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Generalfeldmarschall Erich von Manstein (1887-1973) war einer der prominentesten Heerführer Hitlers. Bis heute ist er im kollektiven Gedächtnis nicht nur der Deutschen als einer der glänzendsten Strategen des Zweiten Weltkriegs und als unpolitischer »Nur-Soldat« lebendig geblieben. Dieses Bild hat er selbst entscheidend mitgeschaffen, durch seine Selbstdarstellung in dem Kriegsverbrecherprozess von 1949, der hier erstmals umfassend dargestellt wird, durch seine Memoiren und durch seine effektiven Verbindungen zu Netzwerken anderer hoher Wehrmachtoffiziere. Manstein, der Eroberer der Krim 1942…mehr

Produktbeschreibung
Generalfeldmarschall Erich von Manstein (1887-1973) war einer der prominentesten Heerführer Hitlers. Bis heute ist er im kollektiven Gedächtnis nicht nur der Deutschen als einer der glänzendsten Strategen des Zweiten Weltkriegs und als unpolitischer »Nur-Soldat« lebendig geblieben. Dieses Bild hat er selbst entscheidend mitgeschaffen, durch seine Selbstdarstellung in dem Kriegsverbrecherprozess von 1949, der hier erstmals umfassend dargestellt wird, durch seine Memoiren und durch seine effektiven Verbindungen zu Netzwerken anderer hoher Wehrmachtoffiziere. Manstein, der Eroberer der Krim 1942 und Oberbefehlshaber der Heeresgruppen Don und Süd bis 1944, wurde mehr als alle anderen zur Symbolfigur, die nachhaltigen Einfluss auf das Bild der Wehrmacht in Medien und Politik der Bundesrepublik ausübte. Die Beteiligung der Heereselite am Vernichtungskrieg im Osten verschwand wie seine eigene hinter der Wand eines angeblich nur nach den Gesetzen soldatischer Pflicht geführten Krieges. Diese Umprägung des Geschehenen bis hin zum »Gedächtnisverlust« muss im Rahmen der alliierten Kriegsverbrecherprozesse, des nach Potsdam 1945 schnell einsetzenden Kalten Krieges und der damit einhergehenden politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen in Westdeutschland bis hin zur Errichtung der Bundeswehr und ihrer problembeladenen Traditionsbildung gesehen werden. Nur so ist sie zu verstehen. All diese Aspekte bündelt Oliver von Wrochem in seiner eindringlichen Studie, welche die Biographie Mansteins seit 1933 in beispielhafter Weise mit der Formung des deutschen Nachkriegsgedächtnisses verknüpft.

Rezension:
von Wrochem, Oliver: Erich von Manstein. Vernichtungskrieg und Geschichtspolitik (= Krieg in der Geschichte 27). Paderborn: Ferdinand Schöningh Verlag 2006. ISBN 3-506-72977-2; 431 S.; EUR 39,90.

Rezensiert für H-Soz-u-Kult von:
Cord Arendes, Zentrum für Europäische Geschichts- und Kulturwissenschaften (ZEGK), Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
E-Mail:

„Ohne Kriege gibt es keine Weltgeschichte, ohne Schlachten und Kriegsherren gibt es keinen Krieg.“[1] Bis zum Beginn der 1980er-Jahre legten militärgeschichtliche Untersuchungen ihren Schwerpunkt vor allem auf Taktik, Strategie und militärische Operationen (Schlachten). Auch biographische Arbeiten zu bekannten Generälen standen im Mittelpunkt.
Inzwischen zielt das Interesse von Historiker/innen am Thema Krieg besonders auf dessen Funktion als gesamtgesellschaftlicher Erfahrungsraum. Diese Sicht schließt die unterschiedlichen Formen der Erinnerung an Kriege bzw. die Erfahrung von Gewalt und deren Einbettung in die Analyse historischer Hintergründe und Strukturen mit ein. Wie ein kritisches Hinterfragen der persönlichen Handlungsspielräume der Hauptakteure des Krieges aussehen kann, zeigt Oliver von Wrochem in seiner Dissertation am Beispiel Erich von Mansteins (1887–1973), einem der prominentesten Generäle Hitlers, der in den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg auch im Ausland eine Würdigung als operatives Genie bzw. unpolitischer „Nur-Soldat“ (so Manstein über Manstein) erfahren hat.

