Islamischer Fundamentalismus ist immer wieder Gegenstand von Tabuisierungs- oder Skandalisierungsversuchen, so daß differenzierte Debatten verhindert werden. Dazu trägt auch der Umstand bei, daß diese Variante der politischen Instrumentalisierung der islamischen Religion, die auch Gewalt zur Durchsetzung von Macht ins Kalkül zieht, auf kleine Gruppen reduziert wird.
Unbeleuchtet blieb daher bisher die Frage, welches Unterstützungs- oder Mobilisierungspotential sich auch in Bevölkerungsgruppen muslimischen Glaubens in der Bundesrepublik findet.
Antworten darauf sind nötiger denn je, denn insbesondere jugendliche Inländer mit ausländischem Paß drohen einerseits vor zunehmenden Integrationsproblemen zu stehen, andererseits mehren sich die Angebote islamistischer Gruppen, beflügelt vom politischen Rückenwind wie etwa in der Türkei, die die religiöse Gewißheitssuche politisch ausnutzen.
Die erste empirische Untersuchung mit ca. 1200 türkischen Jugendlichen zeigt, daß ein erhebliches Potential an islamisch-fundamentalistischen Orientierungen besteht, das dringend Anlaß zu öffentlichen Auseinandersetzungen mit islamistischen Gruppen gibt.
Unbeleuchtet blieb daher bisher die Frage, welches Unterstützungs- oder Mobilisierungspotential sich auch in Bevölkerungsgruppen muslimischen Glaubens in der Bundesrepublik findet.
Antworten darauf sind nötiger denn je, denn insbesondere jugendliche Inländer mit ausländischem Paß drohen einerseits vor zunehmenden Integrationsproblemen zu stehen, andererseits mehren sich die Angebote islamistischer Gruppen, beflügelt vom politischen Rückenwind wie etwa in der Türkei, die die religiöse Gewißheitssuche politisch ausnutzen.
Die erste empirische Untersuchung mit ca. 1200 türkischen Jugendlichen zeigt, daß ein erhebliches Potential an islamisch-fundamentalistischen Orientierungen besteht, das dringend Anlaß zu öffentlichen Auseinandersetzungen mit islamistischen Gruppen gibt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.07.1998Töten für den Islam?
Eine holzschnittartige Studie über junge Türken in Deutschland
Wilhelm Heitmeyer, Joachim Müller, Helmut Schröder: Verlockender Fundamentalismus. Türkische Jugendliche in Deutschland. edition suhrkamp. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1997. 277 Seiten, 22,80 Mark.
Das Bielefelder Forscherteam will der "selektiven Unaufmerksamkeit" einer linksliberalen Öffentlichkeit begegnen. Es geht um das vermeintlich tabuisierte Phänomen des islamischen Fundamentalismus unter türkischen Jugendlichen in Deutschland. Was da auf uns zukommen könnte, deuten die Autoren im Schlußwort an. Die rechtsextreme Gewalt gegen Asylbewerber und Migranten könne sich unter umgekehrten Vorzeichen wiederholen. Der Studie zufolge ist heute jeder vierte türkische Schüler bereit, für den Islam zu töten.
Mehr als 1200 türkische Jugendliche im Alter von 15 bis 21 Jahren wurden befragt und einer Art Multiple-choice-Test mit 90 Fragen und mehreren hundert Antwortmöglichkeiten unterzogen. Qualitative Nachuntersuchungen gab es nicht. Die Chance, bei den Jugendlichen, die angaben, für den Islam töten zu wollen, einmal vertiefend nachzufragen, wurde nicht genutzt. Da die Düsseldorfer Landesregierung die Studie förderte, darf man gewiß sein, daß sie nicht ohne Einfluß auf den Schulunterricht und die Lerninhalte bleiben wird.
Die Untersuchungshypothese ist schnell skizziert. Sie ähnelt derjenigen Heitmeyers zur Erklärung von Rechtsradikalismus unter deutschen Jugendlichen. Danach ist die soziale Umwelt geprägt von Auflösungserscheinungen, Entfremdung und Vereinzelung. Der prägende Einfluß der Familie geht zurück, altbewährte Antworten werden zurückgewiesen, neue stehen nicht sofort zur Verfügung. Zugleich stellen Schule und Arbeitsmarkt immer höhere Ansprüche an die Leistungsfähigkeit. Auf diese Erfahrungen reagieren viele Jugendliche verängstigt und verstört, manche suchen Zuflucht bei Rattenfängern.
