Produktdetails
- Verlag: Eichborn Verlag
- ISBN-13: 9783821843155
- ISBN-10: 3821843152
- Artikelnr.: 25598129
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.04.2010Alles erledigt
Verschwundene Arbeit: Viele Berufe hat der Fortschritt verdrängt, einige überleben in ärmeren Ländern, manche werden heftig vermisst
Von Viola Schenz
Früher, als die Welt noch übersichtlich war, da kam einmal im Jahr, meist im Juni, Herr Foltas auf seinem Mofa angeknattert. An der Lenkstange klemmte eine Hupe, mit der er sein Erscheinen ankündigte. Herr Foltas war klein, rund, undefinierbaren Alters, meist unrasiert, und ihm fehlte der linke Unterschenkel, eine Granate hatte ihn zerfetzt. Aber er war stets fröhlich, kletterte flink vom Mofa, klappte den Schleifstein auf dem Gepäckträger runter und kauerte sich auf den Hocker, den er auf seinem Gefährt auch noch irgendwie mitschleppte. Herr Foltas war Scherenschleifer und von den Vorstadtbewohnern ersehnt: Nach seinem Besuch schnitten sämtliche Messer und Scheren im Haus wieder optimal. Auch wenn er beim Schleifen sehr falsch sang und die immer selben Kriegsgeschichten immer zu lang erzählte – seine Arbeit beherrschte er. Irgendwann kam Herr Foltas nicht mehr.
Vagabundierende Scherenschleifer – gibt es die heute noch? Sie sind verschwunden wie viele andere Berufe, wie Ammen, Flößer, Dienstmänner, Schriftsetzer oder Seifensieder. Der Wiener Autor und Filmemacher Rudi Palla hat ausgestorbene Professionen in einem schön bebilderten Buch zusammengestellt. Gerade – und rechtzeitig zum Tag der Arbeit – ist eine überarbeitete Fassung erschienen (Verschwundene Arbeit, Christian Brandstätter Verlag 35 Euro).
Viele Metiers gibt es nur noch als Familiennamen: die Bader, Köhler, Meier, Bogner, Aicher, Müller oder Wagner bevölkern überall die Telefonbücher. Jahrhundertelang war es unter Handwerkern üblich, das eigene Tun, die eigene Existenz, als Namen zu verewigen.
Manche historischen Berufe haben immerhin überlebt und besitzen heute Seltenheitswert, werden als Vertreter einer guten alten Zeit verklärt. Durch den Englischen Garten in München etwa wandern noch echte Schäfer mit echten Herden. Sie dienen als Anschauungsmaterial für Fernsehteams oder Stadteltern, die ihren Kindern die Natur erklären.
Andere Tätigkeiten fielen dem Fortschritt zum Opfer – glücklicherweise, muss man sagen. So verdingten sich früher in Europas Städten Abtrittanbieter: Das waren Menschen, die anderen bei dringenden Bedürfnissen einen Kübel und einen Umhang als Schutz vor neugierigen Blicken gegen Geld zur Verfügung hielten. Als im 19. Jahrhundert öffentliche Toiletten aufkamen, verschwanden diese wandelnden Klos.
Auch das anstrengende, stinkende und vor allem gefährliche Färben oder Gerben ist längst kein Gewerbe mehr, sondern industrialisiert, wenn nicht moderne Materialien für Schuhe oder Jacken eh die Naturleder verdrängen. Die Industrialisierung machte Handarbeiten überflüssig, die Abläufe schneller und billiger, das setzt sich bis heute fort. „Gerade bei der Eisenverarbeitung gab es unzählige Unterberufe, zum Beispiel Zirkelschmiede, Feilenhauer, Haftelmacher, die verschwanden nach und nach“, sagt Berufesammler Palla.
