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Anne Tylers feinsinniger Roman über einen Mann, der verlorenen Erinnerungen hinterherjagt und dabei die Liebe findet Als Liam Pennywell seinen Job verliert, beschließt der 60-Jährige aus seinem Haus in eine Wohnung zu ziehen. Er hofft, dort Ruhe zu finden und auf sein Leben zurückblicken zu können. Doch dann kommt alles anders: Liam wird in der ersten Nacht in seinem neuen Heim überfallen. Als er am nächsten Tag im Krankenhaus aufwacht, kann er sich nicht an die Geschehnisse erinnern. Von da an ist er nur noch von einem einzigen Gedanken besessen: Er muss sein Gedächtnis wiedererlangen. Auf…mehr

Produktbeschreibung
Anne Tylers feinsinniger Roman über einen Mann, der verlorenen Erinnerungen hinterherjagt und dabei die Liebe findet
Als Liam Pennywell seinen Job verliert, beschließt der 60-Jährige aus seinem Haus in eine Wohnung zu ziehen. Er hofft, dort Ruhe zu finden und auf sein Leben zurückblicken zu können. Doch dann kommt alles anders: Liam wird in der ersten Nacht in seinem neuen Heim überfallen. Als er am nächsten Tag im Krankenhaus aufwacht, kann er sich nicht an die Geschehnisse erinnern. Von da an ist er nur noch von einem einzigen Gedanken besessen: Er muss sein Gedächtnis wiedererlangen.
Auf der Suche nach dem verlorenen Stück Leben lernt er die 22 Jahre jüngere Eunice kennen. Obwohl sich ihre Welten grundlegend voneinander unterscheiden, fühlen sich die beiden zueinander hingezogen. Doch als Liam erfährt, dass Eunice bereits verheiratet ist, droht ihre Liebe zu zerbrechen.
Die verlorenen Stunden beleuchtet mit viel Charme und äußerst scharfsinniger Beobachtungsgabe das Leben eines einsamen Mannes, das plötzlich kopfsteht, obwohl er schon im letzten Akt zu sein schien.
Autorenporträt
Anne Tyler wurde 1941 in Minneapolis geboren, wuchs in North Carolina auf und studierte Russisch in New York. Mit ihren zahlreichen Romanen gilt sie als eine der renommiertesten amerikanischen Schriftstellerinnen. Anne Tyler lebt in Baltimore. Im Jahr 2012 wurde sie mit dem Sunday Times Award for Literary Excellence ausgezeichnet.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.09.2010

