Die Bilder von protestierenden Irakern gingen im Sommer 2009 um die Welt. "Nieder mit dem Diktator" und "Wo ist meine Stimme?" hieß es auf den Spruchbändern und Plakaten, die von Jugendlichen, aber auch von vielen Vertretern der älteren Generation in die Höhe gehalten wurden. Es waren die größten Demonstrationen seit der Islamischen Revolution. Schon seit einigen Jahren gibt es im Iran eine breite gesellschaftliche Bewegung für den Wandel, für Demokratie, für Menschenrechte, für Freiheit. Diese Bewegung wird auch von Geistlichen unterstützt, die für die Vereinbarkeit von Islam und Demokratie eintreten. Auch sie kritisieren die Lesart des Islams, die heute im Iran gepredigt wird und wollen eine Reform. Drei von ihnen - Hasan Yusefi Eshkevari, Mohsen Kadivar und Mohammad Mojtahed Shabestari - werden in diesem Band vorgestellt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.10.2009Ein anderer Islam
Katajun Amirpur versammelt Texte dreier iranischer Reformdenker
Dass es in der Islamischen Republik Iran Reformdenker gibt, die das von Ajatollah Chomeini seinerzeit entwickelte, bis heute herrschende System der Regentschaft des Obersten Religionsgelehrten (welajat-e faghih) in Frage stellen, ist seit den neunziger Jahren bekannt. Insbesondere der Name von Abdolkarim Sorusch drang in eine breitere westliche Öffentlichkeit; doch fehlte es an Texten, die außerhalb der Wissenschaft jedem zugänglich waren.
Im Band vier der Reihe, die nach dem bekannten ägyptischen Orientalisten Georges Anawati (1905-1994) benannt ist, hat die deutsch-iranische Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur die Texte dreier persischer Reformdenker versammelt, die in Deutschland weniger bekannt sind: Mohammad Mojtahed Shabestari, Mohsen Kadivar und Hasan Yusefi Eshkevari. Allen Textbeispielen voran geht ein ausführliches Kapitel, in dem die Übersetzerin und Kommentatorin über den jeweiligen Autor informiert und seine Texte in den Gesamtzusammenhang seines Denkens einordnet. Es sind Texte islamischer Geistlicher, die sich selbst als "religiöse Aufklärer" sehen.
Shabestari, Jahrgang 1936, ist der älteste der drei. Man kennt ihn von mancherlei Podien in unseren Ländern, auf denen der besonnen redende Theologe und Philosoph für demokratische Reformen wirbt. Der Band enthält zwei Texte von ihm, die sich mit der Demokratie und den Menschenrechten befassen. Shabestari widerspricht der Auffassung, nach der das von Chomeini ausgearbeitete Konzept der Herrschaft das einzig mögliche sei. "Die richtige Frage ist nicht: Sind Islam und Demokratie vereinbar oder nicht? Die richtige Frage ist: Sind die Muslime heute bereit, diese Vereinbarkeit entstehen zu lassen?", schreibt er. Religionen hätten sich immer verändert, so hätten auch die Muslime das Recht, ihre Religion zu verändern.
Shabestari treibt dialektische Theologie, wie es sie in der großen Zeit des Islam gab. Für ihn enthält der Koran nur die Prinzipien (usul) einer islamischen Gesellschaft, doch keine detaillierten, feststehenden Formen. Im Grunde gehe es dem Koran - und der schiitischen Tradition im Besonderen - um den zentralen Begriff der Gerechtigkeit. Die Religiosität in der Demokratie sei eine freiwillige; Systeme, die wie in Iran das Gute herbeizwingen wollten, seien nicht geeignet.
Eine Spur radikaler denkt und schreibt Mohsen Kadivar, der 1959 geborene Hodschatoleslam, der gegenwärtig in den Vereinigten Staaten lehrt. In seiner Heimat ist er Persona non grata. Kadivar, ein Schüler des hochgeachteten, in der Islamischen Republik jedoch lange isolierten Ajatollah Montazeri, geriet schon in den neunziger Jahren mit der Staatsmacht und der Justiz aneinander, weil er vehemente Kritik am System übte. Er musste ins Gefängnis. Kadivar wendet sich gegen eine essentialistische Interpretation des Glaubens, die dem Muslim gar nicht zutraut, die Qualität und Sinnhaftigkeit der religiösen Gebote zu verstehen, weshalb er sie ungefragt zu befolgen habe; jede andere Verhaltens- und Denkweise sei Apostasie. Auch Kadivar geht in seiner Schrift über die "Herrschaft des obersten Religionsgelehrten" mit dieser Vorstellung hart ins Gericht und wirbt für den Volkswillen, der in der Demokratie zum Ausdruck kommt. Der Glaube - so denkt auch Abdolkarim Sorusch - enthält einen metaphysischen Kern, der unantastbar ist, wenn er sich selbst treu bleiben will, alles andere ist hingegen wandelbar und für Interpretationen und Anpassungen an eine sich verändernde Welt offen. Das gilt bis zum Verhältnis der Geschlechter und den Kleidersitten.
