Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Eindrucksvoll gelungen" findet Ernst-Peter Wieckenberg diese Habilitationsschrift, die am Beispiel des Verlegers Göschen die Bedeutung der "Vermittlungsinstution Verlag" für verschiedene Bereiche der Gesellschaft des ausgehenden 18. Jahrhunderts untersucht. Warum die Schrift allerdings gleichzeitig als "Beitrag zur Verlegertypologie" betitelt ist, ist dem Rezensenten nicht klar. Denn davon sei in dem Buch nicht die Rede. Göschen und sein Wirken werden kurz vorgestellt, und sein bahnbrechender Einfluss auf den Literaturmarkt geschildert. Doch obwohl der Rezensent den aufschlussreichen Quellenfunden und ihrer Bearbeitung viel Bewunderung zollt, trübt sich das Bild durch "etliche Flüchtigkeiten". Vor allem durch das mangelhafte Register.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.06.2000Schlechtes Buch verdrängt gutes Buch
Göschen, der erste moderne Verleger, verkaufte, was in einem gebildeten Haus fehlen durfte
Von einem der großen Verleger des achtzehnten Jahrhunderts handelt dieses Buch: Georg Joachim Göschen. Stephan Füssel, inzwischen Professor an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, hat es als Habilitationsschrift vorgelegt. Seine Absicht war, "an dem historischen Fallbeispiel Göschen exemplarisch die ,Vermittlungsinstitution Verlag' und ihre Bedeutung für die Literatur, die Sprache, die Wirtschafts- und Sozialgeschichte, die Rechtsgeschichte, die Personengeschichte und die Kulturgeschichte" zu zeigen. Das ist ihm durchaus eindrucksvoll gelungen. Warum er aber im Titel seines Buches zugleich einen Beitrag zur Verlegertypologie der Goethezeit in Aussicht stellt, wird nicht deutlich. Ein solches Vorhaben verlangt einen Vergleich, und der findet nicht statt. Das Buch hat zwei Teile: eine Darstellung der Verlagsgeschichte vom Gründungsjahr 1785 bis zum Todesjahr des Verlegers 1828 und einen Abschnitt, der wichtigen Aspekten der verlegerischen Arbeit Göschens gilt.
Göschen beginnt mit einem Glücksgriff: Im Gründungsjahr gewinnt er für seinen Verlag Rudolf Zacharias Beckers "Versuch über die Aufklärung des Landmannes" 1788 das "Noth- und Hülfsbüchlein für Bauersleute", einen der Bestseller des achtzehnten Jahrhunderts. Allerdings geht Becker schon bald zum Selbstverlag über. Göschen veröffentlicht dann Schiller und Goethe, beide nicht dauerhaft, Wieland und Klopstock. Den Romantikern steht er fern. Nach 1800 kommen bei ihm fast nur noch zweitrangige Autoren heraus, unter ihnen freilich einige sehr erfolgreiche: so zum Beispiel Friedrich Kind, Adolph Müllner, Ernst von Houwald. Im Grunde hatte er diese Entwicklung schon vorgezeichnet, als er Karl August Böttinger zu seinem wichtigsten Berater machte. Böttiger, umtriebig wie kaum einer, kenntnisreich, aber intellektuell eng, war kaum geeignet, Bemühungen des Verlegers um ein Schritthalten mit der literarischen Entwicklung zu fördern. Göschen ahnte wohl selbst, dass er, wie Füssel schreibt, nach 1815 "den Anschluss an die Literaturentwicklung in vielen Bereichen verpasst" hatte: Ein Jahr vor seinem Tod schrieb er in einer Mischung von melancholicher Selbsterkenntnis und Lob der Vergangenheit an Elisa von der Recke, er sein ein "Sohn des vorigen Jahrhunderts".
