Produktdetails
- Verlag: Vandenhoeck & Ruprecht
- Seitenzahl: 131
- Abmessung: 205mm
- Gewicht: 149g
- ISBN-13: 9783525362334
- ISBN-10: 3525362331
- Artikelnr.: 24259070
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.11.1998Da fiel es mir ein, daß ich Jude sei
Nachklänge des geheimen Deutschland: Aus dem Leben Arnold Berneys / Von Patrick Bahners
Aus einem Vortrag über "Die deutsche Symphonie", verfaßt im Jahre 1938:
"Der große Musiker ist Führer, will Führer sein." Hier spricht kein Nationalsozialist und kein Opportunist. Der Redner ist ein jüdischer Historiker, der aus seinem Amt an der Universität verjagt worden ist und seine neue Heimat in Palästina sieht: Arnold Berney. Juden werden auch die Zuhörer gewesen sein, denen Berney das musikphilosophische Führerprinzip erläuterte, an der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums in Berlin oder, was wegen des bildungsbürgerlich-allgemeinen Themas wahrscheinlicher ist, auf einer Veranstaltung der jüdischen Erwachsenenbildung. Der Vortrag ist zwar nicht als Anleitung zur Selbstvergewisserung der jüdischen Gemeinschaft komponiert, doch Berney läßt einen Tonsetzer die Verwandlungen der symphonischen Form resümieren, dessen Musik "immer Zeugnis von Kämpfen" gewesen sei. Was Gustav Mahler an die Tradition herangetragen habe, sei "der aufreibende, ihm als Juden eingeborene Zwang zum Kampf zwischen Zweifel und Glaube an All und Nichts" gewesen.
Man darf diese Charakteristik autobiographisch lesen. "Sein Leben, in vielem geknechtet, erleichterte ihm die Selbstbefreiung vom zerhämmernden Gedanken wahrlich nicht." So war Berney, 1927 habilitiert, aber nie berufen, der Gefangene einer Rolle, die er nicht spielen wollte. In sich selbst hat er den geborenen Glaubenskämpfer erst entdeckt, als der Staat ihn zwang, seine Herkunft als Schicksal anzunehmen. Es war tragisch, daß der strenge Protestant Gerhard Ritter Empfehlungsschreiben ausstellte, die dem "grundanständigen" Kollegen bescheinigten, er habe sich längst vom Judentum gelöst. Und ebenso tragisch war es, daß ein Wechsel in die Schweiz scheiterte, weil Berney dort als reichsdeutscher Nationalist galt. Für den deutschen Patrioten jüdischer Konfession war nirgendwo Platz - so wurde Arnold Berney zum Zionisten.
Heinz Duchhardt hat Berney 1993 eine Biographie (erschienen bei Böhlau) gewidmet, die sein Leben als exemplarisch für seine Generation assimilierter Juden behandelt. Michael Matthiesen kann Duchhardts Darstellung nun aufgrund neuer Quellen ergänzen. In DDR-Akten hat sich ein Teil der Papiere Berneys gefunden, die NS-Behörden bei seiner Emigration beschlagnahmten, darunter auch das Manuskript über die Symphonie. Vor allem haben die Erben Hermann Heimpels Matthiesen Briefe Berneys zugänglich gemacht, den vor 1933 eine innige Freundschaft mit dem später berühmten Mediävisten verband.
Matthiesen möchte auch die Perspektive des Biographen korrigieren. Er nennt Duchhardts Spekulation, der aus Mainz gebürtige Jude habe sich durch seine Konzentration auf klassische Themen der preußischen Geschichte als "deutschester aller deutschen Historiker" profilieren wollen, ebenso vorsichtig wie bestimmt "eine bedauerliche Rückprojektion aus heutiger Sicht". Wer jüdischen Patriotismus als kompensatorisch bewertet, läuft in der Tat Gefahr, der antisemitischen Behauptung von der Unmöglichkeit der deutsch-jüdischen Synthese im nachhinein recht zu geben. Schwer belegen läßt sich angesichts der Quellenlage Duchhardts These, durch den Schock der Entrechtung habe sich Berneys "Persönlichkeit" verändert. Der Emigrant starb schon 1943. Inwiefern war der Verlagsangestellte in Jerusalem ein anderer Mensch als der Privatdozent in Freiburg?
