Ein ganz normaler Deutscher als Chronist seiner Zeit: vom Widerstand eines Einzelnen und der Propagandagläubigkeit der Masse.Der Laubacher Justizinspektor Friedrich Kellner wollte der Nachwelt ein Zeugnis ablegen von der gedankenlosen Unterwürfigkeit seiner Zeitgenossen und den hohlen nationalsozialistischen Propagandaphrasen. Von 1939 bis 1945 schrieb er beinahe täglich seine Kritik am NS-Regime nieder und dokumentierte die vielen kleinen und großen Verbrechen der NS-Diktatur. Diese Tagebücher zeigen, dass jeder in der Lage gewesen wäre, die nationalsozialistische Rhetorik zu entlarven und von den Gräueltaten des »Dritten Reiches« zu wissen. Kellners akribische Analyse der Tagespresse, die zusammen mit zahlreichen eingeklebten Zeitungsausschnitten einen Großteil der Tagebücher einnimmt, macht diesen Text zu einer einzigartigen Quelle, die eine neue Sicht auf den Alltag im »Dritten Reich« ermöglicht. Darin unterzieht er die gleichgeschalteten Meldungen einer schonungslosen Kritikund verdeutlicht, wie offensichtlich die Lügen der NS-Presse waren. In der Verbindung von Zeitungsausschnitt und Kommentar findet Friedrich Kellner eine Methode, die seine Tagebücher neben die Aufzeichnungen Victor Klemperers stellt.»Ich konnte die Nazis damals nicht in der Gegenwart bekämpfen. Also entschloss ich mich, sie in der Zukunft zu bekämpfen. Ich wollte kommenden Generationen eine Waffe gegen jedes Wiederaufleben solchen Unrechts geben.«
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Die eine oder andere Gespreiztheit erschwert zwar ein wenig die Lektüre dieser Besprechung, aber am Ende hat der Historiker Hans-Erich Volkmann doch sehr klar gemacht, warum er Friedrich Kellners Tagebücher so faszinierend findet. Der hessische Justizinspektor war ein engagierter Sozialdemokrat und führte sein Tagebuch, um die Übeltaten der Nazis in allen Einzelheiten festzuhalten. Er hoffte, dass sie dafür eines Tages zur Rechenschaft gezogen würden. Für den Rezensenten belegen diese Notizen zum einen, wie sehr auch in der Provinz Nationalsozialismus und Antisemitismus den Durchschnittsbürger beherrschten. Zum anderen zeigte sie ihm, wie genau die Leute Bescheid wussten: Für Kellner war es kein Geheimnis, was sich in deutschen Gerichten, in den vermeintlichen "Heilanstalten" oder im Osten Europas abspielte. Dass die Nachkriegsgesellschaft so hartnäckig leugnen konnte, vom Holocaust gewusst zu haben, erscheint dem Rezensenten umso ungeheuerlicher.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.01.2012Die Region als Abbild der Nation
Friedrich Kellner sammelte Beweismittel für den Unrechtscharakter des NS-Staates
Friedrich Kellner wirkte während der Zeit des Nationalsozialismus als Justizinspektor am Amtsgericht Laubach/Kreis Gießen. Die auf Wunsch des Vaters eingeschlagene Verwaltungslaufbahn bot dem Absolventen einer Oberrealschule mit wachem Intellekt keine hinreichende Lebenserfüllung. Als Stabsfeldwebel und Offizier-Stellvertreter an vorderster Front war Kellner als Kriegsgegner, wenngleich nicht als Pazifist aus dem Ersten Weltkrieg in seine Heimatstadt Mainz zurückgekehrt. Hier widmete er sich neben dem Justizdienst dem Aufbau und der Festigung eines neuen parlamentarischen Vaterlandes. Als engagierter Sozialdemokrat, der keine parteipolitische Karriere anstrebte, vertrat er dennoch auf öffentlichem Podest und im eigenen Umfeld offensiv die Belange der SPD.
Der Ende der zwanziger Jahre sich etablierenden NSDAP erwuchs in Kellner ein vehementer regionaler Kritiker. Das Studium von Hitlers Buch "Mein Kampf" ließ ihn zu der Überzeugung gelangen, dass die Nazis, einmal an der Macht, die dort formulierten programmatischen Postulate auch konsequent umsetzen würden. Das konnte nur das rücksichtslose Vorgehen gegen alle Gegner im Innern und die hegemonial wie ökonomisch motivierte Unterwerfung Europas einschließlich der Ausdehnung des Lebensraumes im Osten bedeuten.
