Was bedeuten uns unsere Erinnerungen? Wie wichtig sind für unser Leben? Bedeutet es den Verlust der eigenen Identität oder ist es nicht eher eine große Gnade sich nicht an alles zu erinnern? Welche Situationen sind es, die sich für immer in unser Gedächtnis prägen? Die essenziellen Dinge des Lebens
oder eine Summe aus Kleinigkeiten, die zusammengenommen den Wert unseres Daseins ausmachen? Liam…mehrWas bedeuten uns unsere Erinnerungen? Wie wichtig sind für unser Leben? Bedeutet es den Verlust der eigenen Identität oder ist es nicht eher eine große Gnade sich nicht an alles zu erinnern? Welche Situationen sind es, die sich für immer in unser Gedächtnis prägen? Die essenziellen Dinge des Lebens oder eine Summe aus Kleinigkeiten, die zusammengenommen den Wert unseres Daseins ausmachen? Liam Pennywell, die Hauptfigur aus Anne Tylers Roman “Verlorene Stunden” hat nur wenige Stunden an die er sich nicht erinnern kann. Doch für ihn ist es, als hätte er mit dieser kleinen Erinnerungslücke sein ganzes Leben verloren.
Als Liam mit sechzig seine Arbeit verliert, beschließt er sich vorzeitig zur Ruhe zu setzen. Um Geld zu sparen nimmt er sich eine kleinere Wohnung am Stadtrand. Schon in der ersten Nacht wird er dort das Opfer eines Überfalls. Am nächsten Morgen erwacht er in der Klinik. Alles was zwischen dem Zubettgehen und dem Aufwachen im Krankenhaus passiert ist, hat er vergessen. Auf der Suche nach diesen “verlorenen Stunden” lernt er Eunice kennen. Trotz des großen Altersunterschiedes verlieben sich die beiden und Liams Leben, mit dem er eigentlich schon abgeschlossen hatte, wird neu belebt.
Liam ist ein liebenswerter Exzentriker. Er lebt in seiner eigenen kleinen Welt. Er meidet den Kontakt zu seiner Familie nicht, sucht ihn aber auch nicht. Sein Leben wird auf den Kopf gestellt, als er nach dem Angriff auf Hilfe von seinen Angehörigen angewiesen ist. Ex-Frau und Töchter versuchen ihn möglichst schnell wieder für den Alltag tauglich zu machen. Niemand versteht, dass er so vehement versucht die Tatnacht zu rekonstruieren. Er solle doch froh sein sich an ein solch traumatisches Erlebnis nicht erinnern zu können. Aber genau das ist er nicht. Erinnerung ist für ihn die Fähigkeit alles unter Kontrolle zu haben. Und genau diesen Kontrollverlust fürchtet er.
Anne Tylers Romane lesen sich wie feine Psychogramme des alltäglichen. Mit laserartiger Gründlichkeit durchleuchtet sie zwischenmenschliche Beziehungen. Besonderes Augenmerk legt sie in ihren Romanen auf Familien und deren speziellen Konstellationen. Liam hat seiner erste Frau durch Selbstmord verloren. Seine Tochter Xanthe aus dieser Ehe wurde von seiner zweiten Frau aufgezogen. Auch mit den Töchtern aus dieser Verbindung, Louise und Kitty, hatte er nach der Scheidung kaum Kontakt. Als Kitty bei ihm einzieht um nach dem Unfall für ihn zu sorgen ändert sich das. Durch sie, aber auch durch die Freundschaft mit Eunice beginnt er sich zu öffnen.
Es ist dies sicher nicht der beste Roman von Anne Tyler. Wer jedoch ihre bisherigen Werke in ihrer Art mochte, wird auch hier nicht enttäuscht. Es sind also keineswegs “verlorene Stunden” die man mit diesem Buch verbringt. Auch wenn es vielleicht nicht so sehr im Gedächtnis bleiben wird, wie manches andere Werk von ihr. Aber durch Liam haben wir gelernt, man muss sich nicht an alles entsinnen. Die wirklich wichtigen Erinnerungen kommen irgendwann ganz von selbst wieder.
.