Duchhardt selbst zitiert aus dem unveröffentlichten autobiographischen Roman, in dem der Erzähler, der "unter die Räder" gekommen ist und für die "Namenlosen" spricht, die Nazis anklagt, "das geheime Deutschland" zu verraten. Berney hatte in Heidelberg studiert, unter anderen bei Gundolf; 1929 zitierte er gegenüber Heimpel Georges "Stern des Bundes". Ein erschütternder Brief, den Matthiesen mitteilt, zeigt nun, daß der Trabant willens war, sich von der Flamme verzehren zu lassen.
Heimpel, geboren 1901, hatte den Abend des 8. November 1923 im Bürgerbräukeller verbracht und bat den vier Jahre älteren Kommilitonen um seine Einschätzung der Lage. Berney fragte nach dem idealen Kern des Nationalsozialismus. "Ich verlange entflammt zu sein und nicht verzweifelt und betäubt oder worttoll, wenn ich für ein neues Leben sterben soll." Doch er war bereit, sich entzünden zu lassen. Er sprach "ein fanatisches Ja" zu den antikapitalistischen und auch zu den antichristlichen Zielen der Bewegung, zum "wahrhaft volksgemäßen, ständisch aufgebauten Staat". Als er diesen Schwur getan hatte, hielt es ihn nicht mehr am Schreibtisch, und er lief hinaus in die Nacht. "Da fiel es mir plötzlich ein, daß ich Jude sei. Sie werden dich exilieren, sie werden dich aus deinem Beruf stoßen, wußte ich da. Und hatte dabei nichts als ein Lächeln. Sie können mich töten, und ich muß es bejahen, wenn ich weiß, sie tuen es mit Reinheit und Unschuld. Wenn sie durch dieses Vernichten Kraft gewinnen, will ich vernichtet sein, weil ich der ihre bin."
Einen Teufelspakt hat Berney abgeschlossen, von dem der Widersacher nichts ahnte. Er selbst hat ihn gar nicht eingehalten, ist im Weimarer Streit um das Geschichtsbild als Kritiker der faschistischen Usurpation des nationalen Erbes hervorgetreten. Und doch wurde der Vertrag Punkt für Punkt erfüllt.
Matthiesen läßt Berney für sich selbst sprechen: Seine Worte sollen nicht nur symbolisch oder symptomatisch sein, der Mensch nicht nur ein Fall. Gleichwohl ist der Verzicht auf Interpretation unbefriedigend. Eine intellektuelle Biographie Berneys hätte anzusetzen bei der "Entwicklungsgeschichte" Friedrichs des Großen, die er 1934 noch publizieren konnte - so wäre zu ermitteln, welchen Begriff von Persönlichkeitsveränderung er selber hatte.
Die frühen Bekenntnisse in ihrer hochstilisierten Sprache sind ohne Kontext stellenweise unverständlich. Was meinte Berney, wenn er den Nationalsozialismus in die Kontinuität einer Romantik stellte, zu der er die Revolution von 1848 und die Münchner Räterepublik zählte, und überdies erklärte: "Ich setze Romantik mit Historismus gleich"? Im Vortrag über die Symphonie wird die absolute, zweckfreie Musik als Romantik definiert. Auch die "Führernatur" muß Berney "romantisch" nennen, so seltsam es erscheint, Führung als zweckfreies Handeln aufzufassen. Reinheit und Unschuld des geheimen Deutschland hatten sich allein dort gerettet, wo keine Worte gemacht wurden: Diese Einsicht war 1938 Berneys Abschiedsgruß. Der Mann, den die Deutschen zum Führer beriefen, setzte sich zur gleichen Zeit den schrecklichsten der möglichen Zwecke.
