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2 Kundenbewertungen

Im größten Kunstraub aller Zeiten enteignete das Naziregime etwa 600 000 Kunstwerke aus jüdischem Besitz. Sie wurden gestohlen, beschlagnahmt, eingezogen, zwangsverkauft oder versteigert. Seit 1945 bemühen sich Geschädigte und Erben meist mit mäßigem Erfolg um die Rückgabe ihrer 'verlorenen Bilder', der oft letzten physisch greifbaren Erinnerungen an die in der NS-Zeit 'verlorenen Leben'. Während die Medien häufig nur über die heute zu erzielenden Kaufpreise der Bilder berichten, erzählt dieses Buch von den Menschen hinter den einstigen Sammlungen und gibt tiefe Einblicke in die Problematik…mehr

Produktbeschreibung
Im größten Kunstraub aller Zeiten enteignete das Naziregime etwa 600 000 Kunstwerke aus jüdischem Besitz. Sie wurden gestohlen, beschlagnahmt, eingezogen, zwangsverkauft oder versteigert. Seit 1945 bemühen sich Geschädigte und Erben meist mit mäßigem Erfolg um die Rückgabe ihrer 'verlorenen Bilder', der oft letzten physisch greifbaren Erinnerungen an die in der NS-Zeit 'verlorenen Leben'. Während die Medien häufig nur über die heute zu erzielenden Kaufpreise der Bilder berichten, erzählt dieses Buch von den Menschen hinter den einstigen Sammlungen und gibt tiefe Einblicke in die Problematik der Kunstrestitution. Das Buch stellt die Biografien vor von: LILLY und CLAUDE CASSIRER, Berlin - PAUL WESTHEIM, Berlin - ALFRED, TEKLA und HANS HESS, Erfurt - LEO BENDEL, Berlin - ELEONORA und FRANCESCO VON MENDELSSOHN, Berlin - WALTER WESTFELD, Düsseldorf SOPHIE LISSITZKY-KÜPPERS, Hannover/München - MAX SILBERBERG, Breslau - MAX STEINTHAL, Berlin - OSCAR HULDSCHINSKY und ANN SOMMER, Berlin -ADELE und FERDINAND BLOCH-BAUER, Wien KARL GRÜNWALD, Wien ALMA MAHLER-WERFEL, Wien - ALPHONSE MAYER und LOUIS NATHANIEL DE ROTHSCHILD, Wien - JACQUES GOUDSTIKKER, Amsterdam
Autorenporträt
Monika Tatzkow, geb. 1954 bei Berlin, studierte Geschichte in Berlin und promovierte 1986 an der Akademie der Wissenschaften. 1992 gründete sie den Wissenschaftlichen Dokumentationsdienst für Offene Vermögensfragen in Berlin "Dr. Tatzkow und Partner", seit 1998 mit Schwerpunkt NS-Raubkunst. Sie publizierte u. a. Nazi Looted Art. Handbuch Kunstrestitution weltweit (in Zusammenarbeit mit Gunnar Schnabel; 2007).

Melissa Müller, geb. 1967 in Wien, begann bereits während des Studiums der Germanistik und BWL in Wien, für verschiedene Magazine und Tageszeitungen zu schreiben. Zahlreiche Veröffentlichungen, u.a. Das Mädchen Anne Frank. Die Biographie, Bis zur letzten Stunde. Hitlers Sekretärin erzählt ihr Leben sowie Dokumentationen, u.a. Hitler und der Adel (ARD/ORF).

Thomas Blubacher, geb. 1967 in Basel, ist promovierter Theaterwissenschaftler. Als Regisseur arbeitet er für Bühnen in Deutschland, Österreich, der Schweiz und den USA.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.01.2009

Auf der Spur der Bilder

Von den Nationalsozialisten enteignet, von uns vergessen: Ein Buch erzählt von den Schicksalen jüdischer Kunstsammler - und davon, wie man nach 1945 mit ihnen umging.