Eine demokratische islamische Regierung, welche die Menschenrechte achtet, ist auch Gegenstand der beiden Texte Hasan Yusefi Eshkevaris, Jahrgang 1949. Dieser iranische Kleriker gehörte zu den Verfechtern der islamischen Revolution, wurde im Laufe der Zeit jedoch immer kritischer gegenüber ihren Verfestigungen. Als Anhänger des noch vor der Revolution gestorbenen Ali Schariati, dessen Islamverständnis stark emanzipatorisch war, konnte Eshkevari kaum einen anderen Weg einschlagen, wenn er sich treu bleiben wollte. Er ist der radikalste der drei in dem Band vorgestellten Reformdenker. Nach dem von Extremisten verschuldeten Eklat bei der Berliner Iran-Konferenz der Heinrich-Böll-Stiftung im Jahre 2000 fiel er endgültig in Ungnade bei den Teheraner Machthabern.
Nach Eshkevari sind Islam und Demokratie schon deshalb miteinander zu versöhnen, weil der Islam gar kein eindeutiges politisches Modell vorsieht. Die von den Islamisten und Traditionalisten aller Schattierungen immer wieder als Argument und Rechtfertigung angeführte Gemeindeverfassung des Propheten Mohammed von Medina tauge ganz und gar nicht zur Verteidigung des gegenwärtigen Systems, denn in Wahrheit sei sie säkular gewesen, vom Propheten nach damaligen Gesichtspunkten pragmatisch entworfen. Die Aufsätze sind eine erhellende Lektüre gerade auch zu einem Zeitpunkt, da politische Gärung Iran erfasst hat.
WOLFGANG GÜNTER LERCH.
Unterwegs zu einem anderen Islam. Texte iranischer Denker. Ausgewählt, übersetzt und kommentiert von Katajun Amirpur, Herder Verlag, Freiburg-Basel-Wien, 180 Seiten, 16,95 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Katajun Amirpur versammelt Texte dreier iranischer Reformdenker
Dass es in der Islamischen Republik Iran Reformdenker gibt, die das von Ajatollah Chomeini seinerzeit entwickelte, bis heute herrschende System der Regentschaft des Obersten Religionsgelehrten (welajat-e faghih) in Frage stellen, ist seit den neunziger Jahren bekannt. Insbesondere der Name von Abdolkarim Sorusch drang in eine breitere westliche Öffentlichkeit; doch fehlte es an Texten, die außerhalb der Wissenschaft jedem zugänglich waren.
Im Band vier der Reihe, die nach dem bekannten ägyptischen Orientalisten Georges Anawati (1905-1994) benannt ist, hat die deutsch-iranische Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur die Texte dreier persischer Reformdenker versammelt, die in Deutschland weniger bekannt sind: Mohammad Mojtahed Shabestari, Mohsen Kadivar und Hasan Yusefi Eshkevari. Allen Textbeispielen voran geht ein ausführliches Kapitel, in dem die Übersetzerin und Kommentatorin über den jeweiligen Autor informiert und seine Texte in den Gesamtzusammenhang seines Denkens einordnet. Es sind Texte islamischer Geistlicher, die sich selbst als "religiöse Aufklärer" sehen.
Shabestari, Jahrgang 1936, ist der älteste der drei. Man kennt ihn von mancherlei Podien in unseren Ländern, auf denen der besonnen redende Theologe und Philosoph für demokratische Reformen wirbt. Der Band enthält zwei Texte von ihm, die sich mit der Demokratie und den Menschenrechten befassen. Shabestari widerspricht der Auffassung, nach der das von Chomeini ausgearbeitete Konzept der Herrschaft das einzig mögliche sei. "Die richtige Frage ist nicht: Sind Islam und Demokratie vereinbar oder nicht? Die richtige Frage ist: Sind die Muslime heute bereit, diese Vereinbarkeit entstehen zu lassen?", schreibt er. Religionen hätten sich immer verändert, so hätten auch die Muslime das Recht, ihre Religion zu verändern.
