Produktdetails
- Verlag: steinbach sprechende bücher / Hoffmannund Campe
- ISBN-13: 9783886988013
- ISBN-10: 3886988015
- Artikelnr.: 10878281
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
In dem Hörbuch mit 29 Kurzgeschichten von Arno Schmidt findet Tobias Lehmkuhl alle Marotten, die den Autor auch in seinen Romanen umgetrieben haben: die Liebe zur niedersächsischen Landschaft, ein Faible für ungewöhnliche Verben und entlegenste Metaphern und seine Mondbesessenheit. Den Satz - "Warum aß Ermeline so viel Sardellenpaste? Salazität?" - schlägt der hingerissene Rezensent sogar als ernste Konkurrenz für den "schönsten Satzes der deutschen Literatur" vor, den man bisher Günter Grass für "Ilsebill salzte nach" aus dem "Butt" zugestand. Auch die Einlesungen von Jan Philipp Reemtsma, Joachim Kersten und Bernd Rauschenbach, die hier nicht zum ersten Mal ein Schmidt'sches Werk zu Gehör bringen, lobt Lehmkuhl bei aller Verschiedenheit der Sprecher als ausgezeichnet, und so scheint er mit diesem Hörbuch rundum zufrieden.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.07.2010DAS HÖRBUCH
Sardellenpaste
Salazität und Kupfergong:
Kurzgeschichten Arno Schmidts
In den 29 Kurzgeschichten Arno Schmidts, die Jan Philipp Reemtsma, Joachim Kersten und Bernd Rauschenbach unter dem Titel „Verschobene Kontinente“ eingelesen haben, tauchen all die Steckenpferde auf, die der große grimmige Meister auch in seinen Romanen geritten hat: Seine Liebe zum niedersächsischen Flachland („Gebt mir Flachland!“), seine Abneigung, nahe liegende Verben zu verwenden („Ein Motorradfahrer explodierte vorüber“), überhaupt seine Neigung zu extremer Metaphorik („Er faltete sein Gesicht elefantig auseinander“), seine Besessenheit, den Mond mit immer neuen Vergleichen zu überschütten („Kupfergong“, „Aspirintablette“) und nicht zuletzt seine Vorliebe für von der eigenen Unfehlbarkeit überzeugte, spießig-hagestolzige Hauptfiguren.
Einer von ihnen ist der Vermessungsrat a. D. Stürenburg, dem die ersten acht Geschichten des Hörbuchs gewidmet sind. Vermessungrat Stürenburg berichtet einer erlesenen Schar zutiefst dörflicher Gestalten, unter ihnen der Apotheker Dettmer und Hauptmann von Dieskau, von seinem aufregenden Leben im Dienste deutscher Infrastruktur, von der Konkurrenz verschiedener Verwaltungsabteilungen und auch davon, wie er einmal einem Juden über die Grenze geholfen hat. Weil ein paar Gestapoleute es gewagt hatten, sich als Vermessungsbeamte zu tarnen!
Auch die aus Schmidts vielleicht bestem Roman „Das steinerne Herz“ wohlbekannten „Staatshandbücher“ tauchen in den „Verschobenen Kontinenten“ mehrfach auf, und mit ihnen der Typus des besessenen Sammlers – davon weiß schließlich keiner so eindringlich zu erzählen wie der Monomane Schmidt. Ihm sind „Leidenschaft und Rücksichtslosigkeit, Zartheit und Mordgier“ des Sammlers, allen voran des Büchersammlers wohlbekannt. Scheint diese spezielle Rolle dem Manne vorbehalten, so tritt in einer der Geschichten immerhin eine Schlüssel sammelnde Frau auf. Sie jagt freilich nicht nach irgendwelchen Schlüsseln; ihr Begehr sind die Schlüssel berühmter Personen. Den Schlafzimmerschlüssel Greta Garbos und den Studioschlüssel Max Benses (fünfziger Jahre!) kann sie schon ihr Eigen nennen.
