Die Nationalsozialisten planten keine »Endlösung der Erinnerung« an den Holocaust, sondern eine »Arisierung des Gedächtnisses«.In kulturwissenschaftlichen Debatten läßt sich immer wieder die Vermutung finden, die Nationalsozialisten hätten nicht nur die totale physische Vernichtung der europäischen Juden, sondern auch die Löschung ihrer Opfer aus Geschichte und Gedächtnis geplant. Nur unzureichend und vereinzelt sind aber bislang Projekte und Phänomene beachtet worden, die dem Versuch eines totalen Vergessenmachens ganz offensichtlich entgegenstehen und eher für den Versuch einer weitergehenden, noch über die Vernichtung hinausreichenden Funktionalisierung sprechen. Die fortgesetzte Ausstellung von Judaica während des Dritten Reichs und die Einrichtung eines Jüdischen Zentralmuseums unter der Aufsicht des SD in Prag weisen in die gleiche Richtung wie das Bemühen der Nationalsozialisten auf dem Gebiet der Judenforschung und eine Vielzahl von fotografischen und filmischen Dokumentationen der Opfer und der an ihnen verübten Verbrechen.Statt einer Endlösung der Erinnerung ist von den Tätern vielmehr eine Arisierung des Gedächtnisses geplant worden. Die Musealisierung diente zur Perpetuierung des notwendigen Feindbildes für die nationalsozialistische Ideologie. Nationalsozialismus und Holocaust werden damit nicht mehr nur als Ausgangspunkt für die Gedächtnisdiskurse der Nachkriegszeit betrachtet, sondern die Funktion von Gedächtnis und Erinnerung wird im unmittelbaren Zusammenhang mit der Beraubungs- und Vernichtungspolitik untersucht.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.12.2005Das arische Gedächtnis
Erinnerungspolitik in der Zeit des Nationalsozialismus
Es ist inzwischen unbestritten, daß die nationalsozialistische Herrschaft, wäre es nach Hitler und seiner Gefolgschaft gegangen, in allen erreichbaren Territorien zu einer Vernichtung jener Menschen führen sollte, die als Juden definiert wurden. Denkt man diese ideologisch motivierte Absicht zu Ende, so stellt sich die Frage, was nach einer physischen Vernichtung mit der Erinnerung an "die Juden" geschehen wäre. Eine bedenkenswerte Frage. Dirk Rupnow möchte "nationalsozialistische Gedächtnispolitik" vor allem aus zwei Gründen beleuchten: Er unterstellt eine in der bisherigen Forschung "allenthalben angenommene und vorausgesetzte nationalsozialistische Vergessenspolitik". Und er wendet sich gegen die in "kulturwissenschaftlichen Debatten" wiederholt formulierte Vermutung, "die Nationalsozialisten hätten neben dem Völkermord auch einen Gedächtnismord geplant". Er beschreibt und erörtert dazu zeitgenössische Unternehmungen, Pläne und Initiativen, die sich mit Fragen der "Gedächtnispolitik" in Verbindung bringen lassen - von Projekten wie dem Jüdischen Zentralmuseum in Prag bis zur sogenannten Judenforschung als Zweig nationalsozialistischer Geschichtsschreibung. In diesem Sinne definiert er "Gedächtnispolitik" zeitgleich zur "Vernichtungspolitik" als den Versuch, "aktuelle und spätere Bilder zu beeinflussen" sowie "das kulturelle Gedächtnis mit bestimmten Inhalten zu füllen". So hätte "die Enteignung der Vergangenheit der Opfer . . . den Höhepunkt ihrer Erniedrigung und die Vollendung ihrer Vernichtung dargestellt". Rupnow verbindet diese Perspektive mit einem ausgiebigen Aufriß zahlreicher Nachkriegs-Stimmen im Erinnerungsdiskurs zur NS-Herrschaft.
