Produktdetails
- Verlag: Murmann Publishers
- Seitenzahl: 359
- Abmessung: 220mm
- Gewicht: 587g
- ISBN-13: 9783932425080
- Artikelnr.: 07698387
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.1998Schlau, teurer Freund, ist alle Theorie
Komplottphantasien sind die Geschichtsphilosophie der Neunmalklugen: Daniel Pipes ist besorgt / Von Christoph Albrecht
Der Untergang des sowjetischen Imperiums - fragt man heute, wem er eigentlich genützt hat, dann wird klar: Dahinter kann nur eine weltgeschichtliche Verschwörung von Briefmarkensammlern und Kartographen stecken.
Dies ist natürlich nicht die These, die der amerikanische Publizist und Nahost-Experte Daniel Pipes in seinem Essay zu widerlegen sucht. Es handelt sich nur um eine humorige Zwischenstation auf einem ansonsten ernüchternden Weg durch die Talsohle politischen Denkens: die mörderischen Beliebigkeiten der Verschwörungstheorien. Eine Woche reicht nicht, so ein Philosoph der Spätaufklärung, um zu analysieren, was religiöse Geister in einer Viertelstunde phantasieren. Ähnlich verhält es sich mit dem unaufhebbaren Mißverhältnis zwischen paranoider Phantasie und der sisyphoshaften Anstrengung des Aufklärers. Was wird Pipes mit seiner erhellenden Studie ausrichten etwa gegen das Verschwörungsdenken jener amerikanischen Schwarzen, die sich in Louis Farrakhans "Nation of Islam" organisieren und glauben, die CIA plane ihren Massenmord durch Aids und Rauschgift? Oder was gegen die Wahnvorstellungen der amerikanischen Rechten, die während des Kalten Krieges eine konspirative Gemeinschaft von Amerikanern verdächtigte, das Land an die Sowjetunion zu verkaufen, und die im Zusammenbruch des Sowjetreiches ein Täuschungsmanöver sehen, das die Amerikaner bewegen soll, ihre Wachsamkeit aufzugeben? Und was schließlich vermöchte er gegen die jüngste Erfindung der irakischen Propaganda: die "Monica-Verschwörung" als ein jüdisches Komplott, das darauf ziele, Präsident Clinton durch dessen bekanntermaßen prozionistischen Stellvertreter Al Gore zu ersetzen?
Der moderne Glaube an Verschwörung ist die Geschichtsphilosophie der Armen im Geiste. Beide sind entstanden im achtzehnten Jahrhundert. Hierhin verfolgt Pipes den Denkstil zurück, der nach seiner Beobachtung in den islamischen Staaten des Nahen Ostens heute so virulent ist, daß er den kulturellen Bürgerkrieg zwischen westlichem Säkularismus und Islamismus befeuert.
Die Orden der Freimaurer und Illuminaten des achtzehnten Jahrhunderts - Verschworene, aber nicht eigentlich Verschwörer - waren entstanden im Gewissen der Untertanen, das der absolutistische Machtstaat von seinem Anspruch auf Gehorsam aussparte. Pipes gebietet nicht über die dialektische Schärfe, mit der Reinhart Koselleck in "Kritik und Krise" diesen Entstehungsprozeß analysiert hat: die Entstehung einer politikfreien Moral aus der Überwindung des religiösen Bürgerkrieges, die Verselbständigung der moralischen Position, die geschichtsphilosophische Frontstellung zum Staat, die neuerliche Zuspitzung zum politischen Bürgerkrieg, zur Revolution. Koselleck ließ die Pathogenese der bürgerlichen Welt aus deren historischer Logik hervorgehen. Hingegen stellt Pipes den eher zufälligen Beginn einer geistigen Epidemie unter den sozialhygienischen Bedingungen der entstehenden Massengesellschaft fest. Die ersten Verschwörungstheoretiker unterstellten den Freimaurerlogen fälschlicherweise eine doppelte Lehre. Die normalen Mitglieder folgen harmlosen Zielen, während unbekannte Eingeweihte die wahren Geheimnisse der Organisation kennen. Die 1776 von Adam Weishaupt gegründeten Illuminaten haben dieses Prinzip dann tatsächlich praktiziert. Weishaupts Orden wurde so der Prototyp moderner Geheimbünde und gab damit den Verschwörungsängsten wiederum Nahrung. Obwohl der Illuminatenorden 1787 zerschlagen wurde, lebten und leben die Ängste vor dessen angeblichen Weltherrschaftsplänen weiter: Man bringt ihn in Verbindung mit dem Bolschewismus, mit der Ermordung John F. Kennedys, mit der Einrichtung einer Weltregierung, mit der Entwicklung eines liberalen Christentums, mit der Aufweichung der Sexualmoral.