In ärmeren Ländern gibt es manche dieser Tätigkeiten noch heute. In Nordafrika färbt und gerbt man nach wie vor per Hand, zum Gestank, zu den ätzenden Säuren gesellt sich dort die erbarmungslose Hitze. „Der Anblick dieser Gerber erinnert einen an das europäische Mittelalter“, sagt Palla. In Indien leben noch heute die untersten Kasten davon, Latrinen zu vermieten, zu leeren und sauber zu halten. Oder die Lumpensammler: Sie gehörten lange zum Straßenbild in Europa, galten ähnlich wie die Abtrittanbieter als Parias, weil die Lumpen dreckig und voller Ungeziefer waren. Heute weiß man hier mit Altkleidern wenig anzufangen, sie wandern meist in Entwicklungsländer. Die sind längst zum Schrottplatz der Ersten Welt geworden – für ausrangierte Computer, Schiffe, Autos. Auch Kinder wracken dort den Zivilisationsmüll ab – eine schmutzige und gefährliche Arbeit.
Überhaupt gehen Niedergang und Auferstehen von Arbeit oft mit der Globalisierung einher. Nordseekrabben werden zwar gerne an der Nordsee verspeist, dort aber ungern gepult. Also werden sie fangfrisch ins marokkanische Tanger verschifft, dort noch im Hafen von flinken, billigen Frauenfingern geschält und dann 2500 Kilometer nach Norddeutschland zurückverfrachtet.
Die Idee, Arbeit auszulagern, ist nicht neu. Als im Goldrausch von 1849 plötzlich Glückssucher aus aller Welt nach Kalifornien strömten, entstand dort ein enormer Männerüberschuss. Die Folgen waren nicht nur eine verrohte WildwestGesellschaft, sondern auch Berge schmutziger Wäsche, für die sich keiner der Schürfer zuständig fühlte. So verschifften sie ihre verdreckten Hemden und Hosen von San Francisco aus nach Hongkong. Gewaschen und gebügelt kamen sie mit dem nächsten Frachter zurück. Damit entdeckten Chinesen eine Marktlücke auf amerikanischem Boden, die sie von San Francisco bis New York noch heute monopolartig besetzen: als Betreiber von Textilreinigungen.
Wie die Wäschereien seinerzeit in Kalifornien erfinden sich auch andere Professionen neu. „Der Hufschmied kam zurück, als das Reiten in den vergangenen 20, 30 Jahren zum Modesport wurde“, sagt Palla, „aber er arbeitet jetzt in ganz anderer Form, exklusiv für Privataufträge. Früher war er für ganze Heere zuständig.“ Auch der Sattler hat als Luxushandwerker für Taschenliebhaber und Gürtelindividualisten überlebt.
Das wünscht man sich im Fall des Scherenschleifers auch. Heute muss man Messer für einen optimalen Schliff vorsichtig verpacken und zu den Schlüssel-Schuster-Schleifdienstleistern bringen, die sich in den Untergeschossen der Kaufhäuser etabliert haben. Das stumpfe Messer des Küchenmixers weisen die allerdings zurück: zu umständlich. „Kaufen Sie sich einen neuen Mixer“, lautet der Rat. Herr Foltas hätte so einen Job bedenkenlos übernommen – fröhlich und falsch singend.
Bader, Müller, Wagner – viele Metiers gibt es nur noch als Familiennamen
Manche Handwerker finden neue Auftraggeber – als
Experten für Luxusliebhaber
Die Letzten ihrer Art: Hausierer gingen von Tür zu Tür und boten Waren auf eigene Rechnung an, Flößer verschifften Holz und zuweilen auch Obst auf dem Wasser, Siebmacher flochten Durchschläge aus Pferdehaar oder Draht, Stubenmädchen staubten Möbel ab, Salinenarbeiter rührten Salz in der Sudpfanne, Lohnkutscher boten ihre Fahrdienste an, Pechsieder kratzten Harz von Baumrinden (von oben links im Uhrzeigersinn nach unten links). Abbildungen aus dem besprochenen Band
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
Verschwundene Arbeit: Viele Berufe hat der Fortschritt verdrängt, einige überleben in ärmeren Ländern, manche werden heftig vermisst
Von Viola Schenz
Früher, als die Welt noch übersichtlich war, da kam einmal im Jahr, meist im Juni, Herr Foltas auf seinem Mofa angeknattert. An der Lenkstange klemmte eine Hupe, mit der er sein Erscheinen ankündigte. Herr Foltas war klein, rund, undefinierbaren Alters, meist unrasiert, und ihm fehlte der linke Unterschenkel, eine Granate hatte ihn zerfetzt. Aber er war stets fröhlich, kletterte flink vom Mofa, klappte den Schleifstein auf dem Gepäckträger runter und kauerte sich auf den Hocker, den er auf seinem Gefährt auch noch irgendwie mitschleppte. Herr Foltas war Scherenschleifer und von den Vorstadtbewohnern ersehnt: Nach seinem Besuch schnitten sämtliche Messer und Scheren im Haus wieder optimal. Auch wenn er beim Schleifen sehr falsch sang und die immer selben Kriegsgeschichten immer zu lang erzählte – seine Arbeit beherrschte er. Irgendwann kam Herr Foltas nicht mehr.