Shabestari treibt dialektische Theologie, wie es sie in der großen Zeit des Islam gab. Für ihn enthält der Koran nur die Prinzipien (usul) einer islamischen Gesellschaft, doch keine detaillierten, feststehenden Formen. Im Grunde gehe es dem Koran - und der schiitischen Tradition im Besonderen - um den zentralen Begriff der Gerechtigkeit. Die Religiosität in der Demokratie sei eine freiwillige; Systeme, die wie in Iran das Gute herbeizwingen wollten, seien nicht geeignet.
Eine Spur radikaler denkt und schreibt Mohsen Kadivar, der 1959 geborene Hodschatoleslam, der gegenwärtig in den Vereinigten Staaten lehrt. In seiner Heimat ist er Persona non grata. Kadivar, ein Schüler des hochgeachteten, in der Islamischen Republik jedoch lange isolierten Ajatollah Montazeri, geriet schon in den neunziger Jahren mit der Staatsmacht und der Justiz aneinander, weil er vehemente Kritik am System übte. Er musste ins Gefängnis. Kadivar wendet sich gegen eine essentialistische Interpretation des Glaubens, die dem Muslim gar nicht zutraut, die Qualität und Sinnhaftigkeit der religiösen Gebote zu verstehen, weshalb er sie ungefragt zu befolgen habe; jede andere Verhaltens- und Denkweise sei Apostasie. Auch Kadivar geht in seiner Schrift über die "Herrschaft des obersten Religionsgelehrten" mit dieser Vorstellung hart ins Gericht und wirbt für den Volkswillen, der in der Demokratie zum Ausdruck kommt. Der Glaube - so denkt auch Abdolkarim Sorusch - enthält einen metaphysischen Kern, der unantastbar ist, wenn er sich selbst treu bleiben will, alles andere ist hingegen wandelbar und für Interpretationen und Anpassungen an eine sich verändernde Welt offen. Das gilt bis zum Verhältnis der Geschlechter und den Kleidersitten.
Eine demokratische islamische Regierung, welche die Menschenrechte achtet, ist auch Gegenstand der beiden Texte Hasan Yusefi Eshkevaris, Jahrgang 1949. Dieser iranische Kleriker gehörte zu den Verfechtern der islamischen Revolution, wurde im Laufe der Zeit jedoch immer kritischer gegenüber ihren Verfestigungen. Als Anhänger des noch vor der Revolution gestorbenen Ali Schariati, dessen Islamverständnis stark emanzipatorisch war, konnte Eshkevari kaum einen anderen Weg einschlagen, wenn er sich treu bleiben wollte. Er ist der radikalste der drei in dem Band vorgestellten Reformdenker. Nach dem von Extremisten verschuldeten Eklat bei der Berliner Iran-Konferenz der Heinrich-Böll-Stiftung im Jahre 2000 fiel er endgültig in Ungnade bei den Teheraner Machthabern.
Nach Eshkevari sind Islam und Demokratie schon deshalb miteinander zu versöhnen, weil der Islam gar kein eindeutiges politisches Modell vorsieht. Die von den Islamisten und Traditionalisten aller Schattierungen immer wieder als Argument und Rechtfertigung angeführte Gemeindeverfassung des Propheten Mohammed von Medina tauge ganz und gar nicht zur Verteidigung des gegenwärtigen Systems, denn in Wahrheit sei sie säkular gewesen, vom Propheten nach damaligen Gesichtspunkten pragmatisch entworfen. Die Aufsätze sind eine erhellende Lektüre gerade auch zu einem Zeitpunkt, da politische Gärung Iran erfasst hat.
WOLFGANG GÜNTER LERCH.
Unterwegs zu einem anderen Islam. Texte iranischer Denker. Ausgewählt, übersetzt und kommentiert von Katajun Amirpur, Herder Verlag, Freiburg-Basel-Wien, 180 Seiten, 16,95 Euro
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"Als Gegensteuer zu der wachsenden Welle rückwärtsgewandter Islamisierung hat die deutsche Iranistin Katajun Amirpur drei moderne Reformer aus der Islamischen Republik mit ihrem erfrischenden Denken in Auszügen auf Deutsch vorgestellt. Die drei arbeiten an einer freiheitlichen und der Demokratie zugewandten Auslegung der Schrift." -- NZZ - Neue Zürcher Zeitung