Es wäre zweifellos eine lohnende Aufgabe, den Zusammenhang zwischen den Zielen und der Reichweite zeitgenössischer "Gedächtnispolitik" und ihren Wirkungen in der geschichtswissenschaftlichen und öffentlichen Debatte nach 1945 systematisch zu analysieren. Rupnow weicht dem allerdings aus, indem er den "modularen Charakter" seiner Arbeit betont, die ihn im Unterschied etwa zu "Detailstudien zur Vernichtungspolitik" davon enthebe, "eine dichte Quellenbasis zu erarbeiten". Zugleich ist er nicht zimperlich mit deftigen Zensuren gegen andere Forscher. Helmut Heibers immer noch beeindruckende Untersuchung zu Walter Frank komme in seinen Wertungen, so Rupnow, "über süffisante Kommentare und Formulierungen kaum hinaus"; die Arbeiten von Jan Björn Potthast nennt er "zusammenhanglos und wenig plausibel"; auch die einschlägigen Untersuchungen von Patricia von Papen und Dieter Schiefelbein hätten das Thema "Judenforschung im Dritten Reich" nicht einmal annähernd systematisch aufgearbeitet. Mit derart genährten Erwartungen liest man dann leicht erstaunt: "Auch die vorliegende Arbeit kann dies nicht leisten." Was aber leistet sie?
Unter Kapitelüberschriften wie "Vernichtung und Erinnerung", "Vernichten und Erinnern", "Gedenken und Vergessen" oder auch "Museen" und "Bilder" findet der Leser eine Kette von Beobachtungen, Thesen und assoziativen Formulierungen, deren innerer Zusammenhang oft mehr behauptet als analysiert wirkt. Mit einigem Fleiß sind vielfältige Äußerungen zusammengetragen, die auf unterschiedlichste Weise die Schnittmenge von "Judenfrage", "Geschichte" und "Gedächtnis" berühren. Mit fortschreitender Lektüre wird jedoch gerade angesichts der Überfülle von Zitaten, die bisweilen mehrere Druckseiten einnehmen, deutlich, daß der von Rupnow parallel reflektierte Blick über die Forschungslandschaft deutliche Lücken aufweist und ihn bisweilen zu eigenwilligen Zusammenfassungen der Fachdiskussion vergangener Jahrzehnte verleitet. So liest man, die Hitler-Interpretation sei "lange Zeit" von der These des ziellosen Nihilismus geprägt geblieben und das "Dritte Reich" bis in die achtziger Jahre "als monolithisches System . . . verstanden" worden. Hier wie an anderen Stellen hätte ein konzentrierter Blick in die einschlägigen Forschungsüberblicke von Klaus Hildebrand und Ian Kershaw die Sensibilität vermutlich gefördert.
Ausführlich widmet sich Rupnow der Goldhagen-Debatte sowie der Wehrmachtsausstellung, die einen "Skandal" bewirkt habe. Das "Skandalon" habe "für Öffentlichkeit und Fachkreise im schonungslosen Überschreiten einer allgemein akzeptierten Grenze" bestanden, der "Präsentation von Bildern des Vernichtungskriegs". Er behauptet weiter, "daß eine Mitschuld der Wehrmacht selbst in Historikerkreisen nicht allgemein und unbestritten als ,gesicherter Tatbestand' galt", und verweist auf angebliche "Gegenbeispiele wie Ernst Nolte, Andreas Hillgruber oder Joachim Fest". An anderer Stelle heißt es dann zutreffend, daß bereits in bekannten Arbeiten aus den fünfziger und sechziger Jahren "Beschreibungen von Massenerschießungen und Bemerkungen über eine Beteiligung der Wehrmacht" zu finden waren. Jenseits solcher Widersprüche und Ungereimtheiten läßt das Buch aufscheinen, daß mit einer umfassenderen Quellenanalyse sowie einem präziseren Abgleich zum Diskussionsstand der Forschung noch einiges aus dem Thema herauszuholen wäre.