Leo Bendel war in der Tabakbranche tätig. 1868 im heute polnischen Strzyow geboren, hatte er die Gastwirtstochter Else Helene Marie Golze geheiratet; das kinderlose Ehepaar lebte im gutsituierten Berliner Bezirk Dahlem und pflegte eine kleine Sammlung mit deutscher Kunst des neunzehnten Jahrhunderts, darunter Werke von Wilhelm Trübner, Hans Thoma und zwei besonders schöne Gemälde mit dem typisch leisen Humor von Carl Spitzweg: "Justitia" und "Der Hexenmeister". Die Machtübernahme der Nationalsozialisten bedeutete das Ende eines komfortablen Lebens. Als Jude wurde Bendel, Generalvertreter der Tabakfirmen Ermeler und Job, 1935 entlassen. Um die Auswanderung vorzubereiten, trennte sich das Paar in Etappen von Kunstwerken und erst der Arbeitszimmer-, dann auch der Esszimmerausstattung: Der Rauchtisch, die Mercedes-Schreibmaschine, Ledersessel und Telefunken-Radio wurden verscherbelt. Im Frühsommer 1937 wanderten die Bendels nach Wien aus, doch auch dort waren sie nicht lange sicher. Zwar legte Bendel seine polnische Staatsbürgerschaft ab und ließ sich mit seiner Frau katholisch taufen, dennoch führte ihn die Gestapo in Wien im September 1939 während der Massenverhaftungen männlicher staatenloser Juden ab. Er wurde in einem Viehwaggon in das Konzentrationslager Buchenwald deportiert, wo er am 30. März 1940 um 2.35 Uhr starb, akribisch dokumentiert unter der laufenden Nummer 1058. Seine Witwe erhielt aus seiner Hinterlassenschaft "eine Strickjacke, ein Paar Hosenträger, eine Brille, einen Riemen und 3,20 Reichsmark".

Nach der Barbarei des Dritten Reichs hatte Else Bendel in Wien unter Armut zu leiden - und an der Kaltherzigkeit der Behörden. Als sie ihre Arbeit als Putzfrau 1952 verlor, lehnte der Wiener Magistrat ein Unterstützungsgesuch bei der Opferfürsorge ab, da sie keine Österreicherin war. 1954 machte sie in Berlin bei den deutschen Behörden Entschädigungsansprüche geltend: "Ich bin außerstande, irgend etwas dazu zu verdienen, und erlaube mir an meine Heimatstadt, diese meine Bitte zu richten. Bitte weisen Sie eine alte, kranke Frau nicht ab, mein Lebensabend ist ein so trauriger und meine Daseinsjahre sind ja die längsten gewesen." Sie starb 1957, bevor über ihren Antrag entschieden worden war. Mit ihrem Tod wurde der Antrag abgelehnt, denn nur Ehegatten, Kinder, Enkel oder Eltern waren zur Entschädigung berechtigt. Erst die Washingtoner Konferenz 1998, bei der sich 44 Staaten einigten, Raubkunstfälle aufzuklären, brachte den Stein wieder ins Rollen. Die Nachkommen von Elses Schwester Margarethe engagierten Historiker, um der Kunstsammlung auf die Spur zu kommen. Sie brachten in Erfahrung, dass ihr Onkel Leo Bendel im Juni 1937 mit den zwei Spitzweg-Bildern nach München gefahren war und sie der jüdischen Galerie Heinemann verkauft hatte. Wenig später erwarb Caroline Oetker, Ehefrau des Backpulverfabrikanten August Oetker, den "Hexenmeister". Das Werk befindet sich noch heute in der Kunsthalle Bielefeld.

Das soeben im Elisabeth Sandmann Verlag erschienene Buch "Verlorene Bilder, verlorene Leben" von Melissa Müller und Monika Tatzkow beleuchtet fünfzehn solcher Fälle und erzählt von den Schicksalen jüdischer Sammler. Sie waren Familienväter, Bohemiens mit engen Verbindungen zu den Expressionisten, konservative Handelsvertreter mit einem Faible für die deutsche Romantik. Die vielfach noch existierenden Kunstwerke aus den Sammlungen dieser Menschen wirken bei der Lektüre wie ein Anker für den Leser, aber sie ziehen ihn bleischwer unter die Oberfläche - denn der Sog in die Tiefe führt nicht nur zu den dunkelsten Kapiteln der deutschen Geschichte, sondern auch in die kalte Bürokratie einer Nachkriegszeit, die in der Darstellung der Autorinnen oft nur so tat, als wolle sie etwas "wiedergutmachen".

