Over 100 years of speculation and controversy surround claims that the great seventeenth-century Dutch artist, Johannes Vermeer, used the camera obscura to create some of the most famous images in Western art. This intellectual detective story starts by exploring Vermeer's possible knowledge of seventeenth-century optical science, and outlines the history of this early version of the photographic camera, which projected an accurate image for artists to trace. However, it is Steadman's meticulous reconstruction of the artist's studio, complete with a camera obscura, which provides exciting new evidence to support the view that Vermeer did indeed use the camera. These findings do not challenge Vermeer's genius but show how, like many artists, he experimented with new technology to develop his style and choice of subject matter. The combination of detailed research and a wide range of contemporary illustrations offers a fascinating glimpse into a time of great scientific and cultural innovation and achievement in Europe.
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Frankfurter Allgemeine ZeitungHat er nun oder hat er nicht?
So schwierig war die Arbeit mit der Camera obscura für Künstler gar nicht: Philip Steadman mißt die Räume Jan Vermeers neu aus
Vielleicht war das Innere der Camera obscura, hinter dem dicken Vorhang, der Ort, an dem Vermeer die Welt der idealen, der nicht fordernden Verhältnisse betrat. Hier konnte er Stunden damit verbringen, die stillen Frauen in ihren Bewegungen zu beobachten. So hat Laurence Gowing, Maler und Kunsthistoriker, die Verwobenheit des Technischen und des Persönlichen beschrieben, die er im OEuvre Vermeers gesehen hat. Immer noch reibt sich die Literatur zu diesem Maler an der Distanz zum Leben, wie sie aus den Bildern zu sprechen scheint. Denn bei aller Gegenwärtigkeit, mit der Vermeers Malerei unsere Aufmerksamkeit erzwingt, nehmen seine Bilder Abstand - zu ihren Gegenständen und zu der Welt, aus der sie stammen. Daß wir nicht allzuviel aus dem Leben des Malers wissen, ist wie ein Spott der Geschichte über unser Bemühen, dieses Abstandnehmen in Psyche und Persönlichkeit Vermeers zu begründen.
Philip Steadman wiederum interessiert sich weniger fürs Persönliche als vielmehr für die Technik. Die Vermutung, Vermeer habe mit der Camera obscura gearbeitet, ist nicht neu. Wegen der merkwürdigen Verschwommenheit einiger Bildpartien, die in Widerspruch zur allgemein feinmalerischen Qualität der Bilder steht, wegen der auffälligen Höhungen und Glanzlichter und wegen der eigenartigen Diskrepanzen in den Größenverhältnissen haben bereits Wilenski, Swillens, Seymour, Fink und jüngst auch wieder Wadum an der Annahme eines Gebrauchs der Camera festgehalten. Diese Argumente seien jedoch, so Steadman, zu schwach. Er stützt seine Untersuchung durch geometrisches Vermessen und Vergleichen der Räume, der tatsächlichen wie der gemalten. Den stets wiederholten Einwand, ein solch ingeniöser Künstler wie Vermeer sei auf derartige Hilfen nicht angewiesen, entkräftet Steadman, mild lächelnd, mit der knappen Bemerkung, daß die Vorstellung vom blinden Nachzeichnen einer optischen Erscheinung "naiver Realismus" sei.
Steadman ist ein Gentleman. Er trumpft nicht auf, er teilt nicht aus, sondern weist höflich auf argumentative Schwächen hin. Einige Thesen werden sorgsam geprüft und, bei Mangel an Beweisen, als Spekulation gekennzeichnet. Mit Bedauern stellt Steadman fest, daß sich die Frage, ob es sich wirklich um einen einzigen Raum handelt, den Vermeer gemalt hat, oder ob es nicht zwei sind, einer in Mechelen und einer im Haus der Schwiegermutter, nicht mit Sicherheit beantworten läßt. Denn die Häuser existieren nicht mehr. Zwar geben alte Karten und Grundstückspläne ungefähre Maße, doch sind sie zu ungenau, um eine ausschließliche Zuschreibung zuzulassen. Vergleichende Untersuchungen von Fensterschmuck und Fliesen lassen ebenfalls nur vage Schlüsse zu.