Historische Personen manifestieren sich für Wrochem in Überlieferungen, in denen zugleich immer auch Spuren der sie umgebenden und formenden gesellschaftlichen Prozesse enthalten sind. Biographien bilden deshalb tragfähige Indikatoren für die Entwicklung von Konsens- oder Dissenskulturen in Gesellschaften (S. 13) – in anderen Worten: sie lassen sich so auch als Ausgangspunkt geschichtspolitischer Maßnahmen verstehen. Im ersten Teil des Buches skizziert Wrochem Mansteins Werdegang, das heißt schwerpunktmäßig seinen „Weg durch den Vernichtungskrieg“ (S. 28). Nach der Sozialisation im Kaiserreich, dem für seine Generation überaus wichtigen Schlüsselerlebnis Erster Weltkrieg und einer klassischen Karriere nach den Regeln und dem Geist des preußisch-deutschen Offizierskorps näherte sich Manstein ab 1933 dem Nationalsozialismus an.

Im Zweiten Weltkrieg war Manstein ab Herbst 1941 Oberbefehlshaber der 11. Armee auf der Krim und später der Heeresgruppe Süd/Don. Der Streit zwischen Manstein und dem Stab der Einsatzgruppe D (Otto Ohlendorf) um die Verantwortlichkeit für Massenverbrechen an der jüdischen Bevölkerung und russischen Kriegsgefangenen zog sich wie ein roter Faden durch die Nachkriegsprozesse. Wrochem stellt überzeugend dar, dass Mansteins Verhältnis zum Nationalsozialismus bzw. zu Hitler nur in jenen wenigen Fällen wirklich auf die Probe gestellt wurde, in denen Manstein den Erfolg der von ihm geleiteten militärischen Operationen gefährdet sah.
Über Stalingrad und das Kriegsende hinaus war das soldatische Ethos des Gehorsams – also auch gegenüber verbrecherischen Befehlen der NS-Führung – für Manstein nicht nur legitim, sondern immer zugleich eine Frage der (Offiziers-)Ehre.

Der zweite Teil der Untersuchung widmet sich ausführlich den inneren Befindlichkeiten der deutschen Nachkriegsgesellschaft, Mansteins Kriegsgefangenschaft sowie den öffentlichen Kontroversen um die Prozesse gegen die Wehrmachtselite, namentlich die ehemaligen Generäle von Brauchitsch, von Rundstedt, Strauß und von Manstein. Letzterer avancierte in der Kriegsgefangenschaft schnell zum führenden Kopf dieser Gruppe (S. 110). Nachdem das Oberkommando der Wehrmacht im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess nicht als „Verbrecherische Organisation“ eingestuft worden war, wurde Manstein zur wichtigsten Stimme der Deutungen des Vernichtungskrieges, die den Verbrechen der SS und des SD das „saubere“ Vorgehen der Wehrmacht entgegenstellten.

Zeitlich parallel erfolgte die im dritten Teil des Buchs skizzierte Rehabilitation der Wehrmachtselite im Windschatten der öffentlichen Diskussion um die Kriegsverbrecher und der kontrovers geführten Debatte um die Wiederbewaffnung und den Eintritt in das westliche Verteidigungsbündnis. Hier gelingt es Wrochem, die enge Vernetzung von Wehrmachtselite und soldatischen Interessengruppen mit der Medienöffentlichkeit an vielen Beispielen plastisch zu verdeutlichen.
Das gekonnt praktizierte Wechselspiel zwischen radikalen Forderungen und pragmatischer Politik – in Form eines klassischen Aushandlungsprozesses – sicherte den Kreisen um Manstein in wichtigen geschichtspolitischen Fragen endgültig die Deutungshoheit. Mansteins frühzeitige Entlassung aus der Haft im Jahr 1953 konnte vor dem politischen und gesellschaftlichen Hintergrund der frühen Bundesrepublik deshalb auch nur als ein deutliches „geschichtspolitisches Signal und erinnerungskulturelles Ereignis“ (S. 248) verstanden werden – zumal Entnazifizierung und Rehabilitation sowie die Rückkehr in die Bürgerlichkeit unmittelbar folgten. Mansteins diesbezügliche Aktivitäten reichten aber weit über seine Freilassung hinaus: Er betrieb aktiv die Umdeutung des Krieges gegen die Sowjetunion hin zu einem legitimen Verteidigungskrieg und erreichte sein Ziel, das Ende der Diskussion um deutsche Kriegsverbrecher, durch Trennung der „soldatischen Ehre“ von den „im deutschen Namen“ begangenen Verbrechen (S. 217), also durch die Unterscheidung zwischen Wehrmachtsangehörigen und nationalsozialistischen Kriminellen bzw. Exzesstätern. Diese Unterscheidung war langfristig wirksam und geriet genau genommen erst durch die beiden „Wehrmachtsausstellungen“ ins Wanken.