Zu den bekanntesten Restitutionsfällen überhaupt zählen Kirchners "Straßenszene" aus dem Besitz von Alfred und Tekla Hess und Klimts "Goldene Adele" aus der Sammlung von Adele und Ferdinand Bloch-Bauer. Neben ihren Geschichten sind hier unter anderem die Odysseen von Paul Westheim, Sophie Lissitzky-Küppers, Max Steinthal und Alma Mahler-Werfel dargelegt. Zum Beispiel die von Klaus Wolfgang Cassirer. Man sieht ein Jugendfoto von ihm, ein Junge mit kurzer Hose und Kniestrümpfen lächelt zaghaft, als sein Kindermädchen ihn für das Foto im Hofbräuhaus auf ein Fass setzt und ihm einen Bierkrug in die Hand gibt. Heute lebt er mit dem Vornamen Claude in Amerika. Seine Großeltern Fritz und Lilly Cassirer hatten Camille Pissarros Pariser Straßenszene "Rue Saint-Honoré am Nachmittag bei Regen" in ihrem Berliner Wohnzimmer hängen. Bisher hat er sich vergebens um die Rückgabe aus dem Museo Thyssen-Bornemisza in Madrid bemüht. Der Breslauer Unternehmer und Philanthrop Max Silberberg soll stets "in Harnisch geraten" sein, wenn Gäste im Entree seines Hauses Barlachs zweifigurige Skulptur "Trauer" als Hutablage missbrauchten. Sein Geschmack als Sammler hatte sich von der deutschen Kunst des neunzehnten Jahrhunderts über die französischen Realisten, die Impressionisten und Van Gogh bis zur Avantgarde mit Werken von Klee und Matisse entwickelt. Ein Glanzstück von Silberbergs Sammlung war Manets Haremsphantasie "La Sultane", die er 1937 verkaufen musste - heute hängt das Bild in der Sammlung Bührle in Zürich. Die Judenverfolgung in Breslau galt den Nationalsozialisten als "Musterbeispiel". Dem Reichsführer-SS wurde berichtet, die Villa Silberberg sei "wegen ihrer abgeschlossenen Lage und ihrer umfassenden Grünanlage, die einen späteren Erweiterungsbau ermöglicht", schnell in den Besitz des Sicherheitsdienstes der NSDAP übergegangen. Max Silberberg und seine Frau mussten Reichsfluchtsteuer bezahlen und wurden trotzdem 1945 in Auschwitz ermordet. Die Barlach-Skulptur ist verschollen.

Spitzwegs "Justitia" dagegen wurde für das "Führermuseum" in Linz angekauft, gelangte 1945 als Teil des Linzer Konvoluts in den "Central Collecting Point" in München und 1961 ausgerechnet ins Bundespräsidialamt, so dass "Justitia" über Jahrzehnte in der Villa Hammerschmidt in Bonn hing. Dass ihrem Restitutionsgesuch schließlich stattgegeben wurde, erfuhren die Erben erst 2007 aus einer dpa-Meldung.

LISA ZEITZ

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Lisa Zeitz begrüßt dieses Buch von Melissa Müller und Monika Tatzkow über das Schicksal jüdischer Kunstsammler, die im "Dritten Reich" von den Nazis enteignet wurden. Neben den Geschichten von Kunstammlern wie Alfred und Tekla Hess oder Adele und Ferdinand Bloch-Bauer findet sie in dem Buch die Odysseen von Paul Westheim, Sophie Lissitzky-Küppers, Max Steinthal und Alma Mahler-Werfel dargestellt. Zeitz hebt hervor, dass die fünfzehn geschilderten Fälle den Leser nicht nur in die dunkle Nazi-Vergangenheit führen, sondern die "kalte Bürokratie" der Nachkriegszeit spürbar machen, die oft nur so getan habe, als wolle sie etwas "wiedergutmachen".

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