Bevor sich Steadman ans Vermessen macht, zeigt er, auf welchem Wege Vermeer mit der Camera obscura in Kontakt gekommen sein könnte. Der Delfter Maler Carel Fabritius und sein Freund Samuel van Hoogstraaten, beide fasziniert von Trompe-l'oeil-Effekten und perspektivischer Illusion, interessierten sich lebhaft für optische Geräte und deren Wirkung. Hoogstraaten feierte die Camera obscura als bildschaffende Erfindung. Constantijn Huygens, der zur selben Zeit in Delft lebte wie Vermeer, besaß eine tragbare Kamera von Drebbel, einem der berühmtesten Hersteller optischer Geräte. Vermeers Nachlaßverwalter Antony van Leeuwenhoek, zu dem allerdings weitere Beziehungen nicht nachweisbar sind, war ein Pionier des Mikroskops und auch mit Huygens bekannt. Daß Vermeer im überschaubaren Delft von diesen intensiven Beschäftigungen mit optischen Apparaten nichts gewußt habe, sei unwahrscheinlich.
Wie unterschiedlich sich die diversen Formen der Camera obscura auf die künstlerische Nutzung auswirken, legt Steadman ausführlich dar, nicht zuletzt, um den Einwand zu widerlegen, daß die Arbeit mit der Camera schwierig und für Künstler gar nicht so hilfreich sei. Denn mit Hilfe von Linsen und Spiegeln oder durch den Wechsel hinter eine nun transparente Projektionsfläche ließen sich viele Probleme, so zum Beispiel die seitenverkehrte Wiedergabe, ohne Aufwand beheben. Unschärfen oder tonale Flauheit waren durch flexible Öffnungen zu regulieren. Außerdem gab es Apparate, die den Künstlern erlaubten, Kamerabild und tatsächliche Erscheinung in rascher Folge zu sehen und zu vergleichen. Doch all diese wunderbar klaren, auch für technisch Unbegabte gut zu lesenden Erläuterungen sind nur Vorlauf. Steadman interessiert sich vor allem für die perspektivische Geometrie, die, wie er glaubt, einen handfesten Beweis für den Gebrauch der Camera obscura liefere.
Als Architekt und Professor of Urban and Built Form Studies begeisterte er sich für die präzise Konstruktion in den Bildern Vermeers und versuchte, die von Vermeer sorgsam in die Fläche gebrachten Räume wieder in der dritten Dimension aufzufalten. Mit Hilfe von nachgezeichneten Sichtachsen, Sehwinkeln und Fluchtpunkten sind maßstabsgetreue Modelle und ein originalgroßer Nachbau von Vermeers Räumen entstanden, was schon erstaunlich genug ist. Doch Steadmans Untersuchungen gehen noch weiter; er rekonstruiert den jeweiligen Standort des Malers und zeigt, daß die von dort aus gemalten Bilder exakt die Maße des projizierten Raumausschnitts haben, den sie darstellen. Und diese Genauigkeit ist für Steadman das Argument, das schlagender als Unschärfen und Glanzlichter die Verwendung der Camera beweist. Denn eine solche Präzision sei weder durch mathematische Berechnung noch durch andere mechanische Hilfen zu gewinnen. Daß damit noch nicht der letzte Beweis erbracht ist, gibt Steadman nonchalant zu. Belustigt verweist er auf die geometrische Natur seines Arguments, denn wenn seine These vom Gebrauch der Camera obscura nicht stimme, müßte es eine alternative Erklärung geben.
Was dieses Ergebnis nun für die kunstgeschichtliche Forschung bedeutet, bleibt offen. Steadman warnt lediglich vor einer naiven Abbildungstheorie und merkt an, daß die Technik bei Vermeer im Dienste eines künstlerischen Sehens stünde und nicht eine Anhäufung von nach der Natur gezeichneten Details zum Ziele habe. Was die Arbeit mit der Camera obscura biete, sei ein irritierendes Spiel von Raum und Fläche, das die Werke Vermeers in der Tat kennzeichnet. Steadman ist bescheiden genug, keine weiteren Schlüsse kunstwissenschaftlicher Art zu ziehen. Ihn hat die technische Seite des künstlerischen Verfahrens interessiert. Schaudern macht allein der Gedanke, was munterer, unreflektierter Positivismus mit seinen Ergebnissen anstellen wird.