Vagabundierende Scherenschleifer – gibt es die heute noch? Sie sind verschwunden wie viele andere Berufe, wie Ammen, Flößer, Dienstmänner, Schriftsetzer oder Seifensieder. Der Wiener Autor und Filmemacher Rudi Palla hat ausgestorbene Professionen in einem schön bebilderten Buch zusammengestellt. Gerade – und rechtzeitig zum Tag der Arbeit – ist eine überarbeitete Fassung erschienen (Verschwundene Arbeit, Christian Brandstätter Verlag 35 Euro).
Viele Metiers gibt es nur noch als Familiennamen: die Bader, Köhler, Meier, Bogner, Aicher, Müller oder Wagner bevölkern überall die Telefonbücher. Jahrhundertelang war es unter Handwerkern üblich, das eigene Tun, die eigene Existenz, als Namen zu verewigen.
Manche historischen Berufe haben immerhin überlebt und besitzen heute Seltenheitswert, werden als Vertreter einer guten alten Zeit verklärt. Durch den Englischen Garten in München etwa wandern noch echte Schäfer mit echten Herden. Sie dienen als Anschauungsmaterial für Fernsehteams oder Stadteltern, die ihren Kindern die Natur erklären.
Andere Tätigkeiten fielen dem Fortschritt zum Opfer – glücklicherweise, muss man sagen. So verdingten sich früher in Europas Städten Abtrittanbieter: Das waren Menschen, die anderen bei dringenden Bedürfnissen einen Kübel und einen Umhang als Schutz vor neugierigen Blicken gegen Geld zur Verfügung hielten. Als im 19. Jahrhundert öffentliche Toiletten aufkamen, verschwanden diese wandelnden Klos.
Auch das anstrengende, stinkende und vor allem gefährliche Färben oder Gerben ist längst kein Gewerbe mehr, sondern industrialisiert, wenn nicht moderne Materialien für Schuhe oder Jacken eh die Naturleder verdrängen. Die Industrialisierung machte Handarbeiten überflüssig, die Abläufe schneller und billiger, das setzt sich bis heute fort. „Gerade bei der Eisenverarbeitung gab es unzählige Unterberufe, zum Beispiel Zirkelschmiede, Feilenhauer, Haftelmacher, die verschwanden nach und nach“, sagt Berufesammler Palla.
In ärmeren Ländern gibt es manche dieser Tätigkeiten noch heute. In Nordafrika färbt und gerbt man nach wie vor per Hand, zum Gestank, zu den ätzenden Säuren gesellt sich dort die erbarmungslose Hitze. „Der Anblick dieser Gerber erinnert einen an das europäische Mittelalter“, sagt Palla. In Indien leben noch heute die untersten Kasten davon, Latrinen zu vermieten, zu leeren und sauber zu halten. Oder die Lumpensammler: Sie gehörten lange zum Straßenbild in Europa, galten ähnlich wie die Abtrittanbieter als Parias, weil die Lumpen dreckig und voller Ungeziefer waren. Heute weiß man hier mit Altkleidern wenig anzufangen, sie wandern meist in Entwicklungsländer. Die sind längst zum Schrottplatz der Ersten Welt geworden – für ausrangierte Computer, Schiffe, Autos. Auch Kinder wracken dort den Zivilisationsmüll ab – eine schmutzige und gefährliche Arbeit.