Das Geschichtsbild der ehemaligen Wehrmachtsgeneräle fand nicht nur in der Bundesrepublik Anklang, wie die weitreichende Rehabilitierung Mansteins durch Basil Liddell Hart, einen britischen Militärhistoriker, für den angelsächsischen Raum zeigt. Quasi nebenbei entwirft Wrochem im vierten Teil eine Skizze der englischen Nachkriegseliten. Diese weist über den eigentlichen Inhalt des Buchs hinaus und belegt ein „besseres“ Verständnis militärischer Eliten untereinander – auch über nationale Grenzen hinweg.

Die soldatischen Netzwerke in der Bundesrepublik gaben ihre dominante Stellung bei der Ausformung des Nachkriegsgedächtnisses nicht preis; sie bestimmten auch die Gründungsphase der Bundeswehr, zu deren militärischen Beratern Manstein schließlich zählte. So blieb er Zeit seines Lebens gleichzeitig Akteur und Symbol: „Die erinnerungskulturellen und geschichtspolitischen Wegmarken der Verbände und informellen Netzwerke überdauerten ihre Akteure und prägten das westdeutsche Nachkriegsgedächtnis nachhaltig.“ (S. 314) Erst ab den späten 1960er-Jahren gelang es der deutschen Militärgeschichtsschreibung unter den Vorzeichen der Institutionalisierung und Verwissenschaftlichung allmählich, sich in einem spannungsgeladenen Prozess von ihren „Mentoren“ aus der alten Wehrmachtselite zu lösen.

Wrochem legt den Schwerpunkt nicht direkt auf die Biographie von „Hitlers loyale[m] Gegenspieler“.[2] Es ist erklärtermaßen nicht sein Ziel, „Mansteins militärische Karriere und sein militärisches Handeln umfassend darzustellen“ (S. 26). Im Mittelpunkt stehen stattdessen die an Manstein gekoppelte „Erinnerung an den Vernichtungskrieg“ und „die Integration der in diesem Krieg Handelnden in die westdeutsche Gesellschaft“ (S. 15). Diese beiden Vorhaben sind Wrochem durchgehend gelungen, allerdings um den Preis, dass Manstein selbst oft nur indirekt in den Blick gerät – als Verkörperung für den Umgang mit Angehörigen der Wehrmachtselite und deren „gelungene“ Integration sowie als Kristallisationspunkt für die gesellschaftliche Auseinandersetzung um den Charakter der deutschen Wehrmacht und die Bedingungen des (Vernichtungs-)Krieges in der Sowjetunion. Dies ist etwas bedauerlich, da es neben dem hegemonialen Diskurs der Kriegsverbrecherprozesse und Rehabilitationsbemühungen auch eher unfreiwillige Quellen bzw.
Ego-Dokumente zu geben scheint, die, wenn man eine Biographie als sinnhafte Gesamtstrukturierung der Lebensführung einer Person versteht, Mansteins Handeln nach 1945 zusätzlich erhellen könnten. Wrochem hat diesen Aspekt mit dem Bericht über die nahezu triumphale Rückkehr Mansteins nach Allmendingen bei Ulm zumindest angedeutet (S. 258ff.).

Insgesamt überzeugt die Untersuchung damit, die persönlichen Handlungsspielräume Mansteins, die er selbst etwa in den Büchern „Verlorene Siege“ und „Aus einem Soldatenleben“ immer wieder öffentlich beschworen hat, kritisch zu hinterfragen. Die Studie leistet einen weiteren Baustein zur Ausleuchtung geschichtspolitischer Aktivitäten in der frühen Bundesrepublik und einen nicht weniger wichtigen Beitrag zu einer um sozial- und kulturwissenschaftliche Aspekte erweiterten Militärgeschichte.

Anmerkungen:
[1] Förster, Stig; Pöhlmann, Markus; Walter, Dierk, Kriegsherren in der Weltgeschichte, in: dies. (Hrsg.), Kriegsherren der Weltgeschichte. 22 historische Porträts, München 2006, S. 7-17, hier S. 17.
[2] Müller, Rolf-Dieter, Hitlers loyaler Gegenspieler, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13.1.2007, S. 8 (Rezension zum vorliegenden Buch).