Mit sicherem Instinkt für politische Entwicklungen ließ sich Kellner wenige Wochen vor Hitlers Berufung zum Reichskanzler in die hessische Provinz versetzen in der Hoffnung, dort von seiner sozialdemokratischen Vergangenheit so rasch nicht eingeholt zu werden. Doch seine Weigerung, der NSDAP beizutreten, und regimekritische Äußerungen veranlassten die Hoheitsträger von Staat und Partei zu Drohungen, den politisch Unbelehrbaren in einem Konzentrationslager mundtot zu machen. Dieser ihm in Verhören vergegenwärtigten Gefahr begegnete Kellner mit tadelloser Pflichterfüllung und verbaler Enthaltsamkeit. Im Bewusstsein seiner temporären oppositionellen Ohnmacht legte er ein Tagebuch an, dessen Auffinden sein Todesurteil bedeutet hätte. Die Aufzeichnungen sollten nach dem Zusammenbruch des "Dritten Reiches" Beweismittel für den Unrechtscharakter des NS-Staates liefern und waren zur Ermittlung der dafür Verantwortlichen gedacht. Diese wollte Kellner vor Gericht stellen und die der propagandistischen Gehirnwäsche erlegene Masse der Deutschen durch Einsicht und Erziehung zu demokratischer Vernunft bringen.
Als roter Faden zieht sich durch die Notizen der gegenüber Frankreich und England erhobene Vorwurf, Hitlers Absichten verkannt, seine Rüstungsanstrengungen unterschätzt, Polen leichtfertig Unterstützung zugesagt, dann aber im Stich gelassen und dergestalt den Krieg geradezu provoziert zu haben. Und der angloamerikanischen Luftwaffe hält er vor, in Überschätzung des erhofften psychoterroristischen Effekts die Zivilbevölkerung statt Verkehrsverbindungen und kriegswichtige Industrieanlagen zu bombardieren. Doch mit der Ausdehnung des Krieges auf die Sowjetunion und nach Afrika hinein ist sich Kellner sicher, dass die Achsenmächte die Fronten nicht würden halten können. Fortan knüpft er alle seine Hoffnungen auf den militärischen Zusammenbruch des NS-Regimes.
Der Chronist prangert nicht nur hohe NSDAP-Funktionäre, sondern auch die national-konservativen Eliten der Komplizenschaft und des Opportunismus an. Die "arroganten, ruhmseligen" Generale müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, in unterwürfiger Vasallentreue die Wehrmacht der stümperhaften Führung eines Gefreiten überlassen zu haben. Ihre Nachkriegsreaktion sagt Kellner vorher: "Sie werden sich hinter den dem Führer geleisteten Eid verschanzen."
Das Tagebuch ist Ausdruck der Verzweiflung des Autors über das weitgehend verlustig gegangene Rechtsbewusstsein in Staat und Gesellschaft. Das traf insbesondere für die Justiz zu, die nach politischen Vorgaben Recht sprach, was allein schon die unzähligen über "Defaitisten" und "Volksverräter" verhängten Todesurteile manifestierten. Detailliert wird auf die Verletzung der Menschenrechte verwiesen, von denen gewusst zu haben die deutsche Nachkriegsgesellschaft hartnäckig bestritt. Nun straft sie der Chronist Lügen. Die Vernichtung "unwerten" Lebens in der "Heilanstalt" Hadamar wurde als öffentliches Geheimnis bewahrt. Die Besatzungsorgane verkörperten in Gestalt von Einsatzgruppen, Ordnungspolizei und Wehrmacht insbesondere im Osten den Unrechtsstaat durch Zwangsarbeit und Verschleppung, Ermordung von Juden und Slawen sowie numerisch unverhältnismäßige Geiselnahmen und Geiselerschießungen. Wie Kellner erfuhr davon die Bevölkerung unter anderem durch Soldaten, die auch von der Ermordung polnischer Juden berichteten. Ihm war bekannt, dass die abtransportierten Laubacher Juden dieses Schicksal teilten. Die ungeheuerliche Menschenverachtung und Missachtung des Völkerrechts ließen sich in der Wochenzeitung der SS nachlesen. So wies das "Schwarze Korps" die Kritik eines schwedischen Wissenschaftlers an der NS-Rassenpolitik mit entwaffnender Offenheit zurück: "Denn wir sind durch unsere eigene Wiedergeburt, durch unsere Politik und durch unseren Vernichtungskrieg gegen Judentum, Bolschewismus und Plutokratie nun einmal die Träger des Kampfes gegen jede Organisationsform des Untermenschentums."
