Der Einsatz für das Gute hat einen Preis. Diese Erkenntnis durchzieht Can Dündars "Aufzeichnungen im deutschen Exil". Von Berlin blickt der türkische Journalist auf sein Land, wo er 2015 nach einer Enthüllung über Munitionslieferungen des Geheimdienstes an Islamisten in Syrien inhaftiert und im Folgejahr angegriffen und verurteilt worden war; wo nach dem Putschversuch im Sommer 2016 Tausende Regimekritiker eingesperrt wurden; wo seine Zeitung, die altehrwürdige "Cumhuriyet", vom Staat mit Repressalien belegt wurde.
Seine Rückkehr in die Heimat, zu seiner Familie, in seinen alten Beruf, wurde immer illusorischer. Der quälende Prozess, sich das bewusst zu machen, und der Umgang damit sind Dündars eigentliches Thema. Die Kapitel oszillieren zwischen einer groben Chronik der Ereignisse in der Türkei, humorvollen Beschreibungen des deutschen Alltags im Unterschied zum türkischen, allgemein-philosophischen Räsonnements und politischen Interventionen. Wobei Dündar mit Kritik am Verhalten des Westens gegenüber den Menschenrechtsverletzungen in der Türkei nicht spart - seit dem Flüchtlingsdeal lege die Europäische Union "auf Nebensächlichkeiten wie Demokratie nicht allzu viel Wert", schreibt er erzürnt.
Auch an anderer Stelle findet er pointierte Formulierungen, etwa wenn er mit Blick auf die Haftanstalt für politische Gefangene in Silivri schreibt, diese sei nach der Verhaftung zahlreicher "Cumhuriyet"Mitarbeiter "zum Bezirk mit der höchsten Alphabetisierungsrate der Türkei geworden". Vor allem aber schildert Dündar aufkommende Zweifel, ob seine Aktivitäten im Exil "lediglich hilfloses Gezappel waren", das nichts bewirkte, aber Freunde und Familie in Gefahr brachte. Er verschweigt nicht, wie sehr Einsamkeit und die türkischen Hasskampagnen gegen seine Person ihn belasten.
Anflüge von Verzweiflung und Verstummen überwindet er schließlich, er begreift sie als Teil einer "Mutprobe", die im Kampf gegen die eigene Angst bestanden werden müsse. Diese Angst fasst Dündar mit einem Bild des 2007 ermordeten armenisch-türkischen Journalisten Hrant Dink in den Satz, in seinem Herzen flatterten "unruhige Tauben". Die Unruhe bleibt, den Einsatz für die bedrängte türkische Demokratie führt Dündar von Deutschland aus fort.
cmei.
Can Dündar: "Verräter". Von Istanbul nach Berlin. Aufzeichnungen im deutschen Exil.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2017. 192 S., geb., 20,- [Euro].
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