MAGNUS BRECHTKEN
Dirk Rupnow: Vernichten und Erinnern. Spuren nationalsozialistischer Gedächtnispolitik. Wallstein Verlag, Göttingen 2005. 352 S., 32,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Erinnerungspolitik in der Zeit des Nationalsozialismus
Es ist inzwischen unbestritten, daß die nationalsozialistische Herrschaft, wäre es nach Hitler und seiner Gefolgschaft gegangen, in allen erreichbaren Territorien zu einer Vernichtung jener Menschen führen sollte, die als Juden definiert wurden. Denkt man diese ideologisch motivierte Absicht zu Ende, so stellt sich die Frage, was nach einer physischen Vernichtung mit der Erinnerung an "die Juden" geschehen wäre. Eine bedenkenswerte Frage. Dirk Rupnow möchte "nationalsozialistische Gedächtnispolitik" vor allem aus zwei Gründen beleuchten: Er unterstellt eine in der bisherigen Forschung "allenthalben angenommene und vorausgesetzte nationalsozialistische Vergessenspolitik". Und er wendet sich gegen die in "kulturwissenschaftlichen Debatten" wiederholt formulierte Vermutung, "die Nationalsozialisten hätten neben dem Völkermord auch einen Gedächtnismord geplant". Er beschreibt und erörtert dazu zeitgenössische Unternehmungen, Pläne und Initiativen, die sich mit Fragen der "Gedächtnispolitik" in Verbindung bringen lassen - von Projekten wie dem Jüdischen Zentralmuseum in Prag bis zur sogenannten Judenforschung als Zweig nationalsozialistischer Geschichtsschreibung. In diesem Sinne definiert er "Gedächtnispolitik" zeitgleich zur "Vernichtungspolitik" als den Versuch, "aktuelle und spätere Bilder zu beeinflussen" sowie "das kulturelle Gedächtnis mit bestimmten Inhalten zu füllen". So hätte "die Enteignung der Vergangenheit der Opfer . . . den Höhepunkt ihrer Erniedrigung und die Vollendung ihrer Vernichtung dargestellt". Rupnow verbindet diese Perspektive mit einem ausgiebigen Aufriß zahlreicher Nachkriegs-Stimmen im Erinnerungsdiskurs zur NS-Herrschaft.
Es wäre zweifellos eine lohnende Aufgabe, den Zusammenhang zwischen den Zielen und der Reichweite zeitgenössischer "Gedächtnispolitik" und ihren Wirkungen in der geschichtswissenschaftlichen und öffentlichen Debatte nach 1945 systematisch zu analysieren. Rupnow weicht dem allerdings aus, indem er den "modularen Charakter" seiner Arbeit betont, die ihn im Unterschied etwa zu "Detailstudien zur Vernichtungspolitik" davon enthebe, "eine dichte Quellenbasis zu erarbeiten". Zugleich ist er nicht zimperlich mit deftigen Zensuren gegen andere Forscher. Helmut Heibers immer noch beeindruckende Untersuchung zu Walter Frank komme in seinen Wertungen, so Rupnow, "über süffisante Kommentare und Formulierungen kaum hinaus"; die Arbeiten von Jan Björn Potthast nennt er "zusammenhanglos und wenig plausibel"; auch die einschlägigen Untersuchungen von Patricia von Papen und Dieter Schiefelbein hätten das Thema "Judenforschung im Dritten Reich" nicht einmal annähernd systematisch aufgearbeitet. Mit derart genährten Erwartungen liest man dann leicht erstaunt: "Auch die vorliegende Arbeit kann dies nicht leisten." Was aber leistet sie?