Diese Rezension wurde redaktionell betreut von:
Jan-Holger Kirsch

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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.01.2007

Hitlers loyaler Gegenspieler
Und Bundeskanzler Adenauers eifriger Berater: Generalfeldmarschall Erich von Manstein

Von militärischen Leistungen der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg zu sprechen ist auch heute noch politisch inkorrekt, wenn nicht sofort politisch-moralische Einschränkungen gemacht werden. Die missratene erste Hamburger Wehrmachtsausstellung hatte vor zehn Jahren eine klare Verdammnis ausgesprochen und dies mit dem plakativen Begriff des Vernichtungskrieges belegt. Ein solches Pauschalurteil wird in manchen Studien kaum noch hinterfragt. Stattdessen interessiert, wie die Angeklagten in der Nachkriegszeit ihre Schuld verdrängt und geleugnet haben. Im Mittelpunkt stehen die Geschichte der frühen Bundesrepublik und ihr Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit, wobei den ehemaligen hohen Militärs ein unheilvoller Einfluss zugeschrieben wird.

Die Studie von Oliver von Wrochem nimmt mit Erich von Manstein einen Soldaten ins Visier, der als der glänzendste Stratege der Wehrmacht gilt und höchstes Ansehen auch bei den Feindmächten hatte. Der Lebenslauf des ehemaligen Kadetten und typischen Vertreters der preußisch-deutschen Militärelite wird kurz gestreift. Zahlreiche vorliegende biographische Deutungen und militärhistorische Darstellungen über seine Leistungen als Heerführer im Zweiten Weltkrieg scheinen es zu rechtfertigen, die wenigen Jahres seines Ruhms auf der Basis bekannter Quellen und Ereignisse zu beschreiben. Der Autor hat deshalb geglaubt, sich eine intensive Auseinandersetzung mit den militärischen Akten ersparen zu können, obwohl sich Manstein hier als Berufssoldat in seinem Selbstverständnis und Wirken am stärksten widerspiegelt. Der vom Sohn misstrauisch gehütete Nachlass des Feldmarschalls blieb ohnehin verschlossen.

Im ersten Teil stehen die politische Bewertung des Soldaten und seine tätige Mitverantwortung für die verbrecherische Kriegführung im Vordergrund. Manstein habe sich zwar bis 1938 dem Regime gegenüber zurückhaltend gezeigt und erhebliche fachliche Bedenken gegen Hitlers Kurs in den Krieg geäußert. Doch seit dem Frühjahr 1939 habe sich Manstein - nicht etwa aus Opportunismus, wie die meisten Biographen meinen - zunehmend mit bestimmten Aspekten der NS-Ideologie identifiziert. Der Autor reibt sich natürlich an Mansteins späterer Autobiographie über die "Verlorenen Siege", einem Bestseller der fünfziger Jahre, bis heute immer wieder neu aufgelegt. Darin stilisierte sich der "tragische Held" zum unpolitischen Soldaten, der weder etwas von den Verbrechen des Regimes noch den Attentatsplänen des militärischen Widerstands gewusst haben will. Persönlicher Ehrgeiz und soziale Kälte eines technokratischen Befehlshabers verbanden sich mit der Verabsolutierung militärischer Wertvorstellungen, was ihn aber eben auch nicht zum gläubigen Rassekrieger prädestinierte. Ethische Erwägungen wurden militärischer Zweckmäßigkeit zweifellos nachgeordnet. Im Ostfeldzug ab 1941 habe die situative "Dynamik der sich radikalisierenden Kriegführung" Manstein dazu veranlasst, den Weltanschauungskrieg als Teil des militärischen Kampfes zu akzeptieren. In seiner Kriegslogik scheute er sich nicht, ideologisch motivierte Vernichtungspraktiken anzuwenden.

Der Autor betont freilich, dass sich der Feldmarschall gleichzeitig nicht scheute, seinen Spielraum zu nutzen, um sich gegen eine unterschiedslos repressive Besatzungspolitik mit ihren Umsiedlungsplänen zu wenden, die den Interessen seiner Armee erkennbar zuwiderlief. Obwohl Manstein wegen seiner überragenden militärischen Talente von Hitler geschätzt wurde, begegneten ihm führende Nationalsozialisten mit Misstrauen und Ablehnung. Dem "Führer" erwuchs 1943/44 ein loyaler Gegenspieler, dem viele zutrauten, das Blatt im Osten militärisch wenden zu können. Manstein blieb trotz wankender Fronten überzeugt, dass "bei vernünftiger Führung" noch "ein Unentschieden" zu erkämpfen wäre. Auch deshalb verweigerte er sich dem Werben seiner Kameraden des militärischen Widerstands, wiewohl er einen Staatsstreich ohnehin grundsätzlich ablehnte. Dem Drängen Himmlers und Goebbels folgend, entließ ihn Hitler am 30. März 1944.

