Promotion in New York. Nach der Habilitation einen Ruf an die Universität zu Köln als Professorin für Theater-, Film- und Fernsehwissenschaft. Autorin und Herausgeberin zahlreichen Arbeiten zur Geschichte des Theaters, des Films und der Literatur. Lebt zur Zeit in Paris.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.06.1996

Asymmetrie der Herzen
Vater hat es besser: Die Mutter als ästhetische Figur macht dem Feminismus Mühe

Aus feministischer Sicht kommt die Mutter als Objekt der bildenden Kunst und der Literatur entschieden zu kurz. Entweder wird sie als Madonna verklärt, als Dummchen verkitscht oder schlichtweg vergessen. In neunzehn Aufsätzen versuchen Renate Möhrmann und ihre Mitautorinnen - nicht zu vergessen Jan MacDonald, der einzige Mann - diese These zu erhärten. Aber sitzt die Mutter tatsächlich immer nur am Rande der Familienbilder des 17. und 18. Jahrhunderts, wie Martina Sitt behauptet? Und wie sollten Maler denn die verführerische Eva und die liebende Mutter in einem einzigen Porträt vereinen? Nicht einmal Madonnen mit bloßem Busen und sittsam gesenktem Blick sind solche Wunderwesen.

Bei der Lektüre wachsen Zweifel, ob der feministische Ansatz dem Thema gerecht werden kann. Auch die wiederholten Schuldzuweisungen an das feindselige Patriarchat langweilen mit der Zeit. Dennoch lassen sich am Bild der Mutter zweifellos die familiären Verhältnisse und die Stellung der Frau im Laufe der Jahrhunderte ablesen. Und manche neue Einsichten gibt es wirklich in in diesem Buch, das den Seminararbeits-Charakter nicht verleugnet.

Den Anstoß zu dieser Aufsatzsammlung gab eine Untersuchung über neunzig Heimatfilme. Renate Möhrmann, Literaturwissenschaftlerin in Köln, stellte dabei fest, daß männliche Helden in diesem Genre bei weitem dominieren, während Mütter wider Erwarten nur marginal vorkommen. Eine Erklärung findet sie nicht. Oder sollte es die Befangenheit gegenüber Gefühlen sein, die männliche Filmemacher daran hindert, zum Beispiel die starken Mütter der Nachkriegszeit ins Bild zu rücken? Wirken die von Nazis mißbrauchten Mütter immer noch abschreckend? Den einzigen Film mit einer Mutterfigur im Mittelpunkt des zeitgeschichtlichen Hintergrunds hat Helma Sanders-Brahms gedreht, "Deutschland, bleiche Mutter". Doch den kann man schwerlich einen Heimatfilm nennen.

Interessant ist der Beitrag von Elke Liebs über die "Unmütter" der Märchen. Böse Stiefmütter gibt es dort zuhauf. Eine der wenigen leiblichen Mütter, die von Hänsel und Gretel, ist die treibende Kraft bei der kaltherzigen Aussetzung ihrer Kinder. "Ein Vater hatte zwei Söhne", so fangen viele Märchen an. Von der Mutter ist gar nicht die Rede, es sei denn, sie ist tot und hat eine schöne Tochter hinterlassen, die unter der häßlichen Stiefschwester oder der neuen Frau ihres Vaters leidet.

Auch im bürgerlichen Trauerspiel kommt die Mutter eher in ihrer bösen, intriganten oder dümmlichen Variante vor. Die meisten Väter dagegen sind vorbildlich und innigster Liebe fähig, vor allem zu ihren Töchtern. Renate Möhrmann spricht von einer "Asymmetrie der Herzen". Der Vater darf die Tochter, wenn sie denn verloren ist, beweinen, der Mutter wird dagegen die Schuld an jeglicher Verfehlung des geliebten Kindes aufgebürdet.

Deirdre Vincent vermißt sogar bei Goethe - außer in "Hermann und Dorothea" - ideale Muttergestalten. Und Barbara Becker-Cantario stellt die Gretchentragödie als Beispiel für die "Kindsmörderin als literarisches Sujet" dar. Die allmächtige Mutter erschafft Leben und vernichtet es auch, wenn die gesellschaftlichen Verhältnisse keinen anderen Ausweg erlauben. Brechts Mutter, behauptet Pia Kleber, schickt lieber ihre hilflose Tochter Katrin ins Verderben, als sich selbst zu opfern. Wahrhaftig, an tragischen, grausamen, rachsüchtigen Frauengestalten fehlt es in der Literatur nicht - und manche sind auch Mütter.

Die Mutterfigur ist innerhalb der Frauenbewegung umstritten. An ihr entzündet sich noch immer der Konflikt zwischen Familien- und Berufsfrau. Die Neue Mütterlichkeit wird nicht selten ähnlich idolisiert wie im Mittelalter die Madonna; Vater Joseph ist hier wie dort in den Hintergrund verdrängt. Aus biologischen Gründen sei die Mutter für das Kind der bessere Elternteil, behaupten heute wieder Feministinnen, nachdem es jahrelang darum ging zu beweisen, daß Väter genauso fähig seien zu "bemuttern".

Jan MacDonald zeichnet das Porträt der berühmten englischen Schauspielerin und siebenfachen Mutter Sarah Siddons. Er kommt zu dem harten Urteil, daß sie das Wohl ihrer Kinder "selbstsüchtig ihren eigenen Interessen untergeordnet" habe. Die meisten Bühnenengagements seien eine Flucht vor häuslicher Belastung gewesen. Daß sie ihre große Familie einschließlich Ehemann mit ihrer Kunst ernähren mußte und ihre größten Erfolge in Mutterrollen hatte, läßt MacDonald nicht gelten. Da kommen die Fernsehmütter, die Cornelia Krauss vorführt, besser weg. Weibliche Liebe ist mütterlich, das ist ihre Botschaft. Diese Frauen sind nicht nur tüchtig und selbstbewußt, sie dürfen zeitweise sogar erotisch sein.

"Zwischen Traum und Trauma", so behaupten einige Autorinnen dieses Bandes, stellen bildende Künstler die Mutter dar. Da muß man entschieden widersprechen. Doch der feministische Blickwinkel erfaßt eben nur Ausschnitte, die zur These passen. So gesehen, sind die trauernden Frauen von Käthe Kollwitz Heldenmütter, die ihre Söhne freiwillig opfern, und die toten Mütter von Egon Schiele ein "Grab des weiblichen Schoßes", bedrohliche Todesgöttinnen. Tatjana Frank läßt einzig die Mutter-Kind-Darstellungen von Heidrun Hegewald gelten, die zur mittleren Generation der DDR-Künstler gehört.

Für eine Auseinandersetzung mit dem Mutterbild in der Kunst liefert dieses Buch viele Anregungen. Es fehlen aber Objektivität und Nüchternheit. Wenn von vornherein feststeht, was bei näherer Untersuchung herauskommen wird, gerät der Anspruch auf Wissenschaftlichkeit ins Zwielicht. MARIA FRISÉ

Renate Möhrmann (Hrsg.): "Verklärt, verkitscht, vergessen - Die Mutter als ästhetische Figur". Verlag J. B. Metzler, Stuttgart, Weimar 1996. 420 S., 29 Abb., geb., 58,- DM.

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