Vor der großdeutschen Kulisse erscheint immer wieder das Szenenbild der Stadt und des Amtsgerichtsbezirks Laubach. Der Leser erhält einen Eindruck von der Intensität nationalsozialistischer Gesittung der "Volksgenossen" als bestimmendem Faktor kollektiven Zusammenhalts in glorreichen Tagen, aber auch in der verbissenen Verdrängung des sich abzeichnenden militärischen und politischen Kollapses. Kellner erstellt ein Soziogramm der regionalen "Bonzokratie", in der beispielhaft ein der Steuerhinterziehung bezichtigter Ortsgruppenleiter, ein in illegale Grundstücksgeschäfte verwickelter Ortsbauernführer mit dem "Rechtswahrer" in Person des Oberamtsrichters in ideologischer Eintracht zusammenwirkten. Das Tagebuch bestätigt die insgeheim im Reich kursierende Charakteristik der Nazi-Clique: "Nicht alle Nationalsozialisten sind Lumpen, aber alle Lumpen sind Nationalsozialisten." Beobachtet wird der Normalbürger in seiner überwiegend nationalsozialistischen Gesinnung, in seinem ganz persönlichen Antisemitismus jüdischen Mitbürgern gegenüber. Die Region ist das Abbild der Nation.
Das Faszinierende an den Notizen ist die systematische Auswertung von Zeitungen, juristischer Zeitschriften sowie parteiamtlichen Materials. Die Texte sind oft als Dokumente dem Tagebuch beigefügt. Hier werden sie ihrer propagandistischen Hülle entledigt, um so zur Faktizität der Nachricht vorzudringen. An einem Artikel des "Völkischen Beobachters" über das Mutterkreuz lässt sich dies exemplifizieren: "Das Ehrenkreuz soll ein Zeichen des Dankes des deutschen Volkes an kinderreiche Mütter sein." Dies ist die Propagandaformel. In Wahrheit will man Mütter dafür ködern, "Kinder als Kanonenfutter" zu gebären. Denn "Kinder sind eine Voraussetzung für eine imperialistische Politik. Das Motto heißt dann: ,Volk ohne Raum'." Insgesamt eine ebenso spannende wie informative Lektüre, die einen ungewöhnlichen Blick in das Innenleben der NS-Diktatur erlaubt.
HANS-ERICH VOLKMANN
Friedrich Kellner: "Vernebelt, verdunkelt sind alle Hirne". Tagebücher 1939-1945. Zwei Bände. Wallstein Verlag, Göttingen 2011, 1134 S., 59,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Friedrich Kellner sammelte Beweismittel für den Unrechtscharakter des NS-Staates
Friedrich Kellner wirkte während der Zeit des Nationalsozialismus als Justizinspektor am Amtsgericht Laubach/Kreis Gießen. Die auf Wunsch des Vaters eingeschlagene Verwaltungslaufbahn bot dem Absolventen einer Oberrealschule mit wachem Intellekt keine hinreichende Lebenserfüllung. Als Stabsfeldwebel und Offizier-Stellvertreter an vorderster Front war Kellner als Kriegsgegner, wenngleich nicht als Pazifist aus dem Ersten Weltkrieg in seine Heimatstadt Mainz zurückgekehrt. Hier widmete er sich neben dem Justizdienst dem Aufbau und der Festigung eines neuen parlamentarischen Vaterlandes. Als engagierter Sozialdemokrat, der keine parteipolitische Karriere anstrebte, vertrat er dennoch auf öffentlichem Podest und im eigenen Umfeld offensiv die Belange der SPD.