Michael Matthiesen: "Verlorene Identität". Der Historiker Arnold Berney und seine Freiburger Kollegen 1923 - 1938. Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1998. 131 S., br., 26,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Nachklänge des geheimen Deutschland: Aus dem Leben Arnold Berneys / Von Patrick Bahners
Aus einem Vortrag über "Die deutsche Symphonie", verfaßt im Jahre 1938:
"Der große Musiker ist Führer, will Führer sein." Hier spricht kein Nationalsozialist und kein Opportunist. Der Redner ist ein jüdischer Historiker, der aus seinem Amt an der Universität verjagt worden ist und seine neue Heimat in Palästina sieht: Arnold Berney. Juden werden auch die Zuhörer gewesen sein, denen Berney das musikphilosophische Führerprinzip erläuterte, an der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums in Berlin oder, was wegen des bildungsbürgerlich-allgemeinen Themas wahrscheinlicher ist, auf einer Veranstaltung der jüdischen Erwachsenenbildung. Der Vortrag ist zwar nicht als Anleitung zur Selbstvergewisserung der jüdischen Gemeinschaft komponiert, doch Berney läßt einen Tonsetzer die Verwandlungen der symphonischen Form resümieren, dessen Musik "immer Zeugnis von Kämpfen" gewesen sei. Was Gustav Mahler an die Tradition herangetragen habe, sei "der aufreibende, ihm als Juden eingeborene Zwang zum Kampf zwischen Zweifel und Glaube an All und Nichts" gewesen.
Man darf diese Charakteristik autobiographisch lesen. "Sein Leben, in vielem geknechtet, erleichterte ihm die Selbstbefreiung vom zerhämmernden Gedanken wahrlich nicht." So war Berney, 1927 habilitiert, aber nie berufen, der Gefangene einer Rolle, die er nicht spielen wollte. In sich selbst hat er den geborenen Glaubenskämpfer erst entdeckt, als der Staat ihn zwang, seine Herkunft als Schicksal anzunehmen. Es war tragisch, daß der strenge Protestant Gerhard Ritter Empfehlungsschreiben ausstellte, die dem "grundanständigen" Kollegen bescheinigten, er habe sich längst vom Judentum gelöst. Und ebenso tragisch war es, daß ein Wechsel in die Schweiz scheiterte, weil Berney dort als reichsdeutscher Nationalist galt. Für den deutschen Patrioten jüdischer Konfession war nirgendwo Platz - so wurde Arnold Berney zum Zionisten.
Heinz Duchhardt hat Berney 1993 eine Biographie (erschienen bei Böhlau) gewidmet, die sein Leben als exemplarisch für seine Generation assimilierter Juden behandelt. Michael Matthiesen kann Duchhardts Darstellung nun aufgrund neuer Quellen ergänzen. In DDR-Akten hat sich ein Teil der Papiere Berneys gefunden, die NS-Behörden bei seiner Emigration beschlagnahmten, darunter auch das Manuskript über die Symphonie. Vor allem haben die Erben Hermann Heimpels Matthiesen Briefe Berneys zugänglich gemacht, den vor 1933 eine innige Freundschaft mit dem später berühmten Mediävisten verband.
Matthiesen möchte auch die Perspektive des Biographen korrigieren. Er nennt Duchhardts Spekulation, der aus Mainz gebürtige Jude habe sich durch seine Konzentration auf klassische Themen der preußischen Geschichte als "deutschester aller deutschen Historiker" profilieren wollen, ebenso vorsichtig wie bestimmt "eine bedauerliche Rückprojektion aus heutiger Sicht". Wer jüdischen Patriotismus als kompensatorisch bewertet, läuft in der Tat Gefahr, der antisemitischen Behauptung von der Unmöglichkeit der deutsch-jüdischen Synthese im nachhinein recht zu geben. Schwer belegen läßt sich angesichts der Quellenlage Duchhardts These, durch den Schock der Entrechtung habe sich Berneys "Persönlichkeit" verändert. Der Emigrant starb schon 1943. Inwiefern war der Verlagsangestellte in Jerusalem ein anderer Mensch als der Privatdozent in Freiburg?