„Ilsebill salzte nach“, der Eingangssatz aus Günter Grass’ Roman „Der Butt“ wurde vor einigen Jahren als der schönste Satz der deutschen Literatur gekürt,
man lasse sich einmal diesen echten Schmidt’schen Formulierungskracher auf der Zunge zergehen: „Warum aß Ermeline so viel Sardellenpaste? Salazität?“
So eine Sentenz heißt es auch erst einmal laut vorlesen zu können, und die drei Schmidtianer Reemtsma, Kersten und Rauschenbach, die schon so manches Schmidt-Hörbuch eingesprochen haben, bewältigen ihre Aufgabe anstandslos. Reemtsma, bewährt und mit Wieland’schem Feinsinn, Joachim Kersten sehr norddeutsch, spitz und knorrig zugleich, und Bernd Rauschenbach schließlich ausgesprochen sonor; man stellt ihn sich vollbärtig und Jazz hörend vor. Rauschenbach auch liest eine der schönsten Erzählungen des Hörbuchs, „Der Schulausflug“, darin ein Satz, den sich die Astronomen, dies als guter Ratschlag zuletzt, wirklich zu Herzen nehmen sollten: „Was ich schon so an Mondmetaphern ersonnen habe, es wäre recht und billig einen Mondkrater nach mir zu benennen.“
TOBIAS LEHMKUHL
ARNO SCHMIDT: Verschobene Kontinente. Gelesen von Jan Philipp Reemtsma, Joachim Kersten und Bernd Rauschenbach. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2010. 4 CD, 29,99 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
Sardellenpaste
Salazität und Kupfergong:
Kurzgeschichten Arno Schmidts
In den 29 Kurzgeschichten Arno Schmidts, die Jan Philipp Reemtsma, Joachim Kersten und Bernd Rauschenbach unter dem Titel „Verschobene Kontinente“ eingelesen haben, tauchen all die Steckenpferde auf, die der große grimmige Meister auch in seinen Romanen geritten hat: Seine Liebe zum niedersächsischen Flachland („Gebt mir Flachland!“), seine Abneigung, nahe liegende Verben zu verwenden („Ein Motorradfahrer explodierte vorüber“), überhaupt seine Neigung zu extremer Metaphorik („Er faltete sein Gesicht elefantig auseinander“), seine Besessenheit, den Mond mit immer neuen Vergleichen zu überschütten („Kupfergong“, „Aspirintablette“) und nicht zuletzt seine Vorliebe für von der eigenen Unfehlbarkeit überzeugte, spießig-hagestolzige Hauptfiguren.
Einer von ihnen ist der Vermessungsrat a. D. Stürenburg, dem die ersten acht Geschichten des Hörbuchs gewidmet sind. Vermessungrat Stürenburg berichtet einer erlesenen Schar zutiefst dörflicher Gestalten, unter ihnen der Apotheker Dettmer und Hauptmann von Dieskau, von seinem aufregenden Leben im Dienste deutscher Infrastruktur, von der Konkurrenz verschiedener Verwaltungsabteilungen und auch davon, wie er einmal einem Juden über die Grenze geholfen hat. Weil ein paar Gestapoleute es gewagt hatten, sich als Vermessungsbeamte zu tarnen!
Auch die aus Schmidts vielleicht bestem Roman „Das steinerne Herz“ wohlbekannten „Staatshandbücher“ tauchen in den „Verschobenen Kontinenten“ mehrfach auf, und mit ihnen der Typus des besessenen Sammlers – davon weiß schließlich keiner so eindringlich zu erzählen wie der Monomane Schmidt. Ihm sind „Leidenschaft und Rücksichtslosigkeit, Zartheit und Mordgier“ des Sammlers, allen voran des Büchersammlers wohlbekannt. Scheint diese spezielle Rolle dem Manne vorbehalten, so tritt in einer der Geschichten immerhin eine Schlüssel sammelnde Frau auf. Sie jagt freilich nicht nach irgendwelchen Schlüsseln; ihr Begehr sind die Schlüssel berühmter Personen. Den Schlafzimmerschlüssel Greta Garbos und den Studioschlüssel Max Benses (fünfziger Jahre!) kann sie schon ihr Eigen nennen.
„Ilsebill salzte nach“, der Eingangssatz aus Günter Grass’ Roman „Der Butt“ wurde vor einigen Jahren als der schönste Satz der deutschen Literatur gekürt,
man lasse sich einmal diesen echten Schmidt’schen Formulierungskracher auf der Zunge zergehen: „Warum aß Ermeline so viel Sardellenpaste? Salazität?“
So eine Sentenz heißt es auch erst einmal laut vorlesen zu können, und die drei Schmidtianer Reemtsma, Kersten und Rauschenbach, die schon so manches Schmidt-Hörbuch eingesprochen haben, bewältigen ihre Aufgabe anstandslos. Reemtsma, bewährt und mit Wieland’schem Feinsinn, Joachim Kersten sehr norddeutsch, spitz und knorrig zugleich, und Bernd Rauschenbach schließlich ausgesprochen sonor; man stellt ihn sich vollbärtig und Jazz hörend vor. Rauschenbach auch liest eine der schönsten Erzählungen des Hörbuchs, „Der Schulausflug“, darin ein Satz, den sich die Astronomen, dies als guter Ratschlag zuletzt, wirklich zu Herzen nehmen sollten: „Was ich schon so an Mondmetaphern ersonnen habe, es wäre recht und billig einen Mondkrater nach mir zu benennen.“
TOBIAS LEHMKUHL
ARNO SCHMIDT: Verschobene Kontinente. Gelesen von Jan Philipp Reemtsma, Joachim Kersten und Bernd Rauschenbach. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2010. 4 CD, 29,99 Euro.
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