BEATE SÖNTGEN.
Philip Steadman: "Vermeer's Camera". Uncovering the Truth Behind the Master Pieces. Oxford University Press, Oxford, New York 2001. 207 S., Abb., geb., 17,99 britische Pfund.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
So schwierig war die Arbeit mit der Camera obscura für Künstler gar nicht: Philip Steadman mißt die Räume Jan Vermeers neu aus
Vielleicht war das Innere der Camera obscura, hinter dem dicken Vorhang, der Ort, an dem Vermeer die Welt der idealen, der nicht fordernden Verhältnisse betrat. Hier konnte er Stunden damit verbringen, die stillen Frauen in ihren Bewegungen zu beobachten. So hat Laurence Gowing, Maler und Kunsthistoriker, die Verwobenheit des Technischen und des Persönlichen beschrieben, die er im OEuvre Vermeers gesehen hat. Immer noch reibt sich die Literatur zu diesem Maler an der Distanz zum Leben, wie sie aus den Bildern zu sprechen scheint. Denn bei aller Gegenwärtigkeit, mit der Vermeers Malerei unsere Aufmerksamkeit erzwingt, nehmen seine Bilder Abstand - zu ihren Gegenständen und zu der Welt, aus der sie stammen. Daß wir nicht allzuviel aus dem Leben des Malers wissen, ist wie ein Spott der Geschichte über unser Bemühen, dieses Abstandnehmen in Psyche und Persönlichkeit Vermeers zu begründen.
Philip Steadman wiederum interessiert sich weniger fürs Persönliche als vielmehr für die Technik. Die Vermutung, Vermeer habe mit der Camera obscura gearbeitet, ist nicht neu. Wegen der merkwürdigen Verschwommenheit einiger Bildpartien, die in Widerspruch zur allgemein feinmalerischen Qualität der Bilder steht, wegen der auffälligen Höhungen und Glanzlichter und wegen der eigenartigen Diskrepanzen in den Größenverhältnissen haben bereits Wilenski, Swillens, Seymour, Fink und jüngst auch wieder Wadum an der Annahme eines Gebrauchs der Camera festgehalten. Diese Argumente seien jedoch, so Steadman, zu schwach. Er stützt seine Untersuchung durch geometrisches Vermessen und Vergleichen der Räume, der tatsächlichen wie der gemalten. Den stets wiederholten Einwand, ein solch ingeniöser Künstler wie Vermeer sei auf derartige Hilfen nicht angewiesen, entkräftet Steadman, mild lächelnd, mit der knappen Bemerkung, daß die Vorstellung vom blinden Nachzeichnen einer optischen Erscheinung "naiver Realismus" sei.
Steadman ist ein Gentleman. Er trumpft nicht auf, er teilt nicht aus, sondern weist höflich auf argumentative Schwächen hin. Einige Thesen werden sorgsam geprüft und, bei Mangel an Beweisen, als Spekulation gekennzeichnet. Mit Bedauern stellt Steadman fest, daß sich die Frage, ob es sich wirklich um einen einzigen Raum handelt, den Vermeer gemalt hat, oder ob es nicht zwei sind, einer in Mechelen und einer im Haus der Schwiegermutter, nicht mit Sicherheit beantworten läßt. Denn die Häuser existieren nicht mehr. Zwar geben alte Karten und Grundstückspläne ungefähre Maße, doch sind sie zu ungenau, um eine ausschließliche Zuschreibung zuzulassen. Vergleichende Untersuchungen von Fensterschmuck und Fliesen lassen ebenfalls nur vage Schlüsse zu.