Letzter Aufruhr
der Hormone
Anne Tylers Pensionärsroman
„Verlorene Stunden“
Dass Skepsis angebracht ist, wenn arrivierte Schriftsteller einen aufstrebenden Kollegen loben, lehrt uns der einheimische Literaturbetrieb. In den USA dürften die Dinge nicht viel anders liegen. Aber Anne Tyler, Jahrgang 1941, zählt seit langem zum amerikanischen Autoren-Establishment und hat 1989 sogar den Pulitzerpreis erhalten. Was Koryphäen wie John Updike, Jonathan Franzen und Nick Hornby bewogen haben mag, die ehemalige Bibliothekarin aus Baltimore zu den besten Erzählerinnen der Gegenwart zu rechnen, bleibt dennoch ein Rätsel, wenn man ihren jüngsten Roman, den achtzehnten, in deutscher Übersetzung zum Maßstab nimmt: Nach der Lektüre dieser flügellahmen Pensionärsgeschichte möchte man den Titel „Verlorene Stunden“ umstandslos auf die Lebenszeit beziehen, die man mit dem Buch verbracht hat. Gibt es da womöglich Qualitäten, die sich nur dem angelsächsischen Leser erschließen?
Im Original heißt das Werk „Noah’s Compass“. Das verändert die Perspektive, lenkt es doch die Aufmerksamkeit auf die Szene, in welcher der Anti-Held, der sechzigjährige, arbeitslose Lehrer Liam Pennywell, seinem Enkel Jonah erklärt, dass Noah „nirgendwo hinwollte“ und daher weder einen Sextanten noch ein Ruder noch einen Kompass brauchte. Wenn die Welt unter Wasser steht, ist die Richtung egal. So ungefähr fühlt sich auch Liam, der Zwangsfrührentner mit abgeschlossenem Philosophiestudium und unvollendeter Dissertation, dessen Energie nach zwei gescheiterten Ehen und einem frustrierenden Job gerade noch reicht, um sich materiell und mental irgendwie über Wasser zu halten, nicht aber dazu, ein neues Lebensziel anzusteuern.
Das soll, man ahnt es, an die großen amerikanischen Alternde-Männer-Epen à la John Updike oder Philip Roth anknüpfen, aber es fehlt hier sowohl die komische Schärfe wie das tragische Format. Wohl deshalb versucht die deutsche Fassung, wenigstens so etwas wie Spannung zu erzeugen, indem sie die „verlorenen Stunden“ in den Fokus rückt. Mr. Pennywell, in Baltimore ansässig, wird nämlich, nachdem er seine geräumige Wohnung mit einem kleinen Appartement vertauscht hat, von einem Einbrecher heimgesucht, der ihm derartig eins über den Schädel zieht, dass der Vorfall und die unmittelbar folgenden Ereignisse aus seiner Erinnerung getilgt sind, als er am nächsten Morgen im Krankenhaus aufwacht. Von da an ist er, laut Klappentext, „nur noch von einem einzigen Gedanken besessen: Er muss sein Gedächtnis wiedererlangen“.
Abgesehen davon, dass der phlegmatische, etwas larmoyante Senior zu obsessivem Verhalten ganz unfähig scheint, verbirgt sich hinter jenem „abhanden gekommenen Stück Leben“ keineswegs ein dunkles Geheimnis. Es ist vielmehr eine Metapher für die – nicht sonderlich originelle – Erkenntnis, die Pennywell zuteil wird, nachdem sein Interesse an dem Fadenriss längst erloschen ist. Sie lautet: „Er litt schon sein Leben lang unter Amnesie.“ Will heißen: Vergessen und verdrängt hat er seine Kindheit und Jugend, die erste und die zweite Ehe, das Heranwachsen der drei Töchter. Und damit nur ja nichts offen bleibt, wird der Sachverhalt noch präziser erklärt: „Anscheinend hatte er die ganze Zeit eine mehr als oberflächliche Beziehung zum eigenen Leben gehabt. Hatte um Probleme einen Bogen gemacht, Auseinandersetzungen gemieden und war Abenteuern elegant ausgewichen.“ Kurz, er hatte genau das getan, was Männer in diesem Alter sich üblicherweise vorhalten lassen müssen.
Nicht dass diese Einsicht (die ohne Konsequenzen bleibt) ihn sympathischer wirken ließe – aber die Frauen, die ihn umgeben, sind selbst alles andere als das. Seine Exfrau Nr. 2, seine unverheiratete ältere Schwester und die erwachsenen Töchter mischen sich auf penetrante Weise in Liams Alltag ein, bevormunden ihn oder nutzen ihn aus. Und dann begegnet er bei seinem Versuch, der Erinnerung auf die Sprünge zu helfen, auch noch der viel jüngeren, übergewichtigen Eunice, in die er sich, obwohl sie von der Autorin mit sämtlichen Attributen einer Schreckschraube ausgestattet wird, prompt verliebt. Was er bei diesem voraussichtlich letzten Aufruhr seiner Hormone erlebt, entbehrt allerdings nicht der Komik. So wie insgesamt der Lebensstil dieser amerikanischen Durchschnittsbürger, inklusive ihrer tristen Essgewohnheiten und ihrer Konversationen, in Tylers Schilderung durchaus satirisches Potential aufweist. Man kann sich zumindest vorstellen, dass das Original mehr davon vermittelt, dass es trockener, eleganter und bissiger wirkt, als es die deutsche Übersetzung wiederzugeben vermag. Die leider auch handwerklich nicht überzeugt: Wo bei dem Versuch, variierende Synonyme für „sagen“ zu finden, das Verb „meinen“ so hartnäckig missbraucht wird, muss man befürchten, dass auch Fehler wie „das Graffiti“ nicht bloßer Flüchtigkeit anzulasten sind.
Nur wer sich in sokratischer Bedürfnislosigkeit eingerichtet hat, wie der resignierende Liam Pennywell es am Ende versucht, kann diesem Buch etwas abgewinnen. Die große Erzählerin Anne Tyler ist hoffentlich in anderen Werken zu entdecken.
KRISTINA MAIDT-ZINKE
ANNE TYLER: Verlorene Stunden. Roman. Aus dem Amerikanischen von Simone Jacob. Verlag Kein & Aber, Zürich 2010. 303 Seiten, 19,90 Euro.
Er hatte Auseinandersetzungen
gemieden, war Abenteuern
elegant ausgewichen
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Der Titel "Verlorene Stunden" von Anne Tylers neuem Roman erscheint der erbosten Rezensentin Kristina Maidt-Zinke deshalb als passend, schlicht weil er sie an die Lebenszeit erinnert, die sie mit diesem Roman verschwendet hat. Es geht um den ältlichen Lehrer Liam Pennywell, der arbeitslos vor sich hin lebt, bis er eine Amnesie erleidet und alsbald erkennt: Er litt bereits sein ganzes Leben unter einer Art von Gedächtnisverlust, da er alles - Kindheit, Frustration in gescheiterten Beziehungen, die drei Töchter - schon immer verdrängt hat. Der Rezensentin ist es ein Rätsel, warum Nick Hornby und Jonathan Franzen Tyler als eine der besten Erzählerinnen der Gegenwart preisen. Denn Maidt-Zinke hat eine "flügellahme Pensionärsgeschichte" ohne Komik und tragischen Tiefgang gelesen, und die Übersetzung mache es auch nicht besser, im Gegenteil.

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