Aber Urteile, die sich allein auf seine zunehmende Entfremdung von der großen Literatur gründen, werden ihm nicht gerecht; denn in manchem ist er ungewöhnlich modern, ja vermutlich der fortschrittlichste Verleger seiner Generation. Er schafft den Beruf des Lektors, sein wohl bedeutendster ist Johann Gottfried Seume, trägt sehr viel bei zur Entwicklung einer guten Typographie und ist ein Meister des Verkaufs. Von vielen Werken veröffentlicht er Ausgaben unterschiedlicher Ausstattung und Preislage. Mit dieser Vertriebsmaßnahme, die er offenbar virtuos handhabt, unterläuft er die Bemühungen der Nachdrucker, ihm durch billigere Ausgaben einen Teil des Marktes streitig zu machen. Bemerkenswert sind auch seine Werbetechniken, bedeutend seine Beiträge zur Entwicklung eines modernen Urheberrechts, in die Zukunft weist die Art seines Umgangs mit den Autoren.
Noch etwas anderes zeichnet ihn aus: Er ist kein nur rezipierender, er ist bereits ein planender Verleger, wie Füssel zeigt. Daher hat er es auch schon mit all den Problemen zu tun, mit denen Verleger heute fertig werden müssen. Als das von ihm ins Leben gerufene "Corpus scriptoruum latinorum" allzu schleppend vorankommt, klagt er über einen säumigen Herausgeber: "Auf Martyni-Laguna rechne ich nicht. Seine Launen und seine Erwartungen erheben ihn über das praktische Leben und über die Kraft eines deutschen Buchhändlers." Er kämpft bei den Zeitschriftenherausgebern um Rezensionen und muss sich dann auch mit solchen Antworten abfinden: "Taciti Agricola ist an Freund Schütz gesandt, und von ihm übernommen worden; aber in diesem Gouffe (Abgrund) liegt mehreres."
Füssels Buch ist voll solchen Quellenfunden. Leicht getrübt wird das vortreffliche Bild nur durch unnötige Wiederholungen und durch etliche Flüchtigkeiten, vor allem durch das unzureichende Register, das nur eine Auswahl der im Buch vorkommenden Namen enthält. Insgesamt aber verdient Bewunderung, was der Autor aus den Quellen erarbeitet, was er an zum Teil entlegenen Fundorten aufgestöbert hat.
ERNST-PETER WIECKENBERG
Stephan Füssel: "Georg Joachim Göschen". Ein Verleger der Spätaufklärung und der deutschen Klassik. Studien zur Verlagsgeschichte und zur Verlegertypologie der Goethe-Zeit. Verlag Walter de Gruyter, Berlin 1999. VII, 390 S., geb., 198,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Göschen, der erste moderne Verleger, verkaufte, was in einem gebildeten Haus fehlen durfte
Von einem der großen Verleger des achtzehnten Jahrhunderts handelt dieses Buch: Georg Joachim Göschen. Stephan Füssel, inzwischen Professor an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, hat es als Habilitationsschrift vorgelegt. Seine Absicht war, "an dem historischen Fallbeispiel Göschen exemplarisch die ,Vermittlungsinstitution Verlag' und ihre Bedeutung für die Literatur, die Sprache, die Wirtschafts- und Sozialgeschichte, die Rechtsgeschichte, die Personengeschichte und die Kulturgeschichte" zu zeigen. Das ist ihm durchaus eindrucksvoll gelungen. Warum er aber im Titel seines Buches zugleich einen Beitrag zur Verlegertypologie der Goethezeit in Aussicht stellt, wird nicht deutlich. Ein solches Vorhaben verlangt einen Vergleich, und der findet nicht statt. Das Buch hat zwei Teile: eine Darstellung der Verlagsgeschichte vom Gründungsjahr 1785 bis zum Todesjahr des Verlegers 1828 und einen Abschnitt, der wichtigen Aspekten der verlegerischen Arbeit Göschens gilt.