Die Forscher vermuten nun, daß bei türkischen Jugendlichen ähnliche Prozesse ablaufen wie bei deutschen Jugendlichen mit rechtsextremistischen Neigungen. Ihr Verlangen nach Einheit und Gewißheit befriedige die eigene ethnische Identität und die Übernahme islamistischer Denkweisen. Mitten in Deutschland entstehe so eine "muslimische Parallelgesellschaft".
So erschreckend die Resultate auf den ersten Blick anmuten, so sehr wecken verschiedene methodische und inhaltliche Mängel Zweifel. Nicht nur wird die Diskussion einschlägiger wissenschaftlicher Literatur verweigert, die Schlußfolgerungen stehen teilweise auch in offenem Widerspruch zu den erhobenen Daten. Viel wird behauptet, wenig bewiesen. Um etwa die These zu stützen, die dritte Generation setze den Integrationsprozeß ihrer Eltern nicht fort, verweisen die Autoren mehrfach auf "ältere Migrationsstudien aus den dreißiger und sechziger Jahren in den Vereinigten Staaten". Hat es dort seitdem keine Arbeiten mehr gegeben? Doch, aber die Forschungen einer ganzen Generation von Soziologen - von Richard Alba über Herbert Gans zu Alejandro Portes und Rubén Rumbaut - werden außer acht gelassen: Sie haben die holzschnittartige Vorstellung einer Neu-Ethnisierung der dritten Einwanderergeneration längst korrigiert. Das Studium der Literatur ist die Sache der Autoren nicht. Sie beziehen sich ausschließlich auf die Daten, die sie selbst erhoben haben. Die Art und Weise, wie der Fragebogen konstruiert wurde und wie die Antworten interpretiert werden, ist mehr als kritikwürdig. Etwa, wenn nach Religiosität und Lebenszufriedenheit der türkischen Jugendlichen gefragt wird. Die Ergebnisse sind in der Tat bemerkenswert: Nur jeder fünfte Jugendliche geht jede Woche in die Moschee, 69 Prozent beten nie, selten oder nur an Freitagen. Während 25 Prozent angeben, sie seien gläubig und folgten den Lehren des Islams, antworten fast 70 Prozent, sie seien lediglich auf eine persönliche Weise religiös, nicht streng religiös oder an Religion gar nicht interessiert. Wie die Autoren nun mit diesen Antworten verfahren, ist befremdlich. Um nicht, wie es heißt, in der "Fülle der Einzelaspekte" den "Überblick zu verlieren", werden die Antworten zusammengefaßt. Das Ergebnis dieser Operation ist, daß "etwa zwei Drittel aller Befragten sich durch eine hohe oder sehr hohe Religiosität auszeichnen". Die Umfrageergebnisse besagen das Gegenteil.
Ähnlich problematisch werden die Antworten zur Frage nach der Zufriedenheit mit dem eigenen Leben interpretiert. Hierbei handelt es sich um den zentralen Punkt der ganzen Untersuchung. Wird nachgewiesen, daß sich türkische Jugendliche in Deutschland ganz und gar nicht wohl fühlen und in der Schule und am Ausbildungsplatz nicht zurechtkommen, dann wird plausibel, warum sie Zuflucht im Islam suchen. Die Jugendlichen antworteten jedoch in einer für die Forschergruppe unerwarteten Weise, denn sie fühlen sich in Deutschland ganz wohl. So geben 92 Prozent an, mit ihren Beziehungen zu anderen Menschen zufrieden zu sein; mit den Wohnverhältnissen sind es 82 Prozent und mit den eigenen schulischen und beruflichen Leistungen 69 Prozent der Befragten. Fast drei Viertel sind zudem tüchtige und zielstrebige junge Menschen, die die berufliche und soziale Stellung ihrer Eltern übertreffen wollen. Ebenso viele können sich vorstellen, die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen. Laufen diese Ergebnisse nicht der Leitthese von wachsender Entfremdung und Orientierungslosigkeit entgegen?