Überhaupt gehen Niedergang und Auferstehen von Arbeit oft mit der Globalisierung einher. Nordseekrabben werden zwar gerne an der Nordsee verspeist, dort aber ungern gepult. Also werden sie fangfrisch ins marokkanische Tanger verschifft, dort noch im Hafen von flinken, billigen Frauenfingern geschält und dann 2500 Kilometer nach Norddeutschland zurückverfrachtet.
Die Idee, Arbeit auszulagern, ist nicht neu. Als im Goldrausch von 1849 plötzlich Glückssucher aus aller Welt nach Kalifornien strömten, entstand dort ein enormer Männerüberschuss. Die Folgen waren nicht nur eine verrohte WildwestGesellschaft, sondern auch Berge schmutziger Wäsche, für die sich keiner der Schürfer zuständig fühlte. So verschifften sie ihre verdreckten Hemden und Hosen von San Francisco aus nach Hongkong. Gewaschen und gebügelt kamen sie mit dem nächsten Frachter zurück. Damit entdeckten Chinesen eine Marktlücke auf amerikanischem Boden, die sie von San Francisco bis New York noch heute monopolartig besetzen: als Betreiber von Textilreinigungen.
Wie die Wäschereien seinerzeit in Kalifornien erfinden sich auch andere Professionen neu. „Der Hufschmied kam zurück, als das Reiten in den vergangenen 20, 30 Jahren zum Modesport wurde“, sagt Palla, „aber er arbeitet jetzt in ganz anderer Form, exklusiv für Privataufträge. Früher war er für ganze Heere zuständig.“ Auch der Sattler hat als Luxushandwerker für Taschenliebhaber und Gürtelindividualisten überlebt.
Das wünscht man sich im Fall des Scherenschleifers auch. Heute muss man Messer für einen optimalen Schliff vorsichtig verpacken und zu den Schlüssel-Schuster-Schleifdienstleistern bringen, die sich in den Untergeschossen der Kaufhäuser etabliert haben. Das stumpfe Messer des Küchenmixers weisen die allerdings zurück: zu umständlich. „Kaufen Sie sich einen neuen Mixer“, lautet der Rat. Herr Foltas hätte so einen Job bedenkenlos übernommen – fröhlich und falsch singend.
Bader, Müller, Wagner – viele Metiers gibt es nur noch als Familiennamen
Manche Handwerker finden neue Auftraggeber – als
Experten für Luxusliebhaber
Die Letzten ihrer Art: Hausierer gingen von Tür zu Tür und boten Waren auf eigene Rechnung an, Flößer verschifften Holz und zuweilen auch Obst auf dem Wasser, Siebmacher flochten Durchschläge aus Pferdehaar oder Draht, Stubenmädchen staubten Möbel ab, Salinenarbeiter rührten Salz in der Sudpfanne, Lohnkutscher boten ihre Fahrdienste an, Pechsieder kratzten Harz von Baumrinden (von oben links im Uhrzeigersinn nach unten links). Abbildungen aus dem besprochenen Band
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.01.2015Was dem Mechatroniker noch bevorsteht
Von Ammen, Pechsiedern und Wasserstiefelschustern: Rudi Pallas grandioses Lexikon untergegangener Berufe
Die Ammen, die Fächermacher, die Farbenmacher, Pottaschesieder und Zinngießer, Drahtzieher, Nachtwächter und Laternenanzünder, die Bader, Kastrierer und Wagenschmiermänner, sie alle gehören in jene versunkenen Arbeitswelten, die Rudi Palla in seinem Buch der untergegangenen Berufe beschreibt. Er verschafft ihnen als Archäologe des Alltags noch einmal einen großen Auftritt, entfaltet für den Leser dieses so lehrreichen wie unterhaltsamen Lexikons - nicht chronologisch und auch nicht auf Vollständigkeit Anspruch erhebend - eine Kulturgeschichte der Arbeit von der Antike bis ins Industriezeitalter.