Der Ende der zwanziger Jahre sich etablierenden NSDAP erwuchs in Kellner ein vehementer regionaler Kritiker. Das Studium von Hitlers Buch "Mein Kampf" ließ ihn zu der Überzeugung gelangen, dass die Nazis, einmal an der Macht, die dort formulierten programmatischen Postulate auch konsequent umsetzen würden. Das konnte nur das rücksichtslose Vorgehen gegen alle Gegner im Innern und die hegemonial wie ökonomisch motivierte Unterwerfung Europas einschließlich der Ausdehnung des Lebensraumes im Osten bedeuten.
Mit sicherem Instinkt für politische Entwicklungen ließ sich Kellner wenige Wochen vor Hitlers Berufung zum Reichskanzler in die hessische Provinz versetzen in der Hoffnung, dort von seiner sozialdemokratischen Vergangenheit so rasch nicht eingeholt zu werden. Doch seine Weigerung, der NSDAP beizutreten, und regimekritische Äußerungen veranlassten die Hoheitsträger von Staat und Partei zu Drohungen, den politisch Unbelehrbaren in einem Konzentrationslager mundtot zu machen. Dieser ihm in Verhören vergegenwärtigten Gefahr begegnete Kellner mit tadelloser Pflichterfüllung und verbaler Enthaltsamkeit. Im Bewusstsein seiner temporären oppositionellen Ohnmacht legte er ein Tagebuch an, dessen Auffinden sein Todesurteil bedeutet hätte. Die Aufzeichnungen sollten nach dem Zusammenbruch des "Dritten Reiches" Beweismittel für den Unrechtscharakter des NS-Staates liefern und waren zur Ermittlung der dafür Verantwortlichen gedacht. Diese wollte Kellner vor Gericht stellen und die der propagandistischen Gehirnwäsche erlegene Masse der Deutschen durch Einsicht und Erziehung zu demokratischer Vernunft bringen.
Als roter Faden zieht sich durch die Notizen der gegenüber Frankreich und England erhobene Vorwurf, Hitlers Absichten verkannt, seine Rüstungsanstrengungen unterschätzt, Polen leichtfertig Unterstützung zugesagt, dann aber im Stich gelassen und dergestalt den Krieg geradezu provoziert zu haben. Und der angloamerikanischen Luftwaffe hält er vor, in Überschätzung des erhofften psychoterroristischen Effekts die Zivilbevölkerung statt Verkehrsverbindungen und kriegswichtige Industrieanlagen zu bombardieren. Doch mit der Ausdehnung des Krieges auf die Sowjetunion und nach Afrika hinein ist sich Kellner sicher, dass die Achsenmächte die Fronten nicht würden halten können. Fortan knüpft er alle seine Hoffnungen auf den militärischen Zusammenbruch des NS-Regimes.
Der Chronist prangert nicht nur hohe NSDAP-Funktionäre, sondern auch die national-konservativen Eliten der Komplizenschaft und des Opportunismus an. Die "arroganten, ruhmseligen" Generale müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, in unterwürfiger Vasallentreue die Wehrmacht der stümperhaften Führung eines Gefreiten überlassen zu haben. Ihre Nachkriegsreaktion sagt Kellner vorher: "Sie werden sich hinter den dem Führer geleisteten Eid verschanzen."
Das Tagebuch ist Ausdruck der Verzweiflung des Autors über das weitgehend verlustig gegangene Rechtsbewusstsein in Staat und Gesellschaft. Das traf insbesondere für die Justiz zu, die nach politischen Vorgaben Recht sprach, was allein schon die unzähligen über "Defaitisten" und "Volksverräter" verhängten Todesurteile manifestierten. Detailliert wird auf die Verletzung der Menschenrechte verwiesen, von denen gewusst zu haben die deutsche Nachkriegsgesellschaft hartnäckig bestritt. Nun straft sie der Chronist Lügen. Die Vernichtung "unwerten" Lebens in der "Heilanstalt" Hadamar wurde als öffentliches Geheimnis bewahrt. Die Besatzungsorgane verkörperten in Gestalt von Einsatzgruppen, Ordnungspolizei und Wehrmacht insbesondere im Osten den Unrechtsstaat durch Zwangsarbeit und Verschleppung, Ermordung von Juden und Slawen sowie numerisch unverhältnismäßige Geiselnahmen und Geiselerschießungen. Wie Kellner erfuhr davon die Bevölkerung unter anderem durch Soldaten, die auch von der Ermordung polnischer Juden berichteten. Ihm war bekannt, dass die abtransportierten Laubacher Juden dieses Schicksal teilten. Die ungeheuerliche Menschenverachtung und Missachtung des Völkerrechts ließen sich in der Wochenzeitung der SS nachlesen. So wies das "Schwarze Korps" die Kritik eines schwedischen Wissenschaftlers an der NS-Rassenpolitik mit entwaffnender Offenheit zurück: "Denn wir sind durch unsere eigene Wiedergeburt, durch unsere Politik und durch unseren Vernichtungskrieg gegen Judentum, Bolschewismus und Plutokratie nun einmal die Träger des Kampfes gegen jede Organisationsform des Untermenschentums."