Duchhardt selbst zitiert aus dem unveröffentlichten autobiographischen Roman, in dem der Erzähler, der "unter die Räder" gekommen ist und für die "Namenlosen" spricht, die Nazis anklagt, "das geheime Deutschland" zu verraten. Berney hatte in Heidelberg studiert, unter anderen bei Gundolf; 1929 zitierte er gegenüber Heimpel Georges "Stern des Bundes". Ein erschütternder Brief, den Matthiesen mitteilt, zeigt nun, daß der Trabant willens war, sich von der Flamme verzehren zu lassen.
Heimpel, geboren 1901, hatte den Abend des 8. November 1923 im Bürgerbräukeller verbracht und bat den vier Jahre älteren Kommilitonen um seine Einschätzung der Lage. Berney fragte nach dem idealen Kern des Nationalsozialismus. "Ich verlange entflammt zu sein und nicht verzweifelt und betäubt oder worttoll, wenn ich für ein neues Leben sterben soll." Doch er war bereit, sich entzünden zu lassen. Er sprach "ein fanatisches Ja" zu den antikapitalistischen und auch zu den antichristlichen Zielen der Bewegung, zum "wahrhaft volksgemäßen, ständisch aufgebauten Staat". Als er diesen Schwur getan hatte, hielt es ihn nicht mehr am Schreibtisch, und er lief hinaus in die Nacht. "Da fiel es mir plötzlich ein, daß ich Jude sei. Sie werden dich exilieren, sie werden dich aus deinem Beruf stoßen, wußte ich da. Und hatte dabei nichts als ein Lächeln. Sie können mich töten, und ich muß es bejahen, wenn ich weiß, sie tuen es mit Reinheit und Unschuld. Wenn sie durch dieses Vernichten Kraft gewinnen, will ich vernichtet sein, weil ich der ihre bin."
Einen Teufelspakt hat Berney abgeschlossen, von dem der Widersacher nichts ahnte. Er selbst hat ihn gar nicht eingehalten, ist im Weimarer Streit um das Geschichtsbild als Kritiker der faschistischen Usurpation des nationalen Erbes hervorgetreten. Und doch wurde der Vertrag Punkt für Punkt erfüllt.
Matthiesen läßt Berney für sich selbst sprechen: Seine Worte sollen nicht nur symbolisch oder symptomatisch sein, der Mensch nicht nur ein Fall. Gleichwohl ist der Verzicht auf Interpretation unbefriedigend. Eine intellektuelle Biographie Berneys hätte anzusetzen bei der "Entwicklungsgeschichte" Friedrichs des Großen, die er 1934 noch publizieren konnte - so wäre zu ermitteln, welchen Begriff von Persönlichkeitsveränderung er selber hatte.
Die frühen Bekenntnisse in ihrer hochstilisierten Sprache sind ohne Kontext stellenweise unverständlich. Was meinte Berney, wenn er den Nationalsozialismus in die Kontinuität einer Romantik stellte, zu der er die Revolution von 1848 und die Münchner Räterepublik zählte, und überdies erklärte: "Ich setze Romantik mit Historismus gleich"? Im Vortrag über die Symphonie wird die absolute, zweckfreie Musik als Romantik definiert. Auch die "Führernatur" muß Berney "romantisch" nennen, so seltsam es erscheint, Führung als zweckfreies Handeln aufzufassen. Reinheit und Unschuld des geheimen Deutschland hatten sich allein dort gerettet, wo keine Worte gemacht wurden: Diese Einsicht war 1938 Berneys Abschiedsgruß. Der Mann, den die Deutschen zum Führer beriefen, setzte sich zur gleichen Zeit den schrecklichsten der möglichen Zwecke.
Michael Matthiesen: "Verlorene Identität". Der Historiker Arnold Berney und seine Freiburger Kollegen 1923 - 1938. Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1998. 131 S., br., 26,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main