Pipes bezeichnete die Tradition der Weltverschwörungstheorien seit der Zeit der Französischen Revolution als eine Reihe von "Fußnoten zur Aufklärung". "Die Paranoia ist der Schatten der Erkenntnis", so hätte er den Abschnitt über den Antisemitismus in der "Dialektik der Aufklärung" von Horkheimer und Adorno zitieren können. Pipes nähert sich diesem Zusammenhang jedoch nicht auf dem Weg über eine psychoanalytisch angereicherte Kritik der Erkenntnis und Geschichte, einer Kritik, die den Keim des Übels im Innern der Vernunft selbst ausmacht. Er begnügt sich mit dem gesunden Menschenverstand, wenn er das Verschwörungsdenken historisch und systematisch zu diskreditieren versucht. Systematisch, indem er Kriterien für die Unterscheidung realer und eingebildeter Verschwörungen entwickelt; historisch, indem er die Dauerhaftigkeit identischer Motive in beliebigen Kombinationen aufzeigt.
Mit der politischen Beteiligung der Massen und dem Aufkommen der Marktwirtschaft wurden Komplotte extrem unwahrscheinlich, aber das Verschwörungsdenken stieg - gerade deshalb? - zu einer politischen Kraft auf. Wie stark war diese Kraft in der Geschichte? Die nationalistischen, sozialistischen und anarchistischen Geheimgesellschaften des neunzehnten Jahrhunderts machten die Ängste vor Verschwörungen zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung. Sie bildeten schließlich das Vorspiel für die Machtergreifung des Verschwörungsdenkens im zwanzigsten Jahrhundert. Ein Denken, das Pipes in vielen Beispielen als beliebig, monoton, unlogisch, paranoid, krankhaft, kurz: als durch und durch minderwertig schildert, infizierte und vergiftete als "Mentalität" die politische Kultur. Im Kommunismus und Nationalsozialismus gelangte es gar zu welthistorischer Mächtigkeit: mit Hitlers Wahn einer Weltverschwörung der Juden, mit Lenins Haß auf die imperialistische Verschwörung der Finanziers und Fabrikanten, mit Stalins Angst vor ausländischer, zionistischer Infiltration und Sabotage.
Sicher lassen sich interessante Gemeinsamkeiten feststellen zwischen den Obsessionen dieser Paranoiker, aber letztlich münden Pipes' Beobachtungen in ein arg psychologisierendes Fahrwasser, das die Skepsis der Historiker anziehen wird. Wie war es etwa möglich, daß "die Nazis das Verschwörungsdenken dem gesamten Leben Deutschlands eingeimpft" haben? Pipes leitet die Empfänglichkeit der Deutschen für dieses Virus aus drei Momenten politischer Verzweiflung ab: militärische Niederlage, Inflation, Angst vor einer kommunistischen Machtübernahme. Die Stärken dieses Essays liegen in der Vielfalt des Beobachteten, weniger in der differenzierten Ursachenforschung.
Der systematische Teil ist ein Merkmalskatalog, der es erleichtern soll, das Denkmuster von Verschwörungstheorien wiederzuerkennen: Da sie sich betrogen glauben, vertrauen Verschwörungstheoretiker dem Obskuren und Unwahrscheinlichen, sie akzeptieren Fälschungen als Quellen, sie schrecken nicht zurück vor logischen Widersprüchen, Anachronismen, erfundenen Tatsachen. Die immer wieder geäußerten Prämissen der Konspirationsfanatiker lauten: Das Ziel ist Macht; Vorteilsgewinn verrät Kontrolle; Verschwörungen sind die treibende Kraft der Geschichte; es gibt keine Zufälle; der äußere Schein trügt. Solche Kataloge sind nützlich und einem Gegenstand angemessen, der vor den Augen des Betrachters in Formlosigkeit zu zerfließen droht, aber man vermißt eine theoretische Rückversicherung über den Zusammenhang zwischen historischer Vernunft und Einbildungskraft. Cui bono? Diese Frage stellt sich auch der Quellenkritiker. Aber anders als beim Verschwörungstheoretiker kommt es dank historischer Urteilskraft nicht zu dem Kurzschluß "Nutznießer = Verschwörer". Kann sich der Geist der Kritik pervertieren in pathologische Erkenntnis und paranoide Gelehrsamkeit - und gibt es einen Weg zurück?