Unter Kapitelüberschriften wie "Vernichtung und Erinnerung", "Vernichten und Erinnern", "Gedenken und Vergessen" oder auch "Museen" und "Bilder" findet der Leser eine Kette von Beobachtungen, Thesen und assoziativen Formulierungen, deren innerer Zusammenhang oft mehr behauptet als analysiert wirkt. Mit einigem Fleiß sind vielfältige Äußerungen zusammengetragen, die auf unterschiedlichste Weise die Schnittmenge von "Judenfrage", "Geschichte" und "Gedächtnis" berühren. Mit fortschreitender Lektüre wird jedoch gerade angesichts der Überfülle von Zitaten, die bisweilen mehrere Druckseiten einnehmen, deutlich, daß der von Rupnow parallel reflektierte Blick über die Forschungslandschaft deutliche Lücken aufweist und ihn bisweilen zu eigenwilligen Zusammenfassungen der Fachdiskussion vergangener Jahrzehnte verleitet. So liest man, die Hitler-Interpretation sei "lange Zeit" von der These des ziellosen Nihilismus geprägt geblieben und das "Dritte Reich" bis in die achtziger Jahre "als monolithisches System . . . verstanden" worden. Hier wie an anderen Stellen hätte ein konzentrierter Blick in die einschlägigen Forschungsüberblicke von Klaus Hildebrand und Ian Kershaw die Sensibilität vermutlich gefördert.
Ausführlich widmet sich Rupnow der Goldhagen-Debatte sowie der Wehrmachtsausstellung, die einen "Skandal" bewirkt habe. Das "Skandalon" habe "für Öffentlichkeit und Fachkreise im schonungslosen Überschreiten einer allgemein akzeptierten Grenze" bestanden, der "Präsentation von Bildern des Vernichtungskriegs". Er behauptet weiter, "daß eine Mitschuld der Wehrmacht selbst in Historikerkreisen nicht allgemein und unbestritten als ,gesicherter Tatbestand' galt", und verweist auf angebliche "Gegenbeispiele wie Ernst Nolte, Andreas Hillgruber oder Joachim Fest". An anderer Stelle heißt es dann zutreffend, daß bereits in bekannten Arbeiten aus den fünfziger und sechziger Jahren "Beschreibungen von Massenerschießungen und Bemerkungen über eine Beteiligung der Wehrmacht" zu finden waren. Jenseits solcher Widersprüche und Ungereimtheiten läßt das Buch aufscheinen, daß mit einer umfassenderen Quellenanalyse sowie einem präziseren Abgleich zum Diskussionsstand der Forschung noch einiges aus dem Thema herauszuholen wäre.
MAGNUS BRECHTKEN
Dirk Rupnow: Vernichten und Erinnern. Spuren nationalsozialistischer Gedächtnispolitik. Wallstein Verlag, Göttingen 2005. 352 S., 32,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Eher durchwachsen findet Rezensent Magnus Brechtken diese Arbeit über die Erinnerungspolitik in der Zeit des Nationalsozialismus, die Dirk Rupnow vorgelegt hat. Der Autor beleuchte zeitgenössische Unternehmungen, Pläne und Initiativen, die sich mit Fragen der "Gedächtnispolitik" in Verbindung bringen lassen - von Projekten wie dem Jüdischen Zentralmuseum in Prag bis zur sogenannten Judenforschung als Zweig nationalsozialistischer Geschichtsschreibung. Diese Perspektive verbinde er mit einer Darstellung der Nachkriegs-Stimmen im Erinnerungsdiskurs zur NS-Herrschaft. Fragestellung und Thematik des Buches hält Brechtken für durchaus interessant. Allerdings können ihn Rupnows Ausführungen nicht immer überzeugen. Eine systematische Analyse des Zusammenhangs zwischen den Zielen und der Reichweite zeitgenössischer "Gedächtnispolitik" und ihren Wirkungen in der geschichtswissenschaftlichen und öffentlichen Debatte nach 1945 bleibt der Autor zum Bedauern des Rezensenten schuldig. Unangenehm berührt zeigt er sich von den teils harschen Urteilen Rupnows über andere Forscher. Dabei sieht er gerade bei Rupnow Lücken im Blick auf den Stand der Forschung. Zudem hält er dem Autor manche Widersprüche und Ungereimtheiten vor. Sein Fazit: Mit einer "umfassenderen Quellenanalyse" sowie einem "präziseren Abgleich" zum Diskussionsstand der Forschung wäre noch einiges aus dem Thema herauszuholen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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