Keineswegs, man muß die Antworten mit den Autoren nur richtig interpretieren! Die hohe Zufriedenheit erkläre sich nämlich damit, daß die Jugendlichen schon so in ihrem islamistischen Weltbild gefangen seien, daß sie die Wirrnisse der Moderne gar nicht mehr wahrnähmen. Sie sind also nicht tatsächlich zufrieden, sondern glauben nur, es zu sein. Von einer festgezurrten islamischen Religiosität kann aber, wie die Umfrageergebnisse gezeigt haben, gar keine Rede sein. Es mutet seltsam an, daß ausgerechnet die Verankerung im Islam zur Ursache hoher subjektiver Zufriedenheit mit dem Leben in Deutschland erklärt wird, da sie laut Heitmeyer/Müller/Schröder doch gleichzeitig der Hintergrund wachsender Gewaltbereitschaft ist. Argumentativ bestechend ist all das nicht.
Wer Zweifel anmeldet, daß deutsch-türkische Schüler einem gewaltbereiten Islamismus frönen, wird gleich einleitend jenen "sich aufgeklärt glaubenden" Verharmlosern zugeschlagen, für die Ausländer per se bessere Menschen sind. Nicht jeder, der in Frage stellt, daß dieses Buch Aufklärungsarbeit geleistet hat, ist jedoch ein linker Schwärmer. Es genügt, ein aufmerksamer Leser gewesen zu sein.
BERNHARD SANTEL
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eine holzschnittartige Studie über junge Türken in Deutschland
Wilhelm Heitmeyer, Joachim Müller, Helmut Schröder: Verlockender Fundamentalismus. Türkische Jugendliche in Deutschland. edition suhrkamp. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1997. 277 Seiten, 22,80 Mark.
Das Bielefelder Forscherteam will der "selektiven Unaufmerksamkeit" einer linksliberalen Öffentlichkeit begegnen. Es geht um das vermeintlich tabuisierte Phänomen des islamischen Fundamentalismus unter türkischen Jugendlichen in Deutschland. Was da auf uns zukommen könnte, deuten die Autoren im Schlußwort an. Die rechtsextreme Gewalt gegen Asylbewerber und Migranten könne sich unter umgekehrten Vorzeichen wiederholen. Der Studie zufolge ist heute jeder vierte türkische Schüler bereit, für den Islam zu töten.
Mehr als 1200 türkische Jugendliche im Alter von 15 bis 21 Jahren wurden befragt und einer Art Multiple-choice-Test mit 90 Fragen und mehreren hundert Antwortmöglichkeiten unterzogen. Qualitative Nachuntersuchungen gab es nicht. Die Chance, bei den Jugendlichen, die angaben, für den Islam töten zu wollen, einmal vertiefend nachzufragen, wurde nicht genutzt. Da die Düsseldorfer Landesregierung die Studie förderte, darf man gewiß sein, daß sie nicht ohne Einfluß auf den Schulunterricht und die Lerninhalte bleiben wird.
Die Untersuchungshypothese ist schnell skizziert. Sie ähnelt derjenigen Heitmeyers zur Erklärung von Rechtsradikalismus unter deutschen Jugendlichen. Danach ist die soziale Umwelt geprägt von Auflösungserscheinungen, Entfremdung und Vereinzelung. Der prägende Einfluß der Familie geht zurück, altbewährte Antworten werden zurückgewiesen, neue stehen nicht sofort zur Verfügung. Zugleich stellen Schule und Arbeitsmarkt immer höhere Ansprüche an die Leistungsfähigkeit. Auf diese Erfahrungen reagieren viele Jugendliche verängstigt und verstört, manche suchen Zuflucht bei Rattenfängern.
Die Forscher vermuten nun, daß bei türkischen Jugendlichen ähnliche Prozesse ablaufen wie bei deutschen Jugendlichen mit rechtsextremistischen Neigungen. Ihr Verlangen nach Einheit und Gewißheit befriedige die eigene ethnische Identität und die Übernahme islamistischer Denkweisen. Mitten in Deutschland entstehe so eine "muslimische Parallelgesellschaft".