Ausführlich beschreibt der Autor das Auftreten des Ex-Marschalls während der Nürnberger Prozesse. In seinem eigenen Verfahren erhielt er trotz Unterstützung von britischen Militärexperten eine hohe Gefängnisstrafe, die aber nur zu kurzer Haft führte. Es sei Manstein gelungen, sich als "Ikone für die vermeintlich pauschal gedemütigte Wehrmacht" zu installieren. Ein umfangreicher Schriftwechsel dokumentiert seine Schlüsselrolle in einem Netzwerk der ehemaligen Wehrmachtelite, das eine breite politische und gesellschaftliche Unterstützung gefunden habe. Es kämpfte einerseits für die soziale Integration der früheren Berufssoldaten und die Rückkehr in eine bürgerliche Existenz. Andererseits bemühte er sich erfolgreich um die Freilassung der verurteilten Militärs und um die Konstruktion eines Geschichtsbildes, in dem die Wehrmacht nicht länger mit dem Vernichtungskrieg identifiziert wurde.

Dass sich ehemalige Generale nach einem Krieg aktiv an seiner Ausdeutung und an der politischen Meinungsbildung beteiligen, ist an sich nicht ungewöhnlich. Nach dem Ersten Weltkrieg hat das in Deutschland zu ganz anderen Belastungen der politischen Kultur und Geschichtsschreibung geführt, ebenso wie in anderen Ländern die Veteranen nicht immer eine positive Rolle bei der Vergangenheitsbewältigung gespielt haben. So gesehen, billigt der Autor nun Manstein eine durchaus differenzierte Rolle zu. Immerhin habe er auf seine Weise positiv an der Annäherung der ehemaligen Berufssoldaten an die neue politische Ordnung der Bundesrepublik mitgewirkt. Sein Plädoyer für die Westintegration und seine Absage an nationalistisch-neutrale Optionen lagen auf der Linie von Bundeskanzler Adenauer, der die konstruktive Haltung Mansteins zu schätzen wusste. Im Gegensatz zu Ewiggestrigen wie Albert Kesselring galt Manstein daher nicht als Nazi-General. Seine Bestellung zum militärischen Gutachter des Deutschen Bundestages - auf Vorschlag des SPD-Wehrexperten Fritz Erler - würdigte sein hohes Ansehen im In- und Ausland.

Doch das Urteil über ihn geriet ins Schwanken, und seine Haltung blieb widersprüchlich. Das galt etwa bei den Diskussionen um die Legitimität des militärischen Widerstands. Hier bemühte sich Manstein darum, den Kameradschaftskodex zu retten, wonach der Befehlsgehorsam als ebenso ehrenhaft anzusehen sei wie der aktive Widerstand. Fragwürdig blieb auch seine Selbstentlastung für das Massensterben deutscher Soldaten in Stalingrad. Seine Idealisierung des soldatischen Prinzips geriet zunehmend in den Blickpunkt medialer Kritik. Mansteins Einfluss auf die Gestaltung der Bundeswehr blieb letztlich gering. Die Innere Führung und der Primat der Politik setzten sich als demokratisches Fundament der neuen Armee durch, die ihn gleichwohl noch bei seiner Beisetzung 1973 öffentlich zu ehren wusste.

ROLF-DIETER MÜLLER

Oliver von Wrochem: Erich von Manstein: Vernichtungskrieg und Geschichtspolitik. Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2006. 431 S., 39,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Wolfram Wette ist überzeugt von dieser Arbeit des Hamburger Historikers Oliver von Wrochem zu Hitlers umstrittenen Generalfeldmarschall Erich von Manstein, den einige noch immer als "glänzenden Strategen" verehren. Wrochem mache in seiner Biografie deutlich, dass es sich bei Manstein um einen "hochintelligenten und zugleich eiskalten Strategen" handelt, der Verständnis für den Mord an den europäischen Juden zeigte, aber keines für die Offiziere des 20. Juli: "Preußische Generalfeldmarschälle meutern nicht!" Rezensent Wett findet dies sehr schlüssig dargestellt, die Hinweise darauf, welch psychische Deformationen Manstein in den preußischen Kadettenanstalten erfahren hat, erscheinen ihm durchaus als Erklärung plausibel. Insgesamt kann er nur Gutes über diese Buch sagen, das er als "gut belegt, flüssig geschrieben und abgewogen urteilend" lobt.

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