Dieser Mangel an "philosophischer" Subtilität wäre vielleicht nicht spürbar, würde sich Pipes nicht ausdrücklich gegen intelligente Verschwörungstheoretiker wenden, die er unter den linken Kultursnobs ausmacht. Die Auswirkungen linken Verschwörungsdenkens seien in diesem Jahrhundert schlimmer gewesen als die der rechten Paranoia - sowohl was die Anzahl der Opfer kommunistischer Regime angeht als auch wegen der heimtückischeren, weniger vulgären und daher weniger erkennbaren Präsenz im öffentlichen Denken: Verschwörungstheoretische Elemente entdeckt Pipes in den amerikanischen Geisteswissenschaften, im Afrozentrismus, im Feminismus, im linken Begriff vom "Antikommunismus", in der Beweisführung, die zum Freispruch von O. J. Simpson als Opfer einer Rassenverschwörung führte. Trotzdem gerieten "die Schandtaten der Linken" meistens nur "als isolierte Phänomene" in den Blick der Experten; Wissenschaftler stellten sie "für gewöhnlich eher als die besonderen Charakteristika einer Einzelperson denn als systemimmanente Fehler dar", wenn etwa geltend gemacht wird, Stalin habe die sozialistische "Idee" nur pervertiert. Dem werden altkluge Konservative und bekenntniswütige linke Renegaten begeistert zustimmen. Aber wer sonst glaubt heute noch an die große Weltverschwörung der Linken und die zersetzende Macht der Geschichtsphilosophie?
Daniel Pipes: "Verschwörungen". Faszination und Macht des Geheimen. Aus dem Amerikanischen von Gerhard Beckmann. Gerling Akademie Verlag, Müchen 1998. 368 S., geb., 64,- DM.
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Komplottphantasien sind die Geschichtsphilosophie der Neunmalklugen: Daniel Pipes ist besorgt / Von Christoph Albrecht
Der Untergang des sowjetischen Imperiums - fragt man heute, wem er eigentlich genützt hat, dann wird klar: Dahinter kann nur eine weltgeschichtliche Verschwörung von Briefmarkensammlern und Kartographen stecken.
Dies ist natürlich nicht die These, die der amerikanische Publizist und Nahost-Experte Daniel Pipes in seinem Essay zu widerlegen sucht. Es handelt sich nur um eine humorige Zwischenstation auf einem ansonsten ernüchternden Weg durch die Talsohle politischen Denkens: die mörderischen Beliebigkeiten der Verschwörungstheorien. Eine Woche reicht nicht, so ein Philosoph der Spätaufklärung, um zu analysieren, was religiöse Geister in einer Viertelstunde phantasieren. Ähnlich verhält es sich mit dem unaufhebbaren Mißverhältnis zwischen paranoider Phantasie und der sisyphoshaften Anstrengung des Aufklärers. Was wird Pipes mit seiner erhellenden Studie ausrichten etwa gegen das Verschwörungsdenken jener amerikanischen Schwarzen, die sich in Louis Farrakhans "Nation of Islam" organisieren und glauben, die CIA plane ihren Massenmord durch Aids und Rauschgift? Oder was gegen die Wahnvorstellungen der amerikanischen Rechten, die während des Kalten Krieges eine konspirative Gemeinschaft von Amerikanern verdächtigte, das Land an die Sowjetunion zu verkaufen, und die im Zusammenbruch des Sowjetreiches ein Täuschungsmanöver sehen, das die Amerikaner bewegen soll, ihre Wachsamkeit aufzugeben? Und was schließlich vermöchte er gegen die jüngste Erfindung der irakischen Propaganda: die "Monica-Verschwörung" als ein jüdisches Komplott, das darauf ziele, Präsident Clinton durch dessen bekanntermaßen prozionistischen Stellvertreter Al Gore zu ersetzen?