So erschreckend die Resultate auf den ersten Blick anmuten, so sehr wecken verschiedene methodische und inhaltliche Mängel Zweifel. Nicht nur wird die Diskussion einschlägiger wissenschaftlicher Literatur verweigert, die Schlußfolgerungen stehen teilweise auch in offenem Widerspruch zu den erhobenen Daten. Viel wird behauptet, wenig bewiesen. Um etwa die These zu stützen, die dritte Generation setze den Integrationsprozeß ihrer Eltern nicht fort, verweisen die Autoren mehrfach auf "ältere Migrationsstudien aus den dreißiger und sechziger Jahren in den Vereinigten Staaten". Hat es dort seitdem keine Arbeiten mehr gegeben? Doch, aber die Forschungen einer ganzen Generation von Soziologen - von Richard Alba über Herbert Gans zu Alejandro Portes und Rubén Rumbaut - werden außer acht gelassen: Sie haben die holzschnittartige Vorstellung einer Neu-Ethnisierung der dritten Einwanderergeneration längst korrigiert. Das Studium der Literatur ist die Sache der Autoren nicht. Sie beziehen sich ausschließlich auf die Daten, die sie selbst erhoben haben. Die Art und Weise, wie der Fragebogen konstruiert wurde und wie die Antworten interpretiert werden, ist mehr als kritikwürdig. Etwa, wenn nach Religiosität und Lebenszufriedenheit der türkischen Jugendlichen gefragt wird. Die Ergebnisse sind in der Tat bemerkenswert: Nur jeder fünfte Jugendliche geht jede Woche in die Moschee, 69 Prozent beten nie, selten oder nur an Freitagen. Während 25 Prozent angeben, sie seien gläubig und folgten den Lehren des Islams, antworten fast 70 Prozent, sie seien lediglich auf eine persönliche Weise religiös, nicht streng religiös oder an Religion gar nicht interessiert. Wie die Autoren nun mit diesen Antworten verfahren, ist befremdlich. Um nicht, wie es heißt, in der "Fülle der Einzelaspekte" den "Überblick zu verlieren", werden die Antworten zusammengefaßt. Das Ergebnis dieser Operation ist, daß "etwa zwei Drittel aller Befragten sich durch eine hohe oder sehr hohe Religiosität auszeichnen". Die Umfrageergebnisse besagen das Gegenteil.
Ähnlich problematisch werden die Antworten zur Frage nach der Zufriedenheit mit dem eigenen Leben interpretiert. Hierbei handelt es sich um den zentralen Punkt der ganzen Untersuchung. Wird nachgewiesen, daß sich türkische Jugendliche in Deutschland ganz und gar nicht wohl fühlen und in der Schule und am Ausbildungsplatz nicht zurechtkommen, dann wird plausibel, warum sie Zuflucht im Islam suchen. Die Jugendlichen antworteten jedoch in einer für die Forschergruppe unerwarteten Weise, denn sie fühlen sich in Deutschland ganz wohl. So geben 92 Prozent an, mit ihren Beziehungen zu anderen Menschen zufrieden zu sein; mit den Wohnverhältnissen sind es 82 Prozent und mit den eigenen schulischen und beruflichen Leistungen 69 Prozent der Befragten. Fast drei Viertel sind zudem tüchtige und zielstrebige junge Menschen, die die berufliche und soziale Stellung ihrer Eltern übertreffen wollen. Ebenso viele können sich vorstellen, die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen. Laufen diese Ergebnisse nicht der Leitthese von wachsender Entfremdung und Orientierungslosigkeit entgegen?
Keineswegs, man muß die Antworten mit den Autoren nur richtig interpretieren! Die hohe Zufriedenheit erkläre sich nämlich damit, daß die Jugendlichen schon so in ihrem islamistischen Weltbild gefangen seien, daß sie die Wirrnisse der Moderne gar nicht mehr wahrnähmen. Sie sind also nicht tatsächlich zufrieden, sondern glauben nur, es zu sein. Von einer festgezurrten islamischen Religiosität kann aber, wie die Umfrageergebnisse gezeigt haben, gar keine Rede sein. Es mutet seltsam an, daß ausgerechnet die Verankerung im Islam zur Ursache hoher subjektiver Zufriedenheit mit dem Leben in Deutschland erklärt wird, da sie laut Heitmeyer/Müller/Schröder doch gleichzeitig der Hintergrund wachsender Gewaltbereitschaft ist. Argumentativ bestechend ist all das nicht.
Wer Zweifel anmeldet, daß deutsch-türkische Schüler einem gewaltbereiten Islamismus frönen, wird gleich einleitend jenen "sich aufgeklärt glaubenden" Verharmlosern zugeschlagen, für die Ausländer per se bessere Menschen sind. Nicht jeder, der in Frage stellt, daß dieses Buch Aufklärungsarbeit geleistet hat, ist jedoch ein linker Schwärmer. Es genügt, ein aufmerksamer Leser gewesen zu sein.
BERNHARD SANTEL
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