Bevor sich Steadman ans Vermessen macht, zeigt er, auf welchem Wege Vermeer mit der Camera obscura in Kontakt gekommen sein könnte. Der Delfter Maler Carel Fabritius und sein Freund Samuel van Hoogstraaten, beide fasziniert von Trompe-l'oeil-Effekten und perspektivischer Illusion, interessierten sich lebhaft für optische Geräte und deren Wirkung. Hoogstraaten feierte die Camera obscura als bildschaffende Erfindung. Constantijn Huygens, der zur selben Zeit in Delft lebte wie Vermeer, besaß eine tragbare Kamera von Drebbel, einem der berühmtesten Hersteller optischer Geräte. Vermeers Nachlaßverwalter Antony van Leeuwenhoek, zu dem allerdings weitere Beziehungen nicht nachweisbar sind, war ein Pionier des Mikroskops und auch mit Huygens bekannt. Daß Vermeer im überschaubaren Delft von diesen intensiven Beschäftigungen mit optischen Apparaten nichts gewußt habe, sei unwahrscheinlich.
Wie unterschiedlich sich die diversen Formen der Camera obscura auf die künstlerische Nutzung auswirken, legt Steadman ausführlich dar, nicht zuletzt, um den Einwand zu widerlegen, daß die Arbeit mit der Camera schwierig und für Künstler gar nicht so hilfreich sei. Denn mit Hilfe von Linsen und Spiegeln oder durch den Wechsel hinter eine nun transparente Projektionsfläche ließen sich viele Probleme, so zum Beispiel die seitenverkehrte Wiedergabe, ohne Aufwand beheben. Unschärfen oder tonale Flauheit waren durch flexible Öffnungen zu regulieren. Außerdem gab es Apparate, die den Künstlern erlaubten, Kamerabild und tatsächliche Erscheinung in rascher Folge zu sehen und zu vergleichen. Doch all diese wunderbar klaren, auch für technisch Unbegabte gut zu lesenden Erläuterungen sind nur Vorlauf. Steadman interessiert sich vor allem für die perspektivische Geometrie, die, wie er glaubt, einen handfesten Beweis für den Gebrauch der Camera obscura liefere.
Als Architekt und Professor of Urban and Built Form Studies begeisterte er sich für die präzise Konstruktion in den Bildern Vermeers und versuchte, die von Vermeer sorgsam in die Fläche gebrachten Räume wieder in der dritten Dimension aufzufalten. Mit Hilfe von nachgezeichneten Sichtachsen, Sehwinkeln und Fluchtpunkten sind maßstabsgetreue Modelle und ein originalgroßer Nachbau von Vermeers Räumen entstanden, was schon erstaunlich genug ist. Doch Steadmans Untersuchungen gehen noch weiter; er rekonstruiert den jeweiligen Standort des Malers und zeigt, daß die von dort aus gemalten Bilder exakt die Maße des projizierten Raumausschnitts haben, den sie darstellen. Und diese Genauigkeit ist für Steadman das Argument, das schlagender als Unschärfen und Glanzlichter die Verwendung der Camera beweist. Denn eine solche Präzision sei weder durch mathematische Berechnung noch durch andere mechanische Hilfen zu gewinnen. Daß damit noch nicht der letzte Beweis erbracht ist, gibt Steadman nonchalant zu. Belustigt verweist er auf die geometrische Natur seines Arguments, denn wenn seine These vom Gebrauch der Camera obscura nicht stimme, müßte es eine alternative Erklärung geben.
Was dieses Ergebnis nun für die kunstgeschichtliche Forschung bedeutet, bleibt offen. Steadman warnt lediglich vor einer naiven Abbildungstheorie und merkt an, daß die Technik bei Vermeer im Dienste eines künstlerischen Sehens stünde und nicht eine Anhäufung von nach der Natur gezeichneten Details zum Ziele habe. Was die Arbeit mit der Camera obscura biete, sei ein irritierendes Spiel von Raum und Fläche, das die Werke Vermeers in der Tat kennzeichnet. Steadman ist bescheiden genug, keine weiteren Schlüsse kunstwissenschaftlicher Art zu ziehen. Ihn hat die technische Seite des künstlerischen Verfahrens interessiert. Schaudern macht allein der Gedanke, was munterer, unreflektierter Positivismus mit seinen Ergebnissen anstellen wird.
BEATE SÖNTGEN.
Philip Steadman: "Vermeer's Camera". Uncovering the Truth Behind the Master Pieces. Oxford University Press, Oxford, New York 2001. 207 S., Abb., geb., 17,99 britische Pfund.
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