Wehmut muss nicht aufkommen, denn Palla porträtiert anschaulich und oft lakonisch hartes Handwerk und Lebensumstände, die zum Glück überwunden sind; soziale Nischen, die auch gegen die Konkurrenz verteidigt werden mussten. Dort gedieh zuweilen eine eigene kulturelle Identität, mit Liedern, Tänzen und Witzen, die damals zwar in den Feuilletons gefeiert wurden und uns heute allenfalls noch als Redewendungen und aus der Literatur bekannt sind. Im wirklichen Leben schufteten etwa die Wäscherinnen oder Wäschemädels im Wien der Biedermeierzeit unter schwersten Bedingungen und für karges Entgelt gegen eine großstädtische Konkurrenz, der sie nur bedingt standhielten, woran die schönen Lieder und ihre Schlagfertigkeit nichts änderten.
Es waren nicht nur Maschinen und technologischer Fortschritt, die traditionelle Berufe verdrängten, sondern auch eine immer komplexere Arbeitsteilung und die zunehmende Verstädterung. Der Gassenkehrer von einst, ein wegen seiner schmutzigen Dienstleistung meist verachteter Beruf, existiert heute als Müllmann der Stadtwerke weiter. Auch das eine harte Arbeit, doch respektiert - spätestens dann, wenn man ein paar Streikwochen und Müllberge vor der Haustür überstanden hat. Andere sind als exklusive Handarbeitsprodukte zurückgekehrt, ohne dass jedoch der dazugehörige Beruf - zum Beispiel ein Seifensieder - dem Käufer vorstellbar wäre. Und wo die Farben, mit denen heute Massenware wie Jeans gefärbt wird, herkommen, will sich der politisch korrekt erzogene Mensch lieber gar nicht vorstellen.
Jahrhundertelang aber war es üblich, dem eigenen Tun, der Existenz, von der man lebte, und mochte sie noch so schwer sein, einen eigenen Namen zu geben. Der war mit einem Stolz verbunden und vorstellbar auch für andere. Ein Wasserstiefelschuster etwa war ein geschätzter Spezialist, der Schuhwerk für Fischer und Kanalarbeiter herstellte: Jeder Handgriff musste sitzen, sonst drang das Wasser ein. Doch wer könnte sich heute sofort etwas vorstellen unter Berufen wie Mechatroniker oder gar Kommunikationsdesignerin, wenn er ihn nicht selbst ausübt? Wüsste, was nur sie können, welches Werkzeug sie verwenden, welches Produkt sie vertreten und vor allem, wo man diese Arbeiten ausübt? Eine Kommunikationsdesignerin, so erfährt man im Internet aus sogenannten Berufssteckbriefen, arbeite vorzugsweise in Büros und in Besprechungsräumen. Mehr, also eigentlich nichts, muss man wohl heute nicht mehr wissen.
In Rudi Pallas Lexikon der verschwundenen Arbeit aber entdecken wir nicht nur konkrete Menschen, die zu bestimmten Zeiten einer klar benannten Arbeit nachgingen und warum. Unter den einzelnen Stichworten wird der Leser zudem in ein Geflecht von Waren und ihren Wegen verwickelt, die Geschichte der Arbeit mit einer Mentalitätsgeschichte verknüpft. Der jetzt im Brandstätter Verlag erschienene Band ist eine aktualisierte Wiederauflage; wunderbar gestaltet, noch reicher und origineller illustriert. Er macht außerdem mit zahlreichen neuen Stichworten auf einen entschwundenen Reichtum auch unserer Alltagssprache aufmerksam.
REGINA MÖNCH.
Rudi Palla: "Verschwundene Arbeit". Verlag Christian Brandstätter, Wien 2014. 272 S., zahlr. Abb., geb., 35.- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Von Ammen, Pechsiedern und Wasserstiefelschustern: Rudi Pallas grandioses Lexikon untergegangener Berufe
Die Ammen, die Fächermacher, die Farbenmacher, Pottaschesieder und Zinngießer, Drahtzieher, Nachtwächter und Laternenanzünder, die Bader, Kastrierer und Wagenschmiermänner, sie alle gehören in jene versunkenen Arbeitswelten, die Rudi Palla in seinem Buch der untergegangenen Berufe beschreibt. Er verschafft ihnen als Archäologe des Alltags noch einmal einen großen Auftritt, entfaltet für den Leser dieses so lehrreichen wie unterhaltsamen Lexikons - nicht chronologisch und auch nicht auf Vollständigkeit Anspruch erhebend - eine Kulturgeschichte der Arbeit von der Antike bis ins Industriezeitalter.