Vor der großdeutschen Kulisse erscheint immer wieder das Szenenbild der Stadt und des Amtsgerichtsbezirks Laubach. Der Leser erhält einen Eindruck von der Intensität nationalsozialistischer Gesittung der "Volksgenossen" als bestimmendem Faktor kollektiven Zusammenhalts in glorreichen Tagen, aber auch in der verbissenen Verdrängung des sich abzeichnenden militärischen und politischen Kollapses. Kellner erstellt ein Soziogramm der regionalen "Bonzokratie", in der beispielhaft ein der Steuerhinterziehung bezichtigter Ortsgruppenleiter, ein in illegale Grundstücksgeschäfte verwickelter Ortsbauernführer mit dem "Rechtswahrer" in Person des Oberamtsrichters in ideologischer Eintracht zusammenwirkten. Das Tagebuch bestätigt die insgeheim im Reich kursierende Charakteristik der Nazi-Clique: "Nicht alle Nationalsozialisten sind Lumpen, aber alle Lumpen sind Nationalsozialisten." Beobachtet wird der Normalbürger in seiner überwiegend nationalsozialistischen Gesinnung, in seinem ganz persönlichen Antisemitismus jüdischen Mitbürgern gegenüber. Die Region ist das Abbild der Nation.
Das Faszinierende an den Notizen ist die systematische Auswertung von Zeitungen, juristischer Zeitschriften sowie parteiamtlichen Materials. Die Texte sind oft als Dokumente dem Tagebuch beigefügt. Hier werden sie ihrer propagandistischen Hülle entledigt, um so zur Faktizität der Nachricht vorzudringen. An einem Artikel des "Völkischen Beobachters" über das Mutterkreuz lässt sich dies exemplifizieren: "Das Ehrenkreuz soll ein Zeichen des Dankes des deutschen Volkes an kinderreiche Mütter sein." Dies ist die Propagandaformel. In Wahrheit will man Mütter dafür ködern, "Kinder als Kanonenfutter" zu gebären. Denn "Kinder sind eine Voraussetzung für eine imperialistische Politik. Das Motto heißt dann: ,Volk ohne Raum'." Insgesamt eine ebenso spannende wie informative Lektüre, die einen ungewöhnlichen Blick in das Innenleben der NS-Diktatur erlaubt.
HANS-ERICH VOLKMANN
Friedrich Kellner: "Vernebelt, verdunkelt sind alle Hirne". Tagebücher 1939-1945. Zwei Bände. Wallstein Verlag, Göttingen 2011, 1134 S., 59,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Diese Edition ist ein Glücksfall.« (Franziska Augstein, Süddeutsche Zeitung, 12.12.2011) »Eine ebenso spannende wie informative Lektüre, die einen ungewöhnlichen Blick in das Innenleben der NS-Diktatur erlaubt.« (Hans-Erich Volkmann, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16.01.2012) »Das Zeugnis eines wachen Geistes, eines Mannes mit dem Mut, sein Hirn einzuschalten und dem gesunden Menschenverstand zu vertrauen« (Titel, Thesen, Temperamente, 31.07.2011) »die wichtigste zeithistorische Neuerscheinung des Jahres« (Benedikt Erenz, Die Zeit, 01.12.2011) »Eine Fundgrube - für Historiker und für Laien.« (Beate Hornack, Braunschweiger Zeitung, 07.01.2012)