Der moderne Glaube an Verschwörung ist die Geschichtsphilosophie der Armen im Geiste. Beide sind entstanden im achtzehnten Jahrhundert. Hierhin verfolgt Pipes den Denkstil zurück, der nach seiner Beobachtung in den islamischen Staaten des Nahen Ostens heute so virulent ist, daß er den kulturellen Bürgerkrieg zwischen westlichem Säkularismus und Islamismus befeuert.
Die Orden der Freimaurer und Illuminaten des achtzehnten Jahrhunderts - Verschworene, aber nicht eigentlich Verschwörer - waren entstanden im Gewissen der Untertanen, das der absolutistische Machtstaat von seinem Anspruch auf Gehorsam aussparte. Pipes gebietet nicht über die dialektische Schärfe, mit der Reinhart Koselleck in "Kritik und Krise" diesen Entstehungsprozeß analysiert hat: die Entstehung einer politikfreien Moral aus der Überwindung des religiösen Bürgerkrieges, die Verselbständigung der moralischen Position, die geschichtsphilosophische Frontstellung zum Staat, die neuerliche Zuspitzung zum politischen Bürgerkrieg, zur Revolution. Koselleck ließ die Pathogenese der bürgerlichen Welt aus deren historischer Logik hervorgehen. Hingegen stellt Pipes den eher zufälligen Beginn einer geistigen Epidemie unter den sozialhygienischen Bedingungen der entstehenden Massengesellschaft fest. Die ersten Verschwörungstheoretiker unterstellten den Freimaurerlogen fälschlicherweise eine doppelte Lehre. Die normalen Mitglieder folgen harmlosen Zielen, während unbekannte Eingeweihte die wahren Geheimnisse der Organisation kennen. Die 1776 von Adam Weishaupt gegründeten Illuminaten haben dieses Prinzip dann tatsächlich praktiziert. Weishaupts Orden wurde so der Prototyp moderner Geheimbünde und gab damit den Verschwörungsängsten wiederum Nahrung. Obwohl der Illuminatenorden 1787 zerschlagen wurde, lebten und leben die Ängste vor dessen angeblichen Weltherrschaftsplänen weiter: Man bringt ihn in Verbindung mit dem Bolschewismus, mit der Ermordung John F. Kennedys, mit der Einrichtung einer Weltregierung, mit der Entwicklung eines liberalen Christentums, mit der Aufweichung der Sexualmoral.
Pipes bezeichnete die Tradition der Weltverschwörungstheorien seit der Zeit der Französischen Revolution als eine Reihe von "Fußnoten zur Aufklärung". "Die Paranoia ist der Schatten der Erkenntnis", so hätte er den Abschnitt über den Antisemitismus in der "Dialektik der Aufklärung" von Horkheimer und Adorno zitieren können. Pipes nähert sich diesem Zusammenhang jedoch nicht auf dem Weg über eine psychoanalytisch angereicherte Kritik der Erkenntnis und Geschichte, einer Kritik, die den Keim des Übels im Innern der Vernunft selbst ausmacht. Er begnügt sich mit dem gesunden Menschenverstand, wenn er das Verschwörungsdenken historisch und systematisch zu diskreditieren versucht. Systematisch, indem er Kriterien für die Unterscheidung realer und eingebildeter Verschwörungen entwickelt; historisch, indem er die Dauerhaftigkeit identischer Motive in beliebigen Kombinationen aufzeigt.
Mit der politischen Beteiligung der Massen und dem Aufkommen der Marktwirtschaft wurden Komplotte extrem unwahrscheinlich, aber das Verschwörungsdenken stieg - gerade deshalb? - zu einer politischen Kraft auf. Wie stark war diese Kraft in der Geschichte? Die nationalistischen, sozialistischen und anarchistischen Geheimgesellschaften des neunzehnten Jahrhunderts machten die Ängste vor Verschwörungen zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung. Sie bildeten schließlich das Vorspiel für die Machtergreifung des Verschwörungsdenkens im zwanzigsten Jahrhundert. Ein Denken, das Pipes in vielen Beispielen als beliebig, monoton, unlogisch, paranoid, krankhaft, kurz: als durch und durch minderwertig schildert, infizierte und vergiftete als "Mentalität" die politische Kultur. Im Kommunismus und Nationalsozialismus gelangte es gar zu welthistorischer Mächtigkeit: mit Hitlers Wahn einer Weltverschwörung der Juden, mit Lenins Haß auf die imperialistische Verschwörung der Finanziers und Fabrikanten, mit Stalins Angst vor ausländischer, zionistischer Infiltration und Sabotage.