Wehmut muss nicht aufkommen, denn Palla porträtiert anschaulich und oft lakonisch hartes Handwerk und Lebensumstände, die zum Glück überwunden sind; soziale Nischen, die auch gegen die Konkurrenz verteidigt werden mussten. Dort gedieh zuweilen eine eigene kulturelle Identität, mit Liedern, Tänzen und Witzen, die damals zwar in den Feuilletons gefeiert wurden und uns heute allenfalls noch als Redewendungen und aus der Literatur bekannt sind. Im wirklichen Leben schufteten etwa die Wäscherinnen oder Wäschemädels im Wien der Biedermeierzeit unter schwersten Bedingungen und für karges Entgelt gegen eine großstädtische Konkurrenz, der sie nur bedingt standhielten, woran die schönen Lieder und ihre Schlagfertigkeit nichts änderten.
Es waren nicht nur Maschinen und technologischer Fortschritt, die traditionelle Berufe verdrängten, sondern auch eine immer komplexere Arbeitsteilung und die zunehmende Verstädterung. Der Gassenkehrer von einst, ein wegen seiner schmutzigen Dienstleistung meist verachteter Beruf, existiert heute als Müllmann der Stadtwerke weiter. Auch das eine harte Arbeit, doch respektiert - spätestens dann, wenn man ein paar Streikwochen und Müllberge vor der Haustür überstanden hat. Andere sind als exklusive Handarbeitsprodukte zurückgekehrt, ohne dass jedoch der dazugehörige Beruf - zum Beispiel ein Seifensieder - dem Käufer vorstellbar wäre. Und wo die Farben, mit denen heute Massenware wie Jeans gefärbt wird, herkommen, will sich der politisch korrekt erzogene Mensch lieber gar nicht vorstellen.
Jahrhundertelang aber war es üblich, dem eigenen Tun, der Existenz, von der man lebte, und mochte sie noch so schwer sein, einen eigenen Namen zu geben. Der war mit einem Stolz verbunden und vorstellbar auch für andere. Ein Wasserstiefelschuster etwa war ein geschätzter Spezialist, der Schuhwerk für Fischer und Kanalarbeiter herstellte: Jeder Handgriff musste sitzen, sonst drang das Wasser ein. Doch wer könnte sich heute sofort etwas vorstellen unter Berufen wie Mechatroniker oder gar Kommunikationsdesignerin, wenn er ihn nicht selbst ausübt? Wüsste, was nur sie können, welches Werkzeug sie verwenden, welches Produkt sie vertreten und vor allem, wo man diese Arbeiten ausübt? Eine Kommunikationsdesignerin, so erfährt man im Internet aus sogenannten Berufssteckbriefen, arbeite vorzugsweise in Büros und in Besprechungsräumen. Mehr, also eigentlich nichts, muss man wohl heute nicht mehr wissen.
In Rudi Pallas Lexikon der verschwundenen Arbeit aber entdecken wir nicht nur konkrete Menschen, die zu bestimmten Zeiten einer klar benannten Arbeit nachgingen und warum. Unter den einzelnen Stichworten wird der Leser zudem in ein Geflecht von Waren und ihren Wegen verwickelt, die Geschichte der Arbeit mit einer Mentalitätsgeschichte verknüpft. Der jetzt im Brandstätter Verlag erschienene Band ist eine aktualisierte Wiederauflage; wunderbar gestaltet, noch reicher und origineller illustriert. Er macht außerdem mit zahlreichen neuen Stichworten auf einen entschwundenen Reichtum auch unserer Alltagssprache aufmerksam.
REGINA MÖNCH.
Rudi Palla: "Verschwundene Arbeit". Verlag Christian Brandstätter, Wien 2014. 272 S., zahlr. Abb., geb., 35.- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main