Göschen beginnt mit einem Glücksgriff: Im Gründungsjahr gewinnt er für seinen Verlag Rudolf Zacharias Beckers "Versuch über die Aufklärung des Landmannes" 1788 das "Noth- und Hülfsbüchlein für Bauersleute", einen der Bestseller des achtzehnten Jahrhunderts. Allerdings geht Becker schon bald zum Selbstverlag über. Göschen veröffentlicht dann Schiller und Goethe, beide nicht dauerhaft, Wieland und Klopstock. Den Romantikern steht er fern. Nach 1800 kommen bei ihm fast nur noch zweitrangige Autoren heraus, unter ihnen freilich einige sehr erfolgreiche: so zum Beispiel Friedrich Kind, Adolph Müllner, Ernst von Houwald. Im Grunde hatte er diese Entwicklung schon vorgezeichnet, als er Karl August Böttinger zu seinem wichtigsten Berater machte. Böttiger, umtriebig wie kaum einer, kenntnisreich, aber intellektuell eng, war kaum geeignet, Bemühungen des Verlegers um ein Schritthalten mit der literarischen Entwicklung zu fördern. Göschen ahnte wohl selbst, dass er, wie Füssel schreibt, nach 1815 "den Anschluss an die Literaturentwicklung in vielen Bereichen verpasst" hatte: Ein Jahr vor seinem Tod schrieb er in einer Mischung von melancholicher Selbsterkenntnis und Lob der Vergangenheit an Elisa von der Recke, er sein ein "Sohn des vorigen Jahrhunderts".
Aber Urteile, die sich allein auf seine zunehmende Entfremdung von der großen Literatur gründen, werden ihm nicht gerecht; denn in manchem ist er ungewöhnlich modern, ja vermutlich der fortschrittlichste Verleger seiner Generation. Er schafft den Beruf des Lektors, sein wohl bedeutendster ist Johann Gottfried Seume, trägt sehr viel bei zur Entwicklung einer guten Typographie und ist ein Meister des Verkaufs. Von vielen Werken veröffentlicht er Ausgaben unterschiedlicher Ausstattung und Preislage. Mit dieser Vertriebsmaßnahme, die er offenbar virtuos handhabt, unterläuft er die Bemühungen der Nachdrucker, ihm durch billigere Ausgaben einen Teil des Marktes streitig zu machen. Bemerkenswert sind auch seine Werbetechniken, bedeutend seine Beiträge zur Entwicklung eines modernen Urheberrechts, in die Zukunft weist die Art seines Umgangs mit den Autoren.
Noch etwas anderes zeichnet ihn aus: Er ist kein nur rezipierender, er ist bereits ein planender Verleger, wie Füssel zeigt. Daher hat er es auch schon mit all den Problemen zu tun, mit denen Verleger heute fertig werden müssen. Als das von ihm ins Leben gerufene "Corpus scriptoruum latinorum" allzu schleppend vorankommt, klagt er über einen säumigen Herausgeber: "Auf Martyni-Laguna rechne ich nicht. Seine Launen und seine Erwartungen erheben ihn über das praktische Leben und über die Kraft eines deutschen Buchhändlers." Er kämpft bei den Zeitschriftenherausgebern um Rezensionen und muss sich dann auch mit solchen Antworten abfinden: "Taciti Agricola ist an Freund Schütz gesandt, und von ihm übernommen worden; aber in diesem Gouffe (Abgrund) liegt mehreres."
Füssels Buch ist voll solchen Quellenfunden. Leicht getrübt wird das vortreffliche Bild nur durch unnötige Wiederholungen und durch etliche Flüchtigkeiten, vor allem durch das unzureichende Register, das nur eine Auswahl der im Buch vorkommenden Namen enthält. Insgesamt aber verdient Bewunderung, was der Autor aus den Quellen erarbeitet, was er an zum Teil entlegenen Fundorten aufgestöbert hat.
ERNST-PETER WIECKENBERG
Stephan Füssel: "Georg Joachim Göschen". Ein Verleger der Spätaufklärung und der deutschen Klassik. Studien zur Verlagsgeschichte und zur Verlegertypologie der Goethe-Zeit. Verlag Walter de Gruyter, Berlin 1999. VII, 390 S., geb., 198,- DM.
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