Sicher lassen sich interessante Gemeinsamkeiten feststellen zwischen den Obsessionen dieser Paranoiker, aber letztlich münden Pipes' Beobachtungen in ein arg psychologisierendes Fahrwasser, das die Skepsis der Historiker anziehen wird. Wie war es etwa möglich, daß "die Nazis das Verschwörungsdenken dem gesamten Leben Deutschlands eingeimpft" haben? Pipes leitet die Empfänglichkeit der Deutschen für dieses Virus aus drei Momenten politischer Verzweiflung ab: militärische Niederlage, Inflation, Angst vor einer kommunistischen Machtübernahme. Die Stärken dieses Essays liegen in der Vielfalt des Beobachteten, weniger in der differenzierten Ursachenforschung.
Der systematische Teil ist ein Merkmalskatalog, der es erleichtern soll, das Denkmuster von Verschwörungstheorien wiederzuerkennen: Da sie sich betrogen glauben, vertrauen Verschwörungstheoretiker dem Obskuren und Unwahrscheinlichen, sie akzeptieren Fälschungen als Quellen, sie schrecken nicht zurück vor logischen Widersprüchen, Anachronismen, erfundenen Tatsachen. Die immer wieder geäußerten Prämissen der Konspirationsfanatiker lauten: Das Ziel ist Macht; Vorteilsgewinn verrät Kontrolle; Verschwörungen sind die treibende Kraft der Geschichte; es gibt keine Zufälle; der äußere Schein trügt. Solche Kataloge sind nützlich und einem Gegenstand angemessen, der vor den Augen des Betrachters in Formlosigkeit zu zerfließen droht, aber man vermißt eine theoretische Rückversicherung über den Zusammenhang zwischen historischer Vernunft und Einbildungskraft. Cui bono? Diese Frage stellt sich auch der Quellenkritiker. Aber anders als beim Verschwörungstheoretiker kommt es dank historischer Urteilskraft nicht zu dem Kurzschluß "Nutznießer = Verschwörer". Kann sich der Geist der Kritik pervertieren in pathologische Erkenntnis und paranoide Gelehrsamkeit - und gibt es einen Weg zurück?
Dieser Mangel an "philosophischer" Subtilität wäre vielleicht nicht spürbar, würde sich Pipes nicht ausdrücklich gegen intelligente Verschwörungstheoretiker wenden, die er unter den linken Kultursnobs ausmacht. Die Auswirkungen linken Verschwörungsdenkens seien in diesem Jahrhundert schlimmer gewesen als die der rechten Paranoia - sowohl was die Anzahl der Opfer kommunistischer Regime angeht als auch wegen der heimtückischeren, weniger vulgären und daher weniger erkennbaren Präsenz im öffentlichen Denken: Verschwörungstheoretische Elemente entdeckt Pipes in den amerikanischen Geisteswissenschaften, im Afrozentrismus, im Feminismus, im linken Begriff vom "Antikommunismus", in der Beweisführung, die zum Freispruch von O. J. Simpson als Opfer einer Rassenverschwörung führte. Trotzdem gerieten "die Schandtaten der Linken" meistens nur "als isolierte Phänomene" in den Blick der Experten; Wissenschaftler stellten sie "für gewöhnlich eher als die besonderen Charakteristika einer Einzelperson denn als systemimmanente Fehler dar", wenn etwa geltend gemacht wird, Stalin habe die sozialistische "Idee" nur pervertiert. Dem werden altkluge Konservative und bekenntniswütige linke Renegaten begeistert zustimmen. Aber wer sonst glaubt heute noch an die große Weltverschwörung der Linken und die zersetzende Macht der Geschichtsphilosophie?
Daniel Pipes: "Verschwörungen". Faszination und Macht des Geheimen. Aus dem Amerikanischen von Gerhard Beckmann. Gerling Akademie Verlag, Müchen 1998. 368 S., geb., 64,- DM.
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